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Island

Massenaktionen zwingen Regierung zum Rücktritt

Inna Anders/Richard Brenner, Neue Internationale 136, Februar 2009

Die IsländerInnen haben das geschafft, was die Griechen auch wollten: Die rechte konservative Regierung um Geir Haardes ist zurückgetreten und gilt jetzt als erstes politisches Opfer der Finanzkrise.

Islands bewohnbare Fläche umfasst nur ein Viertel der Fläche Deutschlands. Die Bevölkerung zählt nur 320.000. Die IsländerInnen profitieren wie in allen kapitalistischen Ländern nicht alle gleichmäßig vom Reichtum des Landes. Eine neue Gruppe von neuen Superreichen, meistens Banker, haben sich mit ihrem Kapital schnell aus dem Staub gemacht. Der Staat verfügt erstaunlicherweise über keine Armee, sondern nur über Polizei und 120 Personen Küstenwache.

In Island herrscht(e) eine der deutschen ähnliche Große Koalition zwischen der rechten konservativen „Unabhängigkeitspartei“ und der „Sozialdemokratischen Allianz“. Da die Regierung politisch geschwächt ist, hatten die Sozialdemokraten vorgeschlagen, die Wahlen vorzuziehen. Die Partei der Konservativen hat sich aber geweigert. Dann hat die sozialdemokratische Fraktion die Entscheidung getroffen, sich aus der Koalition zurückzuziehen, weil sie in den Meinungsumfragen hinter der Links-Grünen-Allianz standen - die dort weit radikaler als in Deutschland ist. Die Links-Grünen bezeichnen sich selbst als „sozialistisch“ und behaupten, ein antikapitalistisches Programm zu haben. So fordern sie, dass „alle Bodenschätze sollten gemeinsames Eigentum/Staatseigentum“ sein „und mit Sparsamkeit verwendet“ werden. In den Wahlumfragen liegen sie jetzt an der Spitze.

Hintergrund

Den Hintergrund dieser dramatischen Entwicklung bildet eine politische Bewegung, wie sie die IsländerInnen noch nie erlebt haben. Seit Oktober 2008 versammelten sich  die RegierungsgegnerInnen, ursprünglich nur einige ältere BürgerInnen, um 15.00 Uhr vor dem Parlament. Dann haben aber auch die SchülerInnen daran teilgenommen. Weder die Oppositionsparteien, noch die Intellektuellen haben die Proteste geleitet. Die Leute haben sich übers  Internet organisiert, um an den Protesten teilzunehmen - vom Rentner, der seine Ersparnisse verloren hat, bis zum anarchistischen Jugendlichen.

Jeden Nachmittag fanden Massendemonstrationen mit Eiern, Töpfen, lauten Musikinstrumenten und Utensilien vor dem Parlament und dem Büro des Premierministers statt, um den Rücktritt der Regierung zu fordern. Das Büro des Premierministers wurde rot gefärbt, riesige Feuer ringsherum angezündet.

Nach fünf Tagen Demonstration haben am Tag und in der Nacht Aufstände angefangen. Die Polizisten setzten sogar Tränengas ein, um die Demonstranten zu unterdrücken, was in Island nur einmal - im Jahre 1949 gegen die Proteste zum NATO-Beitritt - geschehen war. Das hat die Wut der Bevölkerung weiter gesteigert. Am Dienstag, dem 22. Januar, haben die Demonstranten Haardes Auto mit Eiern angegriffen, was ihn zum Rücktritt - offiziell wegen Gesundheitsproblemen - ermunterte.

Wie kam es zu einer solchen entschlossenen Revolte in einem noch vor kurzem prosperierenden Land?

2007 war das Bruttoinlandprodukt pro Kopf sogar das höchste der Welt, und lag bei 40.000 Euro. Vor der Krise lag das Wachstum des BIP bei 2,6% und die Arbeitslosenrate nur bei 2,9%! Der Staatshaushalt konnte sogar Mehreinnahmen verbuchen. Die Insel war daher mehr für seine Fjorde und Vulkane als für Klassenkampf berühmt.

Finanzkrise

Aber auch ein solch erstklassig liberaler und kapitalistischer Staat ist von der Globalisierung so abhängig, dass alle Schwankungen des Finanzsystems dort außergewöhnliche starke Auswirkungen haben. Auch dort haben die Immobilienpreise eine Blase gebildet, auch dort haben die Banken enorm viel verspekuliert.

Die Finanzkrise, dort als „kreppa“ bekannt, hat die Wirtschaft verwüstet. Schon am Anfang der Krise, im Oktober 2008, schuldete die Insel den ausländischen Gläubigern 40 Milliarden Dollar. Die Einlagen aus Ersparnissen und Investitionen bei den isländischen Banken waren 10mal so groß wie das BIP. Die isländischen Banken hatten diese Investitionen durch internationale Kredite und Darlehen gesichert, die in der Finanzkrise einbrachen. Alle drei Banken sind im Oktober Pleite gegangen und wurden verstaatlicht. Die Währung verlor in nur 9 Monaten 50 Prozent ihres Kurswertes. So platzten die Kredite, die Island jetzt nicht mehr retten bzw. bezahlen konnte. Die Politikerkaste denkt jetzt über einen EU-Beitritt und eine Währungsreform nach, um das Übel zu heilen.

Soziale Auswirkungen

Die Schulden übersteigen jetzt das dortige Inlandsprodukt. Die Wirtschaft soll 2009 um 10% schrumpfen, der Wert der Währung - die Krona - zusammenbrechen und die Preise um 20% zunehmen. Die Zahl der Arbeitslosen und der Armen wird daher auch explodieren. Die Arbeitslosenrate liegt inzwischen schon bei 7,8%. Wegen der Geldentwertung hat sich der Lebensstandard schon verschlechtert, die Immobilienschulden sind explodiert. Die privaten Haushalte machen Schulden, während die Einkommen abnehmen.

Man kann sich also vorstellen, warum die verzweifelten IsländerInnen wüten und ihre Demonstrationen zu einer Herausforderung für das Regime und geworden sind. Dass Demonstrationen stattfinden, ist in Island an sich schon außergewöhnlich, aber dass die Leute auf der Straße eine Regierung zum Rücktritt zwingen, ist dem laut Professor Eirikur Bergmann schon „die erste Revolution der Geschichte der Republik“. Das bestätigt auch die Isländer Kaupthing Bank: „Heute fordert das isländische Volk praktisch eine Revolution.“

Wie auch in Griechenland, Lettland oder Bulgarien gehen jetzt also die BewohnerInnen dieses einst reichen Landes auf die Straße und kämpfen massenhaft gegen die Auswirkungen der Finanzkrise. Sie werden aber nicht die letzten sein, wie zum Beispiel das Platzen der irischen Finanzblase ahnen lässt.

Welche Perspektiven?

Die IsländerInnen lachen schon über sich selbst mit folgendem Witz „Wo liegt der Unterschied zwischen Island und Irland? In einem Buchstaben und sechs Monaten.“

Das Programm der Links-Grünen-Allianz ist nicht revolutionär oder sozialistisch, sondern klassisch reformistisch. Sie wollen den isländischen Kapitalismus weniger vom Weltmarkt abhängig machen. Sie möchten die Bodenschätze irgendwie verstaatlichen, aber ihr Manifest sagt nur, dass „es notwendig ist, Kapitalmonopol und -zentralisierung zu verhindern, den konventionellen/traditionsgebundenen isländischen Gewerben zu ermöglichen, sich selbst zu entwickeln und Islands besonderen Status zu nutzen, um Arbeitsplätze unterschiedlichster Art zu schaffen.“ Dazu bereitet sich Parteichef Steingrimur Sigfusson offiziell vor, Ministerpräsident zu werden. Gegenüber Reuters hat er erklärt, dass er die riesige Staatsschuld gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht einfach streichen würde, sondern er würde „versuchen, mit dem IWF erneut zu verhandeln, um die Programme zumindest an Islands Bedürfnisse und Umstände anzupassen.“

Einen Ausweg aus der Sackgasse bietet also auch diese Partei nicht. Er besteht aber auch nicht in Wahlen, durch die die Regierung bzw. bürgerliche Parteien und Klasse eine vorrevolutionäre Bewegung abzulenken und zu demobilisieren suchen. Die Menschen werden sich sicher nicht leicht täuschen lassen und warten auf konkreten Maßnahmen gegen Schulden und Arbeitslosigkeit, ja gegen das globalisierte kapitalistische System. Sie werfen sich schon vor, nicht viel früher dagegen protestiert zu haben. Eine Demonstrantin sagte: „Das ist schon gut, Wahlen zu haben, die Regierung also loszuwerden, aber das genügt nicht, wir brauchen mehr!

Arbeiterregierung

Islands ArbeiterInnen, SozialistInnen, AntikapitalistInnen und Jugendliche müssen sich selbst organisieren, um ihre eigenen Kontroll- und Machtorgane wie Räte, Fabrik- und Stadtteilkomitees zu bilden, um die vollständige Streichung der Schulden, die entschädigungslose Verstaatlichung aller nationalen Banken und Produktionszweige unter Arbeiterkontrolle und die Enteignung der Superreichen durch zu setzen.

Die einzige Lösung wäre, für eine Arbeiterregierung, gestützt auf die demokratischen Basisorgane der Massen zu kämpfen. Die Bewegung darf auch nicht auf Island beschränkt bleiben, sondern muss sich mit den Kämpfen gegen die Krise in ganz Europe im Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten Europas verbinden.

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Nr. 136, Februar 2009
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*  Weltwirtschaft: Krise und Politik
*  Konjunkturpakete I und II: Mogelpackung
*  Wahlen in Hessen: Neue Schlappe der SPD
*  Uniklinika Baden-Württemberg: Der Tarifkampf hat begonnen
*  "Rettungsschirm" der IG Metall: Lobbyarbeit und Volksbefragung
*  Island: Massenaktionen zwingen Regierung zum Rücktritt
*  Gaza: Widerstand ist nicht zwecklos
*  Palästina: Antizionismus = Antisemitismus?
*  Heile Welt
*  Sri Lanka: Die Einnahme von Kilinochchi
*  NATO-Sicherheitskonferenz: Gegen Repression, Krise, Imperialismus!