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DGB-Gewerkschaften

Wo bleibt die soziale Unruhe?

Markus Lehner, Neue Internationale 139, Mai 2009

Große Aufregung erzeugte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, als er seiner Sorge über mögliche soziale Unruhen im Gefolge der Wirtschaftskrise Ausdruck verlieh. Fast erschien dies wie eine Art Geisterbeschwörung, die sofortige Panik-Dementis auslöste. Ob Bundeskanzlerin, SPD oder DIE LINKE und allen voran natürlich Presse und „Sozialwissenschaft“ erklärten so etwas wie „rebellische Stimmung“ in der Bundesrepublik für undenkbar. An so etwas wie die Vorgänge in Frankreich oder Griechenland hier nur zu denken, sei unverantwortlich und würde Gefährliches geradezu herbeireden.

Dabei hätte man es fast schon befürchten müssen: Hat doch der DBG seinen Aufruf zur Demonstration am 16.Mai überschrieben mit „Wir machen Alarm - heute, morgen, überall in Europa und in Berlin“. Nach über einem halben Jahr immer heftiger werdender Wirtschaftskrise erschüttert der europäische Gewerkschaftsbund das Kapital mit radikalen Forderungen wie „Banken brauchen wieder feste Regeln. Der Staat muss in die Verantwortung“!

Tatsächlich würde wohl die Positionierung des EGB/DGB zur Wirtschaftskrise ziemlich unbemerkt bleiben, würde es nicht hin und wieder solche „alarmistischen“ Äußerungen, wie jüngst die von Michael Sommer zu möglichen sozialen Unruhen geben. Dabei bleibt dies vollständig in der Logik des sozialpartnerschaftlichen Co-Managements. Ist doch dessen erstes Gebot (von jedem Betriebsratsvorsitzenden fast im Schlaf abfragbar): Auf jeden Fall darf keine Unruhe in die Belegschaft kommen! Und wenn das Kapital zuschlägt oder nicht auf die Bürokratie hört, dann ist die schlimmste Drohung der „Arbeitnehmervertreter“: Oh Gott, das könnte Unruhe in der Belegschaft hervorrufen!

Tatsächlich werden die Gewerkschaftsführungen - speziell in der Industrie - immer nervöser. Es zeichnet sich ab, dass die bisherige Allzweckwaffe zur Ruhigstellung der Belegschaften, die Kurzarbeit, ihre Wirkung zu verlieren droht.  Auch eine Verlängerung der Kurzarbeitergeld-Regelung auf 24 Monate wird nicht verhindern, dass die Fixkosten das betriebswirtschaftlich kalkulierende Kapital spätestens ab Sommer zu massivem Personalabbau übergehen lassen werden. Vor diesem Hintergrund werden Sommer oder Huber derzeit etwas „alarmistischer“: Ihr Schmusekurs als Krisen-Co-Manager könnte abschmieren und sie wären Belegschaften ausgesetzt, die mit allen Mitteln gegen Entlassungen kämpfen wollen. Ihr Bestreben geht daher dahin, Politik und Kapital zu weiteren, wirksameren Überbrückungsmaßnahmen zu bringen, wenn die Kurzarbeit nicht mehr hilft.

So ist denn auch im Aufruf zum 16.5. ein „Konjunkturpaket 3“ die zentrale Forderung. Tatsächlich ist es ja so, dass die bisherigen Konjunkturpakete der Bundesregierung im Verhältnis nur sehr geringe direkte Investitionen vorsehen. Die 15 Milliarden Investitionen sind nur ein Bruchteil der in die HRE-Bank gepulverten Mittel. Die vom DGB geforderten 100 Milliarden für Investitionen in Bildung, Umwelt, Gesundheit, Kultur und Infrastruktur wären da eine andere Qualität. Gemäß der keynesianischen Theorie helfen in einer Krisensituation wie der jetzigen die Maßnahmen der Bundesregierung und der europäischen Zentralbank, vor allem für Liquidität im Finanzsektor zu sorgen, nicht zur Konjunkturankurbelung - dies wäre bei einem direkten staatlichen Investitionsprogramm sicherlich anders. Letztlich gilt hier aber ähnlich wie bei Abwrackprämie oder Kurzarbeit: alle diese Mittel führen nur dazu, dass die Probleme zeitlich in die Länge gezogen werden, um dann nur später wieder auf zu tauchen. So konnten die USA in den 1930er Jahren mithilfe eines ähnlich umfangreichen Investitionsprogrammes für 2-3 Jahre aus der Depression wieder auftauchen. Doch sobald die damalige US-Regierung an den Abbau der dafür notwendigen Verschuldung ging, fiel die US-Ökonomie sofort in die Wirtschaftskrise zurück (aus der ihr erst der 2. Weltkrieg half).

Konjunkturprogramm

Die Forderung nach staatlichen Konjunkturprogrammen hat eben einen entscheidenden Haken: nämlich die Verschuldung des Staates auf den Finanzmärkten, denen eben dieser Staat auf der anderen Seite gerade Milliarden in den Rachen wirft, um sie zu stabilisieren. Statt also in dieser Operation die Staatsschuld zu streichen, wird jetzt sogar noch mehr Staatsschuld aufgebaut, ja eigentlich die Verluste der Finanzmärkte in Staatsschuld umgewandelt. Die neue Deckung der Bankenliquidität besteht gerade auch in den Schuldentiteln aus den Konjunkturpaketen. Damit wird jeder Konjunkturaufschwung in den nächsten Jahren zur Zuschüttung der so transformierten Finanzmarktlöcher verwendet werden. Die Wirkungen der Konjunkturpakete werden also im Wesentlichen nicht dem Massenkonsum, den sozialen Leistungen oder dem „Gemeinwohl“ zu Gute kommen, sondern vor allem das Einkommensniveau der Rendite abfassenden Klasse sichern.

Investitionsprogramme in Bildung, Umwelt, öffentliche Infrastruktur etc. machen also nur dann Sinn, wenn gleichzeitig das Finanzsystem verstaatlicht wird (und dabei die Staatsschuld bei Banken getilgt wird) und die Mittel durch entsprechende Besteuerung der privaten Profite beschafft werden. Es ist also völlig daneben, wenn im DGB-Aufruf das „Ende des Casinokapitalismus“ und „Regeln für Banken“ gefordert werden. Auch bleibt die Forderung „Reiche sollen Steuern auf ihr Vermögen, ihre hohen Erbschaften und ihre hohen Einkommen zahlen“ zu unkonkret. Diese Steuern müssen exakt so bemessen werden, dass sie besagte öffentliche Investitionen finanzieren. Es reichen keine neuen Regeln für die Banken - angesichts ihrer Funktion in der Krise müssen die Banken verstaatlicht werden, um ihre Mittel wieder in produktive Investitionen zu lenken.

Dabei ist klar, dass weder für staatliche Investitionsprogramme oder für staatliche Bankenpolitik weiterhin ein mit dem deutschen Großkapital verbundenes (staatliches oder privatwirtschaftliches) Management verantwortlich sein darf. Diese Hasardeure und Krisengewinnler haben hinlänglich bewiesen, in wessen Taschen sie letztlich wirtschaften. ArbeiterInnen und KonsumentInnen müssen demokratische bestimmte Komitees bilden, die letztlich über die Vergabe der Mittel und die Priorität der Projekte entscheiden.

DGB-Aufruf

Gleichzeitig ist klar, dass weder Investitionsprogramme noch verstaatlichte Banken das auf uns zu rollende Problem von Massenentlassungen und das schon bestehende Problem von Massenarbeitslosigkeit lösen werden. Hierzu bleibt der DGB-Aufruf völlig unkonkret. Solche Phrasen wie „Für ein soziales Europa, das Armut, Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung aktiv bekämpft“ hilft da genauso wenig wie die allgemeine Formel „Für höhere Löhne und Sozialleistungen, die zum Leben reichen! Für den gesetzlichen Mindestlohn!“. Die 7,50 Euro, die der DGB zu letzterem fordert können dabei wohl nicht gemeint sein - ebenso wenig, wie in der heutigen Situation 420 Euro Regelsatz für Hartz IV-Empfänger zum Leben reichen. Zusätzlich zur Absicherung über 11 Euro Mindestlohn und 500 Euro Regelsatz müssen wir dagegen natürlich den Kampf um den Erhalt aller Arbeitsplätze, die Verteilung der Arbeit auf alle Hände (z.B. durch Arbeitszeitverkürzung), letztlich die Verstaatlichung von Betrieben, die entlassen, unter Arbeiterkontrolle fordern.

Ein solches Programm wäre ein Bruch des DGB mit dem Co-Management, wie er in der Wirtschaftskrise im Rahmen einer konsequenten Interessenvertretung das Mindeste wäre. Dass von der gegenwärtigen DGB-Führung dies nicht zu erwarten ist, wird auch durch Michael Sommers Interviews zur Erläuterung seiner „Unruhe“-Nummer deutlich. Im Interview vom 26.4. im „Tagesspiegel“ macht er klar, dass er „Revolten“ unter allen Umständen vermeiden will, Festsetzungen von Managern a la Frankreich für ganz übel hält, und für einen Generalstreik überhaupt keinen Grund sieht. Ob es nach dem 16.5. zu weiteren Demonstrationen kommen soll, will er „nicht ausschließen“.

Tatsächlich fügt sich die Demonstration vom 16.5. in das für dieses Jahr typische Mobilisierungsschema der Gewerkschaftsführungen. Mit den europaweiten Demonstrationen im Mai soll vor allem in Hinblick auf die Europawahlen am 7. Juni Druck Richtung „Konjunkturpaket“-Politik gemacht werden. Ebenso zielt die Kampagne „Gutes Leben“ der IG Metall mit ihrer Großdemonstration Anfang September in Frankfurt auf die Beeinflussung der Bundestagswahl. Hauptzielrichtung ist also nicht ein massiver Arbeiterprotest zur Durchsetzung eines klassengemäßen Anti-Krisenprogramms, sondern die sozialpartnerschaftliche Programmatik über die Stärkung des reformistischen politischen Lagers zu retten. Unter vorgehaltener Hand sind dabei die Hautziele der Bürokratie neben den Konjunkturpaket 3-Forderungen, die Rückkehr zu den alten Möglichkeiten für „sozialverträglichen“ Personalabbau (Altersteilzeit, längere Beschäftigungsgesellschaften, Verlängerung von ALGI, Rente mit 65). Alles in allem also kein klassenkämpferischer Abwehrkampf, sondern Fortsetzung der Ausverkaufspolitik unter erschwerten Bedingungen.

In den verschiedenen betrieblichen Kämpfen, die sich derzeit speziell in der Automobilindustrie und deren Zulieferern abspielt, deutet sich Opposition zu dieser Co-Management-Politik an. Die Bereitschaft zu tatsächlichem Kampf um jeden Arbeitsplatz, gegenüber „abgefedertem Abbau“ oder „Sozialtarifvertrags“-Betrug, wächst. Gerade solche Kämpfe, wie sie etwa vor 2 Jahren bei Bosch-Siemens-Hausgeräte in Berlin stattgefunden haben, zeigen aber, dass die bloße Ablehnung dieser Politik und selbst der massive Protest dagegen nicht ausreichen. Entscheidend ist, dass sich die Belegschaften zu organisierter Opposition zusammenschließen, und in allen Kampfschritten um die demokratische Kontrolle (ob in Streikkomitees, Tarifkommissionen, Vertrauenskörper ...) kämpfen.

Gleichzeitig bedarf es einer bundesweiten klassenkämpferischen Gewerkschaftsopposition mit betrieblicher Verankerung, die um ein konsequentes Krisenprogramm (wie es hier angedeutet wurde) mobilisiert und die notwendigen Kampfschritte (insbesondere den politischen Massenstreik) einfordert. So eine Gewerkschaftsopposition ist nur glaubwürdig, wenn sie mit einem entsprechend klassenkämpferischen Programm auch tatsächlich um die Führung der Gewerkschaften kämpft.

In diesem Sinn rufen wir auch zur Beteiligung an den Gewerkschaftsdemonstrationen am 16.Mai (Berlin, 11.30 Uhr Breitscheidplatz oder Hauptbahnhof) auf! Nutzen wir diese Gelegenheit, um für ein klassenkämpferisches Anti-Krisenprogramm und eine dafür tatsächlich kämpfende Gewerkschaft zu werben - auf dass die soziale Unruhe kein Sommer-Traum bleibt!

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Nr. 139, Mai 2009
*  Erster Mai 2009: Gegen Krise, Krieg und Kapital!
*  Heile Welt
*  DGB-Gewerkschaften: Wo bleibt die soziale Unruhe?
*  Mahle Alzenau: Kämpferische Stimmung - aber wie weiter?
*  Politikerauftritte: Seehofer, SPD und der Rest
*  Mahle Argentinien: Besetzung in Rosario
*  Betriebsbesetzungen: Arbeitermacht in Bellinzona
*  Resümee NATO-Gipfel: Böller, Weihrauch, Tränengas
*  Thailand: Rote gegen Gelbe
*  Sri Lanka: Stoppt die völkermörderische Offensive gegen die Tamilen!
*  Österreich: Ein Monat der Schülerstreiks
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