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Wirtschaftskrise

Ein neuer “New Deal”?

Markus Lehner, Neue Internationale 138, April 2009

Langsam dämmert es auch den optimistischsten Ärzten am Krankenbett des Kapitalismus, dass es aus der gegenwärtigen Krise keinen einfachen Ausweg gibt - keinen Ausweg auf dem Weg kleinerer Reparaturen und Regulationen, nach denen es dann mit dem Kapitalismus so weiter geht wie vor 2007.

In dieser Situation feiern alte Mythen des Reformismus bzw. des sozialen Konservatismus wieder fröhliche Auferstehung. Dazu zählt nicht nur die „soziale Marktwirtschaft“, sondern international viel prominenter der „New Deal“, mit dem angeblich die US-Demokraten unter Roosevelt in den 1930er Jahren die große Depression überwunden hätten.

Damals - so der Mythos - hätte die „progressive Koalition“ von liberalen Kapitalisten bis zu moderaten Gewerkschaftern einen Art Gesellschaftsvertrag geschlossen, der die Wiederbelebung der darnieder liegenden Investitionstätigkeit durch groß angelegte staatliche Investitionsprogramme auf der einen Seite und durch Ankurbelung des Konsums durch einschneidende Sozialreformen und Verbesserungen für die US-Arbeiterklasse auf der anderen Seite bewirkt hätte.

Langer Boom

Diese Kombination von starkem Staat, Marktregulation und systemkonformen Gewerkschaften hätte auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem langen Boom mit einer Verbreiterung der Wohlstandsbasis geführt. Mit dem Zusammenbruch der „new deal coalition“, durch aggressive Deregulierungs-, Privatisierungs- und Anti-Gewerkschaftspolitik wären die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass wir in eine so eine fundamentale Krise wie Ende der 1920er Jahre geraten sind.

Es ist daher kein Wunder, dass knapp vor Obamas Regierungsantritt in den USA eine groß angelegte links-liberale Kampagne für einen „New New Deal“ losgetreten wurde. Über das „Institute for American Future“ (IAF) wurde ein entsprechender Aufruf von 20 Gewerkschaftsvorsitzenden und 120 links-liberalen Wirtschaftswissenschaftlern veröffentlicht.

Zusammengefasst lässt er sich im Sprachrohr des US-amerikanischen Links-Liberalismus, der Zeitschrift „The Nation“, in einem Artikel von Bob Borosage und Eric Lotke unter dem Titel „A New New Deal?“ (12.1.09) nachlesen.

Inzwischen wird der „New New Deal“ auch von deutschen Politikern und Gewerkschaftsvorsitzenden wie z.B. von IG-Metall-Chef Bertold Huber aufgegriffen.

Richtigerweise relativieren Borosage/ Lotke in diesem Artikel den Mythos von der „vernünftigen Regierung“ und der „Koalition der Vernunft“, die den „New Deal“ von oben dem dankbaren Publikum beschert habe. Tatsächlich war der „sozialreformerische“ Teil des New Deal alles andere als ein Werk harmonischen Regierungshandelns.

Er war im Gegenteil wesentlich Resultat eines äußerst hart geführten Klassenkampfes einer ganz und gar nicht „moderaten“ Gewerkschaftsbewegung, speziell zwischen 1934 und 1938.

In diesem Sinn ist der IAF-Aufruf zweigeteilt: Einerseits enthält er den Appell an die Obama-Regierung zu einer Abkehr von der reinen Bankenrettungspolitik und ein paar konjunkturankurbelnden Maßnahmen hin zu einem grundlegend sozial und ökologisch reformierten Kapitalismus.

Auf der anderen Seite enthält er Aufrufe zu Mobilisierung und Protest, da sich der „progressive Flügel“ der Obama-Regierung ansonsten nicht gegen den „Wall-Street“-Flügel durchsetzen würde. Erst die Aufrechterhaltung von Staatsintervention, Ausbau von Sozialsystemen und ökologischem Umbau auch nach dem Wiederanspringen der Konjunktur würde den großen gesellschaftlichen Kampf gegen den konservativen Widerstand in beiden Parteien des Kongresses nötig machen. Wie einst Roosevelt bräuchte auch Obama die Koalition mit der Straße und den Gewerkschaften, um eine nachhaltige Abkehr vom neoliberalen Politikkartell zu erkämpfen.

Natürlich ist dies eine fatale Strategie. Wieder einmal binden sich die US-Gewerkschaften an illusionäre Hoffnungen in einen „progressiven Flügel“ der US-Demokraten und deren charismatische Frontfigur. Wie die ersten beiden Regierungsmonate der Obama-Regierung gezeigt haben, dient Obama vor allem zur publikumswirksamen Vermittlung derselben Bankenrettungspolitik, die schon unter Bush das Schwergewicht der US-Politik war.

Die aufgelegten Konjunkturprogramme werden von den jetzt enttäuschten Links-Liberalen, wie dem Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman, als Feigenblatt bezeichnet - in ihrer Wirkung gering genug, um nach dem nächsten Einbruch beweisen zu können, dass solche Konjunkturprogramme doch auch nichts geholfen haben.

Doch Borosage und Co. lassen sich nicht entmutigen. In einem Nachfolgeartikel stellt Borosage fest, dass sich der Widerstand der Lobbyisten und der in der Bush-Ära gewachsenen Finanzinteressengruppen als viel stärker als erwartet erwiesen habe. Daher sei eine „große Bürgermobilisierung quer durchs Land notwendig, um die Reformen aufrecht zu erhalten“ (The Nation, 6.3.2009). Weiter wird so getan, als ob Obama an einem fundamentalen Kampf mit den Kapitalinteressengruppen gelegen wäre.

Die Hoffnung auf einen neuen New-Deal-Präsidenten ist nicht nur gefährlich und irreführend, sie ist auch historischer Unsinn. Auch Roosevelt war alles andere als der geborene „Sozialreformer“. Nach dem Börsenkrach 1929 hatte die Regierung Hoover entsprechend der herrschenden liberalen Lehre die Wirtschaftskrise durch restriktive Haushaltspolitik und hohe Zinsen weiter verschärft, bis es 1932 zum großen Bankenzusammenbruch und dem endgültigen Abgleiten in die Depression kam. Roosevelt kam in dieser Phase an die Regierung, ohne ein klares Konzept für die Krisenbewältigung zu haben, außer dass größere staatliche Programme unausweichlich sein würden. Einerseits sollten soziale Unruhen vermieden werden, andererseits war kein anderes Rezept zur Überwindung der Depression in Sicht.

Keynes

Die systematische Rechtfertigung für diese Politik lieferte John Maynard Keynes in seiner „General Theory“ erst 1936. Der Begriff des „New Deal“ wurde von Roosevelt ähnlich wie Obamas „Change“ als Label für eine von großen Teilen der Bevölkerung erhoffte grundlegende Abkehr von der Politik der Vorgängerregierung benutzt. Er weckte Hoffnungen, die nur mit großem Aktionismus befriedigt werden konnten.

Tatsächlich wurden groß angelegte Investitionsprogramme (Brücken, Staudämme, etc.) gestartet, die Hypothekenkredite in der staatlich kontrollierten Fannie Mae konzentriert und die Banken mit strengen Sicherungsauflagen beschränkt.

Andererseits war die Durchsetzung tatsächlicher sozialer Reformen mit großen Auseinandersetzungen verknüpft. Während der Roosevelt-Ära wurden die Arbeitslosenversicherung, Minimallöhne, die 40-Stundenwoche und grundlegende Gewerkschaftsrechte (Streikrecht, Closed-Shop-System, etc.) durchgesetzt. Der erste Versuch 1934 mit der „National Recovery Administration“ Lohnunterschranken, Arbeitszeitbeschränkungen und Sanktionen für Gewerkschaftsbashing einzuführen, scheiterte am erbitterten Widerstand von Kapital und Kongressmehrheit, bis das Gesetz 1935 durch den obersten Gerichtshof zu Fall gebracht wurde.

Streikbewegung

Tatsächlich begann 1934 die US-Arbeiterbewegung mit entscheidenden Streiks wesentliche Erfolge zu erzielen, insbesondere den Mineapolis-Teamster Streik, den West-Coast-Longshore- und den Toledo-Auto-Lite-Streik. In diesen Streiks setzte sich nicht nur die neue, militantere CIO-Gewerkschaft (Congress of Industrial Organisations) gegenüber der alten korporatistischen und rassistischen AFL (American Federation of Labour) an die Spitze einer äußerst wirkungsvollen Streikbewegung. In dieser Bewegung verankerten sich gleichzeitig politische Organisationen der Arbeiterklasse (wie die trotzkistische Communist League of America). Bis 1937 gewann die CIO - oft in äußerst militanten Besetzungsstreiks - in allen wesentlichen Industriebereichen (insbesondere der Automobilindustrie) Anerkennungsstreiks und musste von den Unternehmerverbänden als Verhandlungspartner akzeptiert werden.

Erst im Zusammenhang mit dieser militanten Streikbewegung, der Drohung der Entstehung einer eigenständigen politischen US-Arbeiterbewegung, war für die US-Bourgeoisie die Einführung der NLRA-Gesetzgebung (New Labour Relations Act, auch Wagner-Act) unvermeidlich. Mit diesem Gesetz konnte langfristig die CIO in das System bürgerlicher US-Politik eingefügt und eine weitere Radikalisierung der US-Arbeiterbewegung eingedämmt werden.

Sozialreformen und Anerkennung gewerkschaftlicher Rechte während des „New Deal“ waren also keineswegs Ausfluss eines „keynsianischen Programms“, sondern vielmehr Antworten auf das Erstarken der Militanz der US-Arbeiterbewegung im Rahmen der Erholungsphase am Ende der großen Depression. Schließlich waren die „keynsianischen Konjunkturprogramme“ alles andere als erfolgreich. 1938 brach die Konjunktur erneut ein, die Arbeitslosigkeit stieg auf 19%, die Rezession war erneut da. Gleichzeitig war das Haushaltsdefizit so groß, dass Roosevelt kein neues Konjunkturprogramm im Kongress durchsetzen konnte. Erst der Zweite Weltkrieg und die Umstellung auf Kriegsindustrie waren das „Konjunkturprogramm“, das die US-Ökonomie zum langen Boom der Nachkriegsjahre führten.

Krisenursache

Die eigentliche Ursache der jetzigen Krise sind die über Jahrzehnte aufgestaute Überakkumulation und riesige Überkapazitäten. Die derzeit aufgelegten Konjunkturprogramme sichern die überakkumulierten Kapitale weiter ab, anstatt sie zu beschneiden. Das Ergebnis ist die steigende Verschuldung, v.a. des Staates. Wenn sich die Verschuldung nicht mehr fortsetzen lässt - und der Punkt ist in mehreren Ländern schon erreicht -, stellt sich das Problem von Kapitalvernichtung und Ausweitung der Ausbeutung um so dramatischer. Der forcierte Angriff auf die „Dritte Welt“ auf die Arbeiterklassen in den imperialistischen Ländern und deren soziale Errungenschaften erweist sich für das Kapital als einziger Weg aus der Krise.

Die Erfahrung des New Deal zeigt, dass die Arbeiterklasse kein Bündnis mit den „progressiven“ Kapitalisten braucht, sondern sie sich um ihre lebensnotwendigen Forderungen selbst organisieren muss, um der Krisenbewältigung des Kapitals entgegenzutreten. Jedes Vertrauen in bürgerliche Regierungen und ihre „sozialen Krisenprogramme“ bindet die Arbeiterklasse an einen Flügel der Bourgeoisie, der früher oder später ebenfalls nur den radikal-bürgerlichen Lösungen nachgeben wird. Dieses Vertrauen in Staat und Kapital erzeugt Illusionen in falsche Lösungsmöglichkeiten der Krise. Deren Enttäuschung führt geradewegs zu Chauvinismus, Rassismus bis hin zum Faschismus.

Nur die eigenständige Organisierung um lebensnotwendige Forderungen der Arbeiterklasse und der Kampf für eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus kann einen Ausweg aus dem kapitalistischen Desaster weisen. Nur die proletarische Revolution kann die Tür zu einer anderen, sozialistischen Gesellschaft aufstoßen.

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Nr. 138, April 2009
*  Gegen NATO, Imperialismus und Kapitalismus: Für die sozialistische Revolution!
*  Bilanz 28. März: Wie weiter im Kampf gegen die Krise?
*  Arbeitermacht-Rede auf dem anti-kapitalistischen Block
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*  Wirtschaftskrise: Ein neuer “New Deal”?