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Südafrika

Gewerkschaften diskutieren über neue Arbeiterpartei

Jeremy Dewar, Infomail 783, 19. November 2014

Die mächtige Metallarbeitergewerkschaft NUMSA (National Union of Metalworkers of South Africa) ruft mit einer Kampagne die Arbeiterbewegung zur Abkehr von der regierenden Afrikanischen Nationalkongress-Partei ANC und zur Bildung einer neuen Arbeiterpartei auf. Der Gewerkschaftsdachverband COSATU (Congress of South African Trade Unions) hatte darauf mit dem Ausschluss von NUMSA gedroht und am 9. November vollzogen.

Die südafrikanische Arbeiterbewegung erlebt zur Zeit eine historische Krise. COSATU, der 2,2 Millionen Mitglieder starke Gewerkschaftsverband, trug einst entscheidend zum Sturz des Apartheid-Systems bei, hat nun die größte seiner Einzelgewerkschaften NUMSA aus ihren Reihen ausgeschlossen.

Oberflächlich betrachtet ging es ursprünglich bei dem Streit um die Organisierung von nicht den Metaller-Tätigkeitsbereichen zugehörenden Mitgliedern durch NUMSA. NUMSA stellte hierzu fest:„praktisch alle Sektionen von COSATU auf Fabrik-, Industrie- oder Branchenebene organisieren quer durch die Industriezweige und wildern demzufolge in den Revieren anderer Einzelgewerkschaften“. Dies war „allerdings nie die Grundlage, weder als Aufnahmekriterium noch als Ausschlussgrund bei COSATU.“

Doch in Südafrika versteht jeder, dass es sich dabei um einen politischen Konflikt handelt. NUMSAs Ausschluss wurde durch ihre Kampagne zum Bruch des Bündnisses von COSATU mit dem Afrikanischen Nationalkongress ANC und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei SACP hervorgerufen.

Neue Partei

Auf einem Sonderkongress im Dezember 2013 beschlossen 1.200 Delegierte, die 338.000 NUMSA-Mitglieder vertreten, diesen Aufruf an COSATU und stimmten einhellig für die Formierung „einer neuen Einheitsfront, die die Kämpfe am Arbeitsplatz und in den Gemeinschaften ähnlich zusammenfasst wie die UDF (die während der Zeit des ANC-Verbots von diesem als legale Front geschaffen wurde) in den 1980er Jahren. Die Aufgabe dieser Einheitsfront soll der Einsatz für die Errichtung einer Freiheitscharta sein“, das Programm des ANC während der Apartheid-Ära, sowie der Kampf gegen den Neoliberalismus.

Die Entschließung fährt fort: „Seite an Seite mit der Errichtung einer neuen Einheitsfront haben wir beschlossen, dass NUMSA die Errichtung einer Bewegung für den Sozialismus erkunden soll, da die Arbeiterklasse eine politische Organisation braucht, die in ihrer Politik und ihren Maßnahmen auf den Aufbau eines sozialistischen Südafrika ausgerichtet ist.“

NUMSA hat damit einen Prozess zur Bildung einer sozialistischen Massenpartei, die in den Gewerkschaften verankert ist, angestoßen und organisiert im nächsten Monat eine „Konferenz für den Sozialismus“.

Das kommt nicht einen Augenblick zu früh. Im letzten Jahr gab es zwei große Massenstreiks. Der erste hiervon war der längste Streik in der Geschichte des Landes, ein 5 Monate dauernder Lohnkampf in Südafrikas strategisch wichtigen Platinminen, der eine erhebliche Lohnerhöhung brachte. Während dieser Zeit verließen viele Bergleute die 300.000 Mitglieder zählende „Nationale Gewerkschaft der Minenarbeiter“ (NUM), weil sie sie als korrupt und zu eng mit den Bossen und der ANC-Regierung verbunden ansahen. Sie schlossen sich stattdessen der Gewerkschaftsassoziation von Minen- und der Bauarbeitern AMCU an, die sich vom ANC losgesagt hatte und nach eigenen Angaben bereits über 50.000 Mitglieder verfügt.

NUMSA führte den zweiten Ausstand im Metallbereich an, an dem 220.000 ArbeiterInnen beteiligt waren. Es ging wieder um Lohnerhöhungen. Der Streik dauerte 5 Wochen und erzielte einen weiteren Teilerfolg. Die ArbeiterInnen zeigen sich erholt vom Schock der Finanzkrise und dem Marikana-Massaker während des Streiks von 2012 in einem Platinbergwerk und sind wieder auf dem Vormarsch.

Als die Medien den Streik als ‚politisch’ missbilligten, antwortete Moses Mayekiso, der die NUMSA-Gewerkschaft in den 80er Jahren leitete: „wenn überhaupt, sollten Streiks politischer sein“ und ermunterte zur Gründung einer neuen Arbeiterpartei.

Neben Massenstreiks gibt es nach wie vor auch schwungvolle Stadtteilkämpfe. Außer den bestorganisierten und militantesten Gewerkschaften in Afrika kann die Republik Südafrika auch die heldenhaftesten sozialen Bewegungen gegen die Privatisierung und Erpressung durch das neoliberale Programm des ANC vorweisen. ‚Kampfklempner’ und Elektriker verbinden Haushalte wieder, die durch Privatkonzerne von Energie- und Wasserversorgung abgeschnitten wurden. Die jüngste Kampagne richtet sich gegen eine Maut, die von den Besitzern der privatisierten Autobahnen erhoben wird. Ein Massenaufruf zu zivilem Ungehorsam und Zahlungsverweigerung, der von COSATU und NUMSA getragen wird, hat öffentliche Aufmerksamkeit erregt.

Diese beiden Seiten der südafrikanischen Arbeiterklasse, die disziplinierten, organisierten ArbeiterInnen in Langzeitanstellung sowie die militanten StadtteilbewohnerInnen, die am Rande der Gesellschaft ihr Dasein fristen, brauchen eine Partei, die sie politisch eint.

KämpferInnen für wirtschaftliche Freiheit

Ein weiterer Aspekt ist das Aufkommen der „Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit“ EFF, die 6,35%, d. h. über eine Million Stimmen, bei den allgemeinen Wahlen im Mai 2014 erhielten. Das brachte ihnen 25 Parlamentssitze. Angeführt wird die Fraktion von Julius Malema, dem früheren Führer der Jugendliga des ANC, jetzt aus der Partei ausgeschlossen.

Malema hat die Selbstdarstellung der Black Panther-Bewegung aus den USA übernommen -  mit “marxistisch-leninistischer“ Ideologie, militärischer Bekleidung mit Baretten und sich selbst als ‚Oberkommandierendem’. Das Manifest der EFF fordert die entschädigungslose Verstaatlichung von Land und Bergwerken, Industrien und Banken. Damit werden brennende Fragen berührt, denn seit 1994 sind lediglich 7% des Landes der weißen Apartheid-Farmer neu verteilt worden.

Bei näherem Hinsehen jedoch zeigt sich, dass die EFF nur 60% der Bergwerke verstaatlichen will, die meisten Industrien sollen in privater Hand bleiben und eine Staatsbank soll neben Privatbanken existieren. Dieses ‚Mischwirtschafts’-Modell neigt in der Praxis jedoch immer dazu, die Auswirkungen der periodischen Krisen des Kapitalismus auf die Arbeiterklasse abzuwälzen.

Malema muss sich auch für die Verfolgung von Journalisten, für Geldwäsche, Steuerhinterziehung sowie die Annahme von Schmiergeldern bei staatlichen Ausschreibungen in der Provinz Limpopo verantworten. Er verehrt offen Simbabwes Diktator Robert Mugabe und wischt Kritik an der Tötung von GewerkschafterInnen und AnhängerInnen der oppositionellen „Bewegung für Demokratischen Wandel“ durch dessen Regierung  beiseite.

Südafrikas Arbeiterklasse braucht keine populistischen ‚Helden’ wie Malema, sondern eine kollektive und rechenschaftspflichtige Führung. Viele EFF-Mitglieder sind sicher aufrechte GegnerInnen des korrupten ANC-Kapitalismus. Sie müssen allerdings für eine Einheitsfront im Kampf dagegen gewonnen werden, um Malema und seine Gefolgschaft einer Probe zu unterziehen.

Die Bilanz des ANC

20 Jahre lang steht der ANC nun an der Spitze eines zunehmend ungleichen Südafrika.

Die ‚schwarze Machtübernahme’ hat nicht den Anteil der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung an den riesigen natürlichen Reichtümern des Landes vergrößert, nur den der ANC-Elite.

Das krasseste Beispiel hierfür ist Cyril Ramaphosa, der als Führer der NUM zu Ruhm gelangte und seither Aufsichtsratsmitglied beim Bergbaukonzern Lonmin geworden ist. Sein Einkommen beläuft sich laut Forbes-Liste der Reichen auf 700 Millionen Dollar.

Der stellvertretende ANC-Präsident Ramaphosa versinnbildlicht besonders all das, was korrupt und verrottet am ANC ist. Das Marikana-Massaker im August 2012, bei dem die Polizei 34 streikende Bergleute der Lonmin-Platinmine ermordete, war ein Wendepunkt. Ramaphosas persönliche Verstrickung darin offenbarte sich in einer durchgesickerten E-Mail an den Lonmin-Vorstand am Vorabend des Massakers:

„Die schrecklichen Ereignisse, die sich zugetragen haben, können nicht als Arbeitskampf beschrieben werden. Sie sind eindeutig feige und kriminell und müssen als solche charakterisiert werden. In Einklang mit dieser Charakterisierung müssen begleitende Aktionen ergriffen werden, um der Situation Herr zu werden.“ 24 Stunden später waren 34 Bergleute tot. Blut klebt an Ramaphosas und den Händen des ANC.

Nächste Schritte

Die Führer von COSATU haben NUMSA Anfang November aus dem Verband ausgeschlossen. Ebenso könnte sogar der Generalsekretär Zwelinzima Vavi ausgeschlossen werden, der auch zu den führenden Kritikern des ANC gehört. Auslöser für diesen Ausschluss scheint die Sammlung von Unterschriften seitens NUMSA bei anderen Einzelgewerkschaften zu sein. Mit den Unterschriften sollte ein Sonderkongress einberufen werden, auf dem das Weiterbestehen eines Bündnisses mit dem ANC erörtert und darüber abgestimmt werden soll. Was also soll NUMSA nun tun?

Der Beschluss seines Vollzugsrates als Antwort auf die Ausschlussdrohung besagt: „Die gegenwärtige Krise in COSATU dreht sich darum, ob COSATU weiterhin ein sozialistischer Gewerkschaftsverband bleiben oder ob nur eine gelbe kapitalistische Arbeiterföderation oder eine Personalabteilung der Bourgeoisie werden soll.“

Auch wenn aus dem Beschluss des NUMSA-Vollzugsrates selbst eine Beschönigung der jüngsten Vergangenheit und des Programms der COSATU beinhaltet, wenn sie als „sozialistischer Dachverbund“ dargestellt wird, so ist die Alternative eine grundlegende, die einen entschlossenen Kampf erfordert.

ArbeiterInnen nehmen Spaltungen in ihrer Bewegung nicht auf die leichte Schulter, aber die Schuld hieran liegt klar auf Seiten der COSATU-Spitze. NUMSA darf nicht einknicken, sondern muss weiter auf eine „Bewegung für den Sozialismus“ drängen und eine Konferenz noch für Jahresende anberaumen.

Doch viele Fragen harren noch einer Antwort: Welche Art Partei brauchen die südafrikanischen ArbeiterInnen? Eine, deren FührerInnen alle Macht haben oder eine, die volle Rechenschaftslegung auszeichnet und keine Korruption duldet? Was soll im Brennpunkt der Praxis stehen - Wahlen oder Kämpfe im Betrieb und in den armen Wohnvierteln? Welches Ziel soll verfolgt werden - ein demokratisches Südafrika oder ein Arbeiterstaat, der den Kapitalismus stürzen kann? Welches Programm soll schließlich angenommen werden - eines, das auf den Gewinn von Wahlen ausgerichtet ist oder eines, das sich die Revolution zum Ziel steckt und auf Arbeiterräten basiert? Eines, das sich der Zwangsjacke des kapitalistischen Staates anpasst, oder eines, das sich anschickt, den Staatsapparat zu zerschlagen und ihn durch die bewaffnete Arbeiterklasse zu ersetzen? Die Frage lautet also: Reform oder Revolution?

Aufregende Zeiten stehen in Südafrika bevor. NUMSA muss mit Hilfe aller revolutionären SozialistInnen in Südafrika und auf der ganzen Welt den Weg zu Ende beschreiten, den sie tapfer eingeschlagen hat.

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Nr. 194, November 2014
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