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Hartz IV und Frauen

Zwischen Herd und Billigjobs

Richard Grün, Neue Internationale 93, September 2004

Die Hartz- Gesetze und der neoliberale Umbau der Gesellschaft bedeuten für die Mehrheit der Frauen nichts Gutes. Eine durch die Klassenverhältnisse arbeitsteilige und sozial differenzierte Gesellschaft hat die Tendenz, ihre Krisen auf traditionell sozial und historisch besonders Unterdrückte abzuwälzen. Diese tragen dann die Hauptlast der "Krisenbewältigung".

Dies trifft besonders auf die Situation der Frauen durch die Hartz-Gesetze zu. Hartz und Agenda verstärken die gesellschaftlichen Ungleichheiten, indem sie auf historisch und sozial arbeitsteiligen, geschlechtsspezifischen Rollen zurückgreifen. Dieser Prozess ist jedoch durchaus widersprüchlich. So gibt es unter den Frauen, je nach ihrer sozialen Stellung, durchaus "Modernisierungsgewinnerinnen". Aber ihre Chance, die Kommandohöhen der Ausbeutungs- und Herrschaftshierarchien erfolgreich als Unternehmerinnen, Akademikerinnen usw. zu erklimmen, ist nach wie vor gering. Für die Mehrheit der berufstätigen Frauen trifft immer noch zu, das sie in geschlechtsspezifischen Berufen arbeiten, Zuverdienerinnen sind, in Teilzeit- und Minijobs abgedrängt werden. Das zeigt folgender Vergleich. Während in den Call-Centern in den Jahren 1997 bis 2002 der Anteil der neu beschäftigten Frauen auf 90% stieg, sank ihr Anteil im gleichen Zeitraum bei den höher qualifizierten IT-Berufen um 4%.

Heute finden Frauen immer schwerer einen Vollerwerbsjob. Das zeigt sich signifikant an den Arbeitszeitvolumina erwerbstätiger westdeutscher Frauen. Im Durchschnitt arbeiteten sie 1960 noch 43 Stunden pro Woche und lagen damit knapp 5 Stunden unter dem ihrer männlichen Kollegen. Heute liegt ihr Arbeitszeitvolumen bei etwa 29 Stunden. Über 30 % der erwerbstätigen Frauen arbeiten unter 20 Stunden pro Woche und können sich damit nicht eigenständig ökonomisch absichern. Tatsächlich sind ca. 75% der Teilzeitbeschäftigten - und damit etwa 5,5 Millionen - Frauen. Durch die Hartz-Gesetze, die Schaffung von Mini- und Midijobs und die verschärfte Anrechnung von Partnerschaftseinkommen wird sich der Druck auf erwerbslose Frauen erhöhen, Teilzeitjobs annehmen zu müssen. Der überwiegende Teil derjenigen, die nächstes Jahr kein ALG II bekommen, sind Frauen, deren Partnereinkommen die Bemessungsgrenze von 850 bis 1200 Euro überschreiten. Diese Frauen sind gezwungen, jeden Job anzunehmen, um die Einkommensverluste auszugleichen.

Auch dadurch, dass Frauen länger arbeitslos sind (im Westen durchschnittlich 39 Wochen, im Osten sogar 48 Wochen) als ihre männlichen Kollegen (31 Wochen), erhöht sich der Druck enorm. Aber das Hineingedrängtwerden von Frauen in Minijobs beschränkt sich nicht auf die Erwerblosen allein. So berichtet ver.di, dass über 100.000 Vollerwerbsjobs im Einzelhandel in Minijobs umgewandelt wurden. Eine ähnliche Tendenz ist in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor festzustellen. Also v.a. in den Bereichen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten. Für die Unternehmer sind diese Jobs ein gefundenes Fressen, da diese für sie Steuererleichterungen und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse bedeuten. Für die Frauen aber bedeutet das ungesicherte Beschäftigung, die sie der Willkür der Kapitalisten aussetzt. So gibt es keinen Kündigungsschutz, keine Rentenanrechnung bei Mini-Jobs.

Es ist gängige Praxis, Arbeiterinnen unzählige Überstunden arbeiten zu lassen. Da die Überstunden nicht ausgezahlt werden dürfen, werden sie auf ein Freizeitkonto gestellt, von dem zur Finanzierung von bezahlter "Freizeit" oder "Krankengeld" die entsprechenden Stunden wieder abgebucht werden.

Die soziale Prekarisierung von Frauen hat das Ziel, eine "marktgerechte Lohnspreizung" durchzusetzen, die "die Kultur des Dienens und Bedientwerdens fördern soll", wie es die bayrisch-sächsische Zukunftskommission formuliert. Eine Kultur, welche die sexistische Kultur des "Dienens" befördert, ist die wenig erbauliche Vision, die Hartz für viele Frauen bereit hält.

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Nr. 93, September 2004

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*  Hartz IV und Frauen: Zwischen Herd und Billigjobs
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