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Resümee NATO Gipfel

Böller, Weihrauch, Tränengas

Hannes Hohn/Martin Suchanek, Neue Internationale 139, Mai 2009

Am ersten April-Wochenende trafen sich in Strasbourg Spitzenpolitiker der führenden imperialistischen Mächte, um den 60. Geburtstag ihres Militärbündnisses NATO zu feiern. Dieser Gipfel war ein Schaulaufen der Heuchler, der “Randalierer“, der größten Terroristen der Welt, die in Zeiten einer historischen Krise des Kapitalismus, wachsender Instabilität, Unruhe und Widerstand ihre Interessen mit allen Mitteln verteidigen.

Der Strasbourger NATO-Gipfel markiert zugleich wichtige Veränderungen. Mit der Aufnahme von Albanien und Kroatien wurde das Bündnis vergrößert. Doch v.a. der Wiederentritt Frankreichs ist von Wichtigkeit. Dabei geht es weniger um die Ausweitung des militärischen Potentials als um die Stärkung des EU-Imperialismus in diesem Bündnis.

Insofern ist die Aufnahme Frankreichs Ausdruck zweier militärpolitischer Prämissen: Erstens zeigt sie, dass die NATO gegenwärtig als Mittel der Weltbeherrschung für alle imperialistischen Staaten wichtig und unverzichtbar ist; zweitens aber ist die NATO auch eine Arena, wo sich konkurrierende imperiale Mächte - hier die USA, dort die EU - gegenüber stehen.

Die Türkei soll eine größere Rolle als Vasall im Nahen und Mittleren Osten spielen - was im Gegenzug wohl auch freie Hand für den türkischen Staat in Kurdistan bedeutet. Auch mit Russland soll die Kooperation wieder intensiviert werden. Mit dem Dänen Rasmussen wurde ein neuer Generalsekretär berufen. Zudem wurde beschlossen, weitere 5.000 Mann NATO-Truppen (davon 600 aus Deutschland) nach Afghanistan zu schicken.

Parallel zur Jubiläumsfeier verkündete Obama in Prag ein Programm zur weltweiten Abrüstung und zur Abschaffung der Nuklearwaffen. Beginnen soll damit natürlich Nordkorea, dem Boykottmaßnahmen, Erpressung bis hin zur Intervention angedroht werden.

Schon vor den Aktionen in Strasbourg kam es zu massiven Polizeikontrollen. Vielen AktivistInnen wurde die Einreise verweigert, Zugverbindungen wurden gestrichen, an den Grenzen fanden schikanöse Untersuchungen statt.

Verstärkte Repression

Die deutsche Polizei, die bürgerliche Presse und der Staat rechtfertigen diese Einschränkungen demokratischer Rechte zynisch damit, dass so die Proteste in Baden-Baden und Kehl „friedlich“ geblieben seien, während in Frankreich das „Chaos“ geherrscht hätte. Sie werfen den professionellen Tränengaswerfern von der französischen Polizei Laschheit und zu wenige Festnahmen vor.

Diese Kritik an der Taktik der französischen Bullen enthält nicht nur jede Menge deutschen Chauvinismus, sie verkennt auch die Lage. Trotz „Chaos“ hatten die französischen Bullen die Lage meist im Griff, nur ihre Einsatztaktik ist anders als die in Deutschland übliche. Es darf auch nicht vergessen werden, dass es den Bullen gelang, die internationale Großdemonstration auf eine Kundgebung in Kehl und eine Demonstration auf einer fast unbewohnten Insel in Strasbourg zu verbannen. Selbst dort - abseits vom Zentrum - wurde der Zugang massiv behindert.

Trotzdem ließen sich mehr als 20.000 Menschen (ca. 15.000 in Strasbourg, über 6.000 in Kehl) nicht einschüchtern. Sie beteiligten sich am 4. April morgens an Blockaden und danach an der Demonstration - trotz Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen.

Kritische Bewertung

Die Zahl der DemonstrantInnen in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg war trotz der großen symbolischen Bedeutung des NATO-Gipfels und trotz des Wiedereintritts Frankreichs in die NATO jedoch deutlich kleiner als erwartet.

Die Repression im Vorfeld hat sicher viele abgeschreckt. Doch auch die Tatsache, dass viele ArbeiterInnen mehr von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise berührt sind, dass es in Frankreich zwei Generalstreiks gab, dass in Deutschland über 50.000 am 28. März auf der Straße waren - was es etlichen AktivistInnen erschwerte, auch noch nach Strasbourg zu kommen - erklärt die relativ schwache Mobilisierung nicht.

Der Hauptgrund dafür ist, dass die Massenorganisationen der Arbeiterbewegung - die Gewerkschaften, reformistische Massenparteien wie DIE LINKE oder die KP Frankreichs und selbst die zentristische NPA, die immerhin 10.000 Mitglieder zählt, nur mit angezogener Handbremse mobilisiert hatten.

Reformismus in der Sackgasse

Die Führung der Anti-Kriegsbewegung, die von reformistischen Organisationen wie der Linkspartei, der DKP, der KP Frankreichs, Teilen der Gewerkschaftsbürokratie und linken Sozialdemokratie bis hin zu den Grünen und kirchlichen Organisationen gestellt wird, verfolgt folgende Strategie:

Die Kriegspolitik der imperialistischen Staaten soll durch den „Druck der öffentlichen Meinung“, durch die Gewinnung „friedlicher“ und fortschrittlicher Teile der herrschenden Parteien gestoppt werden. Daher favorisieren sie auch nicht den Kampf auf der Straße, geschweige denn den politischen Streik gegen Krieg und Besatzung oder gar die offene Solidarität mit dem Widerstand gegen imperialistische Kriege und Okkupation.

Ihre Strategie unterstellt, dass auf dem Boden des imperialistischen Systems eine andere, „friedliche“ kapitalistische Großmachtpolitik möglich wäre. Daher trennt sie die Kritik am Kapitalismus von der am Militarismus und am imperialistischen Krieg.

Zugleich hoffen sie, durch die Beschränkung ihrer Aktionen auf pazifistische Formen, die „öffentliche Meinung“ für sich zu gewinnen. Doch die „öffentliche“ Meinung - also die von den bürgerlichen Medien veröffentlichte Meinung - wird letztlich von der herrschenden Klasse kontrolliert, in deren Interesse der Staat Krieg führt oder demokratische Rechte einschränkt.

Diese sollten „wohlwollend“ über ihre Kritiker berichten?! All das zeigt, dass die pazifistische und reformistische Führung der Anti-Kriegspolitik ihre Strategie nicht auf eine Analyse des Klassencharakters der bürgerlichen Öffentlichkeit stützt, sondern auf Fiktionen, die regelmäßig wie Seifenblasen zerplatzen.

Dafür versucht diese Führung, jeden, die bürgerliche Öffentlichkeit störenden Protest, jede Aktionsform, die über das „Erlaubte“ hinausgeht, zu unterbinden.

So wollte die Mehrheit der Internationalen Koordinierung der Demo am Freitag das Verbot, in der Innenstadt zu protestieren, einfach akzeptieren. Sie wollte nicht einkalkulieren, ob es aufgrund der Masse und Militanz der TeilnehmerInnen eventuell durchbrochen werden könnte.

Die Linke

Es war v.a. dem Eingreifen von VertreterInnen der Interventionistischen Linken, des antikapitalistischen Blocks auf der Demonstration - darunter auch GenossInnen der Gruppe Arbeitermacht - wie auch britischen und griechischen Delegierten zu verdanken, dass nicht schon am Freitag eine vorauseilende Kapitulation beschlossen wurde. Beschämend und auffällig war an dieser Stelle allerdings das Verhalten der NPA, die sich zu dieser Frage vornehm „zurückhielt“ und schwieg.

Doch die Stärke der reformistischen Führung liegt zugleich auch in der politischen Schwäche - sei es im Opportunismus oder im Sektierertum - linkerer Kräfte.

Ein Teil der radikalen Linken - wie die NPA - akzeptiert die „Führungsrolle“ der Reformisten in diesen Gremien und stellt ihnen keine Alternative entgegen - trotz ihrer Popularität und linker Proklamationen.

Auch der Anarchismus - darunter der „Schwarze Block“ - ist keine Alternative zur reformistischen Führung, weil er jede Taktik ablehnt, die diese Führung in Frage stellen könnte. Er verzichtet auf jede Vermittlung seiner politischen Ziele an die Massen, weil er der Illusion aufsitzt, dass die reine Aktion für sich spreche.

Bei den spontanen Scharmützeln mit den Bullen war es vielen dieser Anarchisten oder “Autonomen” völlig egal, ob die Masse auf diese vorbereitet war oder werden konnte oder nicht. Auch die Konfrontation mit dem Staat erweist sich allzu oft nur als unsinnige Zerstörung von Bushaltestellen u.a. neutralen Objekten. Während die Reformisten den Legalismus fetischisieren, fetischisiert der „Schwarze Block“ den Pflasterstein.

Dabei wäre gerade in Strasbourg (wie bei zukünftigen ähnlichen Gipfeln) eine organisierte Form der Selbstverteidigung und einer kollektive militante Form der Aktion, die sich gleichzeitig um eine Vermittlung ihrer Ziele gegenüber der Mehrheit der TeilnehmerInnen bemüht, dringend notwendig gewesen.

Vor diesem Hintergrund scheiterten die Bemühungen des „antikapitalistischen Blocks“, den auch Arbeitermacht und REVOLUTION unterstützten, auf der Demonstration, der Militanz einen organisierten Ausdruck zu geben und zugleich größere Massen in den Kampf für die Durchsetzung einer Demo-Route in die Innenstadt einzubeziehen.

Trotzdem war dieser Ansatz politisch richtig; er muss jedoch bei zukünftigen Aktionen besser vorbereitet und organisiert verfolgt werden.

Politische Lehren

Die Aktionsbereitschaft vieler AktivistInnen in Strasbourg zeigt erneut, welches Potential sich in Europa und international im Kampf gegen die Krise formiert. Sie droht jedoch ins Leere zu laufen, wenn die subjektiv revolutionären AktivistInnen nicht in der Lage sind, eine politische Alternative zur reformistischen Führung der Bewegung wie auch zum pseudolinken Anarchismus und Autonomismus aufzubauen.

Diese muss erstens vom Charakter der gegenwärtigen Periode als einer historischen Krise des Kapitalismus ausgehen und der daraus folgenden dramatischen Verschärfung des Klassenkampfes, der Angriffe der Herrschenden, aber auch der Möglichkeiten und der Notwendigkeit revolutionärer Gegenwehr.

Zweitens müssen der Kampf gegen die Auswirkungen der Krise und imperialistische Kriegspolitik wie gegen verschärfte Repression als eine Einheit aufgefasst werden.

Drittens ist eine revolutionäre Alternative zur reformistischen Führung der Bewegung, zu deren Anbiederung und Pazifismus, aber auch zu den politisch hoffnungs- und nutzlosen Taktiken des Anarchismus notwendig. Das kann nur eine revolutionäre Arbeiterpartei und Internationale sein, eine neue Fünfte Internationale, die - gestützt auf ein Programm von Übergangsforderungen - in der Bewegung wirkt und für eine revolutionäre Führung, Strategie und Taktik kämpft.

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Nr. 139, Mai 2009
*  Erster Mai 2009: Gegen Krise, Krieg und Kapital!
*  Heile Welt
*  DGB-Gewerkschaften: Wo bleibt die soziale Unruhe?
*  Mahle Alzenau: Kämpferische Stimmung - aber wie weiter?
*  Politikerauftritte: Seehofer, SPD und der Rest
*  Mahle Argentinien: Besetzung in Rosario
*  Betriebsbesetzungen: Arbeitermacht in Bellinzona
*  Resümee NATO-Gipfel: Böller, Weihrauch, Tränengas
*  Thailand: Rote gegen Gelbe
*  Sri Lanka: Stoppt die völkermörderische Offensive gegen die Tamilen!
*  Österreich: Ein Monat der Schülerstreiks
*  90 Jahre Münchner Räterepublik: Als Arbeiter regierten