Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Michael-Moore-Film

Fahrenheit 9/11

Alice Berg/Frederico Valdez, Neue Internationale 93, September 2004

Bei einer Temperatur von Fahrenheit 451 beginnen Bücher zu brennen. In Francois Truffauts gleichnamigem Film ist eine Armee von Feuerwehrmännern ständig unterwegs, um verbotene Bücher abzufackeln.

Herrschaftssicherung mittels moderner Scheiterhaufen.Geglaubt werden soll, was über den Bildschirm flimmert. Bei Fahrenheit 9/11 rauchten die Twin Towers und die Fernsehbilder brannten sich weltweit auf die Netzhaut der Zuschauer.

Moores Doku

Sie sind weit weg und doch mitten drin. Das Paradoxon des Fernsehens. Moores Dokumentarfilm entlarvt einmal mehr, was der Unterschied zwischen Wahrnehmen und Begreifen ist. Mit seiner Montage aus Nachrichtenmaterial, Interviews und bissigen Kommentaren zeichnet er die Spuren der Saudi-Connections des Bush-Clans nach. Die Saudis, so Moore, seien letztlich auch die Finanziers des Terrors von Bin Laden und der Irakkrieg eine einzige Spurenverwischung.

Den Spuren des Wahlbetrugs folgt Moore gleich zu Beginn seiner Fernsehbild- Montage. Wahlmanipulation und die Unterstützung der Demokraten, die in ihrer Konsequenz im "Patriot Act" endeten. Was soviel heißt wie die Demokratie mit Füßen treten und die Medien gleichschalten. Auch wenn Moore in einigen Sequenzen Polemik, Suggestion und taktische Unschärfe vorgeworfen werden kann: Fahrenheit 9/11 ist dennoch ein politischer Dokumentarfilm. Politisch, wenn er den "Patriot Act" entlarvt.

In dessen Namen verschwanden die Bilder von den Särgen der im Irakkrieg getöteten GIs. Die Bilder der Opfer und heimgekehrten Kriegskrüppel wurden ebenfalls aus der Medienlandschaft verbannt. Noch etwas spielt sich vor den Augen des Zuschauers ab: Der Protest von schwarzen Repräsentanten im Abgeordnetenhaus. Sie werfen Bush die Listenstreichung von schwarzen Wahlberechtigten vor. Vor laufender Kamera wird das abgeschmettert. Kein weißer Senator hatte diesen Anträgen zugestimmt. Und wie mag erst dieser "Patriot Act" zu stande gekommen sein?

Moore lässt einen Abgeordneten gestehen, dass er und die meisten seiner Kollegen die dem Gesetzesentwurf zugestimmt haben, ihn gar nicht kennen. Nur gut, dass hier ein Journalist am Werke ist, der sich nicht nur hinter der Kamera versteckt. Mit einem Megaphon in einem Kleinbus umrundet er das Repräsentantenhaus und liest den Abgeordneten kurzerhand den Gesetzesentwurf vor. Soviel investigativer Journalismus muss sein. Er führt den Amerikanern vor, die ohnehin kaum Bilder zu Gesicht bekommen, was es heißt, ein embedded reporter mitten im Irakkrieg zu sein.

Als der Krieg begann, versagten sich nur wenige Medien dem allgemeinen Beifall. Zu den ersten Kriegsopfern gehörte die Berichterstattung. Moore selbst geht darüber hinaus, er ist offen parteiisch. Das werfen ihm einige Dokumentarfilmer vor.

Aber wenn man die Dokus mancher deutschen FilmemacherInnen sieht, ihr peinliches Bemühen, dem Sowohl-als-auch Rechnung zu tragen; wenn man ihre Interviews mit Zeitzeugen, denen die Antworten schon in den Mund gelegt werden, sieht ("Finden Sie nicht auch, dass..?") - "Objektivität" auf dem Niveau von Zweitliga-Berichten. Dem setzt Moore Engagement entgegen. Er befragt Abgeordnete zu ihrer Bereitschaft, ihre Kinder in den Irak zu schicken. Er liest ihnen ihre eigenen Gesetze vor, so wie er in "Bowling for Columbine" mit den gelähmten Opfern der Schießerei den Chefs der Supermarktkette die Patronen zurückbringt. Filmen wird zur Aktion.

Welche Perspektive gibt der neue Moore-Film? Auch wenn er klar gegen Bush ist, so ist er kein direkter Werbefilm für die Demokratische Partei. Als einfach erbärmlich wird deren Rolle bei Bushs "Wahl" und gegenüber dem Krieg dargestellt. Moore ist ein radikaler bürgerlicher Demokrat im eigentlichen Sinne Wortes.

Die Grenzen des Films

In "F 9-11" geht seine Radikalität soweit, die Legitimität des Systems in Frage zu stellen. Eine Alternative hat er freilich nicht. Daher bleibt seine “Kritik” letztlich auch im aufklärerischen Gestus stecken. Das System wird in Frage gestellt, um schließlich doch nur daran herumzudockern. Die demokratische Partei, die schon in “stupid white man”, entlarvt wird, wird - wie schon in seinen Büchern - doch wieder zur “Partei des kleineren Übels”. Hauptsache, Bush ist weg. Hauptsache sein Kabinett geht.

Kurzum, Moore bleibt bei aller filmischen Innovation, letztlich im Rahmen des altens Spiels der US-Politik. Unter zwei Kapitalistenparteien muss der radikale Kleinbürger das “kleinere Übel” - die alte Sklavenhaltertruppe der Demokraten - wählen.

Die Opfer der Bush-Politik bleiben letztlich doch nur “Opfer”. Eine kollektive Perspektive, eine Perspektive der Organisierung der Arbeiterklasse und Unterdrückten jenseits jeder bürgerlichen Bevormundung weist der Moore-Film nicht.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 93, September 2004

*  Montagsdemos: Weg mit Hartz!
*  Hartz IV: Minilohn und Maxizwang
*  Hartz IV und Frauen: Zwischen Herd und Billigjobs
*  Neues Fiasko der IG Metall: Daimlers Sumpfkopeke
*  PDS aktuell: Reformistischer Phönix?
*  Heile Welt
*  Venezuela: Chavez siegt - für wen?
*  Sudan und der Imperialismus: "Humanitäre" Intervention?
*  REVOCAMP 2004: Eine Spitzensache!
*  Kampf dem Rassismus! Freiheit für Mário Bango!
*  Michael-Moore-Film: Fahrenheit 9/11
*  14.-17. Oktober: Europäisches Sozialforum: London Calling!