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Kritik des ASG-Programms

Reformistischer Wunschzettel

Rex Rotmann, Neue Internationale 98, März 2005

Ein erheblicher Teil der ASG-Führung, von der dieser Programmvorschlag stammt, kommt aus dem organisierten Reformismus. Auf die deshalb nahe liegende Frage, warum der Neoliberalismus sich auch in der Politik der SPD immer mehr ausbreiten konnte, gibt das ASG-Programm trotzdem keine wirkliche Antwort. Die Politiker hätten sich "durch die Liberalisierung der Finanzmärkte … selbst entmachtet". (S. 4) "Die Politik" habe zur Massenarbeitslosigkeit geführt. Die Ursache der sozialen Probleme, der Grund für den Generalangriff mit Agenda 2010, Hartz IV usw. liegt also nicht in der Krise des Kapitalismus und seiner ökonomischen Basis, sondern nur in falscher Politik. Lenin hingegen schrieb dagegen einmal, Politik sei nur der "konzentrierteste Ausdruck von Ökonomie". Aber wer ist schon Lenin?!

Aus der falschen Sicht auf die Ursachen der Misere leitet das ASG-Programm dann auch flugs seine Alternative ab. Diese besteht im Kern darin, den Kapitalismus mittels einer anderen Politik zu reformieren, um dessen neoliberale "Auswüchse" zu beseitigen. Von einer Überwindung des Kapitalismus - auf welchem Weg auch immer - ist nirgends die Rede. Ziel ist ein sozial, ökologisch usw. "gezähmter" Kapitalismus mit Privateigentum, Marktkonkurrenz und Staat.

Staatsfrage

Reformen sollen per Parlament - deshalb die Orientierung auf Wahlen - "Politik werden" und vom Staat umgesetzt werden. Dabei "übersieht" das Programm jedoch einige Wesenseigenschaften des bürgerlichen Staates. Er ist erstens kein neutrales Organ für Ausgleich und soziale Wohlfahrt, sondern in erster Linie Machtinstrument des Kapitals zur Durchsetzung seiner Klassenherrschaft. 2. war der "Sozial"staat immer auch mit der Reproduktion, ja Vertiefung krassester sozialer Ungleichheit verbunden. Schließlich ist der bürgerliche Staat ein repressives, bürokratisches Monstrum, das oft höchst inneffizient ist und zudem eine wirkliche demokratische Teilhabe - MarxistInnen würden von Machtausübung sprechen - der Massen weitestgehend ausschließt.

Wenn die AutorInnen des ASG-Programms also glauben, den Kapitalismus durch den bürgerlichen Staat zähmen zu können, dann wollen sie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Der bürgerliche Staat ist schließlich kein braves Hündchen, das auf den Zuruf reformistischer Weltverbesserer apportiert.

Das ASG-Programm sieht das Problem des Erodierens des Sozialsystems vor allem darin, dass der Staat zu wenig Einnahmen und deshalb zu wenig zu verteilen habe. Auch hier werden nicht etwa die Logik des Kapitalismus und seine Krisenhaftigkeit - fallende Profitraten, stärkere globale Konkurrenz, niedriges Wachstum, Überproduktion usw. - als Ursache "leerer Staatskassen" angesehen, sondern falsche, neoliberale, "kurzsichtige" Politik.

"Die Steuergesetze müssen so gestaltet werden, dass … international tätige Unternehmen möglichst wenig Möglichkeiten der Steuervermeidung … haben. Betriebsprüfungen sind zu verstärken." (11) Schön und gut. Doch wer kontrolliert? Bürgerliche ExpertInnen oder LohnarbeiterInnen? Auch Kassenfragen sind Klassenfragen.

Das Programm unterstellt hier auch, dass Steuervermeidung illegal erfolgen würde, doch der undurchschaubare Wust des Steuerrechts ist ja gerade dazu da, den Kapitaleignern legale Schlupflöcher zu geben. Schließlich: Was passiert, wenn ein Konzern wegen zu hoher Steuern ins Ausland abwandert? Wer kann ihn daran hindern, ohne in seine Eigentumsrechte einzugreifen?!

Wie andere - zuweilen durchaus richtige - Vorschläge des ASG-Programms, bleiben sie nur fromme Wünsche. Es wird weder gesagt, welche realen Hindernisse den schönen ASG-Reformen im Wege stehen - z.B. so eine Kleinigkeit wie das Privateigentum an Produktionsmitteln - noch erfährt der interessierte Leser, wie und von wem - von welcher Klasse - die Vorschläge umgesetzt werden sollen.

Um die Sozialausgaben schultern und die lahmende Konjunktur wieder anzukurbeln, wird "kurzfristig eine höhere Kreditaufnahme nötig … um Krisen zu überwinden und einen Aufschwung einzuleiten." (8) Solcher Keynesianismus prägte die Wirtschaftspolitik der Nachkriegsjahre. Doch schon seit den 1970ern wurden die konjunkturellen Effekte immer geringer und das Haushaltsdefizit dafür umso größer. Gründe dafür waren u.a. die immer stärke Globalisierung, welche dem eher nationalstaatlich orientierten Keynesianismus gleichsam den Boden unter den Füßen entzog - worauf die Neoliberalen genüsslich und durchaus mit gewisser Berechtigung hinweisen. Die fallenden Profitraten führen dazu, dass die konjunkturellen Aufschwünge immer flacher ausfallen und damit das Ausgleichen der in der Krise gemachten Staatsschulden immer unmöglicher wird.

Der Keynesianismus als bürgerliches Krisenmanagement ist gescheitert. Das hindert Reformisten wie Mitautor Joachim Bischoff jedoch nicht, dieses untaugliche Rezept erneut zu verschreiben.

Die Frage der Macht

Ohne die Verfügungsgewalt der Bourgeoisie über die Produktionsmittel zu brechen, lässt sich keine wirklich grundsätzliche Reform durchsetzen oder langfristig sichern. Die Aushöhlung und letztlich bewusste Demontage des "Sozial"staats ist ein Beispiel dafür, wie die Kapitalisten ihre Krise auf Kosten der Lohnabhängigen lösen wollen - mittels ihres Staates!

Doch gerade die Grundlage der Macht der Bourgeoisie - das Privateigentum und die Ausbeutung fremder Arbeit - stellt das ASG-Programm nicht in Frage. Es heißt zwar "ASG engagiert sich … für die Demokratisierung der Wirtschaft." (17), doch was das konkret heißt, steht nicht im Programm, jedenfalls nicht dem der ASG. Insofern ist es noch rechter und inkonsequenter als frühere reformistische Programme, die z.B. begrenzte Verstaatlichungen forderten.

Bei aller Fokussierung auf den "Sozial"staat fällt ganz unter den Tisch, dass soziale und demokratische Rechte zuallererst Errungenschaften des Klassenkampfes des Proletariats waren und sind. Wenn das stimmt, müssen sich gerade ASG-Führungsleute wie der IGM-Funktionär Klaus Ernst fragen, wie es passieren konnte, dass ihre eigene millionenstarke Gewerkschaft es zulassen konnte, dass den Lohnabhängigen nicht nur die Butter, sondern vielleicht auch bald das Brot von Kapital und Regierung genommen wird? Warum funktioniert die "Gegenmacht" der organisierten Arbeiterbewegung nicht - jetzt, wenn es darauf ankommt?!

Keine Antwort ist auch eine Antwort

Jedes Programm, das etwas taugen soll, muss diese Frage heute beantworten und Lösungsvorschläge machen. Dass der Generalangriff von Rot/Grün trotz Großdemos und einzelner Streiks bisher fast widerstandslos durchkam, hat mehrere Gründe, die das Programm aber nicht reflektiert.

Die Führungen der Gewerkschaften haben keine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus. Sie halten den Nachkriegsboom und die durch ihn ermöglichte Sozial"partnerschaft" nicht für die Ausnahme, sondern die Regel. Sie akzeptieren wie ihr reformistisches Pendant, die SPD-Spitze, die Spielregeln des Kapitalismus. Diese Akzeptanz der bürgerlichen Logik führt Sommer im Prinzip zu denselben Schlüssen wie Schröder, nur dass der DGB-Chef die Reformen natürlich "sozial ausgewogener" haben möchte - immerhin hat er direkter mit der sozial geprellten Basis zu tun als der SPD-Chef.

Was empfiehlt uns das ASG-Programm? Reformierter Kapitalismus mit leicht modifizierten Spielregeln. Bezeichnend ist dabei, dass die politische Methode des ASG-Programms objektiv zu denselben Schlüssen führt und führen muss, die auch das neoliberale "Umkippen" der SPD kennzeichnet. Folgendes Programm-Zitat lässt ahnen, was eine Bundesregierung mit ASG-Beteiligung in der Praxis, unter dem Druck des Kapitals machen würde. "Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit drängt zu Arbeitszeitverkürzungen in großem Stil, auch wenn dies vorübergehend zu Lasten möglicher Lohnerhöhungen geht." (12) Da ist es, das VW-Arbeitszeitmodell eines Managers Namens Hartz! "Um beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzung zu fördern, kann es … Aufgabe des Staates sein, … einen Teil des Einkommensausgleichs zu finanzieren." (12) Da wird sich der BDI aber freuen, wenn der Staat einen Teil der Lohnkosten der Konzerne übernimmt.

Die jahrzehntelange Einbindung und Unterordnung der Arbeiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft und deren Verwertungsmechanismen (Mitbestimmung, Standortlogik etc.), die Entpolitisierung durch eine einseitige ökonomisch-tarifliche Ausrichtung, die Minimierung politischer Debatte und demokratischer Rechte durch Unvereinbarkeitsbeschlüsse, Fraktionsverbote usw. haben eine monolithische, unlebendige, unselbstständige Basis erzeugt. Das führte dazu, dass im Angesicht der Offensive des Gegners und der Untätigkeit der DGB-Führung wenig eigenständige Mobilisierungsstrukturen der gewerkschaftlichen und betrieblichen Basis unabhängig oder gar gegen die Bürokratie existieren.

Wozu rät das ASG-Programm? Zum alten Mitbestimmungs-Tralala, zum Interessenausgleich, für mehr "Gerechtigkeit" zwischen Millionären und Millionen! Kein Wort der Kritik an der fatalen Politik der Gewerkschaftsführungen! Kein konkreter Vorschlag, was in dieser Situation zu tun wäre! Keine klaren Aktionsziele! Keine Aussage dazu, wie der Widerstand organisiert werden kann!

Auf den Massen-Demos gegen die Agenda tauchte tausendfach die Forderung nach Streiks, ja nach einem Generalstreik auf. Was haben die ASG-Vordenker dazu zu sagen - nichts! Die entscheidende Frage, welche Struktur, welches Programm, welche Kampfformen momentan notwendig sind, um zunächst wenigstens die kritischen und kampfbereiten ArbeiterInnen zu sammeln und zum Initiator einer Massenbewegung gegen die Agenda-Politik zu machen - für die AutorInnen des ASG-Programms ist diese Frage keiner Behandlung wert.

Umso mehr buhlen sie um Gunst und Mitgliedschaft von großen KämpferInnen wie Frau Süßmuth oder der Polit-Rentner Blüm von der "linken" CDU. So zahm das ASG-Programm auch ist, diese Leute werden nicht zur ASG kommen - wir wollen es jedenfalls hoffen. Doch jene "Nichtprominenten, die gegen Agenda und Hartz auf der Strasse waren, die gegen Entlassungen gestreikt haben - denen bietet das ASG-Programm nichts, was sie in der Praxis gebrauchen können.

Friedlicher Imperialismus?

Wenn das ASG-Programm den Kapitalismus sozialer machen kann, warum dann nicht auch den Imperialismus? Man nehme einfach Institutionen wie WTO und IWF, die der Imperialismus zur Ausplünderung und Beherrschung der Welt geschaffen hat. Dann müssen diese nur noch "demokratisiert und reformiert werden." (25) Das Ganze wird noch mit ein paar Wünschen nach Schuldenminierung usw. garniert - und schon ist aus dem Bock ein Gärtner geworden. Nur, ob der Imperialismus das mit "seinen" Agenturen einfach so machen lässt und wie und durch wen …

Immerhin: dass die imperialistische Weltbeherrschung ganz friedlich abgehen könnte, glauben selbst die ASG-Programmierer nicht. Deshalb sind bei "kriegerischen Auseinandersetzungen (...) nur internationale, völkerrechtlich legitimierte Gremien entscheidungsbefugt." (26) Die UN müsse deshalb "gestärkt und mit Sanktionsrechten ausgestattet werden." (27) Demnach war also das Hunger- und Erpressungsembargo der UNO gegen den Irak, das unzählige Opfer forderte, die soziale Struktur des Landes ruinierte und es für Bushs Truppen sturmreif machte, o.k.? Der gerechte bewaffnete Widerstand der IrakerInnen gegen die imperialistischen Besatzer wäre hingegen falsch, weil nicht von der UNO gedeckt?

Hat die UNO - ein undemokratisches Konstrukt der kapitalistischen Führungsmächte - je auch nur einen einzigen imperialistischen Raubkrieg verhindert? Im Gegenteil: nicht wenige Interventionen zur Beherrschung der Welt hatten nicht nur den Segen, sondern die Unterstützung der UNO!

Auf die Frage, warum die größte Anti-Kriegs-Bewegung der Geschichte dennoch den Irak-Krieg nicht verhindern konnte, haben die Weltverbesserer des ASG-Vorstands statt einer Antwort nur die vage Hoffnung in die UNO parat. Wie naiv muss man eigentlich sein, um ein reformistisches Parteiprogramm schreiben zu können?!

Die ASG war angetreten, den neoliberalen "Umbau" der Gesellschaft" zu stoppen und eine gesellschaftliche Alternative zu weisen. Ohne Frage: dieses Anliegen ist vielen Mitgliedern Herzenssache. Doch der Vorschlag des Vorstands der ASG gibt diesen Mitgliedern programmatisch nichts anderes in die Hand als reformistischen Plunder und illusorische Rezepte von anno dunnemals. Seine programmatische Alternative zur Schröder-SPD ist die SPD-Politik der 1950er und 60er. Während Schröder jedoch schon am neoliberalen Ende des politischen Entwicklungsweges des Reformismus angelangt ist, will der ASG-Vorstand denselben Weg noch einmal von vorn wiederholen - unter Bedingungen, die diesen Versuch noch illusorischer machen als früher. Soll nicht die ganze ASG in einer reformistischen Sackgasse enden, muss dieser Programmvorschlag gekippt werden!

Der "Programm" genannte Reform-Wunschzettel kann in der Substanz nicht verbessert, sondern nur abgelehnt werden. Er muss durch ein Programm ersetzt werden, das aufzeigt, wie die aktuellen Angriffe des Kapitals gestoppt und mit der Frage des Sturzes des Kapitalismus verbunden werden können. Nötig sind klare Aktionslosungen, klare Vorschläge, was zu tun ist und nicht nur schöne Visionen. Nötig ist ein Programm für den Sozialismus und nicht eines für einen besseren Kapitalismus! Diesem Anliegen dient der Programmvorschlag der Arbeitermacht!

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Nr. 98, März 2005

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*  EU-Dienstleistungsrichtlinie: Lohndrücker Bolkestein
*  Baskenland: Stoppt die Repression!
*  Siemens: Entlassungen trotz Rekordgewinn
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*  Politisch-ökonomische Perspektiven: 2005 - ein Jahr der Entscheidung?
*  Kritik des ASG-Programms: Reformistischer Wunschzettel
*  Soziale Unterdrückung: ASG und Frauenbefreiung
*  ASG-Spitze: Hände weg von den Linken!
*  SAV-Programmvorschlag für die ASG: Alternative oder Flickwerk?
*  Wahlfarce im Irak: Divide et impera