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Gewerkschaftseinheit

Ja - aber wie?

Jürgen Roth, Neue Internationale 193, Oktober 2014

Im Kampf gegen die geplante Tarifeinheit stellen sich viele Mitglieder aus den DGB-Gewerkschaften in eine Reihe mit der GdL (LokomotivführerInnen), dem Marburger Bund (MB; ÄrztInnen), UFO (FluglotsInnen) usw. An vorderster Front steht hier die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG).

Selbstverständlich unterstützt letztere darum auch die GdL im laufenden Tarifkonflikt. Hier müssen die Spartengewerkschaften Unterstützung erhalten, auch wenn sie berufsständisch (insbesondere MB) aufgebaut sind bzw. dem reaktionären Deutschen Beamtenbund (DBB) angehören. „Gelbe“ Gewerkschaften sind sie deshalb noch lange nicht, wie ihre Streikpraxis beweist.

Spartengewerkschaften = spalterisch?

Sowohl die FluglotsInnen als auch der MB hatten lange Zeit eine Tarifgemeinschaft mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und später mit ver.di, in der dieser nach einem rückschrittlichen Prinzip gegliederte Dachverband (!) - LohnarbeiterInnen durften nicht Mitglied sein, nur GehaltsempfängerInnen - aufgegangen war. Diese Gemeinschaften wurden gekündigt, weil die Einheitsgewerkschaft ver.di die speziellen Bedürfnisse dieser Berufsgruppen nicht ausreichend berücksichtigte so wie GdED, später Transnet und GdBA, die sich zur EVG zusammengeschlossen, jene der LokführerInnen eben auch nicht vertrat.

Ver.di verkaufte den „Fitness-Urlaub“ der FluglotsInnen, um in einer großen Tarifrunde eine 4 vor dem Komma für den ganzen Öffentlichen Dienst vorweisen zu können. Weiter wurde das Vier-Augen-Prinzip bei der Monitorkontrolle aufgeweicht. Der Abschluss des “Tarifvertrags im Öffentlichen Dienst” (TvÖD) ließ die besonders langen Arbeitszeiten für KrankenhausärztInnen unangetastet. Zusätzlich hat er auch die erreichbaren Höchstgehälter für neu Eingestellte rabiat gesenkt. Die Trennung von solchen „EinheitsbefürworterInnen“ war also unterm Strich ein Fortschritt für die Vertretung der unmittelbaren ökonomischen Interessen dieser Lohnabhängigen. Die Kritik am „Berufsegoismus“ aus dieser Ecke wird oft mit dem Argument garniert, hohe Abschlüsse für die Mitglieder der Kleingewerkschaften gingen zulasten der übrigen Berufsgruppen. Diese Logik vom Kuchen, der nur einmal verteilt werden kann, ähnelt der aller Unternehmerverbände aufs Haar. Ganz im Gegenteil: diese Gruppen waren streikbereit und hätten deshalb die Speerspitze der Auseinandersetzung sein und die Schwächeren mitziehen können wie früher die MüllwerkerInnen und StraßenbahnerInnen, die diese Rolle oft genug für ihre KollegInnen in der ÖTV ausgefüllt haben.

Wer aber hat letztere aus der gemeinsamen Tariffront durch seine Zustimmung zu Auslagerungen und Privatisierungen geführt, durch Abschlüsse von fälschlich so genannten Spartentarifverträgen, die meistens Haustarifverträge waren - die Vorstände der jeweiligen Einheitsgewerkschaften ÖTV und ver.di!

Neue Einheitsoffensive notwendig!

Wenn traditionelle Gewerkschaften auf Grund einer falschen Politik Mitglieder verlieren, an Kampfkraft einbüßen, sollten sie durch eigene Aktivitäten einem solchen Trend entgegenwirken. Die Auseinandersetzung um die Tarifeinheit erwies leider das Gegenteil: sie verschärften die Gewerkschaftskonkurrenz mit juristischen Verfahren und vertieften dadurch die Spaltung der Beschäftigten. Der Spaltervorwurf fällt ganz auf seine Urheber zurück.

In dieser Tarifauseinandersetzung auf Seiten der GdL zu stehen, darf uns aber nicht die Augen verschließen, dass GdL, UFO, MB , Cockpit und Co. aus sich heraus keinen Beitrag leisten, wie das reale Problem der Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung und ihrer wirklichen Einheit gelöst werden kann.

Leider herrscht auch unter fortschrittlichen GewerkschafterInnen aller Couleur auf diesem Gebiet fast nur Schweigen, wird mit Kritik an FunktionärInnen der Spartengewerkschaften gespart. Wenn der ehemalige MB-Vorsitzende Montgomery nichtärztliche Krankenhausbeschäftigte als „Kulissenschieber“ bezeichnet, GdL-Chef Weselsky die EVG als „gemeinsames Kind zweier Behinderter“ (Transnet & GdBA), dann scheint in solchen Äußerungen der reaktionäre, berufsständische Aspekt auf.

In vielen Kliniken ist der MB heute schon Mehrheitsgewerkschaft. Kommt der reaktionäre Entwurf zur Tarifeinheit durch, könnten Tarifverträge nur für ÄrztInnen abgeschlossen werden. Die übrigen Beschäftigten gingen dann möglicherweise leer aus. Man stelle sich nur einen Streik im Krankenhaus vor, wo ÄrztInnen weiter ganz normal Patienten behandeln, während der Rest der Belegschaften im Ausstand ist.

Einheit nach Branchenprinzip

Nein, um den Lohnanteil am Volkseinkommen wieder zu erhöhen, um die Lohnschere innerhalb der Belegschaftsteile wieder zu schließen, braucht es mehr denn je Einheitsgewerkschaften nach dem Branchenprinzip (Industriegewerkschaften). Nur solche können Arbeitskampfmaßnahmen zum Nutzen aller Lohnarbeitenden einleiten und durchführen; die ökonomisch Stärkeren können die Schwächeren stützen, ohne ihre unmittelbaren Interessen zu verletzen, auf Dauer sogar durch die Anhebung unterer Lohngruppen auch die Kampfbereitschaft der dort Eingruppierten heben.

Die fortschrittlichsten GewerkschafterInnen müssen sich dafür einsetzen und von ihren Führungen fordern, dass der DGB und dessen Einzelgewerkschaften den kleinen Spartengewerkschaften Fusionsverhandlungen anbieten. Die Gewerkschaftsbewegung braucht aber keine Vereinigung nach dem Vorbild der Supergewerkschaft ver.di. Hierbei stand die Sicherung der Funktionärspfründe im Vordergrund, nicht die Kampfkraft der Arbeiterklasse. Verschiedene Branchengewerkschaften wurden wahllos zusammengewürfelt, hinzu kam ein ganzer Dachverband (DAG). Eine Neukonstitution des DGB braucht natürlich v.a. ein klassenkämpferisches Gewerkschaftsaktionsprogramm, aber auch eine Neuorganisation der Einzelgewerkschaften entlang der Wertschöpfungsketten. Dies ist seit Jahrzehnten überfällig. Wir können uns z.B. sehr gut eine Gewerkschaft Gesundheitswesen vorstellen, weil diese Branche in der BRD nach der Automobilindustrie die meisten Beschäftigten hat. Eine Gewerkschaft Handel und Logistik müsste den gesamten Verkehr mit Personen, Gütern und Daten, die Telekommunikation usw. umfassen, um nur jene Beispiele zu nennen, die weit von der heutigen Praxis entfernt sind.

Es braucht auch eine neue Rolle des Dachverbands selber! Der DGB muss in eine handlungsfähige Konföderation transformiert werden, die politische Massenstreiks bis hin zu Generalstreiks durchführt, die Solidaritätsaktionen der Einzelgewerkschaften für- und untereinander koordiniert, Konflikte unter ihnen um die Gewerkschaftszugehörigkeit bestimmter Betriebe mit einem Machtwort beendet. Heute sind z.B. Kraftwerksbelegschaften teils bei der IGBCE, teils bei ver.di organisiert, GebäudereinigerInnen bei ver.di oder IGM etc. Heute ist der DGB aber auch wenig mehr als ein toter Briefkasten, eine bessere Rechtsschutzversicherung für seine Einzelgewerkschaften.

In diesem Sinne treten wir für eine neu konstituierte Gewerkschaftseinheit nach der Fusion aller Gewerkschaften unter dem Dach eines kämpferischem DGB entlang der modernen Verflechtungslinien von privaten, staatlichen wie genossenschaftlichen Industrie- und Dienstleistungssektoren ein.

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Nr. 193, Oktober 2014
*  Streikkonferenz: Renovierte Apparate oder Basisopposition
*  Gewerkschaftseinheit: Ja - aber wie?
*  GdL-Streik: Überzogener Kampf oder berichtigte Gegenwehr?
*  Revolution-Brüschüre: Solid - if everything goes right, go left
*  Karstadt: Vor schwerzhaften Amputationen?
*  Bilanz Landtagswahlen: Welche Alternative?
*  ALB-Auflösung: Das Neue ist steinalt
*  Wahlen in Oktober: Brasilien am Scheideweg?
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*  Heile Welt
*  US-Luftangriffe im Irak und Syrien: Obama's neue "Koalition der Willigen"
*  Solidarität mit Kobenê! Solidarität mit dem kurdischen Volk!