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Opportunismus und gescheiterte Manöver

Die morenistische Internationale Arbeiterliga in den 80er Jahren

 

Im Januar 1982 wurde die "Internationale Arbeiterliga/IV. Internationale" (IAL) auf einer Konferenz im brasilianischen Sao Paolo gegründet. Anwesend waren 20 Delegierte, und geleitet wurde die Konferenz von ihrem Führer Nahuel Moreno. (1) Die Gründung der IAL vollendete die Umwandlung des 'Morenismus' in eine unabhängige und klar abgegrenzte internationale Tendenz. Davor war sie ein vorwiegend lateinamerikanisches Anhängsel von verschiedenen großen internationalen zentristischen Tendenzen, die das Erbe der IV. Internationale Trotzkis beanspruchten. (2)

Schenkt man der IAL Glauben, so hat sie ihren internationalen Einfluß in den 1970er Jahren erheblich ausgedehnt. 1969 hatte sie angeblich nur 65 Mitglieder außerhalb Argentiniens. Bei ihrer Gründung sollen der IAL 3500 Mitglieder außerhalb dieses Landes angehört haben (3), verteilt auf Sektionen in 20 Ländern. Die bei weitem größte Sektion, die argentinische MAS, zählt nach eigenen Angaben fast 6000 Organisierte.

Ein Jahrzehnt später wurde die IAL von einer ernsten Spaltung in der MAS erschüttert. Sie verlor ein Drittel ihrer Mitgliedschaft, darunter auch ihre Parlamentsabgeordneten. Dies geschah gleich nach dem Weltkongreß der IAL im Februar/März 1992, als vier unterscheidbare Tendenzen ihre Differenzen nicht zu lösen vermochten. Ein neuer Kongreß mußte für 1994 anberaumt werden, der vierte innerhalb von 5 Jahren.

Die IAL hält sich für die Vertreterin des 'orthodoxen' Trotzkismus gegen den Revisionismus des Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale (VS) und der anderen größeren Tendenzen. Sie irrt. Die IAL wurzelt in der allgemeinen zentristischen Degeneration der IV. Internationale seit 1948-1951. Deshalb begeht sie genau dieselben typischen groben opportunistischen Fehler wie ihre internationalen Rivalen.

Die IAL litt besonders unter dem Kontrast zwischen ihren euphorisch revolutionären Erwartungen einerseits und den ernsten Rückschlägen für die Arbeiterklasse und die fortschrittlichen Elemente in Argentinien und anderswo auf der Welt nach 1989 andererseits. Genauer gesagt, muß sie nun die Folgen einer zehnjährigen opportunistischen Wahltaktik tragen, die sie seit dem Malwinenkrieg und dem daraus resultierenden Mißkredit der Militärjunta in Argentinien anwandte. Die Jagd nach Wahlerfolgen in einem faulen Block mit Reformisten führte unweigerlich zur Verschleuderung von immer mehr Teilen des trotzkistischen Programms und zur Leugnung der leninistischen revolutionären Parteikonzeption in der Praxis.

Bei ihrer Gründung war die argentinische "Partido Socialista des Trabajadores" (PST) die bedeutendste Sektion der IAL. Zu jener Zeit sah die IAL ihre vornehmste Aufgabe in der Konsolidierung der PST, die bald nach General Videlas Militärputsch 1976 gezwungen gewesen war, im Untergrund zu arbeiten. (4)

Nach dem Malivinaskrieg

Die Gewerkschaften und die Linke erholten sich zu Beginn der 80er Jahre allmählich. Nicht zuletzt diese Wiederbelebung der Gewerkschaften mit einer großen Protestdemonstration im März 1982 trieb General Galtieri dazu, den Malwinaskrieg zu riskieren. Er sah sich genötigt, antibritische Massenkundgebungen zuzulassen, ja sogar zu schüren, die die Linke und die Arbeiterorganisationen in die Lage versetzten, sich massenhaft zu formieren.

10 Jahre später behauptete die MAS, daß dieses schlecht kalkulierte Militärabenteuer angesichts der Entschlossenheit des britischen Imperialismus zum Fehlschlag verurteilt war. Damals jedoch überschätzte die PST das revolutionäre anti- imperialistische Potential des Krieges.

Sie meinte, mit der Entsendung von Truppen im April "beginnt der außerordentlichste revolutionäre Aufschwung, den das Land je erlebt hat, (...) ist die sozialistische Revolution auf dem Vormarsch". (5)

Als der Krieg im Juni 1982 mit einer Niederlage endete, war die Linke gleichermaßen desorientiert und demoralisiert wie die traditionellen bürgerlichen Parteien und verstand es nicht, die Junta konsequent anzugreifen. Das Gemisch aus ernster Wirtschaftskrise, Rissen in der herrschenden Klasse und im Militär, dem Wiederaufleben von Arbeitermilitanz und den Demonstrationen der Mütter auf dem Plaza de Majo deutete darauf hin, daß eine vorrevolutionäre Lage entstanden war. Aber eine Führung mit revolutionärem Programm fehlte.

In dieser Lage hätten argentinische Revolutionäre für zentrale Losungen eines Aktionsprogramms agitieren müssen, Forderungen - orientiert an den wirtschaftlichen und demokratischen Bedürfnissen der Arbeiter - vorbringen und für den Generalstreik eintreten müssen, um das Militär von der Macht zu verjagen und eine souveräne verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Alle wirtschaftlichen, demokratischen und Übergangslosungen hätten sich um die direkte Massenaktion der Arbeiterklasse drehen müssen.

In dieser Situation mußte mit dem unheilvollen Erbe des Peronismus gebrochen werden, der Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei sowie eine revolutionäre Arbeiterregierung, die auf Arbeiterräten basiert, propagiert werden. Die Orientierung der PST lief in eine genau entgegengesetzte Richtung.

Im Juli 1982 wurden die bürgerlichen politischen Parteien legalisiert, und auch die PST konnte nun öffentlicher arbeiten. Im September beschloß sie, sich auf Parlamentswahlen zu konzentrieren.

Die PST argumentierte:

"Die jetzige Phase ist nicht nur legal, sie ist grundsätzlich von Wahlen geprägt. Der Schluß liegt nahe: wir sollten nicht nur die Legalität mit allen Mitteln nutzen, sondern unser Hauptziel muß solange die Intervention bei Wahlen sein, bis wir in eine neue Phase von Massenkämpfen eintreten. Wenn wir die aktuelle Phase als dem Wesen nach von Wahlen bestimmt erkennen, müssen wir unsere Politik auch danach ausrichten." (6)

Ab dem zweiten Halbjahr 1982 bis Anfang 1983 dominierten allerdings nicht Wahlen die politische Szene, sondern eine wachsende Massenbewegung. Erst im Oktober 1983 und zudem nach sehr kurzer Wahlkampagne standen Parlamentswahlen an. Dies ging auf die Zaghaftigkeit der peronistischen und radikalen bürgerlichen Opposition zurück, die in ihren Verhandlungen mit den Militärs nicht einmal auf sofortigen Wahlen bestand.

Es gab Steuerstreiks gegen die Regierung. Der von den Müttern der 'verschwundenen' Opfer der Militärjunta angeführten Bewegung und gegen Ende 1982 auch den Gewerkschaften gehörte zunehmend die Straße. Diese Bewegung entlud sich in einem Generalstreik und einem Aufmarsch von 100.000 Demonstranten am 16. Dezember und besiegelte das Schicksal des Militärs, das nun gezwungen war, einen Wahltermin anzusetzen.

Gründung der MAS

Für Trotzkisten kann keine politische Phase, außer der Kampagne selbst, 'dem Wesen nach von Wahlen bestimmt' sein. Dieser Standpunkt - schon über ein Jahr vor den Wahlen und Monate vor der Terminfestsetzung und angesichts einer wachsenden gesellschaftlichen Protestbewegung eingenommen - stellt einen besonders krassen Fall von elektoralem Kretinismus dar. Um diese Perspektive umsetzen zu können, hielt die PST nach Wahlbündnispartnern Ausschau und entdeckte sie schließlich in Gestalt der "Movimiento Al Socialismo" (MAS), einer kleinen sozialdemokratischen Organisation.

Die Idee war:

"..eine sozialistische Front zu schaffen, die die Legalität ausnütz, zu Wahlen kandidiert und als Minimalbasis für ein sozialistisches Argentinien und der Unabhängigkeit von allen bürgerlichen oder Volksfrontparteien sowie Wahlbündnissen eintritt. (...) Grundsätzlich wollen wir abertausende Arbeiter und Militante in eine breite, nicht sektiererische sozialistischen Front hinziehen, in der man nicht unbedingt Trotzkist sein muß." (7)

Kürzer erklärte N. Moreno dem Zentralkomitee der PST, daß das Ziel der MAS die Bildung einer 'reformistischen, nicht-revolutionären Front oder Partei' sei. (8)

Bewußt oder unbewußt ähnelte dieses prinzipienlose Vorhaben dem Molinier/Frankschen 'La commune' Projekt, einer 'breiten Organisation', die 1935 in Frankreich errichtet worden war, um die Massen an ein zentristisches Programm heranzuführen. Es unterschied sich einzig darin, daß Molinier und Franck ihre Organisation zentristisch fundieren wollten, während jene Morenos auf einem unverblümt reformistischen Programm basierte.

Das 'La Commune' Unternehmen sah sich von Trotzki heftigst angegriffen, dessen Wortlaut Moreno fast ein halbes Jahrhundert später mit doppelter Wucht treffen muß: "Recht oft führt revolutionäre Ungeduld - die sich leicht in opportunistische Ungeduld verwandeln kann - zu folgender Schlußfolgerung: die Massen kommen nicht zu uns, weil unsere Ideen zu kompliziert sind und unsere Losungen zu weit vorauseilen. Es ist daher notwendig, unser Programm zu vereinfachen und unsere Losungen zu verdünnen, kurzum, es ist nötig, Ballast abzuwerfen." (9)

Nach siebenjähriger Diktatur hielt Moreno die Massen für zu begriffsstutzig für den Trotzkismus. Zweifellos war es in der ersten Phase der demokratischen Öffnung unwahrscheinlich, daß eine revolutionäre Partei die Führung der Massen erringen konnte. Auch der Bolschewismus vollbrachte dies im Februar 1917 trotz seiner tiefen Verankerung und unbefleckten revolutionären Vergangenheit nicht. Aber es war entscheidend, die Vorhut der Arbeiterklasse anzusprechen, ihnen geduldig bei der politischen Umgruppierung zu helfen und gleichzeitig Losungen aufzustellen, die geeignet waren, die gesamte Arbeiterklasse zu konkreten Aktionen zu vereinen.

Statt sich für eine klare revolutionäre Alternative zu engagieren, erspähten Moreno und die PST einen sozialdemokratischen Spielraum im politischen Leben Argentiniens. Im Glauben, daß der Menschewismus die nächste Etappe für die argentinischen Arbeiter sei, schickten sie sich an, Menschewiki zu werden. Bolschewismus und Trotzkismus waren dabei nur hinderlich und wurden auf ein späteres Stadium verschoben.

Geübt in den Jahren des zentristischen Niedergangs der IV. Internationale suchte Moreno nach halbwegs geeigneten Mitteln, um den 'revolutionären Prozeß' voranzubringen. Die marxistische Kernposition zum Charakter des Staates und der bewaffneten Kräfte wurde als erster Ballast über Bord geworfen. In ihrem ersten Mai-Manifest 1983 (10), welches ein langes Programm 'für ein sozialistisches Argentinien' enthält, brachte es die MAS fertig, kein Wort über den Staat zu verlieren! Schließlich wurde Morenos alte zentristische Formulierung, die zur 'Demokratisierung' der Streitkräfte aufruft, als Position angenommen (siehe Anhang 1).

Wer sich den Massen wirklich als Sozialdemokrat vorstellen und mit den Reformisten in einer Partei leben will, der muß die marxistische Position zum Charakter des Staates natürlich negieren. Wohl in keinem anderen Land und zu keiner anderen Zeit war diese Politik unangebrachter als in Argentinien, das immer noch unter den Folgen der grausamen Militärherrschaft mit über 30.000 Opfern litt.

Die MAS konzentrierte ihren Appell an die argentinische Arbeiterklasse auf den alten bürgerlich-nationalistischen Slogan 'für eine zweite Unabhängigkeit'. Für die bürgerlichen Nationalisten hieß die erste 'Unabhängigkeit' die Loslösung von Spanien, die 'zweite' bedeutet die Herausbildung eines hausgemachten Kapitalismus und eines souveränen bürgerlichen Staates unabhängig vom Imperialismus. Die MAS versuchte, dieser Forderung durch ein 'Aktionsprogramm', das die Verstaatlichung von Banken und Monopolen forderte, einen Linksdrall zu verleihen. Geflissentlich vermied es aber jegliche Forderung nach der Enteignung der Kapitalistenklasse und der Formierung einer Arbeiterregierung als ausführendem Organ dieser Maßnahmen.

Selbst eines der brennendsten Bedürfnisse Lateinamerikas, die Streichung der Auslandsschulden wurde zugunsten der Forderung nach 'Aussetzung der Zahlungen für die Außenschulden' fallen gelassen. "Für die Formierung einer internationalen Front der Schuldnerstaaten zur Einstellung der Schuldenzahlungen". (11)

Die Forderung nach 'Aussetzung' der Schulden in Lateinamerika ist typisch für bürgerliche und reformistische Strömungen, denen es lediglich um einen Aufschub des imperialistischen Schuldendienstes geht. Das war kein 'Ausrutscher' seitens der MAS, sondern eine bewußte Beschneidung des revolutionären Programms, um den Erfordernissen der opportunistischen Allianz mit den sozialdemokratischen und bürgerlich-nationalen Kräften nachzukommen.

Die vielleicht aufschlußreichste Stelle in der ganzen MAS-Orientierung ist die Regierungslosung: "Für den sofortigen Rücktritt der Militärregierung! Für die unmittelbare Einberufung des Kongresses von 1976, der eine provisorische Regierung wählen und Wahlen ohne Beschränkungen und Belagerungszustand ausschreiben soll." (12)

Nachdem die Militärdiktatur durch eine Massenbewegung in die Defensive gedrängt worden ist, fällt diesen 'Revolutionären' nichts Besseres ein, als der diskreditierten peronistischen Parlamentsmehrheit von 1976 die neuerliche Regierungsbildung anzutragen! Diese Position war kriminell, nicht nur, weil sie die geschichtlichen und unmittelbaren Klassenziele des Proletariats verrät, sondern weil sie nicht einmal die wachsenden demokratischen Illusionen der Massen anspricht.

Der politische Gezeitenstrom floß weg von den Peronisten hin zu der Radikalen Partei, deren Parole 'Demokratie statt autoritärem Staatswesen' Anziehungskraft ausübte. Alfonsin gelang es, den korrupten peronistischen Korporatismus als System zu porträtieren, das nur geringfügig von der militärischen Ausformung abwich, die ihn durch den Putsch von 1976 ablöste. Die Idee, die Rückkehr zum Zustand vor dem Militärputsch als Teilschritt anzumahnen, war selbstmörderisch. Selbst proletarische Mitglieder und Anhänger der argentinischen KP wurden von der Kampagne der Radikalen angezogen.

Unter diesen Umständen mußte die Frage der politischen Demokratie auf den Ruf nach einer revolutionären Konstituante zugespitzt werden, die der Masse der Arbeiter- und Menschenrechtorganisationen einberufen, überwacht und verteidigt werden muß. Damit hätte man sich klar abgesetzt von den seichten, fadenscheinigen Forderungen nach Demokratie von Seiten der Radikalen, die nur zu gern unter den Vorgaben der zurücktretenden Militärjunta operierte. Er hätte auch dazu beigetragen, daß die Arbeiterklasse sich von den bonapartistischen politischen Strukturen der peronistischen Bewegung losmachen könnte. Vor allem aber hätten sich in dieser Kampagne alle engagieren können, die verhindern wollten, daß sich das Militär Rechtsschutz für die gerichtliche Reinwaschung von der Schuld am Schicksal der 'Verschwundenen' holen konnte.

Aber die MAS ging weder in ihren politischen Parolen noch in ihrem Sozialprogramm von den revolutionären Interessen der Arbeiterklasse aus, sondern von einem Schema, das auf einer systematischen zentristischen Anpassung an den Einfluß des Peronismus im Proletariat beruhte.

Die Plattform der MAS enthielt wie alle zentristischen Programme einige Elemente aus dem kommunistischen Programm. Dies könnte zu der irrigen Auffassung verleiten, daß wir es hier mit einer qualitativen Verbesserung gegenüber Reformismus oder Nationalismus zu tun haben. Aber das Wesen des revolutionären Programms besteht nicht in der Brillanz der einen oder anderen Einzelforderung, sondern im ihrem Zusammenwirken in einer Strategie zur Machtergreifung. Eine Partei wie die MAS, die routinemäßig zu Wahlen auf einer Plattform antritt, die nur unzusammenhängende Teile dieser revolutionären Strategie enthält und sie mit diametral entgegengesetzten Positionen, der Strategie der Reform, durchsetzt, ist eine Gruppierung, die die Arbeiterklasse bei jeder ernsthaften Prüfung im Klassenkampf in die Katastrophe führen würde.

Wahlen vom Oktober 1983

Die Wahlen vom Oktober 1983 verliefen niederschmetternd für die MAS. Trotz des großen Einsatzes tausender Mitglieder, trotz der vermeintlich stimmenbringenden Losung "für ein sozialistisches Argentinien ohne Generäle und Kapitalisten", der Eröffnung von 600 örtlichen Büros im ganzen Lande (13), und trotz einer Zahl von 60.000 Zusatzstimmen (14), erreichte die MAS nur ein Drittel des Stimmenanteils der PST in den 70er Jahren. Im ganzen blieb sie sogar unter 1%. (15)

Alfonsin, der Kandidat der Radikalen Partei, landete einen Erdrutschsieg mit 52%. Dieser Wahlausgang sprach der MAS-Analyse, wonach Argentinien kurz vor den Wahlen in ein revolutionäres Stadium eingetreten war, Hohn. (16)

Nicht allein die Wahlresultate waren mager für die MAS, auch die Kampagne hatte keine qualitative Veränderung in Struktur und Größe der Organisation angebahnt. Die große Mehrheit der Mitglieder stellten weiterhin die 'Trotzkisten' der PST. Sowohl als Wahlblock wie auch als Rekrutierungsfeld war die MAS ein völliger Mißgriff. Unter diesen Umständen war die Umwandlung der Organisation in eine eingeschworene 'trotzkistische' Formation eine Formsache. (17)

N. Moreno wußte, daß nun eine seiner berühmten 'Selbstkritiken' am Platz war. In der Vergangenheit führten sie nie zu dauerhaften Änderungen an der politischen Methode, höchstens zu zeitweiligen Richtungswechseln. Moreno gab zu, daß es 'elektoralistische Abweichungen' gegeben hatte: "Wir waren trunken vor Erfolg und vor Freude über das herzliche Willkommen, und haben darüber vergessen, objektiv zu sein. Wir haben die Realität nicht mehr wahrgenommen, haben nicht mehr zugehört und haben verkannt, was wirklich in der Arbeiterklasse vorging." (18)

Diese 'Kritik' wurde jedoch nur dadurch ausgelöst, daß der Opportunismus nicht die gewünschten Ergebnisse brachte. Nach typisch zentristischer Manier wurde in der 'politischen Rückständigkeit' der Arbeiterklasse (19) nach Sündenböcken gesucht, statt in der Unfähigkeit der MAS, sich an den Kernbedürfnissen der Arbeiterklasse zu orientieren.

Die 'Selbstkritik' der Führung war gedacht, um eine genauere Untersuchung der systematischen zentristischen Methode, die hinter all den scheinbar isolierten taktischen Fehlern stand, zu verhindern. Moreno wälzte schnell die Vorwürfe von sich ab: "Es war ein Fehler der ganzen Partei, der Basis wie der Führung." (20) Vielleicht sollten die Führer ihrer Mitgliedschaft anlasten, daß sie es nicht fertig gebracht hat, die Führung zu korrigieren, oder ihre Führung sogar in die Irre geführt hat!

Inkonsequenz

Die Inkonsequenz solcher 'Selbstkritiken' wurde beim nächsten Anfall von opportunistischem Elektoralismus sinnfällig. Die ersten beiden Jahre von Alfonsins Regierung waren von ökonomischen Kämpfen der Arbeiter geprägt. Desillusioniert von den Austeritätsprogrammen, die vom Weltwährungsfonds angeregt wurden, kehrten die Arbeiter in die Arena zurück.

Mitte 1985 betrug die Inflation 2000% im Jahr. Im August waren die Reallöhne im Vergleich zum Juli des Vorjahres um 27% gesunken. Im Juli 1985 fror Alfonsin Preise und Löhne ein, und mit sofortiger Wirkung setzte eine Rezession bis Jahresende ein, die viele Arbeitsplätze kostete.

Die Arbeiter schlugen zurück. 1984 waren an den 717 Streiks zusammengerechnet 4,5 Millionen Arbeiter beteiligt. Im Januar desselben Jahres fusionierte die unter der Militärherrschaft gespaltene CGT-Gewerkschaft wieder. Außerdem gingen Basisorganisationen aus der Welle von gewerkschaftlichen Neuwahlen gestärkt hervor. Im Mai 1985 wurde die Regierung von zwei Generalstreiks als Antwort auf die Attacken gegen den Lebensstandard der Arbeiterschaft erschüttert. Doch trotz dieser Kämpfe saß die peronistische CGT-Führung fest im Sattel und ging einen Sozialvertrag mit der Alfonsin-Regierung ein.

An der politischen Front verursachte der vergebliche Anlauf der peronistischen Gerechtigkeitspartei, bei den Oktoberwahlen 1983 wieder an die Regierung zu gelangen, eine Aufspaltung in 30 verschiedene Tendenzen. 1985, als die Illusionen in Alfonsin weiter schwanden und viele Peronisten gegen den Verrat der CGT-Führung Front machten, hielt es die MAS für geboten, wieder bei den Wahlen zu erscheinen - mit denselben Methoden wie vorher. Aus langen Verhandlungen mit der PCA, der argentinischen KP, und dem 'Arbeiterperonismus' entstand im Herbst 1985 die Frente del Pueblo (FREPU), die 'Volksfront'.

Das Programm der FREPU war im wesentlichen eine Blaupause des reformistischen MAS-Programms von vor 30 Monaten. Seine 'sozialistischen' Forderungen beschränkten sich auf Appelle für ein zehnjähriges Aussetzen der Schuldenrückzahlungen, Verstaatlichung der Banken und Monopole sowie eine Landreform. Die Staatsfrage wurde einmal mehr mit reformistischer Rücksicht auf die Klassenherrschaft der Bourgeoisie behandelt: "Für die volle Berücksichtigung und Anwendung der demokratischen Freiheiten, die in der Nationalverfassung niedergelegt sind." (21). Eine dieser Freiheiten war, wie in allen bürgerlichen Verfassungen, das Recht auf Privateigentum!

Angesichts der Enttäuschung über Alfonsin und der Zerstrittenheit der peronistischen Gerechtigkeitspartei erlitten beide großen Parteien Stimmenverluste von 6%. Die Novemberwahlen deuteten eine Polarisierung des politischen Lebens an. Die PI, eine Linksabspaltung von den Radikalen errang 6% als drittstärkste Partei, während die FREPU auf 360.000 Stimmen (= 2%) kam. Auf der Rechten konnte die UCD ihren Wähleranteil seit 1983 ebenfalls verdoppeln.

Wofür stimmten die Arbeiter, die ihr Kreuz bei der FREPU machten? Das leichtgewichtige reformistische Programm und die Betonung von staatskapitalistischen Maßnahmen ähnelten dem bürgerlich-nationalistischen Reformismus der Peronisten. Selbst das FREPU- Logo äffte bewußt das Siegeszeichen der Peronisten nach. In politischer Hinsicht hatten die peronistischen Arbeiter die 'Sozialisten' auf ihr Programm hinübergezogen, nicht umgekehrt!

So konnte die Arbeiteravantgarde ihre Unzufriedenheit mit dem Zustand der Gerechtigkeitspartei ausdrücken, brach aber nicht aus dem Rahmen des peronistischen Programms in seiner linken Verkleidung aus.

Bei der KP kam diese enge Anpassung kaum überraschend. Der Stalinismus hat die klassenkollaboratorische Volksfront zu einem Markenzeichen seiner arbeiterfeindlichen Politik seit 1935 gemacht. Solche lebenslangen Reformisten und der 'proletarische Peronismus' stimmen in ihrer grundlegenden Perspektive überein: der Erhaltung und Reformierung des kapitalistischen Staates. Aber für Revolutionäre kann es in dieser Frage keine Kompromisse geben. Revolutionäre gewinnen reformistische Arbeiter für ihre Ziele durch gemeinsame Aktionen in konkreten Kämpfen und durch eine unbeugsame Haltung gegen reformistische Illusionen, nicht durch die Propagierung dieses Unsinns unter den Massen. Aber das war nicht die Methode von Morenos Zentrismus, weder vor, während, noch nach 1985.

Argentinien stand immer im Mittelpunkt der Aktivitäten der IAL. Auf einem Treffen des internationalen Exekutivkomitees (IEK) vom April 1988 wurde diese Position bekräftigt: "Argentinien ist die zentrale Achse der Weltrevolution", (22) und "die Verantwortung und die Hauptaufgabe der gesamten IAL-IV. Internationale und besonders deren Führung liegt in der Beibehaltung und Vertiefung der politischen Hinwendung zu Argentinien". (23)

Argentinien: Zentrum der Weltrevolution

Die wirtschaftliche und politische Lage in Argentinien war 1987-1988 nicht stabil, obwohl der Höhepunkt der militantesten Arbeiterangriffe auf Alfonsin zu dem Zeitpunkt bereits überschritten war. Die Armee war unruhig, weil die Regierung die Arbeiterklasse nicht zu bändigen imstande war, und wegen Alfonsins Zweideutigkeit in der Frage, die Verantwortlichen für Greueltaten und Folter vor Gericht zu bringen. Kasernenrevolten (v.a. Ostern 1987) waren an der Tagesordnung, und Gerüchte von einem bevorstehenden Putsch schwirrtem umher.

Im April 1987 steuerte Alfonsin einen Mittelkurs, indem er die Drohung eines Putsches dazu nutzte, alle größeren Oppositionsparteien einschließlich der PCA zur Unterzeichnung eines 'Paktes für einen demokratischen Kompromiß' zu bewegen, der weitgehende Zugeständnisse an das Militär enthielt.

Die MAS verweigerte die Unterschrift unter den Pakt, und der FREPU-Wahlblock mit der PCA platzte. In der nächsten Periode schwamm die MAS orientierungslos mit dem Strom. Die Kongreß- und Kommunalverwaltungswahlen vom September 1987 ließen die peronistische Partei wiedererstarken. Sie eroberte wichtige Sitze und große Städte zurück.

Binnen Jahresfrist war das einschneidende Ereignis der Alfonsin-hörigen Position der PCA vergessen, und die MAS hofierte wieder die Stalinisten. Im Oktober 1988 wurde die Izquierda Unida (IU), die vereinigte Linke, unter Patenschaft von MAS, PCA und einigen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Randgruppen aus der Taufe gehoben. Wie bei der FREPU war das Programm der IU sorgfältig zurechtgestutzt, um zum einen der reformistischen Politik der PCA zu genügen und andererseits die bürgerlichen Nationalisten nicht zu verschrecken. (24)

Die IAL begrüßte die IU als Gebilde mit einem 'proletarischen, anti-imperialistischen und antikapitalistischen Programm'. (25) Doch das Programm sieht einen parlamentarischen, reformistischen Weg zum 'Sozialismus' vor (obwohl das Wort gar nicht vorkommt!). Statt der Enteignung kapitalistischen Eigentums erkühnt es sich, Preiskontrollen über die führenden Konzerne zu fordern, aber nur, "wenn diese auch zustimmen"!

In einer Situation, da die Inflation jeden Monat um 80% stieg, wagte es die MAS nicht einmal, die Losung nach einer gleitenden Lohnskala in die IU einzubringen! Eine seltsame Form von 'Antikapitalismus'. Abermals opferten die Morenisten revolutionäres Gut als Preis für eine faulen Pakt mit Stalinisten und bürgerlichen Nationalisten.

Im Juni 1988 äußerte der 3. Kongreß der MAS folgende Erwartungen über die wachsenden Spannungen in der argentinischen Gesellschaft:

".. Kampf der Klassen um die politische Macht, d.h. der Triumph der Arbeiterrevolution, der sozialistische Oktober, oder die bürgerliche Konterrevolution. Das Ziel ist nicht mehr ein Regierungswechsel, sondern ein Wechsel der Klasse an der Macht, die Etablierung eines Arbeiterstaates". (26)

Die Parlamentswahlen vom Mai 1989 brachten einen überwältigenden Sieg für die Gerechtigkeitspartei und ihren Präsidentschaftskandidaten Menem; aber auch die MAS profitierte von dem relativen Wahlerfolg der IU, auf die 500.000 Stimmen entfielen, was den MAS-Spitzenkandidaten L. Zamora und S. Diaz je einen Sitz im Nationalrat und im Provinzparlament bescherte. Die MAS wähnte sich im Aufwind, ihre Führer prophezeiten sogar noch unmittelbar bevorstehende größere Erfolge.

Am 28.Mai 1989 rebellierten die Massen von Rosario, der zweitgrößten Stadt Argentiniens, gegen die 12.000%ige Hyperinflation in einem dreitägigen Aufruhr, der 15 Tote und hunderte von geplünderten Geschäften brachte. Barrikaden wurden errichtet und der Ausnahmezustand verhängt. Die folgende Ausgabe des IAL-Journals Correo Internacional erschien unter der Schlagzeile 'Die sozialistische Revolution hat begonnen' und führte weiter aus: "Ohne Instruktionen und politische Führung sowie ohne Institutionalisierung einer alternativen Arbeitermacht haben sie einen massiv antikapitalistischen Volksaufstand im echten leninschen Sinn gemacht." (27)

Diese revolutionäre Aufschneiderei war ebenso wenig leninistisch wie ihr reformistisches Programm, mit dem sie die Abgeordnetensitze errungen hatten. Was ist ein 'antikapitalistischer Aufstand im wahrhaft leninschen Sinn' anderes als die Ergreifung der Staatsmacht durch bewaffnete Milizen von Arbeiterräten, die von der revolutionären Partei angeführt werden? Er ist eine organisierte und geplante Aktion, um die Status der Doppelmacht aufzuheben, die in einer voll entfalteten revolutionären Situation schon existiert. Bei einem Aufstand kann man davon sprechen, daß die sozialistische Revolution geglückt ist, aber nicht, daß sie 'begonnen hat'.

In Rosario geschah eine revolutionäre Massenerhebung gegen das Elend, das die Austeritätsmaßnahmen der Regierung über die Menschen gebracht hatten. Aber ohne bewußte organisierte Führung weitete sie sich nicht einmal zu einer landesweiten Streikwelle aus, geschweige denn zu einem Zustand der Doppelmacht. Sie gab nicht den Startschuß zu einer sozialistischen Revolution, sondern warnte die Bourgoisie vor dem wachsenden Unmut gegen ihre Politik.

Dieser haarsträubende Impressionismus wurde auf dem 4. Kongreß der MAS festgeschrieben, wo eine Parallele zwischen der Menem- und der provisorischen Kerenski-Regierung nach der Februarrevolution 1917 gezogen wurde. Die Logik lag auf der Hand: wenn der Februar hinter den argentinischen Massen lag, konnte der Oktober nicht mehr weit sein!

Für die MAS war Argentinien durch eine 'atomisierte Doppelmacht' gekennzeichnet, die aus verschiedenen Basiskoordinationskomitees, Gewerkschaften und Volksküchen bestand. (28)

"Wir können gewinnen", so meinten sie, "weil die Regierung und die Herrschaft schwach sind, weil die Massen kämpfen, weil der Peronismus sich gespalten hat, und weil die Partei Masseneinfluß gewinnt." (29) Doch seit wann können die Massen die Staatsmacht nur mit Suppenlöffeln erobern?

Mit ihrer angeblichen Zeitungsauflage von 85.000 (Mitgliederzahl konstant bei 6000) versuchte die MAS, sich an die peronistischen Arbeiter zu wenden, die desorientiert und durch die Maßnahmen 'ihrer' Regierung erzürnt waren. Das war zweifellos notwendig. Die MAS verkündete, sie beabsichtige die Organisierung einer 'prinzipiellen Opposition'.

"Wir können und müssen diese hundertausende Arbeiter organisieren; wir müssen uns so verhalten, daß sie ganz natürlich ihren Platz in den Gruppen oder in unserem Umfeld einnehmen, als Teil der Partei (...) Unser Aktionsvorschlag ruft die Massen, insbesondere die peronistischen Arbeiter, die das Chaos ihrer Partei reflektieren, auf, mit uns unsere Partei aufzubauen. Wir müssen alles tun und die peronistischen Arbeitern ermutigen, unseren Gruppen beizutreten! Wir müssen die Partei mit ihnen aufbauen!" (30)

Aber das Programm der MAS war wie üblich dafür denkbar ungeeignet. Es überschätzte den Schwund des Einflusses des Peronismus im Proletariat und die Schwäche der Menem-Regierung und bot den kritischen peronistischen Arbeitern nicht den radikalen Bruch mit der Politik an, von der sie sich scheinbar entfernten.

Die 'revolutionäre Partei' sollte auf einem Programm mit 4 Hauptthemen aufgebaut werden: "Gegen die Menem-Regierung, für eine Arbeiter- und sozialistische Regierung. Für Basiskontrolle! Für demokratische Selbstbestimmung und Einheit der Arbeiter- und Volksbewegung! Für die Vereinigung der Kämpfe im Südteil Lateinamerikas! Baut die Partei gemeinsam auf!" (31)

Wie bei früheren Massenprogrammen der MAS fand sich kein Ruf nach Enteignung der Bourgeoisie, nach Besetzungen, Generalstreik oder gleitender Lohnskala; der Charakter des Staates und die Notwendigkeit von Arbeiterverteidigungseinheiten zum Schutz von Streiks und Besetzungen und gegen die Intervention der Armee blieben gänzlich unerwähnt.

Bezeichnenderweise gab es kein Programm für die Aufhebung der 'atomisierten Doppelmacht', die die MAS glaubte entdeckt zu haben, keine vereinheitlichenden oder zentralisierenden Forderungen, die die Atomisierung überwinden und eine wirkliche Doppelmacht, d.h. echte sowjetartige Organe schaffen könnten. Nein, denn die 'Basiskontrolle' der MAS war beschränkt auf die Demokratisierung der peronistischen Gewerkschaften und die Unterstützung der Suppenküchen.

Dieser zentristische Widerspruch war immer ein Markenzeichen des Morenismus: wilde Übertreibung der revolutionären Situation einerseits und ein skandalös nicht-revolutionäres Programm als Reaktion darauf andererseits!

Trotz solch gefährlicher Illusionen dauerte es nicht lange, bis sich die wahren Kräfteverhältnisse in Argentinien nach Menems Regierungsantritt auch in der MAS herumgesprochen hatten. Der Aufruhr von Rosario war nicht der Vorbote der Revolution, und die argentinischen Massen strömten nicht zur MAS.

Rekonstruktion des Peronismus

In den nächsten beiden Jahren sprengte Menem viele der traditionellen Verbindungen der Gerechtigkeitspartei zur CGT, die v.a. im staatsindustriellen und öffentlichen Sektor beheimatet waren. Es gab Gegenwehr, oft heftig und lang. Aber das Eingreifen der CGT-Bürokratie besiegelte deren Niederlage, und dies offenbarte klar die Führungskrise in der Arbeiterklasse.

Im Herbst 1991 räumten Teile der IAL-Führung Fehler in der Perspektive ein. Wie stets lag der Schlüssel in Argentinien. Entgegen der Wahlprognose von 16% für die Buenos Aires-Region kam die MAS bei den Oktoberwahlen 1991 bloß auf 2,5%. Der Peronismus sammelte seine Kräfte wieder und errang einen durchschlagenden Wahlsieg.

Die Erklärung der IAL war unumwunden:

"Als Menem an die Macht kam, verkörperte er die Massenmobilisierungen und war aus dem Grund schwach. Aber durch das Verbleiben im Amt und die Rettung der bürgerlich- demokratischen Herrschaft in Anbetracht der chaotischen Lage konnte er die revolutionäre Krise lösen." (32)

Wenn die IAL ehrlicher gewesen wäre, hätte sie sagen müssen: Menem verkörperte nicht die Massenmobilisierungen, sondern die Illusionen der Massen, daß Alfonsins Programm durch eine Rückkehr zu typisch peronistischen Methoden aufzuhalten sei, daß die Sparpolitik also ohne weitere Massenmobilisierungen zu Fall zu bringen wäre. Die erwartete Massenradikalisierung kam nicht zustande. Menem konnte seinen peronistischen Vertrauensvorschuß und sein demokratisches Mandat benutzen, um die Arbeiterschaft Sektor um Sektor zu besiegen.

Die Kontrolle des Peronismus über den Gewerkschaftsapparat half bei der Auferlegung eines schaurigen Sparprogramms, das den argentinischen Massen die Folgen der Hyperinflation aufbürdete. "Menem kann diese Bewegung nicht aus der Bahn werfen," hatte die MAS getönt. (33) Aber er konnte es doch!

Alle Voraussagen der MAS waren falsch. Ein Schuldiger mußte gefunden werden. Der Stalinismus kam da gerade recht, für Argentinien und auf Weltebene. Für den Mißerfolg der MAS wurde folgende Erklärung zurechtgebastelt: die Bourgeoisie hatte in Argentinien wie überall eine ideologische Offensive gestartet, die den Stalinismus mit Sozialismus gleichsetzte (worüber die IAL ihre Anhänger selber im Unklaren gelassen hatte).

Trotz des Ausscherens aus einer gemeinsamen Liste mit der PCA kurz vor den Wahlen (wegen Korruptionsverdacht) hat die Existenz dieses "Wahlbündnisses mit der argentinischen KP, d.h. dem Agenten der stalinistischen Bürokratie in diesem Land, auch die Möglichkeit der argentinischen Trotzkisten, dieser Kampagne der Bourgeoisie entgegenzutreten, gemindert." (34)

Der Mangel an politischer Unterscheidungskraft bei der MAS hat also die Unterschiede zwischen Trotzkismus und Stalinismus der Arbeiterklasse nicht augenfällig gemacht. Die langfristige Identifizierung der MAS mit der PCA auf Wahlebene hat sich schließlich ausgezahlt, oder vielmehr heimgezahlt.

Im Dezember 1990 hielt die MAS einen außerordentlichen Kongreß ab. Die Führung war über Perspektiven und Programm zerstritten. Auf dem Anschlußkongreß im Frühjahr 1991 formierte sich ein Drittel der Mitgliedschaft in einer 'morenistischen Tendenz' und hielt die Frage Machtergreifung für weiterhin aktuell. Sie glaubte, daß die Krise des Stalinismus und Peronismus unvermeidlich Früchte tragen würde, und daß das Wahlbündnis mit der PCA auf alle Fälle weiterbestehen sollte.

Es überrascht nicht, daß diese Gruppierung von jenen geführt wurde, die am meisten von der strategischen Wahlperspektive des Morenismus profitiert hatten, nämlich Zamora und Diaz, den beiden Parlamentsvertretern der MAS.

Der 4. Weltkongreß der IAL im Februar/März 1992 war heftig umstritten. Gespalten in vier Tendenzen erlebte die IAL seitdem einen Aderlaß und Fraktionskämpfe. In der Schußlinie standen die Perspektiven, mit denen die Organisation methodisch praktisch seit 1982 arbeitete.

Krisenkongresse und Zerfall der IAL

Die IAL-Führer ignorierten diesen wichtigen Punkt und konzentrierten sich auf die offenkundigsten Fehler, statt das Problem bis zur Wurzel zurückzuverfolgen. Wie in Argentinien schob die IAL die Schuld einfach auf den Stalinismus, der die armen Trotzkisten getäuscht hatte und nicht so zugrunde gegangen war, wie sich Moreno das vorgestellt hatte:

"Auf ihrem 2. und 3. Kongreß (Juli 1889 und Mai 1990) schlug die IAL/IV. Internationale eine Richtung ein, die, wie heute die ganze Internationale erkennt, 'global fehlerhaft' war. Die beiden voraufgegangenen Kongresse hatte aus der Todeskrise des Stalinismus mechanisch die falsche Schlußfolgerung abgeleitet, daß nun die Stunde des Trotzkismus gekommen sei und daß sich nun die Möglichkeit zu 'neuen Oktobern' eröffne, d.h. von Revolutionen, die von revolutionären Marxisten angeführt werden. Diese oberflächliche und 'objektivistische' Analyse brachte die großen Sektionen der Internationale dazu, sich an den 'Aufbau von Massenparteien' zu begeben und sich in Argentinien sogar auf den 'Kampf um die Macht' einzustellen. Die auf dem 4. Kongreß mehrheitlich angenommene Bilanz zeigte, daß diese Orientierung, so ultralinks sie in ihrer Charakterisierung erschien, in der Praxis in einer klassisch opportunistischen Abweichung endete." (35)

Die Zamora-Diaz Tendenz, die sich in der "Internationalen morenistischen Tendenz" (IMT) organisiert hatte, war durch etwa 15% der Delegierten vertreten und trat im wesentlichen für eine Fortsetzung der bisherigen Linie ein. Gleich nach Kongreßende spaltete sich die MAS. Kurz vor dem 1.Mai verließ die 'Morenistische Tendenz' (MT) unter Diaz und Zamora die Organisation und nahm ungefähr ein Drittel der Mitglieder mit sich.

Das bot den verbliebenen MAS-Führern die sichere Chance, ihren angekratzten Ruf wieder aufzupolieren. (36) In einer Kundgebungsrede zum 1.Mai stellte der MAS-Führer E. Gonzalez fest:

"Durch die Ausnutzung von Wahlen und andere Erfolge haben wir vergessen, daß unser Daseinszweck die Arbeiterbewegung war. Wir haben uns mehr den Wahlkampagnen gewidmet als uns eng mit der Klasse zu verbinden. Wir haben uns an eine Demokratie angepaßt, die nicht die unsere, die keine Arbeiterdemokratie ist, sondern eine elektorales und parlamentarisches Schauspiel der Bourgeoisie und des Imperialismus. (...) Wir haben geglaubt, daß die Bündnisse mit anderen Strömungen in der Arbeiterbewegung, wie der KP, wichtiger seien als die Festigung der revolutionären Partei. Zugleich haben wir diesen opportunistischen Kurs mit einer seichten und törichten Analyse der argentinischen und Weltwirklichkeit bemäntelt. Dies verschlimmerte sich noch, weil zur selben Zeit in Europa die antibürokratische Revolution losbrach. Während in Berlin die Mauer fiel und sich die Arbeiter anschickten, die Bürokraten und KPen niederzuwerfen, erschienen wir vor den Augen der Massen Arm in Arm mit P. Echegaray (dem PCA-Führer)." (37)

Darin steckt mehr als nur ein Hauch von Opportunismus. Jahrzehntelang haben Arbeiter die UdSSR und Kuba mit einer Art 'Sozialismus' identifiziert, und die MAS hat sich gern daran angepaßt. Nachdem sich die Lage nun geändert hat, müssen die früheren Wahlverbündeten der MAS geächtet werden.

In Wahrheit kommt der Abgang von Zamora den anderen MAS-Führern sehr gelegen. Aber ihre Kritik an der elektoralistischen Abweichung bleibt ohne Tiefgang. Solange sie das Erbe des 'Meisters' Moreno bis zu seinem Tod unangetastet lassen und nicht an den Ursprüngen des zentristischen Verfalls der IV. Internationale 1948-1951 rühren, werden sich all die Fehler wiederholen.

Im Gefolge der Erkenntnis der MAS, daß die Machteroberung nicht auf der Tagesordnung stand, erhoben die Sektionen, die bislang den Opportunismus der MAS linientreu verteidigt hatten, ihre Stimme und sprachen mit der Bitterkeit eines Betrogenen. Ein Führer der französischen Sektion, die jahrelang nur eine PR-Abteilung der argentinischen Sektion gewesen war, äußerte sich wie folgt:

"In Argentinien erreichte die Abweichung ihren Gipfel. Die Führung der MAS hat die ersten Entwicklungen der politischen Revolution im Osten falsch interpretiert, konjunkturelle organisatorische Erfolge sind ihr zu Kopf gestiegen, ... und sie hat sich dann zu abenteuerlichen Spekulationen über die Möglichkeiten einer schnellen proletarischen Machteroberung verstiegen. (...) Der Schwenk von einer zeitweiligen Taktik, die das Hindernis in Form der argentinischen stalinistischen Partei beseitigen sollte, hin zu einer halbstrategischen Allianz (wie die Politik des VS) drückte sich spektakulär auf dem MAS-Kongreß im Mai 1990 aus, als ein Teil der Führung sogar die Bildung einer gemeinsamen Partei mit der PCA ins Auge faßte." (38)

Noch bedeutungsvoller war, daß die Tendenz für Einheit und für die Neuorientierung der IAL mit Standort in Brasilien und Europa sowie die kolumbianische Sektion die Mehrheit des internationalen Exekutivkomitees kritisierten und für die programmatische Wiedererarbeitung plädierten.

Wenn diese kritischen Tendenzen den jüngsten Fehlern auf den Grund gehen wollen, müssen sie die Fundamente der IAL und der MAS überprüfen. Eine Auflösung der Tendenzen und Festsetzung eines neuen Kongresses 1994 konnte den Bruch mit der Vergangenheit nicht vollziehen. Trotz dieser Wende hat die IAL längst noch nicht mit ihrer zentristischen Methode gebrochen.

Eine opportunistisch motivierte Trennung von den stalinistischen Blockpartnern ist nicht dasselbe wie die Lossagung von der Methode der 'revolutionären Einheitsfront' und der rastlosen Suche nach nicht-trotzkistischen Abkürzungswegen. Ohne eine solche Klarstellung werden in Zukunft wieder andere Bündnispartner, die Peronisten, umworben.

Viele Elemente der Kritik an der IAL sind schon 3, 4, ja sogar 10 Jahre zuvor von der LRKI geäußert worden. Damals haben die IAL-Mitglieder unsere Fehleranalysen unwirsch von sich gewiesen. Heute haben sie einiges davon übernommen. Die IAL hat sich u.a. die programmatische Wiedererarbeitung vorgenommen. Die LRKI hat bereits 1989, als die IAL in Buenos Aires noch von der Machtübernahme träumte, diese grundlegende programmatische Aufgabe bewältigt.

Unser neu erarbeitetes Übergangsprogramm, das Trotzkistische Manifest, hält viele Antworten für die revolutionäre Kritik in und außerhalb der IAL bereit. Unsere Tradition, unsere Intervention und unsere kritischen Analysen können den Genossen helfen, die den Morenismus durchschaut haben und nicht ihre Denkfähigkeit und ihren Kampfeswillen verloren haben.

Wenn wir die programmatische Einheit und eine gemeinsame demokratisch-zentralistische Disziplin herstellen können, wäre das ein großer Sprung nach vorn bei der Arbeit an der Wiederbelebung des authentischen Trotzkismus. Ein Ausgangspunkt hierfür muß eine kritische Bestandsaufnahme der gesamten Geschichte des Morenismus und seiner Wurzeln im zentristischen Niedergangsprozeß der IV. Internationale sein.

 

Anmerkungen

(1) Nicht einmal ein Jahr davor hatte sie mit der internationalen Organisation um Pierre Lambert fusioniert, um die "Vierte Internationale" (Internationales Komitee) zu gründen. Die Schaffung dieser Organisation wurde hochtrabend als "größter Schritt vorwärts seit der Gründung der Kommunistischen Internationale" bezeichnet. Innerhalb von neun Monaten zerplatzte diese Gruppierung wie eine Seifenblase an den Differenzen, die man schon bei ihrer Gründung übergangen hatte.

(2) Siehe dazu: Trotskyist International 1, Sommer 1988

(3) LST (Frankreich) Bulletin Interne 4, S. 5

(4) LST (Frankreich) Bulletin Interne 29.9.83

(5) Zitiert nach: R. Munck, Latin America: The Transition to Democracy, London 1989, S. 107

(6) Projet de document national, in: Bulletin interne LST, No. 5, 1982, S. 9

(7) Ebenda, S. 12

(8) Ebenda. Diese opportunistische Projekt war nicht neu. 1972 hatte Moreno die PST durch eine Fusion mit Carlos Corals sozialdemokratischer Partido Socialista d’Argentina ins Leben gerufen.

(9) L. Trotsky, The crisis of the French section, New York 1977, S. 97

(10) Solidaridad Socialista, 22.4.83

(11) Ebenda

(12) Ebenda

(13) MAS Internal Circular No. 27, 4.11.83

(14) Tribune Ouvrier, 20.5.83, S. 4

(15) Darin eingeschlossen sind 42.359 Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen.

(16) Tribune Ouvrier 17, Oktober 1993, S. 4

Trotz diese Behauptung waren die Hauptlosungen der MAS 1984 - anders als man erwarten hätte können - weit davon entfernt, die Machtfrage in den Mittelpunkt zu stellen. Vielmehr handelte es sich dabei um ökonomische Forderungen für Lohnerhöhungen, die Wiedereinstellung von Arbeitern, die unter der Junta entlassen wurden, nach Betriebsversammlungen und der Wahl von Betriebsräten. Die damit verbundene Ignoranz gegenüber der eigenen politisch-ökonomischen Analyse legt nahe, daß Argentinien 1983-84 maximal eine vorrevolutionäre Situation erlebte. MAS Central Comitee perspectives document 8.12.83

(17) Schließlich hatte Moreno diese Entwicklung schon einmal durchgemacht, nach dem Scheitern des Blocks der PST mit Coral.

(18) MAS International Circular No. 27, 4.11.83, S. 1

(19) R. Munck, op.cit.

(20) MAS Internal Circular No. 27, 4.11.83, S. 1

(21) Tribune Ouvrière 30, 29.11.85, S. 20

(22) Tribune Ouvrière 52, Juli 1988, S. 12

(23) Ebenda

(24) Zum Nachlesen des Programms der IU und unserer Kritik daran, siehe: Trotskyist International 3, Sommer 1989, S. 58-62

(25) International Courrier 38, Januar 1989, S. 37

(26) Courrier International, November 1989, S. 28

(27) Tribune Ouvrière 59, September 1989, S.2

(28) Tribune Ouvrière 60, Oktober 1989, S. 5

(29) Ebenda, S. 4

(30) Tribune Ouvrière 60, Oktober 1989, S. 8-10

(31) Ebenda, S. 9-10

(32) Coordination 10, November 1991, S. 7

(33) International Courier, November 1989, S. 21

(34) Coordination 10, November 1991, S. 8

(35) Coordination 14, April 1992, S. 6

(36) In der Hoffnung, daß sich die Basis an Moreno’s Konzeption der MAS nicht erinnert, behaupteten sie, daß "die MST die Konzeption einer ‘Partei der Aktion’ verteidigte, deren Politik im Gegensatz zur leninistisch-trotzkistisch-morenoistisch (!) durch drei oder vier Losungen zum Ausdruck gebracht wird."

(37) Solidaridad Socialista, 6.5.92

(38) Coordination Supplément International 5, Mai 1992, S. 23

 


Anhang 1:

Morenismus und der argentinische Staat

Der tiefgreifende rechte Opportunismus, der unter der Oberfläche der abenteuerlichen linken Rhetorik des Morenismus sitzt, demaskiert sich am klarsten in der Frage von besonderen Organen bewaffneter Menschen, die den kapitalistischen Staat ausmachen.

Zwar findet man 'orthodox' leninistische Äußerungen in theoretischen Schriften, jedoch keine Übersetzung in eine operative revolutionäre Taktik in Bezug auf die argentinischen Streitkräfte.

Als Morenos PST 1972 mit C. Corals Partido Socialista di Argentina (PSA) verschmolz, enthielt das Fusionsprogramm ausgesprochen reformistische Forderungen nach 'Demokratisierung der Armee' und nach 'Einstellung ihrer Dienste für das Kapital'.

Diese 'Zugeständnisse' signalisierten den Sieg des reformistischen Flügels über die 'orthodoxen Trotzkisten'.

Die IAL war offenbar von der Vortrefflichkeit dieser Position überzeugt, zumindest für die praktische Alltagsarbeit bei den Massen, weil sie die Position auch mit ins Programm der MAS aufnahm.

Ende 1988 forderte die MAS-Wochenzeitung einen Wandel, der "zur Demokratisierung (der Streitkräfte) führt, so daß sie aufhören, Institutionen der Ausbeuter für die Unterdrückung der Arbeiter zu sein." (1)

Dies schürt nicht nur Illusionen in die Möglichkeit einer Reform des bürgerlichen Staates, sondern bedeutet auch eine grobe Anpassung an die peronistische Politik, die nur diejenigen Offiziere bestrafen will, die für den 'schmutzigen Krieg' gegen die Massen während der Militärdiktatur verantwortlich waren.

Diesen gefährlichen Unsinn verbreitet sie heute noch, nachdem die Führer der MAS ihr erwartetes Schuldeingeständnis für den Opportunismus der Vergangenheit abgeliefert haben:

"Die MAS schlägt eine vollständige organische, politische und soziale Umgestaltung und Demokratisierung der Streitkräfte vor, die sich von allen Modellen Menems, der Bourgeoisie und des Imperialismus unterscheidet. (...) Einzige Aufgabe der Armee muß die Verteidigung gegen eine imperialistische Aggression von außen sein, sie darf keinesfalls eine Unterdrückerrolle im eigenen Land spielen." (2)

Weiter heißt es, 'die arbeitende Bevölkerung müsse massiv bewaffnet werden' und 'militärische Ausbildung am Arbeitsplatz erhalten'. Das ist ein Versuch, eine prinzipienlose Anpassung an den Reformismus und Nationalismus mit ein paar Parolen aus Trotzkis proletarischer Militärpolitik zu vertuschen.

Diese Politik war für den Beginn des allgemeinen imperialistischen Kriegs gedacht, aber niemals als Ersatz für das notwendige Zerbrechen der bürgerlichen Armee durch Agitation in ihren Reihen.

Nach Trotzkis Tod neigten Cannon und die SWP/USA tatsächlich zur Darstellung der trotzkischen Position als verfassungsmäßige Prozedur zur Demokratisierung der Armee. Aber das war eine unzulässige Verdrehung einer Übergangslosung, der im Kern die Forderung nach Bewaffnung und Ausbildung der Arbeiter zugrunde lag.

Die IAL stellt diese zusammenhanglosen 'orthodoxen' Losungen allerdings offen in den Rahmen einer reformistischen Strategie.

Mit dieser Mischung weicht sie in elender zentristischer Manier der Staatsfrage aus.

Zugleich hatte die MAS Schwierigkeiten, etwas anderes zu tun, als sich von jeglicher bewaffneten Aktion gegen die Streitkräfte zu distanzieren. Sie griff wiederholt zur Gleichsetzung der Gewalt der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen mit jener der Unterdrücker und Ausbeuter. Sie stellten sich sogar dem Staat gegen kleinbürgerliche Guerrillabewegungen zur Seite!

Dieser Opportunismus, der den Zugang zu den peronistischen und reformistischen Arbeitern nicht verbauen sollte, verwischte in Wahrheit die Trennlinie zwischen Reform und Revolution.

Ende 1983 wollte der Montonero-Guerrillaführer M. Firmenich aus dem Exil zurückkehren. Die MAS meinte, die Rückkehr solle ihm zwar erlaubt werden, er müsse aber wie die militärischen Folterknechte abgeurteilt werden: "Firmenichs Orientierung muß als verbrecherische Politik und Spielart des Völkermords angesehen werden. Mit anderem Vorzeichen, aber deckungsgleichem Inhalt, wie die Generäle, die den staatlichen Terrorismus ausgeführt haben." (3)

Als Mitglieder der ERP-Guerrillagruppe 1987 die Tablada-Kasernen besetzt hielten und anschließend von der Armee niedergemetzelt wurden, weigerte sich die MAS, die ERP zu verteidigen.

Stattdessen beeilte sie sich, ihre Loyalität zur bürgerlichen Legalität zu beeiden, distanzierte sich vom 'Putschismus' und verkündete stolz, 'Terrorismus sei nicht Marxismus'. (4)

In den darauffolgenden Wochen weigerte sich die MAS sogar, an einer Demonstration gegen den 'schmutzigen Krieg' teilzunehmen, die das Blutbad der Armee von Tablada anprangerte!

Diese Verweigerung elementarer Solidarität für die vom Staat Eingekerkerten und Getöteten, so falsch ihre Methoden auch sein mögen, ist ein Brandmal des unverbesserlichen Zentrismus, der sich unaufhörlich durch die gesamte politische Methode der Morenisten zieht.

Anmerkungen

(1)zit.nach La Aurora, 2.2.1989

(2)Solidaridad Socialista, 14.11.1991, S.4

(3)Solidaridad Socialista 52, wiederveröffentlicht in Tribune Internationale-La Verite 21.8.198

(4)zit.nach Prensa Obrera 260, S.1

 


Anhang 2:

Der erste Kongreß der IAL

1985 hielt die IAL ihren Gründungskongreß ab, auf dem die Führung erstmals globale Entwicklungen analysierte und eine umfassende programmatische Antwort zu geben versuchte. Die verabschiedeten Perspektiven wurden auf dem 2. (1989) und 3. Kongreß (1990) bestätigt und waren großenteils schuld an der wachsenden Verwirrung und Orientierungslosigkeit, von der die Organisation seitdem geprägt war.

Seit ihrer Gründung litt die IAL unter Sehstörungen; sie nahm 'revolutionäre Situationen' und große Wachstumschancen wahr, die außer ihr niemand zu entdecken vermochte. Auch andere Länder als Argentinien blieben von dem überschäumenden Optimismus der Morenisten nicht verschont.

Nach dem Wahlsieg von Mitterand im Mai 1981 befand sich Frankreich angeblich in einer 'vorrevolutionären Situation, wo sich tendenziell die Machtfrage stellt." (1) Das IAL- Gründungsmanifest dehnte diese Analyse auf die ganze Welt aus - mit halluzinatorischen Konsequenzen.

Schon die 1. Seite des Dokuments enthüllt, daß die Moreno-Führung wieder einmal 'vom Erfolg geblendet' war: "Eine Massenerhebung erschüttert die Welt", lesen wir da, "die eine weltweite revolutionäre Situation herbeiführt". (2)

"40 Jahre lang haben wir eine kolossale sozialistische Revolution auf Weltebene erlebt. Obwohl der Imperialismus in seinen Metropolen noch nicht besiegt ist, haben die Massenkämpfe ihn in die Ecke drängen können, haben ihm schwere Schläge zugefügt, spektakuläre Siege errungen und bedeutende Bastionen in der ganzen Welt eingenommen. Revolutionäre Arbeiter und Kämpfer müssen über das Geschehen im Bilde bleiben, zumal es so gewaltig ist, das es uns blenden kann." (3)

Um auch dem letzten Leser klarzumachen, was gemeint war, führt die IAL weiter aus: "Der Fall der Konterrevolution begann 1943. Die sowjetischen Massen erteilten Hitler die erste vernichtende Abfuhr in Stalingrad und läuteten damit eine bis heute währende Periode rascher und massiver Aufwallungen ein. Die Weltkarte färbte sich im Rot der Revolution, die von Sieg zu Sieg eilte. Im Zeitraum von 42 Jahren haben sich ganze Völkerschaften gegen die Hochburgen der Unterdrückung und Ausbeutung erhoben und leiteten die reale Epoche der sozialistischen Weltrevolution ein." (4)

Diese Positionen, die die Teile der ehemaligen IAL auch heute noch vertreten, zeigen, wie weit sie vom Trotzkismus entfernt sind. Für Moreno und Co. sind die politisch konterrevolutionären Umstürze in Osteuropa, Jugoslawien, China, Kuba und Vietnam einfach Teil der sozialistischen Weltrevolution, des Weltoktobers.

Diese Umstürze wurden vom Stalinismus durchgeführt wider die Rhythmen und Ausformungen des Klassenkampfes, häufig begleitet von blutigen Vernichtungen von unabhängigen Arbeiterorganisationen. Und ihre allgemeine politische Konsequenz war nicht die revolutionäre Rötung der Weltkarte, sondern die Ausbreitung des sowjetischen Thermidors und der stalinistisch- bonapartistischen Diktatur.

Sie führten also eine gewaltigen Schlag gegen die Weltrevolution und ihre bewußte Vorhut.

Diese stalinophile Position war nicht neu. In den 60er Jahren hatte Moreno die maoistische und guevaristische Guerrilla-Taktik befürwortet. (5) In seinem Buch 'Die revolutionäre Diktatur und das Proletariat' sang er 1979 ein Loblied auf Maos blutige Diktatur und seine bürokratischen Gewerkschaften und behauptete, daß "die proletarische Revolution in China, obwohl angeführt von der Bürokratie, eine kolossale Ausdehnung der Arbeiterdemokratie nach sich zog." (6)

In einem Interview 1985 sagte Moreno: "Für die Arbeiter dieser Länder (China, Jugoslawien und Kuba) waren Mao, Tito und Castro Befreier, weil sie die Ausbeuter vernichteten, das Land aufteilten, Hunger und Analphabetentum beseitigeten, konkret, weil sie die sozialistische Revolution in ihren Ländern führten." (7)

Er erklärte den qualitativen Unterschied zwischen diesen degenerierten Arbeiterstaaten und der UdSSR damit, daß sie Arbeiterstaaten seien, "wo die Massen keine historische Niederlage erlitten hätten wie in der Sowjetunion." (8)

Diese Analyse hat nichts mit Trotzkismus, aber alles mit dem Zentrismus der degenerierten IV. Internationale zu tun.

Der qualitative Sprung in der zentristischen Degeneration der IV. Internationale kam 1951, als der 3. Kongreß Tito zu einem Nicht-Stalinisten erklärte, der die sozialistische Revolution durchgeführt habe und wodurch in Jugoslawien keine politische Revolution mehr nötig sei.

Morenos Position in den 80er Jahren unterschied sich nicht von der Pablos in den 50er Jahren. Die IAL hat wie alle anderen Fragmente der IV. Internationale keineswegs mit dem degenerierten 'trotzkistischen' Zentrismus gebrochen, sondern verfolgt dieselbe zentristische Methode, mit der die Internationale schon vor fast einem halben Jahrhundert Schiffbruch erlitten hatte.

Für diese 'orthodoxen' Marxisten ist die Arbeiterklasse nicht der einzig folgerichtige Agent der eigenen Befreiung; andere Klassenkräfte (Castro, Mao, Tito) können als Ersatz dienen. "Wenn das Trotzkismus ist", würde Lew Dawidowitsch gewiß sagen, "dann bin ich kein Trotzkist!"

Anmerkungen

(1) Programme d'Action de la LST, April 1982, S.1

(2) Working Class Opposition, Juni 1986, S.8

(3) Ebenda, S.31

(4) Ebenda

(5) Unsere Kritik s.Trotskyist International 1, Sommer 1988

(6) D.Karim (N.Moreno), Die revolutionäre Diktatur des Proletariats, Bogota 1979, S.93

(7) Tribune Ouvriere 30, November 1985, S.10

(8) Ebenda, S.8

 


Anhang 3:

Die 'revolutionäre Einheitsfront'

Von 1948 bis 1951 nahm die IV. Internationale systematische zentristische Revisionen am 'alten Trotzkismus' in Bezug auf die programmatische Methode, die Rolle der revolutionären Partei, den Charakter der Perspektiven und die Anwendung von Taktiken vor.

Alle verschiedenen Splitter seit 1953 haben diese zentristischen Revisionen beibehalten und vertieft. Die IAL bildet keine Ausnahme. Von 1985 bis 1992 hat jeder ihrer 4 Weltkongresse die Parteiaufbauperspektiven auf die Bildung einer 'Revolutionären Einheitsfront' konzentriert, die globale Anwendung der morenoschen Methode.

Das internationale Sekretariat der IAL erklärte dieses zentristische Projekt mit Begriffen, die auch dem Munde Pablos, Mandels oder Lamberts seit Ende der 40er Jahre entstammen könnten:

"Die revolutionäre Einheitsfront besteht aus politisch organisatorischen Vereinbarungen auf der Grundlage von programmatischen Übereinstimmungen, die eine gemeinsame Intervention im Verlauf des Klassenkampfs und des Kampfs um die Führung der Massenbewegung gestatten. Die revolutionäre Einheitsfront ist ein Übergangsschritt hin zu einer revolutionären Massenpartei. (...) Die Errichtung einer Masseninternationale wird daher momentan durch die Schaffung von nationalen Arbeiter- und revolutionären Massenparteien vonstatten gehen. Diese Parteien werden möglicherweise nicht trotzkistisch sein, noch werden Trotzkisten die Mehrheit in ihnen stellen außer unter besonderen Umständen. Sie werden halb-trotzkistische Organisationen sein, die zum Trotzkismus neigen, obwohl sie nicht alle diesen Weg einschlagen." (1)

Pablo predigte den strategischen Entrismus in sozialdemokratische, stalinistische und nationalistische Organisationen mit dem Ziel, sie in 'grob geeignete' Waffen in den Händen von Arbeitern zu verwandeln; Mandel riet vielen Sektionen des VS, sich zum Zweck einer fiktiven 'Umgestaltung der internationalen Arbeiterbewegung' aufzulösen; Lambert schmolz seine französische Organisation zu einer Ersatz-'Arbeiterpartei' ein. Genauso wie sie sieht die IAL ihre Strategie zum Aufbau von 'halbtrotzkistischen Organisationen, die nicht alle denselben Weg einschlagen'.

Was wäre passiert, wenn die russischen Massen 1917 nur eine 'halbbolschewistische Partei' gehabt hätten, die nicht den Weg bis zu Ende hätte gehen wollen? Glücklicherweise hatten die russischen Arbeiter einen Lenin und eine bolschewistische Partei und keinen Moreno und die MAS!

Aber auch die argentinischen Arbeiter verdienen eine erstklassige revolutionäre Führung und keine billige zentristische Imitation, die sie auf halbem Weg im Stich läßt. Ein paar Beispiele decken die ganze Tragweite dieser Methode auf, die laut Moreno 'hervorragende Ergebnisse' (2) gebracht hat:

1984 schlug die größte europäische Sektion, die spanische PST, folgende Punkte als Grundlage für eine 'revolutionäre Einheit' mit den Überbleibseln des spanischen Stalinismus vor: Gegen die Monarchie und die reaktionären Einrichtungen! Völlige Unabhängigkeit von Regierung und Sozialistischer Partei! Unterstützung für Selbstbestimmung! Beistand für alle Kämpfer gegen Imperialismus! Für innere Demokratie und demokratischen Zentralismus! (3)

Dieses prinzipienlose Geplänkel wurde von den stalinistischen 'Revolutionären' natürlich mit Verachtung gestraft, die bereits am Verrat einer Revolution 1936 mitgewirkt hatten und gerade der spanischen Bourgeoisie den Übergang zu einer konstitutionellen Monarchie erleichert hatten.

In Frankreich wurde eine Jugendzeitung mit drei Forderungen herausgegeben, die von der Führung als 'trotzkistisch' beschrieben wurden: "Gegen die Regierung! Für die Erfüllung aller Forderungen! Solidarität mit allen im Kampf gegen Imperialismus und Bürokratie Befindlichen!" (4)

Das Fehlen von revolutionärem 'Ballast' machte keinen Unterschied. Das leichtgewichtige reformistische Programm zog die Jugend nicht an, und das Projekt schlief ein.

In Kolumbien war die PST an der Bildung von 'A Luchar' beteiligt, einer Gewerkschaftsfront, die zur Hauptsache Gewerkschaftler einbezog, die mit der M19 und anderen Guerrilla-Gruppen verbunden oder Mitglieder des VS waren.

Moreno behauptete, daß A Luchar ein 'außerordentliches Programm' vorzuweisen habe. (5) Es beschäftigte sich aber nicht einmal mit der Frage der Partei. Dieses Projekt war also keine 'halbtrotzkistische' Partei, es war gar keine Partei!

Nichtsdestotrotz beschloß der Gründungskongreß, daß die PST ihre Presse einstellen und ihre Hauptortsgruppen auflösen sollte. Etwa 18 Monate lang war die PST praktisch von der politischen Bühne abwesend. Die Guerrillaisten verwandelten A Lucher unterdessen in eine klar politische Organisation, die ihren Programmstempel trug.

In Mexiko fusionierte die IAL-Sektion, die Partido Obrera Socialista (POS), mit einer lokalistischen zentristischen Gruppe Nuacapac zur Partido dos Trabajores Zapatistas (PTZ).

Moreno sagte von dieser Organisation, sie habe ein 'ultrarevolutionäres Programm' (6), aber ein Jahr später mußte die IAL wahrheitsgemäß zugeben, daß ihre Sektion 'dem Druck nicht gewachsen war, sich selbst entstellt und ihre politische Unabhängigkeit verloren hatte". (7) Das Programm, mag es auch 'ultrarevolutionär' gewesen sein, war nur Makulatur.

'Ausgezeichnete Resultate' fürwahr! Die 'revolutionäre Einheitsfront' ist die falsche Antwort auf die falsche Problemstellung. Der IAL-Gründungskongreß besagte, daß "die Widersprüche und Schlachten auf der Welt zu einem Ausbruch von revolutionären Mobilisierungen zu praktisch jedem Zeitpunkt und an jedem Ort unseres Planeten führen". (8)

1985 haben sie sich geirrt. Heute irren sie immer noch. Natürlich gibt es überall massive Klassenkämpfe, aber keine 'weltweite revolutionäre Situation'.

Wie lautet die programmatische Antwort der IAL auf diese angeblich revolutionäre Welle? 'Halbtrotzkistische Parteien', politische Kompromisse und organisatorische Liquidationen bis zum Kollaps!

Diese Methode lag dem Aufbaujahrzehnt der IAL und ihrer 30jährigen Vorgeschichte des Morenismus zugrunde.

Alle, die vom Anspruch der IAL auf die 'leninistische Orthodoxie' beeindruckt waren, der in dem Satz 'baut Sektionen in allen Ländern auf' enthalten war, sollten sich überlegen, daß es nicht genügt, irgendeine Art Partei aufzubauen; es bedarf eines prinzipienfesten leninistisch-trotzkistischen Programms, um das sie aufgebaut werden muß.

Anmerkungen

(1) What is do be done? 4(40), Dezember 1984, S.25

(2) Courrier International 2, Oktober 1986, S.11

(3) Tribune Ouvriere, April 1984

(4) LST, Internes Bulletin 3.3.1984

(5) Courrier International 2, Oktober 1986, S.13

(6) Ebenda, S.15

(7) LIT Internes Bulletin, Februar 1987

(8) Tribune Ouvriere, Juli 1988, S.9

 


Anhang 4:

Die IAL und die politische Revolution

Die Antwort der IAL auf den Zusammenbruch des Stalinismus fügte sich nahtlos in ihre sonstige methodische Linie ein. Sie interpretierte jede Bewegung als Ausdruck der objektiven politischen Revolution gegen den Stalinismus.

Diese Bewegung und ihre Führung mußten nur ermuntert werden, noch engagierter zu kämpfen. Dies war die Februar-Phase der politischen Revolution, in der jede menschewistische, ja jede bürgerlich-nationalistische oder klerikalistische Führung genügte.

Die einzige Gefahr erwuchs daraus, daß sich eine solche Führung vielleicht als zu unentschlossen beim Angriff auf die Bürokratie erweisen könnte. Die Gefahr, oder vielmehr die Gewißheit, daß solche Führungen jeden Versuch zur politischen Revolution zunichte machen und ihrerseits die Schleusen für die soziale Konterrevolution öffnen würden, wurde von der IAL weder erkannt noch bekämpft.

Um ihre Ansprüche auf 'Orthodoxie' geltend machen zu können, sagte die IAL stets: "die zentrale Aufgabe ist der Aufbau unserer Partei" (1), aber dieser Satz blieb programmatisch inhaltsleer und wurde auch nicht in den Rahmen eines erbitterten Kampfes gegen die Agenten des Klassenfeindes, die die Massen irreführten, gestellt.

Man brauchte lediglich eine 'massive Solidaritätskampagne mit der politischen Revolution' (2), die sich um 'ein Bündel von Losungen, nicht das vollständige trotzkistische Programm für die politische Revolution' (3) entfalten sollte.

Diese Kampagne von 1988 verlief rein propagandistisch, ohne Aufrufe zur Aktion, und wagte sich nicht weiter als "Volle Demokratie für die Arbeiter und Völker der UdSSR. Sozialismus ja, Bürokratie nein!" (4) Mittlerweile war man schon damit vertraut, daß mit keiner Silbe die politische Revolution unter Führung einer revolutionären Partei oder die Schaffung von unabhängigen Arbeiterräten erwähnt wurde.

Als 1989 in China und Osteuropa politisch revolutionäre Krisen ausbrachen, setzte die IAL ihre Methode fort.

Das Schlüsselproblem in China war für sie anscheinend nicht das bürgerlich demokratische politische Programm der Führung der Demokratiebewegung, sondern allein ihre mangelnde Kühnheit, den Pfad der 'Februarrevolution' einzuschlagen:

"Alle siegreichen Revolutionen haben sich auf das Führungselement, das die Machtübernahme anstrebte, verlassen, z.B. die Sandinistas in Nikaragua oder Khomeini und die Ayatollahs im Iran. Es ist eindeutig keine Angelegenheit einer Führung, die proletarisch, sozialistisch, internationalistisch ist oder der IV. Internationale angehört. Es ist einfach eine Führung mit dem Ziel, die bestehende Regierung zu stürzen, und die weiß, wie man seine Vorteile aus den Chancen des Höhepunkts einer Erhebung ziehen kann." (5)

Dieser passive Optimismus in der Schlüsselfrage der Führung ging einher mit der Weigerung, die Tiefe der Niederlage für die Bewegung durch die Bürokratie zu verstehen, die die IAL als 'begrenzte Niederlage, vorübergehend, und nur an der Oberfläche' charakterisierte. (6) Für die Morenisten schritt die politische Revolution stets voran, selbst unter den Panzerketten von Deng Xiaoping.

Auf dem 3. Weltkongreß im Mai 1990 war die Analyse der IAL über die Folgen des stalinistischen Zerfalls von demselben passiven Optimismus geprägt. "Die Stunde des Trotzkismus hat geschlagen", tönten sie. (7)

Über Osteuropa fege ein revolutionärer Sturm hinweg. Er löse nahezu alle Kernfragen durch spontane Massenaktionen und trieb den revolutionären Prozeß voran. Das IEK gab im Januar 1990 folgende Einschätzung:

"Mit ihrem Kampf bauen die Massen eine neue Macht auf, die, institutionalisiert oder nicht, der Regierung nicht erlaubt zu regieren, und die Front macht gegen die Privilegien der Bürokratie und die Pläne zur Wiederherstellung einer Marktökonomie. Die Arbeiter bauen in der Kampfesglut ihre eigenen Organisationen und revolutionären Führungen auf, und bald werden sie antreten, um ihre Macht durchzusetzen." (8)

Alle Vorkommnisse wurden im Licht dieses objektivistischen Szenarios interpretiert. Nach den Ereignissen im August 1991 in der UdSSR schrieb die IAL: "Der von den Oberschichten des stalinistischen Bürokratenapparates unternommene Staatsstreichversuch rief als Antwort eine wahre demokratische Revolution hervor." (9) Im November 1991 stand im Leitartikel von Correo Internacional: "die einzig ernsthafte marxistische Definition besagt, daß wir vor einer Revolution stehen." (10)

Jelzins Machtergreifung auf diese Art zu beschreiben, war schlichtweg verbrecherisch. Im Gefolge des gescheiterten Putsches entspann sich keine proletarische, sondern eine bürgerliche politische Revolution.

Eine bürgerlich-restaurative Regierung kam an die Macht und schickte sich an, die Wirtschaftsmaßnahmen zu installieren, die bei ihrer völligen Durchsetzung die soziale Konterrevolution zementieren würden.

Natürlich durften Revolutionäre in den Tagen des Putsches der Stalinisten bei der Verteidigung demokratischer Rechte an der Seite von Truppen, die unter Jelzins Befehl standen, nicht zögern. Aber daraus ziehen wir nicht den Schluß, daß sich dort ein Teil des 'Februars der politischen Revolution' oder gar deren Vollendung abgespielt hätte. Diese Linie konnte nur Unterstützung für die bürgerliche politische Revolution bedeuten.

Die Geschehnisse der nächsten Monate entlarvten diese offensichtlich falsche Position, die in dem Resolutionsentwurf für den Kongreß der IAL 1992 einerseits ihre Analyse bestätigte, daß der revolutionäre Sturz des Stalinismus nach 1989 gleichbedeutend war mit der Februar-Revolution, aber auch ausführte:

"Wir erleben einen dritten Abschnitt im revolutionären Prozeß in den ehemaligen Pufferländern. Obwohl es große Unterschiede gibt, scheint es, daß wir es mit einem Aufschwung von defensiven Kämpfen gegen die Sparpläne und die Auswirkungen von Maßnahmen der kapitalistischen Restauration zu tun haben." (11)

Aber die IAL verkündete auch, daß sie kurz vor außerordentlichen Siegen stünde: "Das neue außerordentlich positive Element des gegenwärtigen Stadiums ist die unumkehrbare Krise des Stalinismus, die uns, zusammen mit der Rechtswende des Apparatrests und des Hauptteils der Führungen der Massenbewegungen in eine außergewöhnlich günstige Lage versetzt, den Kampf um diese Vorhut für den Aufbau der revolutionären Partei zu gewinnen." (12)

Dieser passive Optimismus, diese Ergebenheit in den objektiven Prozeß - die Weltrevolution -, der genau jene Aufgaben erfüllen würde, die eigentlich Sache der revolutionären Partei ist, spricht untrüglich für ihren Zentrismus.

Der Zentrismus schiebt den unnachgiebigen Kampf gegen alle Arten von Reformismus oder Zentrismus immer auf die lange Bank. Stattdessen entwirft er eine Perspektive seines eigenen Aufstiegs zur Führung in nicht zu ferner Zukunft. Das Problem ist, daß diese Perspektive wie durch ein Wunder sich ständig weiter entfernt.

Anmerkungen

(1) Courrier International 3, November 1986, S.3

(2) Tribune Ouvriere 53, Oktober 1988, S.22

(3) Ebenda, S.23

(4) Ebenda

(5) International Courier, November 1989, S.12

(6) Ebenda

(7) International Courier, März 1990, S.1

(8) Ebenda, S.10

(9) Coordination Supplement International 2/3, August 1991, S.25

(10) Ebenda, S.45