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Irak

Besatzer vertreiben!

Hannes Hohn, Neue Internationale 86, Dezember 2003/Januar 2004

Die offiziellen "Beendigung der Hauptkampfhandlungen" durch US-Präsident Bush wirkte wie eine Aufforderung an die IrakerInnen, den Kampf erst richtig zu beginnen.

Seit Wochen schon vergeht kein Tag ohne Anschläge gegen Soldaten der Besatzungstruppen, gegen UN-Einrichtungen oder auf (pro)imperialistische PolitikerInnen. Nachdem anfangs vor allem die Amerikaner selbst davon betroffen waren, sind inzwischen auch ihre Verbündeten - Briten, Polen, Italiener, Spanier - Opfer ihres Engagements in der "Allianz der Willigen" geworden. Inzwischen sind hunderte Besatzer getötet oder verletzt worden - weit mehr als während der "offiziellen" Kampfhandlungen.

Imperialismus

Die Situation im Irak bestätigt die "Bedenken" jener "Kritiker" der Irak-Invasion von Bush, die eine Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens fürchteten. Freilich ging und geht es Schröder, Fischer und Chirac nicht um "Frieden" oder das Völkerrecht, sondern darum, dass ihr eigener Einfluss in der Region an die USA verloren geht und ihre wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Irak, Iran usw. leiden. Sie sind keine Friedensengel, sondern nur zu kurz gekommene Räuber.

Wie verlogen und inkonsequent die Politik von Rot/Grün war und ist, zeigte nicht nur ihre Weigerung, auch nur einen Finger gegen die militärische Mobilisierung der USA und Britanniens zu rühren (Überflugrechte, Truppenverlegung) sondern auch ihr Entgegenkommen, das gestörte Verhältnis zur USA wieder "zu normalisieren" und die - wenn auch geringe - deutsche Beteiligung am Wideraufbau des Irak.

Auch die Opposition der CDU zum "Friedenskurs" Schröders zielte nur darauf, die politischen und ökonomischen Möglichkeiten des deutschen Kapitals im Irak im Windschatten der USA besser umzusetzen und den Bruch mit dem globalen Konkurrenten USA "auf später" zu vertagen.

Der Irak-Konflikt hat aber zweifellos die Widersprüche zwischen dem imperialistischen EU-Block um Berlin und Paris und der Führungsmacht USA zugespitzt. Der Kampf um die imperialistische Hegemonie verlangt von der EU auch die Schaffung eines größeren und eigenständigen Militärpotentials. So beschloss das jüngste EU-Außenministertreffen in Neapel den weiteren Ausbau eigenständiger Interventionsstrukturen, die auch unabhängig von der NATO und gegen die Interessen der USA handeln können.

Widerstand

Momentan ist nicht völlig klar, welche Kräfte hinter den Attacken gegen die Besatzer stehen. Es liegt aber nahe, dass es vor allem Teile des alten Staats-, Sicherheits- und Militärapparates Saddam Husseins sind, die den Widerstand organisieren und führen. Obwohl sicher auch AktivistInnen aus der Bevölkerung beteiligt sind, kann von einem Massenwiderstand (noch) nicht gesprochen werden. Warum?

Erstens gibt es keine politische Kraft mit Masseneinfluss, die den Widerstand - einen echten "Volkskrieg" - führen wollte und könnte. Die islamistischen Religionsführer gebärden sich zwar wortradikal, rufen aber nur zu den Gebeten und nicht zu den Waffen. Sie vertreten in erster Linie Sonderinteressen regionaler halb-feudaler, kleinbürgerlicher und bürgerlicher Klassen, aber nicht einmal ein gesamtnationales bürgerliches Interesse.

Die alte Saddam-Elite ist unter den Massen trotz des Widerstandes weiter verhasst, kann und will daher keinen wirkliche Mobilisierung und eigenständige Organisierung der Bevölkerung vorantreiben. Ihr geht es vielmehr darum, einen Fuß in eine anders gestaltete imperialistische Nachkriegsordnung zu kriegen.

Ob Islamisten oder Nationalisten: der "Antiimperialismus" beider Kräfte zielt trotz militanter Methoden im Endeffekt nicht auf das globale Ausbeutungssystem, sondern auf einen besseren Platz des irakischen Kapitalismus auf dem Weltmarkt.

Umso dramatischer macht sich daher das Fehlen einer aktiven und organisierten Arbeiterbewegung bemerkbar, die den Widerstand ausweiten und führen und zugleich den Einfluss islamistischer, nationalistischer und reaktionär-baathistischer Ideen zurückdrängen könnte.

Zuckerbrot und Peitsche

Die jüngsten Irak-Besuche und Äußerungen führender US-PolitkerInnen offenbarten, dass ein Rückzug der US-Truppen nicht geplant ist. Im Gegenteil: Bush denkt eher an deren Verstärkung und mobilisierte zehntausende Reservisten. Der einmal erkämpfte Zugriff auf die Ölressourcen des Irak und die direkte militärische Präsenz im Herzen des Nahen Ostens sollen keineswegs aufgegeben werden. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass einige tote GIs täglich ein Grund wären, dass der US-Imperialismus sich zurückziehen würde. Für die globalen Interessen des US-Imperialismus wurden schon ganz andere Opfer gebracht. Ohne Frage würde ein amerikanischer Rückzug aus dem Irak auch dass Ende der Präsidentschaft Bushs bedeuten.

Neben der militärischen Karte versucht man aber zugleich verstärkt, ein einigermaßen stabiles irakisches Regime zu installieren; ein Regime, das freilich nur ein serviler und abhängiger Satrap Washingtons sein soll. Bush forderte, die Bildung einer irakischen "Übergangsregierung" zu beschleunigen. Nur, es mangelt an PolitkerInnen, die im irakischen Volk einen gewissen Rückhalt haben. Den haben derzeit nur einige Mullahs, denen die US-Administration jedoch verständlicherweise skeptisch gegenüber steht.

Der Chef des irakischen Regierungsrates Talabani gilt allgemein als Figur Washingtons. Der momentan einflussreichste irakische Politiker, der Vorsitzende des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak, Abdelasis el Hakim, fordert statt der im Moment praktizierten Ernennung der "Volksvertreter" durch die Besatzer "normale bürgerliche" Wahlen. Doch seine Intention dabei ist, den Schiiten, welche 60% Prozent der Bevölkerung stellen, die Vorherrschaft im Irak zu sichern und dann quasi durch die Hintertür einen islamistischen Gottesstaat zu etablieren.

Wenngleich die Besatzer die militärische Macht und zentrale administrative Strukturen (z.B. das Ölministerium) kontrollieren, werden gleichzeitig auch Teile des alten Saddam-Apparates für einen neuen irakischen Staatsapparat rekrutiert. "Unbelastete" Teile des Militärs, der Polizei und der Verwaltung wurden bereits wieder aktiviert. Der vor Monaten noch als "verbrecherisch" verurteilte Saddam-Staatsapparat ist nun plötzlich wieder ganz nützlich, um im Irak die Demokratie einzuführen!

Perspektiven

Die Entwicklung des Irak und des Widerstands gegen die Besatzer wird vor allem davon abhängen, inwieweit die großen sozial-ökonomischen Probleme des Landes gelöst werden: Massenarbeitslosigkeit, Armut, schlechte Versorgung. Trotz aller Versicherungen der imperialistischen Länder, den Wiederaufbau voran zu bringen, geht es den USA wie der EU aber vor allem um zwei Ziele. 1. will man die Ressourcen des Irak - das Öl - ausplündern. Deshalb unterliegt die Ölindustrie nicht nur vollkommen der Kontrolle der USA; auch die Ölexporte kommen nicht dem Irak zugute, sondern dienen der Abzahlung von Schulden an den Imperialismus und der Erstattung der US-Kriegskosten. 2. ist der Wiederaufbau ein Instrument, den großen Konzernen - im Moment natürlich fast ausschließlich US-Unternehmen - Milliardengeschäfte zuzuschanzen. Selbst ein stärkeres Engagement des Westens beim Wideraufbau würde nur ein abhängiges und unterentwickeltes Irak zum Ergebnis haben. Insofern ist die Beendigung der Besatzung eine Grundvoraussetzung jeder progressiven Entwicklung im Irak.

Der zunehmende Widerstand der IrakerInnen findet momentan leider viel zu wenig internationale Unterstützung seitens der Linken und der Arbeiterbewegung. Es liegt aber auf der Hand, dass ohne diese Unterstützung auch der heldenhafteste Widerstand im Irak - wie auch die palästinensische Intifada - wenig reale Siegperspektive hat.

Warum mangelt es an einer breiten internationalen Bewegung gegen die Besatzung? Vor allem daran, dass die Massenbewegung gegen den Irak-Krieg eine in weiten Teilen pazifistische Bewegung war, deren Hauptziel die Verhinderung bzw. die Beendigung des Krieges war. Mit dem "offiziellen" Ende des Krieges kam diesen Gewaltgegnern auch gleich der Grund der Bewegung abhanden. Es reicht eben nicht, nur gegen Krieg und Gewalt zu kämpfen; der Widerstand muss sich gegen jede Form imperialistischer Politik - ob Krieg, UNO-Sanktion oder Besatzung - richten!

Eine Position, die sich abstrakt gegen jede Gewalt richtet, fällt dem berechtigten Kampf der IrakerInnen gegen Imperialismus und für nationale Selbstbestimmung in den Rücken! Es zeigt sich sehr deutlich, dass jene Kräfte, die es während des Irak-Kriegs ablehnten, für die Niederlage des Imperialismus und damit für den Sieg des Irak einzutreten, sich jetzt auch scheuen, die Niederlage und Vertreibung der Besatzer zu fordern.

Der mutige Kampf der IrakerInnen braucht unsere Solidarität! Dazu zählen nicht nur Massendemonstrationen. Die Arbeiterbewegung muss ein breite Solidaritätskampagne mit der Bagdader Intifada aufbauen und durch praktische Hilfe zeigen, wer wirklich an der Seite des irakischen Volkes steht. Dafür müssen die Gewerkschaften, die Sozialforen und die antikapitalistische Bewegung gewonnen werden. Zugleich muss die Linke gegen jede Form imperialistischer Politik - Besatzung, Kampf gegen den Terror, Wiedergutmachung, Schuldendienst etc. - mobil machen. Sie muss dafür eintreten, dass der antiimperialistische Befreiungskampf im Irak mit einer antikapitalistischen, sozialistischen Perspektive verbunden wird.

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Nr. 86, Dez 2003/Jan 2004

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