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Koalitionsprogramm

Countdown läuft

Hannes Hohn, Neue Internationale 145, Dezember 2009/Januar 2010

Mit Schwarz/Gelb hat das Kapital seine Wunschregierung bekommen, um die Probleme der tiefsten Krise nach 1945 zu managen und deren Kosten auf die Arbeiterklasse und die Massen abzuwälzen. Der Begriff „Wespenkoalition“ kennzeichnet diese Regierung ganz treffend. Die Merkel-Regierung ist gewillt zuzustechen, von uns wird eine schmale Taille erwartet - indem wir den Gürtel enger schnallen

Um diesem Negativ-Image zu begegnen, gaben sich v.a. die neoliberalen Brandstifter der FDP nach der Wahl plötzlich ganz bieder. Sekundiert wurden diese Verwandlungskünstler von den Medien und sogar den DGB-Spitzen. Sommer und Co. meinten, man müsse erst mal abwarten, was kommt - und Frau Merkel habe ja auch versprochen, keine sozialen Grausamkeiten zuzulassen. Grausam, diese Naivität!

Auch einige Rosinen hat die neue Regierung verteilt, um sich eine soziale Aura zu verschaffen. So sorgte sie für einige minimale Verbesserungen bei Hartz IV und für 20 Euro mehr Kindergeld. Doch im Gegensatz zum politischen Brimborium darüber ist der Effekt sehr gering. So wurde z.B. geregelt, dass man durch Hartz IV nicht seine etwas größere Immobilie verliert. Das kann dem Gros der Arbeitslosen zwar egal sein, doch es verweist auf die Sorge der Regierung, dass die Krise auch Teile der Mittelschichten nach unten reißt. Und es muss ja nicht sein, dass der bankrotte Besitzer einer Firma für den Bau von Brücken künftig unter einer solchen schlafen muss ...

Nicht zuletzt sind es die im Mai anstehenden wichtigen Wahlen in NRW, wo man einen CDU-Sieg nicht durch zu unpopuläre Maßnahmen des Bundes gefährden will.

Politik in Zeiten der Krise

Das Koalitionsprogramm widerspiegelt recht direkt die aktuelle Lage. Einerseits geht man davon aus, dass die Krise noch nicht vorbei ist. Das ist wegen der immer noch vorhandenen Überkapazitäten, der nicht abgetragenen Berge „faulen“ Kapitals und umso mehr aufgrund der sich durch die Bankenhilfen erneut aufblähenden Spekulationsblase mehr als zutreffend. Andererseits erholt sich die Weltwirtschaft augenblicklich leicht und das deutsche Kapital hofft - durchaus nicht zu Unrecht -, dass es sich in der Krise gegenüber Konkurrenten sogar stärken kann.

Das Koalitionsprogramm führt so das Anti-Krisen-Programm der Vorgängerregierung im wesentlichen weiter, d.h. es wird weiter Hilfen für schlingernde Banken und Unternehmen geben und die Staatsverschuldung wird dadurch weiter zunehmen. Finanzminister Schäuble (CDU) meint in diesem Sinne: "Wir müssen erst einmal die Krise durchstehen - und dann können wir wieder konsolidieren". Auch die meisten bürgerlichen Ökonomen lehnen eine zügige Haushaltssanierung ab. „Einigkeit herrscht (...) darüber, dass es falsch wäre, mit der Konsolidierung in der Krise zu beginnen.“ Mit der „Rückführung der Strukturdefizite“ solle frühestens 2010 begonnen werden. (FTD 27. Oktober)

In Erwartung der wirtschaftlichen Erholung werden so auch die v.a. von der FDP angekündigte Steuerreform und die deutlichen Steuersenkungen zeitlich „gestreckt“. Der scheinbar unausrottbare, wenngleich unbewiesene neoliberalen Gundsatz, dass Steuersenkungen für die Unternehmen die Wirtschaft ankurbeln und zugleich Arbeitsplätze schaffen, gilt auch für Schwarz/Gelb. Doch wegen der Überkapazitäten wird es kaum Erweiterungsinvestitionen geben, eher Ersatzinvestitionen und Rationalisierungen, die aber eher Arbeitsplätze abbauen, statt neue zu schaffen. Zudem gibt es Hunderttausende KurzarbeiterInnen. Da sich die Kurzarbeiterregelung bewährt hat, um größere soziale Konflikte - mit Hilfe der reformistischen Apparate - zu verhindern, ist jetzt geplant, die Kurzarbeiterregelung zu modifizierten Konditionen erneut zu verlängern.

„Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt“ lautet der Kernsatz des Regierungspapiers. Die Krise wie der Schuldenberg verweisen darauf, wie ernst diese Aussage gemeint ist. Im Grunde erklärt sich daraus auch der oft verschwommene, unkonkrete Charakter des gesamten Koalitionsvertrags.

Für 2010 rechnen Experten mit einem Haushaltsloch von 90-100 Milliarden Euro. Das Defizit für die Legislaturperiode summiert sich auf ca. 500 Milliarden - bei angenommener konjunktureller Erholung. Ein erneuter Ausbruch der Krise würde selbst dieses düstere Szenario noch weit übertreffen.

Die aufgehäuften Schulden sollen zwei Seiten aufgehalst werden: den Ländern und Kommunen und damit den lohnabhängigen Massen, die entweder direkte Einkommens-Einbußen hinnehmen müssen oder denen soziale Leistungen, Bildung, Kultur usw. gestrichen werden. So plant die Regierung z.B. eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Wohnnebenkosten (Abwasser, Müll usw.).

Die avisierten Steuersenkungen muss nur z.T. der Bund bezahlen. 2010 soll es Steuerentlastungen von 21 Mrd. Euro geben. Über 40 Prozent davon gehen je zu Lasten von Bund und Ländern, 15 zu Lasten der Kommunen.

Von Ulla Schmidt in die Traufe

Besonders heftige Angriffe sind im Gesundheitsbereich geplant. Nachdem man der FDP - also jener Partei, die der Medizin- und Pharmalobby am nächsten steht - den Posten des „Gesundheits“ministers gegeben hat, dürfen wir gespannt sein, wie die von Ulla Schmidt verwalteten Reste des Gesundheitswesens nun vollends verheert werden. Während die USA gerade ein Stück ihres Privat-Versicherungs-Systems aufgeben, will die FDP das gescheiterte  amerikanische „Erfolgsmodell“ in Deutschland forciert einführen. Just in Zeiten der Finanzkrise soll die Gesundheitsvorsorge noch stärker an den Finanzmarkt gekoppelt werden! Herr, lass Hirn regnen! - möchte man sagen, doch die Politiker wissen, was sie tun und für wen.

Die in den vergangenen Jahren explodierten Gesundheitskosten - besser gesagt: die Profite der Medizin- und Pharmalobby - sollen nun den PatientInnen (und zugleich den Beschäftigten, den Krankenschwestern, Pflegern usw.) aufgebürdet werden. Was heißt das konkret?

Der „Arbeitgeber“anteil der Versicherungsbeiträge soll auf sieben Prozent begrenzt werden. Lohnabhängige und Kranke müssen also höhere Kosten selbst bezahlen.

Es sollen „einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge“ eingeführt werden. Früher hieß das „Kopfpauschale“. Dadurch wären die Beiträge nicht mehr vom Einkommen abhängig, sondern alle bezahlen gleiche Beiträge. Das bedeutet, dass Versicherte mit weniger Einkommen relativ mehr, Versicherte mit hohen Einkommen relativ weniger zahlen.

„Mehrkostenregelungen“ (z.B. Zuschüsse für Zahnersatz, Kuren) sollen „geprüft“ werden. Warum wohl? Um sie zu streichen.

Bei der Pflegeversicherung soll es eine Ergänzung des bestehenden Umlageverfahrens durch eine „Kapitaldeckung“ in Form einer Riester-Rente für die Pflege geben. So steigen die Kosten für die Betroffenen - und die Gewinne der Versicherungskonzerne, die ein riesiges neues Betätigungsfeld erhalten.

Schwarz/Gelb ist nicht grün

Die ersten Proteste gegen Schwarz/Gelb richteten sich gegen deren Atom-Politik. Zurecht, denn die Laufzeit der Kernkraftwerke soll verlängert werden. Die hochriskante und für die Zukunft ungeeignete Atomkraft wird nun „Brückentechnologie“ genannt. Wohin sie führt, bleibt offen ... Wer aber angesichts der Klimaprobleme ein massives Programm zur Förderung alternativer Energien erwartet hat, wird jedenfalls enttäuscht. Hier zeigt sich, dass den milliardenschweren Profitinteressen der Energiekonzerne locker die Lebensinteressen der Menschheit untergeordnet werden.

Trotz der jüngsten Skandale um die Bahn (Berliner S-Bahn-Chaos, marode Strecken und Fahrzeuge) wird an der Bahn-Privatisierung festgehalten. Nachdem Mehdorns Börsengang gescheitert ist, wird nun eine noch schlechtere Variante favorisiert: die Zerschlagung der Bahn in Teilbereiche, die dann leichter verscherbelt werden können. Das nächste und größere Bahn-Chaos ist also in Vorbereitung.

Die (Ein)bildungsoffensive

Der Titel des Koalitionsvertrags lautet: „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ Angesichts der Bildungsproteste, der seit Jahren geführten Bildungs-Debatte und dem angeblich hohen Stellenwert von Bildung bei den Parteien ist der Koalitionsvertrag ein totaler Flop.

Gerade vier Prozent des Textes befassen sich mit Bildung - und bestehen aus Allerweltsfloskeln. Die Koalition will bis 2013 zusätzlich zwölf Milliarden Euro für Bildung und Forschung ausgeben. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Konkrete Aussagen zu den - auch durch PISA bestätigten - Benachteiligungen für Kinder und Jugendliche aus proletarischem und insbesondere migrantischem Milieu fehlen völlig.

Gerade der Bildungsteil zeigt sehr krass, dass diese Regierung keinen Fingerhut voll Ideen und Ernsthaftigkeit hat, um auch nur in einem Bereich der Gesellschaft einige Verbesserungen wenigstens zu versuchen. Die Regierung gehört ganz eindeutig zu einer bildungsfernen Schicht.

Das Anfang Dezember vom Bundestag verabschiedete Gesetz liefert eine gute Vorlage zur Wahl des „Unworts des Jahres“ - Wachstumsimpulse bringt es indessen nicht. Dafür sind die Wachstumsimpulse viel zu gering. So wird die Halbierung des Mehrwertssteuersatzes für Hotels wohl höchstens die Matrazenindustrie ankurbeln. Die Steuersenkungen gehen zu Lasten der Länder und Kommunen, was diese zu immensen Einsparungen im sozialen und kulturellen Bereich zwingt. Die Zustimmung der Ministerpräsidenten der Länder (auch der CDU-geführten) im Bundesrat zu diesem Gesetz ist daher durchaus nicht sicher.

Wachstumsbeschleunigungsgesetz

Insgesamt steht das Bild, das die schwarz-gelbe Regierung bisher abgibt, in deutlichem Kontrast zu den forschen Ankündigungen v.a. der FDP, das Wachstum anzukurbeln und die Steuern zu senken. Statt eines großen Wurfes prägen Koalitionsgerangel und Flickschusterei die Arbeit der Regierung Merkel/Westerwelle. Diese „Politik des Zögerns“ entspricht allerdings durchaus der Lage. Einerseits wirkt die Krise noch, andererseits scheint man erst einmal aus dem Gröbsten raus zu sein.

Die angedachte Verlängerung der Kurzarbeit verweist auch darauf, dass man durchaus Furcht hat, die Masse der Lohnabhängigen zu Widerstand zu provozieren. Die Unkonkretheit des Koalitionsvertrages sollte allerdings nicht Glauben machen, man wisse nicht, was man wolle. Sie zeigt nur, dass man sich noch unschlüssig über Umfang und Tempo der geplanten Angriffe ist.

Vor allem sollte niemand glauben, die Regierung wäre mit ihrem Latein schon am Ende. Der Druck der Krise, die noch längst nicht ausgestanden ist, die astronomisch hohe Verschuldung,  die Ambitionen des deutschen Kapitals und das strategische Ziel, die EU zum stärksten Wirtschaftsblock der Welt zu entwickeln, erzeugen genügend Druck auf das Duo Merkel/Westerwelle.

Auch die imperialistische Außen- und Sicherheitspolitik wird weitergeführt. Der Skandal um die Bombardierung in Afghanistan führte zwar zur Rochade von Ministerposten, aber die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden allesamt weitergeführt.

Dazu kommt, dass die Krise selbst ein massiver Angriff auf die Arbeiterklasse, auf Arbeitslose, Rentner und Jugendliche darstellt. Ohne Frage: Wenn es nicht gelingt, den Widerstand gegen die Auswirkungen der Krise zu verbreitern, werden wir die Zeche bezahlen müssen!

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Nr. 145, Dez./Jan. 2009/10
*  Koalitionsprogramm: Countdown läuft
*  Bildungsbewegung: Ergebnisse und Perspektiven
*  Daimler Sindelfingen: C-Klasse und Arbeiterklasse
*  Rot-Rot in Brandenburg: Gewählte LINKE, gelinke Wähler
*  Geschichte und Untergang der DDR, Teil 2: Halbe politische Revolution, ganze Konterrevolution
*  Afghanistan: Die Strategie wechselt, der Imperialismus bleibt
*  Venezuela: Chavez ruft für Fünfte Internationale auf
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