Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Programm

Wessen Verstaatlichung?

Slawomir Cohen / Rex Rotmann, Neue Internationale 137, März 2009

Der Bankrott der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 war das erste Monster-Desaster dieser Krise. Die US-Regierung sah sich nach dessen Kollaps genötigt, weitere weltweit führende Finanzdienstleister vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Das galt für den US-Versicherungskonzern American International (AIG). Sein Ende konnte erst mit einem „Rettungspaket“ von 85 Mrd. Dollar verhindert werden. Seitdem gelten die „Rettungspakete“ überall als Wundermittel gegen die Krise. Milliarden werden in die Geldmärkte gepumpt, um die Zirkulation des Geldes und das Kreditsystem zu stabilisieren.

Das Geld ist eben - um Lafontaines Metapher zu verwenden - das Blut der Wirtschaft, dessen Zirkulation aufrechterhalten werden müsse. So ist die Situation der heutigen globalen Wirtschaft der eines Patienten in der Notaufnahme vergleichbar, welcher bei einem „Unfall“ reichlich Blut verloren hat und daher eine Blut-Transfusion benötigt. Doch, um im Bild zu bleiben, es fehlt momentan nicht nur an Blut; das vorhandene Blut erweist sich oft als ungesunde Ersatzflüssigkeit. Riesige Geldmengen sind nichts als fiktive Werte, Wechsel ohne Deckung.

Wollten wir einem Artikel auf www.finanztreff.de Glauben schenken, so ist der Staat nicht nur Blutbank, sondern auch Erlöser der Wirtschaft. Und so „sollten (wir) alle gemeinsam auf die Knie fallen und dem Himmel danken, wie gut unsere Demokratie in Krisenzeiten funktioniert. Denn wenn die Finanzkrise etwas lehrt, dann das.“

Wenn man eine solch pseudoreligiöse Dankeshaltung liest, kann man nur beten: Herr, lass Hirn regnen!“

Deren Verstaatlichung ...

Der Staat versucht derzeit, marode Banken und Unternehmen zu verstaatlichen. Damit will er verhindern, dass der Zusammenbruch dieser Unternehmen andere mit in den Strudel reißt oder gar eine Kettenreaktion auslöst, die zum Zusammenbruch der Gesamtwirtschaft führen könnte.

Doch diese (bürgerlichen) Verstaatlichungen unterscheiden sich in der Art und Weise wie in ihrer Funktion grundsätzlich von einer Verstaatlichung in unserem Sinn. Dabei sollten wir uns auch nicht von nervösen Kommentaren täuschen lassen, die schon die Einführung des Sozialismus oder der Planwirtschaft durch den Staat befürchten.

Allein schon die Tatsache, dass der bürgerliche Staat immer eine Agentur im Interesse der (Gesamt)bourgeoisie ist, führt jede Vermutung, dieser wolle den Kapitalismus, das Privateigentum oder die Konkurrenz abschaffen, ad absurdum. Schon früher gab es immer wieder Verstaatlichungen von Unternehmen oder Teilen der Wirtschaft, wenn das Gesamtinteresse des nationalen Kapitals bzw. das Funktionieren des Kapitalismus als System dies erforderte. So waren stärker reglementierende Eingriffe des Staates in die Wirtschaft in Deutschland schon während des Ersten Weltkrieges und im Faschismus erfolgt, weil das Gesamtinteresse der deutschen Bourgeoisie - den Krieg zu gewinnen - dies erforderte. Dabei wurden jedoch weder die Grundlagen noch die hauptsächlichen Spielregeln kapitalistischer Wirtschaft ausser Kraft gesetzt; im Gegenteil, die Macht der Großkonzerne und deren Profite stiegen genauso gewaltig wie die Ausbeutungsrate des Proletariats.

Auch die gegenwärtigen „Verstaatlichungen“ (neuerdings auch in Form der Enteignung diskutiert) zeigen sehr genau, in wessen Klasseninteresse sie liegen.

Die geplanten Verstaatlichungen sind keine entschädigungslosen Enteignungen, sondern laufen auf die Verwaltung und zeitweilige Übernehme verschuldeter/bankrotter Unternehmen hinaus. Ist die Krise vorbei und der Betrieb „saniert“, ist deren Re-Privatisierung vorgesehen.

Die Kontrolle der Staatseingriffe obliegt Vertretern des Staates und des Kapitals. Die Beschäftigten, geschweige denn Organe der gesamten Arbeiterklasse, sind dabei von jeder effektiven Kontrolle und Einflussnahme ausgeschlossen. Ihre offiziellen VertreterInnen, die selbst wiederum von der Arbeiterbürokratie (Spitzen von Gewerkschaften und Betriebsräten, ernannt sind, werden über diverse Mitbestimmungsgremien und Aufsichtsräte eingebunden. Andererseits sind die ArbeiterInnen und Angestellten voll und ganz von den „Sanierungsmaßnahmen“ des Staates in Form von Lohnkürzungen, Entlassungen usw. betroffen.

... und unsere

Wenn wir Verstaatlichungen fordern, dann zunächst einmal deshalb, weil so verhindert werden kann, dass durch den Bankrott eines Unternehmens Menschen arbeitslos werden und ihre Existenz bedroht wird. Dadurch, dass der Staat das Unternehmen weiterführt (und weiter finanziert) können auch die Jobs dort erhalten werden.

Die in der Linken bisweilen erhobene Forderung der Weiterführung der Produktion durch die Beschäftigten weist zwar in die richtige Richtung und kann zuweilen auch notwendig sein; doch wie könnte eine Belegschaft einen bankrotten Betrieb weiterführen, ohne dass dieser Geld bzw. Kredite erhält - und wer wollte oder könnte diese gewähren - wenn nicht der Staat oder private Banken?!

Insofern wäre eine Verstaatlichung solcher Unternehmen immer auch eine durch die Arbeiterklasse dem Staat im Kampf abgerungene Maßnahme, denn auch der bürgerliche Staat hat keinesfalls immer Interesse daran, marode Unternehmen unter seine Fittiche zu nehmen.

In jedem Fall ist entscheidend, dass die Arbeiterklasse die Kontrolle über die Verstaatlichung ausübt, dass sie sich Kenntnis über die Geschäftsunterlagen, über Konten, Schulden usw. verschafft. Warum?

Zunächst einmal, um überhaupt zu wissen, ob eine Firma wirklich Pleite ist, wieviel Schulden sie hat usw. oder ob die Misere nur vorgetäuscht wurde, um an staatliche Hilfsgelder zu kommen. Oft genug haben die Eigentümer ihre Firmen auch selbst ausgeplündert. Das Management wie auch die staatlichen Finanzexperten sind als Kontrolleure befangen, wenn nicht gar korrupt, oder aber auch objektiv nicht in der Lage, Licht in das Finanz- und Steuerdickicht zu bringen. Die Beschäftigten (nicht nur in der Buchhaltung) eines Betriebes sind eben auch in dieser Hinsicht am engsten mit der modernen Produktion (auch von Profiten und Bilanzen) verbunden.

Ob die Verstaatlichung mit einer Enteignung auch des Privatvermögens des Kapitalisten verbunden ist, hängt letztlich vom Kräfteverhältnis ab und ist in diesem Zusammenhang -  unter noch kapitalistischen Bedingungen - keine Prinzipienfrage. Wichtig ist allerdings ein anderes Prinzip: Wir sind auch in Fällen für eine Verstaatlichung, wenn der bürgerliche Staat an sich kein Interesse daran hat, z.B. wenn das Unternehmen für die Gesamtwirtschaft zu unbedeutend ist. Wir fordern die Verstaatlichung nicht unter dem Aspekt des Wohlergehens der kapitalistischen Gesamtwirtschaft, sondern unter dem Gesichtspunkt der Interessen der Lohnabhängigen. Daher fordern wir auch die Verstaatlichung aller Unternehmen, die bankrott sind, die Beschäftigte entlassen oder dies ankündigen.

Im Unterschied zu utopischen Vorstellungen, die davon ausgehen, dass durch immer mehr Unternehmen, die unter Arbeiterkontrolle oder Verwaltung produzieren, nach und nach der Kapitalismus zurückgedrängt werden und eine „andere Wirtschaft“ Einzug halten könnte, ist für uns die Verstaatlichung noch kein Sozialismus in soundso vielen Betrieben, sondern ein Zwischenschritt, eine Übergangslösung, ein Kompromiss, die den kapitalistischen Ausbeutung- und Verwertungsprozess zurückdrängt und durch den damit verbundenen Klassenkampf die Arbeiterklasse mit der Möglichkeit und der Notwendigkeit vertraut macht, ohne Kapitalisten zu wirtschaften, und die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft zu öffnen.

Für MarxistInnen ist ganz klar, dass jeder Angriff auf das Privateigentum und die Verfügungsgewalt darüber auf massiven Widerstand der herrschenden Klasse und ihres Staatsapparates treffen wird. Schon deshalb sind alle Vorstellungen einer „evolutionären“ Ersetzung des Privateigentums durch von den ArbeiterInnen selbst verwaltete Betriebe Unsinn. Sie verweisen allerdings auf den Zusammenhang zwischen Verstaatlichung und dem Kampf um die Staatsmacht.

Übergangsforderungen

Was nützt die Verstaatlichung, wenn der Staat sich später weigert, das Unternehmen weiter zu finanzieren? Was hilft die beste Arbeiterkontrolle über Buchführung und Produktion, wenn die proletarischen KontrolleurInnen nach wenigen Tagen von den Bullen verhaftet werden?

Wie auch alle anderen Errungenschaften müssen Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle gegen Kapital und Staat verteidigt werden. Wie auch sonst gibt es zwischen Proletariat und Bourgeoisie keinen Status quo auf ewig. Es hängt vom Verlauf des Klassenkampfes - letztlich im internationalen Maßstab - ab, ob die Wirtschaft insgesamt umgewälzt, d.h. die Kapitalisten als Klasse enteignet und eine geplante Wirtschaft eingeführt werden, oder die Errungenschaften und Kompromisse wieder kassiert werden und die Arbeiterklasse geschlagen wird.

Insofern sind für uns Verstaatlichungen unter Arbeiterkontrolle immer nur ein Aspekt im Klassenkampf. Letztlich können alle sozialen und ökonomischen Errungenschaften der Arbeiterklasse nur gesichert, ausgebaut, verallgemeinert werden, wenn sie sich auf Kampf- und Machtorgane der Klasse wie Räte, Milizen, Betriebs- und Kontrollkomitees stützen. Nur, wenn die Macht der Bourgeoisie, nur wenn deren Staat - und v.a. seine Repressionsorgane - zerschlagen werden, kann das Proletariat seine eigene Herrschaft, die Diktatur des Proletariats, errichten und mittels dieser den Kapitalismus überwinden und die ganze Menschheit befreien.

Gerade die Existenz verstaatlichter Unternehmen unter Arbeiterkontrolle erfordert als nächsten Schritt die nationale Vernetzung dieser einzelnen Wirtschaftssubjekte und die Erarbeitung eines Krisennotplans als Schritt zu einem allgemeinen Wirtschaftsplan. Dafür ist aber zwingend eine Regierung erforderlich, welche die Interessen der Arbeiterklasse ausdrückt und sich auf deren Mobilisierungen und Kampforgane stützt. Diese Arbeiterregierung kann als Doppelmachtorgan gegen die und neben der bürgerlichen Regierung entstehen, sie muss letztere aber stürzen und ersetzen, wenn sie nicht selbst untergehen will. All diese Aufgaben erfordern v.a. auch eine revolutionäre Partei als Führung der Klasse.

Was heißt Arbeiterkontrolle?

Wenn wir von Arbeiterkontrolle reden, so meinen wir damit keineswegs den Betrug der „sozialpartnerschaftlichen Mitbestimmung“, wie sie von Reformisten aller couleur gepriesen wird.

Mit Arbeiterkontrolle meinen wir, dass demokratisch von der Basis gewählte, rechenschaftspflichtige VertreterInnen diese Kontrolle ausüben. Unter Kontrolle verstehen  wir auch, dass damit - nach Möglichkeit - auch Einspruchs- und Entscheidungsrechte über Finanzierung, Produktion usw. verbunden sind; letztlich also direkt in den Verwertungsprozess eingegriffen werden kann.

Wir stellen den Begriff der Arbeiterkontrolle ganz bewusst Forderungen nach „demokratischer Kontrolle“ entgegen. Diese verwaschene Formel bedeutet nämlich eigentlich, dass Vertreter des Parlaments, des Staates oder gar der Wirtschaft - also direkte oder indirekte Akteure der Bourgeoisie - kontrollieren sollen, oder lässt diese Möglichkeit offen. Das Attribut „demokratisch“ verschleiert diese Klassenbindung nur.

Natürlich lehnen wir auch „Mischformen“ ab, wo Vertreter der Arbeiterklasse und Kapitalvertreter „gemeinsam“ kontrollieren. Freilich kann sich eine solche Konstellation im Klassenkampf ergeben. RevolutionärInnen würden dann für rein proletarische Kontrollorgane eintreten.

Doch auch die von Linken zuweilen benutzte Formel der „Beschäftigtenkontrolle“ ist, wenn auch eine möglich Form, so nicht identisch mit der Arbeiterkontrolle. Erstens sind nicht alle Beschäftigten ArbeiterInnen. Zweitens ist klar, dass jede Belegschaft mehr oder minder betriebsborniert und zudem allein auch zu schwach ist, sich gegen Kapital und Staat und den objektiven Druck der Krise zu behaupten.

Insofern müssen die einzelnen Belegschaften im Kampf vernetzt werden und ihr Kampf mit dem Kampf anderer Sektoren verbunden werden. Arbeiterkontrolle muss also über den betrieblichen Rahmen hinausgeführt und auf den Konzern, auf die Branche, auf die gesamte Wirtschaft und - nicht zuletzt! - international ausgeweitet werden.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 137, März 2009
*  Krise und Klassenkampf: Gegen Krise und Kapitalismus!
*  8. März: Wo bleibt die Frauenbewegung?
*  Autoindustrie: Das dicke Ende kommt noch
*  Programm: Wessen Verstaatlichung?
*  NPA in Frankreich: Ein Schritt vorwärts
*  Guadeloupe: Generalstreik gegen koloniale Ausbeutung
*  Kritik am Aufruf zum 28.März: Reformillusionen sind keine Alternative
*  Überfälle auf AntifaschistInnen: Kein Vertrauen in den Staat!
*  60 Jahre NATO: Den Imperialisten die Feier verderben!