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Strategie- und Aktionskonferenz

Kapitaloffensive und Abwehrkampf

Martin Mittner, Neue Internationale 105, November 2005

Die Strategie- und Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen in Frankfurt/M. steht vor einer großen politischen Herausforderung. Es gilt, den Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals und der Großen Koalition zu bündeln, zu verallgemeinern und mit den Massenstreiks in Frankreich und Belgien sowie Aktionen in anderen europäischen Ländern zu verbinden.

Dazu braucht es zweifellos eine politisch-strategische Diskussion zur Einschätzung der neuen Regierung, des Charakters der Angriffe, zur Rolle von Linkspartei.PDS und WASG sowie der Gewerkschaften.

Unserer Meinung nach geht es vor allem darum, ein bundesweites Aktionsbündnis, eine Koordinierung zu schaffen, die gegen die zentralen Angriffe der Regierung auf Lohnabhängige, Jugendliche, MigrantInnen und gegen die imperialistische Formierung der EU und Deutschlands auf ökonomischer, politischer und militärischer Ebene kämpft.

Es geht darum, sich auf zentrale Forderungen für den gemeinsamen Abwehrkampf und die Herausbildung aktionsfähiger lokaler und bundesweiter Koordinierungs- und Mobilisierungsorgane zu verständigen.

Was sollte daher im Zentrum der Diskussion stehen?

a) die Verständigung um eine Aktions- und Mobilisierungsplattform;

b) die Mobilisierung zu einer bundesweiten Großdemonstration gegen die Regierungspolitik und den Angriff des Kapitals Anfang 2006;

c) Die Verbindung dieser Aktionen mit laufenden Kämpfen gegen soziale und politische Angriffe (z.B. bei AEG, Alstom oder Infineon; der Mobilisierung gegen die Aufrüstung der EU, gegen Bolkestein und WTO-Maßnahmen);

d) Die Schaffung einer bundesweiten Koordinierung, die alle Bündnisse, Organisationen, politische Gruppen und Parteien sowie Gewerkschaftsgliederungen umfassen soll, die diesen Kampf voranbringen wollen.

Politische Fronten

Nach der Erfahrung beim ersten deutschen Sozialforum in Erfurt sowie bei bundesweiten Vorbereitungstreffen besteht die große Gefahr, dass - wieder einmal - eine Chance zur Bündelung, ja zur neuen Formierung des Widerstandes gegen Massenarbeitslosigkeit, Billigjobs, Lohndrückerei usw. vertan wird.

Auf dem bundesweiten Vorbereitungstreffen in Berlin am 7. Oktober wurde deutlich, dass ein großer Teil der TeilnehmerInnen darauf drängt, nicht die gemeinsame Aktion, sondern eine folgendlose „Diskussion“ in den Vordergrund zu rücken. Das wird mit zwei Argumenten begründet. Erstens bräuchten die sozialen Bewegungen eine gemeinsame politische Strategie, eine „positive“ Vision. Zweitens wird auch gleich eine bestimmte „Vision,“ die eines „sozialen, demokratischen usw. Europa“ hervorgezaubert, die den sozialen Bewegungen übergestülpt werden soll. Die Erklärung der „sozialen Bewegungen“ von Erfurt soll dann der Aktionskonferenz als „Grundlage,“ als „politische Plattform“ untergeschoben werden.

Natürlich braucht eine soziale Bewegung eine strategische Ausrichtung. Im Moment haben wir es jedoch mit einer Bewegung zu tun, in der nicht einfach ein Mangel an „strategischer Ausrichtung“ besteht, sondern in der verschiedene, gegensätzliche und im Grund unvereinbare Strategien und dahinter stehende politische Gruppen und soziale Kräfte miteinander konkurrieren.

Die PDS und ihre Verbündeten

Der größte und stärkste Block wird von Linkspartei/PDS und „linken“ Gewerkschaftsführungen geführt und u.a. von DKP, Friedensinis, StudentenvertreterInnen und attac unterstützt. Er drängt darauf, dass die sozialen Bewegungen keine Aktionsorientierung annehmen, keine für die teilnehmenden Gruppierungen verbindliche Mobilisierungen durchführen.

Stattdessen sollen sie auf ein reformistisches Programm verpflichtet werden. Daher werden auch die „Achsen“ der Erfurter Abschlusserklärung immer wieder ins Feld geführt.

Doch was ist der Kern der Erfurter Abschlusserklärung - ein reformistischer Wunschkatalog!

„Wir treten ein für eine solidarische Gesellschaft, ohne Ausgrenzung und Massenerwerbslosigkeit, ohne Armut und soziale Spaltung, in der jeder und jede sich umfassend bilden und entwickeln und in unterschiedlichen Formen tätig werden kann, chronisch Kranke und behinderte Menschen gleichgestellt sind, jeder Mensch das Recht auf Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen hat. Die Privatisierungen in  diesen Bereichen müssen gestoppt werden. Wir wollen eine Gesellschaft, in der jede und jeder am gesellschaftlichen Reichtum angemessen und sicher teil hat. Geld ist genug da! Solidarische Einfachsteuer jetzt!“

Das ist die „Strategie“, für die PDS und Co. stehen, die den sozialen Bewegung hier wie dem europäischen Sozialforum international verordnet werden soll. Die Ausgebeuteten sollen also „angemessen“ teilhaben und dazu gibt es auch gleich ein Zaubermittel - die „solidarische Einfachsteuer“.

Der Kapitalismus wird zum Wunschkonzert, wo nur richtig „umverteilt“ werden muss, und schon klappt es wieder.

Wie naiv, bieder und staatstragend diese Vorstellungen sind, zeigen andere Passagen der Erfurter Erklärung zu den „Alternativen“, für die wir kämpfen sollen, noch deutlicher:

„Eine demokratische Gesellschaft mit weit über Wahlkämpfe und Wahltage hinausgehender demokratischer Teilhabe und aktiver Partizipation sowie Entscheidungskompetenz für alle Einwohnerinnen und Einwohner auf allen Ebenen: von der unmittelbaren Interessenvertretung über ökonomische  Entscheidungsprozesse, betriebliche Mitbestimmung bis hin zu allgemeinen politischen und gesellschaftlichen  Fragen - von der kommunalen Ebene bis zur europäischen und globalen. Wege dahin sind die Ausweitung von BürgerInnenbegehren und BürgerInnenentscheiden auf allen Ebenen sowie Beteiligungshaushalte.“

Das die „betriebliche Mitbestimmung“ alles andere als eine erkämpfte Errungenschaft der Arbeiterklasse, sondern als Mittel gegen zu großen Einfluss der Gewerkschaften und anstelle der Enteignung der Großindustrie durchgeführt wurde, dass die „Mitbestimmung“ immer nur eine Abklatsch jeder wirklichen Kontrolle oder „Bestimmung“ war - das bleibt vor lauter Freude über „die Demokratie“ außen vor. Dass die „Beteiligungshaushalte“ keine Mittel der Emanzipation, sondern der Integration der Bevölkerung in Kürzungen sind - all das fällt hier nicht auf.

Der ganze Erfurter Katalog ist keine Aktionsplattform, sondern eine verdichtete „Vision“ eines sozialverträglich gestalteten Kapitalismus. Er enthält zwar am Ende eine Reihe von Aktionsterminen, zu denen aufgerufen wird - aber es gibt keinen Plan zur Mobilisierung, keine Aussage dazu, wie die Forderungen der Erklärung erkämpft werden könnten, es gibt keine konkrete Aussage, mit welchen Mittel sie der herrschenden Klasse abgerungen werden können oder sollen.

Das alles hat einen Grund: Parteien wie PDS und jene Teile der Gewerkschaftsbürokratie, die etwas links von der SPD stehen, wollen die sozialen Bewegungen als Druckmittel ausnutzen, ohne dass sie aus dem Ruder laufen oder die staatstragende und letztlich prokapitalistische Ausrichtung der reformistischen Partei- und Gewerkschaftsführer in Frage stellen.

Es ist daher auch kein Wunder, dass der bundesweite Aktionstag vom 5. September, der auch in der Liste von Aktionen steht, erst gar nicht stattfand. Er wurde v.a. von den Gewerkschaftsführungen ignoriert, weil er sich automatisch gegen die noch amtierende rot-grüne Regierung gewandt hätte, für deren Unterstützung die Gewerkschaftsspitzen weiter eintraten.

Widerspruch

Auf der anderen Seite stehen Teile der Gewerkschaftslinken, Teile der Sozialbündnisse und Proteste wie das Rhein-Main-Bündnis, Organisationen wie RSB, SAV und arbeitermacht, die auf ein Aktionsbündnis drängen und sich mit unterschiedlicher Intensität gegen die reformistische Vereinnahmung und gegen die Festlegung auf eine politische Reformstrategie der Proteste in Deutschland wie europaweit wenden.

Als revolutionäre, kommunistische Organisation betrachten wir als Gruppe arbeitermacht den Kampf gegen den Generalangriff als Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus, die Bildung von Aktionskomitees gegen die Angriffe als Element zur Bildung von der Basis kontrollierter, offener Kampforgane.

Wir verbinden diesen Kampf mit dem Kampf für eine neue Arbeiterpartei, die sich auf die sozialen Bewegungen, auf die Basis in den Betrieben und Gewerkschaften stützen soll. Wir treten für eine Kampfpartei ein, welche die Aktionen politisch vereinheitlicht, für eine neue revolutionäre Partei, die für den Sturz des Kapitalismus und die Errichtung der Herrschaft der Arbeiterklasse kämpft. Wir plädieren für eine internationalistische Partei, die für die Weltrevolution und den Aufbau einer neuen, Fünften Internationale eintritt.

Natürlich wollen wir diese alternative Strategie zum Reformismus diskutieren - und wir halten eine solche Diskussion über wirkliche Alternativen zum bestehenden kapitalistischen und imperialistischen System für dringend notwendig.

Aber wir machen die Zustimmung zu unserer Strategie nicht wie die ReformistInnen zur Vorbedingung für den gemeinsamen Abwehrkampf. Wir richten diesen Vorschlag zur Diskussion an verschiedene Organisationen und Bündnisse der Sozialproteste, an Gewerkschaften, PDS/WASG usw.

Wir meinen, dass es unbedingt notwendig ist, dass wir uns in Frankfurt auf der Aktionskonferenz auf zentrale Forderungen und Mobilisierungsschritte im Abwehrkampf verständigen können und müssen.

Diese Forderungen sind nicht willkürlich gewählt, sondern ergeben sich aus zentralen Momenten der gegenwärtigen Offensive der Herrschenden, auf die wir antworten müssen. Wir schlagen dabei Forderungen vor, die eine Verallgemeinerung der Kämpfe und Aktionen erlauben und Organisationsformen, die eine Kontrolle der Koordinierungsstrukturen einer Bewegung ermöglichen sowie eine möglichst breite, aktive Einbeziehung der Basis.

Denn: Millionen Lohnabhängige werden von der nächsten Regierung und der herrschenden Klasse in den nächsten Monaten und Jahren massiv angegriffen werden. Die Politik der Agenda 2010 wird weiter fortgesetzt, ja verschärft. Damit will das deutsche Kapital, seine Weltmarktinteressen und die Schaffung eines imperialistischen EU-Blocks weiter vorantreiben.

Gegen diese Attacken hilft nur der gemeinsame Widerstand. Gegen Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Sozialraub schlagen wir folgende Forderungen und Organisationsformen vor:

Nein zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung: Für die Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für eine europaweite Kampagne zur Einführung der 35-Stundenwoche! Gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro/Stunde.

Rücknahme der Hartz- und Agendagesetze! Nein zu Billigjobs und Leiharbeit! Mindestunterstützung von 1000 Euro netto für Arbeitslose und RentnerInnen.

Kampf gegen alle Entlassungen! Für die entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die Entlassungen oder Schließungen durchführen wollen - unter Kontrolle der Beschäftigten! Gegen alle Privatisierungen!

Freier und kostenloser Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle! Umlagefinanzierung zur Sicherung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes für alle Jugendlichen!

Nein zur EU-Dienstleistungsrichtlinie und WTO-Abkommen zur weiteren neoliberalen Deregulierung! Nein zur Privatisierung der Renten- und Krankenversicherung! Europaweiter Widerstand gegen die Angriffe!

Kampf dem Imperialismus! Nein zur Militarisierung der EU und zur Umstrukturierung der Bundeswehr! Sofortiger Rückzug aller Bundeswehrtruppen aus den Ausland, sofortiger Beendigung der Besetzung Afghanistan! Schluss mit der Unterstützung der US-Truppen und ihrer Verbündenten bei der Besetzung des Irak! G8-Konferenz 2007 stoppen!

Nein zur rassistischen Abschottung der EU-Außengrenzen! Uneingeschränkte politische Rechte für alle, die in Deutschland leben! Weg mit den Abkommen von Schengen und Trevi! Weg mit allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen! Unterstützung von Selbstverteidigungsgruppen gegen faschistische und rassistische Angriffe! Kein Rede- und Versammlungsrecht für Faschisten!

Diese Forderungen können nur durch gemeinsame Aktionen in den Betrieben und auf der Straße erreicht werden - durch politische Massenstreiks, Besetzungen, Großdemos, Blockaden. Sie können nur durchgesetzt werden, wenn wir die Isolierung der Abwehrkämpfe auf einzelne Betriebe, Unis oder Sektoren überwinden, wenn der Abwehrkampf politisch, mit einer gesamtgesellschaftlichen und internationalen Ausrichtung geführt wird.

Dazu braucht es Kampforgane, die einer solchen Bewegung entsprechen und die Aktionen bündeln und koordinieren können:

Aktionskomitees, Sozialforen oder Bündnisse, die regional, bundesweit, international verbunden sind und als permanente Aktionsbündnisse dienen.

Streikkomitees und eine klassenkämpferische Basisbewegung in Betrieben und Gewerkschaften, die alle Beschäftigten einbezieht, für eine klassenkämpferische Politik eintritt und als politische Alternative gegen den bürokratischen Apparat in Gewerkschaften und Betriebsräten agiert.

Europaweite und internationale Koordinierung aller Aktionen gegen die Agenda von Lissabon, die Dienstleistungsrichtlinie und die Arbeitszeitregelungen der EU-Kommission!

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Nr. 105, November 2005

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