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ALB-Auflösung

Das Neue ist steinalt

Martin Suchanek, Neue Internationale 193, Oktober 2014

Im August 2014 löste sich die “Antifaschistische Linke Berlin” (ALB) offiziell auf. Es war aber schon länger bekannt, dass die ehemals “führende” Gruppe der autonomen und links-radikalen Szene Berlins kurz vor der Auslösung steht. Ein Teil tritt nach eigenem Bekunden der „Interventionistischen Linken“ (IL) bei, ein anderer überlegt, einen „neuen Zusammenhang“ zu gründen und an „typische“ Aktions- und Politikformen anknüpfen. Das klingt nach „Alter Wein in neuen Schläuchen“. Wer die Auflösungserklärung  (http://www.antifa.de/cms/ content/view/2383/1/) liest, wird politisch wenig Erhellendes finden. Trotzdem, ja gerade deshalb ist sie ein recht genaues Abbild der Krise der autonomen, antifaschistischen und „post-autonomen“ „Szene“, die weit über die ALB hinausgeht.

Selbstdarstellung des inneren Zerfalls

Das erste Drittel der Erklärung bildet eine Aufzählung der Aktivitäten der ALB in den 11 Jahren ihres Bestehens. Dann folgt die Darstellung des zunehmenden inneren Zerfalls, der zunehmenden Schwierigkeiten, die verhinderten, dass sich eine politisch heterogene Gruppe auf gemeinsame Aktivitäten einigen konnte:

“Wir haben uns nicht im Streit zur Auflösung der [ALB] entschlossen, doch mittlerweile sind die Ideen, Strategien und Ziele zu unterschiedlich, die wir hinsichtlich einer linksradikalen Praxis, Organisierung und Perspektive haben. Organisierung und Organisation erfordern Verbindlichkeit und bedürfen Zeit und Aufwand, mitunter brauchen sie auch inhaltliche Korrekturen und zähe Debatten - um den richtigen und falschen Begriff vom Kapitalismus, um die Ausrichtung der Aktionen, um die Politik gegen die Festung Europa und gegen Neonazis, um die ‚Farbe der Regenjacke', um die Notwendigkeit linksradikaler Aktionsformen und ihre Vermittelbarkeit. Festhalten können wir, dass wir es bereits seit einiger Zeit nicht mehr geschafft haben, die unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen in Kraft und Enthusiasmus zu kanalisieren, sondern leider in Ratlosigkeit, Resignation und Austritten.

Dies ordnet sich unseres Erachtens in einen größeren Zusammenhang ein: Die radikale Linke in Deutschland und weiten Teilen Europas scheint sich in einer Krise zu befinden. Ehemals bewährte Konzepte und Ansätze eignen sich nur noch bedingt für die politischen Fragen unserer Zeit. Bei manchen Entwicklungen - vor allem Flüchtlingsproteste, Krieg und Frieden und Überwachung - befindet sich die radikale Linke in einer Schockstarre, und braucht manchmal Wochen, um sich überhaupt zu äußern. Und ob auch dann die passende Antwort und Anschlussfähigkeit gefunden wird, sei dahingestellt.“

Der letzte Teil des Textes illustriert die Desorientierung autonomer Politik in bestimmten Politikfeldern (Antifa, Anti-Rassismus, Krisenproteste ...) und konstatiert ein Scheitern. Die eigentliche zentrale Frage, warum die ALB gescheitert ist, stellt der Text aber erst gar nicht - und bleibt damit ganz und gar oberflächlich.

Grundlagen der ALB

Es kommt niemandem in den Sinn, dass die Auflösung der ALB schon in ihrer Gründung und ihrer politischen Methode angelegt war. Die Krise autonomer Politik wurzelt allgemein im Autonomismus selbst.

Die ALB selbst war Resultat einer Spaltung der Vorläuferorganisation AAB (Anti-Faschistische Aktion Berlin). Aus dieser ging ein anti-nationaler/antideutscher Flügel hervor, der sich wiederum vor etlichen Jahren in „Theorie Organisation Praxis“ (TOP) und „Gruppe Soziale Kämpfe“ (GSK) spaltete.

Im Unterschied zur ALB waren diese Gruppen politisch-ideologisch homogener und verfolgten bzw. verfolgen eine bestimmte strategische Ausrichtung. Die ehemalige GSK hat sich in der Linkspartei aufgelöst und betrachtet diese - in einer stark an Gramsci ausgerichteten Konzeption - als Mittel zur „Erringung linker Hegemonie“ in der Gesellschaft. TOP andererseits setzt auf „Ideologiekritik“ - ein Versatzstück aus Frankfurter Schule und „Wertkritik“, auf der immerwährenden Suche, kritischer als andere Kritiker zu sein.

Von der Politik dieser Gruppen trennen uns politisch Welten. Es geht uns hier jedoch darum zu zeigen, dass deren Handlungsfähigkeit und Politik auf einer bestimmten ideologischen und strategischen Positionierung beruht.

Die ALB wurde als Gruppe nie von einer solchen Gemeinsamkeit zusammengehalten. Es waren vielmehr „Großaktionen“, die sie verband und die Fähigkeit, einen „linksradikalen Minimalkonsens“ herzustellen - also eine Kapitalismuskritik, die v.a. der Selbstvergewisserung der eigenen Radikalität diente. Ihre Politik zeichnete sich durch eine mehr oder weniger pragmatische Mischung von „flexibler“ Bündnispolitik, von Minimalforderungen mit linksradikalen Bekenntnissen aus.

Positionen - von einem Programm oder einer Taktik ganz zu schweigen - wurden nicht aus einer Analyse abgeleitet, aus einer Verallgemeinerung von Erfahrungen, die auch die realen Verhältnisse auf den Punkt bringen sollte. Sie wurden vielmehr „ausverhandelt“. Und das gelang immer weniger.

„Festhalten können wir, dass wir es bereits seit einiger Zeit nicht mehr geschafft haben, die unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen in Kraft und Enthusiasmus zu kanalisieren, sondern leider in Ratlosigkeit, Resignation und Austritten.“

Sozialismus oder Eklektizismus?

MarxistInnen gehen davon aus, dass die Welt wissenschaftlich analysiert werden kann und muss. Strategie, Taktik, Programm müssen auf festen theoretischen Grundlagen stehen, um so die Praxis anleiten zu können - und andererseits das Programm überprüft und gegebenenfalls korrigiert und weiterentwickelt werden muss.

Die ALB und die gesamte autonome Szene versucht dagegen, unterschiedliche Antworten zu kanalisieren. Ihre Politik war pragmatisch, auf den kurzfristigen Nutzen ausgerichtet, langfristige strategische Ziele waren dem immer untergeordnet. Methodisch war ihre inhaltliche Ausrichtung vom Eklektizismus geprägt, dem beliebigen Zusammentragen unterschiedlicher, oft einander widersprechender politischer und theoretische Ansätze.

Das kann für eine bestimmte Zeit durchaus funktionieren und erfolgreich sein. Es setzt aber mindestens zwei Dinge voraus: Erstens eine „linksradikale“, autonome Szene, die enthusiastisch und mobilisierbar ist. Zweitens eine ideologische Einheit dieser Szene, eine Reihe linksradikaler „Gewissheiten“, die als selbstverständlich gelten.

Die autonome Szene der 1980er Jahre erfüllte diese Bedingungen über weite Strecken. Ihre „Revolutionsvorstellung“ war zwar schon damals kleinbürgerlich geprägt - die Revolution selbst galt aber als Gewissheit. Damit einher ging eine „selbstverständliche“ Verteidigung autonomer Militanz, ultra-linker Politik gegenüber reformistischen Organisationen und die Solidarität mit den „Befreiungskämpfer der Völker“, um nur einige „Gewissheiten“ der Zeit zu nennen.

Diese Bedingungen gelten für die autonome Szene schon lange nicht mehr und sind seit dem Ende des Kalten Krieges mehr und mehr zersetzt. Unter diesen Voraussetzungen wird natürlich auch der „Erfolg“ autonomer Politik immer schwieriger. Die Gemeinsamkeiten müssen immer mühsamer „ausgehandelt“ werden - und werden am Ende doch von niemandem geteilt. Anstellte der Gewissheit steht ein Kompromisspapier, von dem nicht einmal die eigenen AutorInnen überzeugt sind.

Resignation und Skeptizismus erscheinen als das „natürliche“ Resultat eines Unterfangens, das selbst eine zentrale Ursache des Problems darstellt.

„Bei manchen Entwicklungen - vor allem Flüchtlingsproteste, Krieg und Frieden und Überwachung - befindet sich die radikale Linke in einer Schockstarre, und braucht manchmal Wochen, um sich überhaupt zu äußern. Und ob auch dann die passende Antwort und Anschlussfähigkeit gefunden wird, sei dahingestellt.“

Die Krisenperiode des Kapitalismus und die verschärfte inner-imperialistische Konkurrenz führen bei der „radikalen“, eigentlich klein-bürgerlich-autonomen Linken zur „Schockstarre“, weil sie es geradezu zum Markenzeichen ihrer Politik macht, diese nicht auf die Grundlagen einer revolutionären Theorie und wissenschaftlichen Analyse zu stellen. Die Welt erscheint als immer raschere Abfolge von immer weniger verstandenen „neuen“ Entwicklungen. Es wird nicht nur alles unsicherer, in Wirklichkeit werden auch die politischen Differenzen größer - siehe Ukraine, Palästina …

Anstatt sich zu fragen, wie die aktuellen Veränderungen, die realen Entwicklungen, die als Ursache von „Schockstarre“ empfunden werden, zu erklären sind und wie daher auch auf rasche Veränderungen rasch reagiert werden kann, bleibt Skepsis.

Erneuerung?

Das führt dann auch zu dem scheinbar paradoxen Resultat, dass die Auflösungserklärung der ALB mit dem Weitermachen wie bisher kokettiert. Ein Teil will einen „traditionellen“ Gruppenzusammenhang, der andere macht bei der IL mit, die die weltanschauliche und theoretische Beliebigkeit der ALB noch auf die Spitze treibt. Im Unterschied zur ALB verspricht die IL aber mehr Handlungsfähigkeit. Dabei befindet sie sich ähnlich der ALB selbst in einer paradoxen Situation. Sie ist in der Lage, größere Mobilisierungen, große „Highlights“ der linksradikalen Szene zu organisieren - wenn auch hier oft Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Doch ihr Prestige und ihrer Mobilisierungsfähigkeit stehen in einem auffallenden Missverhältnis zu ihrem politisch-inhaltlichen Einfluss. Im „breiten Bündnis“ geben letztlich die Reformisten aus der Linkspartei oder gar von Attac den Ton an, die ihrerseits die IL als „Bewegungsspielbein“ nutzen.

Der Grund für diese Unterordnung liegt nicht nur in der Integration von Teilen der autonomen Szene in den Apparat der Linkspartei, sondern auch darin, dass sie auf eine politische Konzeption, auf eine verbindliche, programmatisch definierte Politik im Voraus verzichten. Damit sind sie freilich nicht „flexibler“ und „freier“ in ihren Optionen, sondern unvermeidlich dazu gezwungen, Versatzstücke der Politik anderer zu übernehmen.

Freilich triff das nicht nur auf die nach rechts, in die IL gehenden Teile der ALB zu. Der linke Flügel scheint dem Weg in eine informelle Vorfeldstruktur der Linkspartei nur ein Festhalten an einer vorgeblich besseren und „radikaleren“ Vergangenheit der Autonomen entgegenzuhalten. Mag das auch subjektiv verständlich sein - weiterhelfen wird es nicht.

Weder „Post-Autonomismus“ noch Weiterführung eines „typischen Politikstils“ ist die Antwort auf die Krise der ALB und der „Szene“, sondern Bruch mit der autonomen Theorie und Praxis.

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Nr. 193, Oktober 2014
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