Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Berliner Volksbegehren

Hauptsache gegen den Senat?

Gerald Waidhofer, Neue Internationale 91, Juni 2004

Ein ganz besonders "breites Bündnis" zur Abwahl des Berliner Senats wurde in der Hauptstadt ins Leben gerufen - von VertreterInnen aus dem Berliner Sozialbündnis, von Linksruck, der "internationalistischen sozialistischen linken" (isl) und der Gewerkschaft der Polizei (GDP) - einer "Gewerkschaft", die als Interessenvertretung der Bullen eigentlich im DGB nichts zu suchen hat.

Auch "Die Grauen" sind dabei aktiv. Sie sind sich nicht zu blöd, auch noch jeden rechts-populistischen Deppen in die Kampagne gegen den SPD/PDS-Senat integrieren zu wollen. Bezeichnenderweise haben sie auch die Parole "Kommunisten raus aus dem Senat!" auf ihre Fahnen geschrieben.

Bündnis mit der GDP

Im Berliner Sozialbündnis erreichten die Vertreter der Initiative "Volksbegehren 'Soziales Berlin' für Neuwahlen" zum Glück keine Zustimmung. Trotz mehrerer Versuche und wiederholter Diskussionen dazu mit wechselnden Anwesenden haben die Hauptinitiatoren des "Volksbegehrens" - Prütz (isl), Halbauer (Linksruck) und Birger Scholz (attac/Jusos) das von ihnen gewünschte Ergebnis nicht herbeizaubern können.

Der GPD ist das "linke" Bündnis offenbar etwas suspekt, weil dessen Initiatoren das Volksbegehren als Sprungbrett für eine linke Liste zu den kommenden Berlin-Wahlen verwenden wollen.

Daher hat man sich nun auf eine "technische Kooperation" geeinigt. Es werden zwar unterschiedliche Unterschriftenlisten verwendet, die aber schließlich zusammengerechnet werden, um so auf die erforderlichen 50.000 UnterstützerInnen zu kommen und schließlich ein Volksbegehren für den Rücktritt des Senats einleiten zu können (das erfordert eine halbe Million Unterschriften).

Bis dahin können alle Beteiligten so tun, als wären es voneinander völlig unabhängige Kampagnen.

Der Begriff "technische Kooperation" dienst vor allem dazu, Linke und kämpferische ArbeiterInnen zu beschwichtigen. Dass die Zusammenarbeit von Linksruck, isl und Co. weit über "technisches" hinausgeht, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie am 4. Juni eine gemeinsame Auftaktkundgebung mit der Polizeigewerkschaft am Berliner Alexanderplatz durchführen.

Kritik

So verständlich der Unmut über den Senat ist, so schädlich und politisch irreführend ist das "Volksbegehren".

Auch in Berlin hat sich in den letzten Jahren nicht nur eine Vielzahl politischer Konflikte gezeigt, sondern auch die Bereitschaft, Widerstand zu leisten.

Brennpunkt ist aufgrund der Beschäftigungsstruktur und der Finanzpleite zweifellos der Öffentliche Dienst mit Personalabbau, Privatisierung, Umstrukturierung usw.

Bei der S-Bahn gab es erste Warnstreiks, bei der BVG (U-Bahn, Busse) deuten seit einiger Zeit die Zeichen auf Streik, bei Vivantes (Krankenhausgesellschaft) droht massiver Lohnraub.

Gleichzeitig werden die Preise für die NutzerInnen des öffentlichen Verkehrs drastisch erhöht, die Sozialtickets für Erwerbslose gestrichen und die Gesundheitsversorgung eingeschränkt.

An solchen Konflikten den Widerstand zu entwickeln, in die Betriebe und auf die Straße zu tragen - das wäre die zentrale Aufgabe des berlinweiten Sozialbündnisses, das sich um und nach dem 1. November formiert hatte.

Genau davon, vom Aufbau eines realen Widerstandes in den Betrieben, in den sozialen Einrichtungen, an Schulen und Unis ausgehend, müsste auch der Aufbau einer Arbeiterpartei in Angriff genommen werden.

Die Volksbegehrens-Initiatoren zäumen des Pferd jedoch von hinten auf. Nicht die Mobilisierung im Betrieb, nicht Aktionen, sondern Unterschriftensammlungen sollen im Vordergrund stehen.

Daraus soll später das Fußvolk zu einer "wählbaren Alternative" zu SPD und PDS entstehen - einer Alternative, die das Wohlwollen der Gewerkschaftsbürokratie genießt.

Eine Orientierung auf die Mobilisierung würde nämlich ganz unvermeidlich auch einen scharfen politischen Konflikt mit den Spitzen von ver.di, IG Metall, GEW, etc. in Berlin bedeuten und für den Aufbau einer oppositionellen Bewegung in den Betrieben eintreten. Das soll aber vermieden werden, weil die Bürokratie als Hauptpartner und Finanzier beim Aufbau einer Alternative zu Rot-Grün betrachtet wird.

Schon dieses Manöver ist skandalös genug. Doch das Paktieren mit der GDP übertrifft das noch! Die Bullen-Gewerkschaft wird als mehr oder weniger "normale" Gewerkschaft hingestellt. Das ist aber falsch! Die Bullen sind keine "Arbeiter in grüner Uniform".

Ihre Kritik am Senat hat mit der von einigermaßen klassenbewussten ArbeiterInnen nichts zu tun. Die Polizei ist ein Kernstück des staatlichen Repressionsapparates. Ihre Forderungen gegen "Personalabbau", für mehr Kohle, bessere Ausrüstung usw. können nicht befürwortet werden.

Dass das keine "abstrakten" Weisheiten sind, zeigte die Berliner Polizei wieder am 1. Mai, als sie die Nazis gegen DemonstrantInnen schützte und die revolutionäre Erste Mai-Demo verhindern wollte und hunderte Jugendliche und "ausländische Randalierer" festnahm.

Kritik von rechts

Die Kritik von Kräften wie der GPD am Senat kommt von rechts. Die Einheit mit solchen Kräften selbst gegen den SPD/PDS-Senat bedeutet in Wirklichkeit, Populismus über die Klassenfrage zu stellen. Wie sollte ein wirkliches Aktionsbündnis auch funktionieren, in dem streikende ArbeiterInnen und die Bullen als Helfer von Streikbrechern zugleich Mitglied sind?!

Dass trotz der Politik von SPD und PDS viele ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen große Vorbehalte gegen das Volksbegehren haben, ist nur zu begrüßen. Ein Sturz des SPD/PDS-Senats durch eine Unterschriftenkampagne von Populisten, GDP, einigen naiven Linken und womöglich einer CDU/FDP/Grünen-Allianz, die sich zu späterer Stunde "draufsetzen" würde, wäre in der Tat kein Fortschritt.

Ein Sturz des SPD/PDS-Senats muss anders bewerkstellig werden - durch den Aufbau einer Streikbewegung gegen seine Angriffe, durch Mobilisierungsbündnisse gegen die sozialen Angriffe wie Fahrpreiserhöhungen und den Aufbau einer Arbeiterpartei.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 91, Juni 2004

*  EU-Wahlen: Keine Stimme für Schröders SPD!
*  Wahlalternative: Neue Besen, alte Rezepte
*  Heile Welt
*  Berliner Volksbegehren: Hauptsache gegen den Senat?
*  Autoindustrie: Keine Zukunft ohne Kampf!
*  Ambulante Altenpflege: Profit statt Menschenrecht
*  Nach der EU-Osterweiterung: Billiglohnland Polen?
*  70. Jahrestag des Röhm-Putsches: Braun gegen Braun
*  Irak: Schluss mit der Besatzung!