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Europäische Linkspartei

Linker Opportunismus

Susanne Kühn, Neue Internationale 87, Februar 2004

Das Programm einer Partei ist eine Art politischer Ausweis, der erlaubt, ihre politischen Ziele und ihre Praxis zu überprüfen.

PDS-Chef Lothar Bisky bringt die Haltung der am 10./11. Januar in Berlin aus der Taufe gehobenen "Europäische Linkspartei" (EL) dazu auf seine Art zum Ausdruck. Man solle "nicht so bettnässerisch an die Frage des Programms herangehen".

Damit ist die Europäische Linkspartei auch gut beraten. Die elf Gründungsparteien eint wenig mehr als Gemeinplätze von "sozialer Gerechtigkeit" und einem "anderen Europa", das "demokratisch, sozial, ökologisch, feministisch, friedlich" usw. werden soll.

Gründungsparteien

Die elf Parteien, die den Gründungsaufruf unterzeichneten - die Estnische Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die Französische Kommunistische Partei, Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie (SYNASPISMOS - Griechenland), Partei der kommunistischen Wiedergründung (PRC - Italien), Die Linke (Luxemburg), die Kommunistische Partei Österreichs, die Kommunistische Partei der Slowakei, die Vereinigte Linke (Spanien), die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (Tschechische Republik), die Partei des Demokratischen Sozialismus (Tschechische Republik), die Partei des Demokratischen Sozialismus (BRD) - kommen historisch und weltanschaulich alle aus dem stalinistischen Eck.

Ehemals waren sie "kommunistische" Regierungsparteien im Ostblock oder reformistische, pro-sowjetische Parteien in Westeuropa. Im letzten Jahrzehnt hat sich ihre Politik zwar stark in Richtung Sozialdemokratie entwickelt, gleichzeitig haben sie sich aber auch vermehrt "ihrem" nationalen Kapitalismus und an die dortigen reformistischen Parteien und Stimmungen angepasst. Daher hat ein Teil der geladenen Parteien den Gründungsaufruf auch nicht unterschieben, da er ihnen "zu europäisch" war und nicht ausreichend die "Unabhängigkeit" der Nationalstaaten hervor hob.

Inhaltlich betrachtet sind die schließlich angenomme Gründungserklärung und der Programmentwurf wenig mehr als eine Leichenschändung. Gegen den "Dritten Weg" und die "Neue Mitte" von Blair und Schröder hat man sozialdemokratische Programm der Ära vor Schröder und Blair abgeschrieben. Darin besteht der nüchterne Kern des "Neuen", das Bisky und Co. uns auftischen.

An Unverbindlichkeit, Allgemeinheit und Inkonsequenz übertrifft der Text locker jedes SPD-Programm der letzten 30 Jahre.

So wird in der Abschlusserklärung gegen die NATO und die Militarisierung Europas Stellung genommen, um dann als Alternative die "Stärkung des internationalen Rechts" zu fordern. Freilich weiß jeder, dass das Recht nur so "stark" sein kann wie die Mittel zu seiner Durchsetzung. Wer ein starkes "internationales Recht" will, stößt natürlich auf die Frage nach "internationalen" polizeilichen Maßnahmen - und die können unter dem gegenwärtigen Gesellschaftssystem nur von imperialistischen Mächten durchgeführt werden. Kurz: die Forderung nach internationalem Recht läuft auf die Forderung nach imperialistischer Intervention mit "humanitären" Zielen hinaus.

Dass das keineswegs nur eine Frage der logischen Ableitung ist, zeigt auch die politische Praxis der Parteien der "Europäischen Linken". Die KP Frankreichs z.B. hat imperialistischen Missionen (natürlich zur "Stärkung des internationalen Rechts") an der Regierung zugestimmt. Sie weigert sich auch, die Intervention in der Elfenbeinküste zu bekämpfen. Ebenso hat Rifondazione Communista in Italien eine Regierung gestützt und geduldet, die sich an Interventionen des italienischen Imperialismus beteiligte.

Auch die deutsche PDS lehnt die Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen Abzug der deutschen, europäischen und US-amerikanischen Besatzer aus Afghanistan und Irak ab! Warum? Weil sich dann die "Barbaren" und Unterdrückten selbst massakrieren würden. Daher könnte z.B. die Bundeswehr nicht sofort abziehen, sondern müsse erst für einen "geordneten Übergang" zur "Zivilgesellschaft" sorgen. Mit diesem rassistischen Argument wurde noch jede Kolonialpolitik und Unterdrückung der "Wilden" als zivilisatorische Mission bemäntelt und der reale Grund für die fortgesetzte Besatzung verschleiert - dass nämlich die Interessen der imperialistischen Nationen ohne militärische Okkupation noch nicht gesichert sind.

Geheimplätze

Die Unterverbindlichkeit der Äußerungen findet sich bei allen anderen programmatischen Punkten wieder.

Gegen Armut und wachsende Arbeitslosigkeit kann sich die EL gerade zur Forderung nach anderen "Prioritäten" - "Vollbeschäftigung und Ausbildung, öffentliche Dienstleistungen und mutige Investitionen" - durchringen. Außerdem sollen die Kapitalflüsse besteuert werden.

Auch wenn sich an anderer Stelle noch Phrasen wie die "Infragestellung" der "Profitdominanz" und der "Herrschaft des Kapitalismus" finden, so zeichnen sich die Erklärung wie auch der Programmentwurf dadurch aus, dass keine einzige Forderung darin steht, die das Privateigentum angreift, geschweige denn überwinden will.

Die Kritik am Kapitalismus läuft also darauf hinaus, dass der Kapitalismus doch aufhören solle, Kapitalismus zu sein. Ebenso gut könnte man von einem Ochsen fordern, endlich Milch zu geben.

Auch in das bestehende politisch-parlamentarische System soll natürlich nicht ernsthaft eingegriffen werden. Statt EU-Kommission sollen die nationalen Parlamente und das EU-Parlament gestärkt werden.

Bei aller Betonung "demokratischer Defizite" fehlen unter den Forderungen sowohl konsequente demokratischer Forderungen - so nach einer "Verfassunggebenden Versammlung" - wie auch gegen die aktuellen Einschränkungen demokratischer Rechte im Zuge des "Krieges gegen den Terror" durch nationale und EU-Regierungen und Parlamente.

Eine Kritik an der bürgerlichen Demokratie und eine Alternative dazu fehlen im Aufruf vollständig.

Es ist daher auch kein Wunder, dass manche Teile des Aufrufes nicht nur schlechtere "Reformillusionen" darstellen, sondern auch zu einer impliziten, "linken" Unterstützung des Aufbaus eines "anderen" europäischen Imperialismus werden. Deutlich zeigt sich das bei Lothar Biskys Eröffnungsrede zum Gründungstreffen. "Die europäische Linke macht sich stark für eine Emanzipation Europas von der Bush-Politik der USA."

Das könnte auch Gerhard Schröder locker unterstützen. Schließlich soll die Agenda 2010 samt Schaffung europäischer Militär- und Sicherheitsstrukturen dazu dienen, dass die "Emanzipation Europas" wirklich stattfindet - und zwar nicht nur von der "Bush-Politik", sondern von der Hegemonialstellung des US-Imperialismus.

Anpassung

Die Formel von der "Emanzipation Europas" dient neben allerlei "Reformforderungen" und "Prioritäten" der "Europäischen Linken" dazu, den Weg zur "linken" Unterstützung eines EU-Imperialismus auf "gleicher Augenhöhe" mit den USA zu ebnen - vorzugsweise in sozialdemokratisch oder "links-bürgerlich" geführten Regierungen.

Darin zeigt sich auch der Wert der Zusammenarbeit für die treibenden Kräfte hinter der EL - von RC, PDS und Synaspismos -, die allesamt Kräfte mit einer gewissen nationalen Bedeutung sind, welche nach Regierungs(mit)verantwortung streben.

Ein europäischer Zusammenschluss, so ihr Kalkül, erhöht die Bedeutung der nationalen Parteien und damit die Möglichkeit, "Druck" auf die "echten" Sozialdemokratien auszuüben und damit stärkere Positionen in zukünftigen Regierungen zu haben oder aus einer Position der "Stärke" heraus den sozialdemokratischen Regierungsscheißdreck "kritisch" zu unterstützen.

Die Unverbindlichkeit der Programmatik der EL hat also einen ganz realen politischen Hintergrund. Daher wird auch ständig die "Unabhängigkeit" und "Eigenständigkeit" der Mitgliedsparteien unterstrichen und die politische "Pluralität", die von der Unterstützung von imperialistischen Kriegseinsätzen bis zur Ablehnung geht, betont und zu einer "Stärke" umgelogen.

Dass es dabei nicht um gemeinsam koordinierte Aktion und internationale Einheit geht, zeigt also nicht nur das Programm. Ein Treppenwitz der EL-Gründung besteht gerade darin, nicht gemeinsam zur EU-Wahl anzutreten, sondern als nationale Parteien, um dann auch je nach politischer Opportunität (und Opportunismus) für alle möglichen Koalitionsspielchen "frei" zu sein.

Abgesehen von einigen Kleinstparteien wie der Kommunistischen Partei Österreichs, die im parlamentarischen Gefüge ihres Landes und Europas mangels Masse keine Rolle spielen, eint die Europäische Linke das Ziel, ihre Politik in oder mit einer "linken" bürgerlichen Regierung durchzusetzen. Dabei will man möglichst wenig störendes politisch auch nur einigermaßen konkretes Marschgepäck mitschleppen müssen. Manche Parteien haben darin ja auch schon langjährige Erfahrung (siehe die KPF). Und diese Erfahrung lehrt, dass zur Regierungsbeteiligung schier grenzenlose "Flexibilität" gegenüber auch noch so vagen und allgemeinen politischen Grundsätzen und Versprechungen gehört.

Parteien wie die PDS "üben" das gerade auf regionaler Ebene. Dort liefert sie einen Vorgeschmack auf "andere" Prioritätensetzung.

Bei der Regierungsbeteilung endet freilich die gebetsmühlenartig beschworene "Kooperation" mit den "sozialen Bewegungen". Im Berliner Senat setzt die PDS gemeinsam mit der SPD den "Doppelhaushalt" mit Milliardenkürzungen 2004 und 2005 durch - hinter Bannmeile und Polizeieinsatz gegen die DemonstrantInnen.

Das Beispiel macht auch eines deutlich. Die EL muss als linker Bruder der offiziellen Sozialdemokratie mit einem ähnlichen Problem kämpfen wie diese. Die großen reformistischen, sozialdemokratischen oder Labour Parteien drohen an der Umsetzung der kapitalistischen Angriffe an der Regierung selbst zugrunde zu gehen. Die Parteien der EL hoffen, von dieser Schwächung der Sozialdemokratie einen Teil ihrer Mitglieder und WählerInnen zu erben - freilich nur, um diese dann von einer linkeren Startposition aus auf denselben rechten Weg zu führen.

Regierungsfetischismus

Eine Wiederholung dieser Experimente brauchen aber weder die ArbeiterInnen noch die AktivistInnen der anti-kapitalistischen Bewegung oder der Anti-Kriegsbewegung. Sie führen nur zu neuer Demoralisierung. Die Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung kann immer nur zur Verwaltung des Kapitalismus führen, kann immer nur dazu führen, dass "die Linke" die Seite des Kapitals ergreift und sich gegen die ArbeiterInnen und Unterdrückten wenden muss. Denn eine bürgerliche Regierung ist kein reformerischer Selbstbedienungsladen, sondern Instrument der herrschenden Klasse. In einer Periode wirtschaftliche Stagnation, verschärfter Konkurrenz und eines Generalangriffs der Kapitals führt eine Regierungsbeteiligung nur dazu, dass diese Tatsache besonders drastisch zum Ausdruck kommt.

Die Europäische Linkspartei ist kein Schritt vorwärts zur Sammlung und politischen Formierung des Widerstandes in Europa und darüber hinaus. Sie ist eine reformistische Sackgasse! Sie muss bekämpft, nicht gefördert werden. Wir brauchen keine zweite sozialdemokratische Internationale. Eine neue Internationale muss eine Partei des Kampfes gegen Kapitalismus und Imperialismus sein, eine Partei der sozialistischen Revolution!

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Nr. 87, Februar 2004

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