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Wahlfarce im Irak

Divide et impera

Dave Stockton, Neue Internationale 98, März 2005

In trauter Eintracht feierten Bush und Blair den Ausgang der Wahlen im Irak. Es sei ein "Triumph für Freiheit und Demokratie" gewesen. Beide gratulierten den IrakerInnen dafür, dass sich nicht haben von Terroristen einschüchtern lassen und ihre demokratische "Reife" bewiesen hätten.

Auch die deutsche bürgerliche Presse zeigte sich vom Urnengang beeindruckt. Eine "riesige Wahlbeteiligung" wurde konstatiert, die nur durch den Boykott in den sunnitischen Gebieten gedrückt worden wäre. Offiziell 60% Wahlbeteiligung - eine Zahl, die bei jeder Landstagswahl in der BRD locker erreicht wird - sprechen nicht unbedingt für einen "Demokratiehunger" unter dem Knüppel der Besatzungsmacht. Geflissentlich übergangen wird in der Pro-Besatzungspropaganda, dass sich dieser Prozentsatz auf die Anzahl der registrierten Wahlberechtigten (nicht auf die Größe der Bevölkerung im Wahlalter!) bezieht.

Demokratie unter der Besatzung

Überhaupt stellten die Wahlen eine schönes Beispiel für Demokratie unter Besatzungsstatus dar. Die bürgerlichen Medien, die noch vor Weihnachten über die "undemokratischen Verhältnisse" in der Ukraine lamentierten und sich vor den Karren eine westlichen Kampagne spannen ließen, äußersten jetzt Verständnis für die "schwierigen Bedingungen" und den "Willen" der Besatzer.

Von "freien Wahlen" konnte keine Rede sein. Der Urnengang wurde systematisch manipuliert - und zwar von den Besatzern und ihrem Marionettenregime. Die einzige verlässliche und objektive große TV-Anstalt der arabischen Welt, Al-Jazeera, durfte in Bagdad nicht arbeiten. Auch alle anderen unabhängigen, also nicht direkt von den USA oder dem Regime kontrollierten Medien wurden massiv behindert und eingeschüchtert. Das irakische TV wurde direkt der Regierung Allawi unterstellt. Wahlbeobachter wie der PDS-Vertreter André Brie verzichteten gleich auf ihre Fahrt nach Bagdad, weil klar war, dass sie dort ohnedies nichts ausrichten konnten.

Versammlungs- und Redefreiheit gab es während der Wahlkampagne selbst für die Mehrzahl der KandidatInnen, die sich an der Wahlfarce beteiligten, nicht. Viele Kandidaten existierten auch nur auf den Wahllisten, machten nie einen Wahlkampf und dienten i.w. als pluralistische Dekoration.

Alle Parteien, die der Sympathie mit dem Widerstand verdächtig waren, wurden einfach von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen. Jene zur Wahl antretenden Parteien, die einen Abzug der US-Truppen fordern, mussten auf Druck der USA jede Forderung nach einem Bestimmten Datum für den Abzug fallenlassen - und alle ließen sich auch auf einen solchen Kuhhandel ein!

In Falludjscha wurden die Wahlurnen in Versorgungsstationen aufgebaut, wo die Zuteilung von Wasser, Nahrungsmittel und Geld an die Wählerregistrierung und die Wahl gebunden wurde.

Es ist klar, dass die Bevölkerung in den sunnitischen Gebieten die Wahlen boykottierte - nicht wegen der Einschüchterung durch Widerstandkämpfer, sondern trotz der Einschüchterung durch die US-Besatzer und das Marionettenregime Allawis.

Selbst der US-Nachrichtensender NBC - sicher nicht pro-irakischer Positionen verdächtig - berichtete, dass in Ramadi nur ein Prozent der Bevölkerung an den Wahlen teilnahm, darunter auch die irakischen Regierungstruppen. In Samarra und Falludjscha waren die Wahllokale ebenfalls verwaist.

Ende der Besatzung?

Die USA, Britannien und ihre Alliierten haben zur Zeit 150.000 Soldaten im Irak. Hinzu kommen rund 20.000 private "Sicherheitskräfte". Die Besatzer planen mit einem Jahresbudget von 50 Mrd. Dollar für die Besatzung. Im Irak haben sie zur Zeit vier permanente Militärstützpunkte. Zehn weitere sind geplant. Die US-Botschaft ist das wirkliche Machtzentrum im Land - und wird es unabhängig von der nächsten Regierungskoalition auch bleiben.

Der Staatsapparat im Irak ist also über Jahre wesentlich von Besatzungstruppen gestellt. Die Polizei und der "eigene" Repressionsapparat wird von den imperialistischen Beratern im Land oder von anderen westlichen Staaten - darunter auch vom "Kriegsgegner" BRD - trainiert und aufgebaut.

Die "unabhängige" Regierung ist aber auch in vieler anderer Hinsicht ganz abhängig. Die USA kontrollieren auch das Budget für den "Wiederaufbau", das aus dem Ölexport gespeist wird. Rund 9 Mrd. US-Dollar flossen bis jetzt auf die Konten von US-Konzernen, die den Irak aufbauen. Kurz: unter dem Besatzungsregime findet eine gigantische Umverteilung des Eigentums an den wichsten Rohstoffen des Landes statt.

Weitere 16 Mrd. Dollar sind von der US-Verwaltung für Ausgaben vorgesehen, die weder Militär noch Wiederaufbau betreffen - eine Riesensumme, um sich willfährige Kollaborateure und Unterstützer zu kaufen.

Als US-Besatzungschef Paul Brenner die formelle Regierungsmacht an Allawi übergeben hatte, wurde auch vereinbart, dass weder die Regierung noch irgendein zukünftiges Parlament die "Übergangsverordnungen" (insgesamt rund 100 Erlasse) der US-Besatzer ändern könnten, sondern als festen Rechtsbestand akzeptieren müssten. Diese Verordnung legt u.a. die Besteuerung ausländischer Investoren, den freien Zugang für imperialistische Konzerne auf dem irakischen Markt, die Privatisierung irakischen Staatseigentums usw. fest.

Bremer hatte damals nicht nur die Übergangsregierung eingesetzt, sondern auch den irakischen Staatsapparat "umgebaut". Die US-Besatzer bestimmten das neue Personal an den Gerichten, in den Ministerien usw. Das nun gewählte irakische Parlament kann zwar Minister ernennen und austauschen, es darf jedoch das Personal der Ministerialbürokratie, also den Staatsapparat bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Dezember nicht selbstständig ändern.

Wahlausgang

Trotzdem ließ der Wahlausgang noch immer für die USA und ihre Verbündeten zu wünschen übrig. Die schiitische Vereinigte Irakische Allianz gewann rund 48% der Stimmen. Die Kurdische Allianz rund ein Viertel. Allawis Liste, die von den US bevorzugt wurde, erhielt trotz (oder wegen) ihrer unmittelbaren Nähe zu den Imperialisten gerade 14%. Sunnitische Kandidaten wurden wegen des Wahlboykotts kaum gewählt. Kräfte die wie Irakische KP, die sich ebenfalls den Besatzern verschrieben hatten, erhielten bei den Wahlen so gut wie keine Unterstützung.

Die USA und Britannien mussten, um die "Basis" ihrer Besatzungsmacht zu verbreitern, wichtige Konzessionen an die schiitische Geistlichkeit unter Großayatollah Ali Sistani machen, um in die Widerstandsbewegung einen Keil entlang religiöser Linien zu treiben.

Nur so konnten Bush und Blair die Wahlen als Zustimmung für die US-Politik präsentieren. Natürlich ist das zynischer Unfug.

Islamisten

Dieser Pakt mit Ali Sistani ist durchaus von Bedeutung. Er verweist darauf, dass die Vertreter der sunnitischen Minderheit, die seit der Staatsgründung den Irak dominierten, an den Rand gedrängt werden.

Für die konservativen schiitischen Kleriker um Ali Sistani, welche die Klasseninteressen von Großgrundbesitzern sowie Handelskapitalisten vertreten, war der Griff zur Macht zu verlockend, als dass sie das Bündnis mit den Besatzern abgelehnt hätten, auch wenn sie die Macht mit den kurdischen Nationalisten werden teilen müssen.

Dass damit auch die Grundlage für einen erneuten konfessionellen oder nationalen Konflikt gelegte wurde, der zum Bürgerkrieg eskalieren könnte, ist für die US-Besatzer gegenwärtig zweitrangig.

Schließlich lag der Annäherung an Ali Sistani zugrunde, dass der irakische Widerstand im letzten Herbst zu einer immer größeren Gefahr für die Besatzung geworden war und ein Bündnis radikaler Schiiten mit den verschiedenen sunnitischen Widerstandsgruppierungen drohte, als beide gemeinsam bewaffnet gegen die US-Besatzer vorgingen.

Die Besatzungskräfte unternahmen alles, um diese Kräfte zu spalten: Provokationen, Attentate, Brandanschläge auf Moscheen ... Das allein hätte aber nicht ausgereicht. Sie brauchten eine strategische Lösung, sprich ein Bündnis mit der Elite der schiitischen Bevölkerungsmehrheit, um die imperialistische Dominanz auf sichere Beine zu stellen.

Die konservativsten Führer der Schiiten sollten an die "Macht", also in die Regierung gebracht werden. Jetzt sollen die irakischen Massen den Preis für dieses Bündnis zahlen.

Die einzige Möglichkeit, um das zu verhindern, liegt im Kampf gegen die Besatzung und in der Vertreibung der Imperialisten!

Das Wahlausgang bestätigt aber auch, dass die Vertiefung der nationalen und religiösen Spaltung des Landes eine reales Problem ist. Es zeigt, dass der Guerillakampf, auch wenn er sich auf Massenunterstützung in den sunnitischen Gebieten stützen mag, keine strategische Lösung ist, diese Spaltung zu überwinden und eine gemeinsame Widerstandbewegung in den sunnitischen, schiitischen und kurdischen Gebieten aufzubauen - also die Spaltungsstrategie der Imperialisten zu unterlaufen.

Die Lösung ist der gemeinsame Klassenkampf. Natürlich würde das auch bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer einschließen müssen. Schließlich ist und bleibt der Irak eine Art Militärdiktatur. Es sind die Besatzer, die in den wichtigsten Städten und Regionen die Staatsmacht ausüben und auch weiter ausüben werden. Das trifft gerade auf die sunnitischen Gebiete zu.

Aber im Norden und Süden des Landes sowie in den schiitischen Teilen Bagdads, in den Ölfeldern des Südens kann und muss der Widerstand die Form von Massenaktionen auf den Straßen und in den Betrieben annehmen.

Arbeiterpartei

Der Wahlausgang bietet auch die Gelegenheit, den Massen, vor allem den ArbeiterInnen und der Armen in den Städten vor Augen zu führen, dass die Islamisten nur eine reaktionäre Kraft darstellen, die den Widerstandskampf spaltet, die Frauen, Intellektuelle, die Jugend und die Arbeiterklasse unterdrückt. Der Wahlausgang bietet auch die Gelegenheit, das Versagen des bürgerlichen Nationalismus zu zeigen. Die Abspaltung der Ölarbeiter von der offiziellen Gewerkschaft im Südirak wäre ein wichtiger Ausgangspunkt für die Schaffung einer neuen Arbeiterpartei.

Die gegenwärtigen Bedingungen bieten die Chance, eine unabhängige, politische Kraft der Arbeiterbewegung, eine Arbeiterpartei aufzubauen, die sozialistisch und revolutionär sein muss. Es muss eine Partei sein, die für die Vertreibung der Besatzer kämpft und dafür, die Ressourcen des Landes unter einer Arbeiter- und Bauernregierung zu nutzen, um die Infrastruktur im Interesse der Bevölkerung wieder aufzubauen. Es müsste eine Partei sein, die eine freiwillige Zusammenarbeit aller religiösen und nationalen Gruppierungen im Irak herstellen will - was auch bedeuten muss, dass Recht aus Selbstbestimmung der KurdInnen zu verteidigen.

Eine solche Partei müsste von Beginn an internationalistisch sein. Sie muss ihren Kampf mit dem der PalästinerserInnen und allen anderen progressiven Kräften im Nahen und Mittleren Osten sowie mit der Anti-Kriegsbewegung im Westen verbinden.

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Nr. 98, März 2005

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