Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Wahlerfolg der AfD

Nur ein Strohfeuer?

Tobi Hansen, Neue Internationale 190, Juni 2014

Seit Wochen wurde der Wahlerfolg der Alternative für Deutschland (AfD) bei den Europawahlen angekündigt und siehe da, die AfD feiert sich nach 7% bei diesen Wahlen schon als neue Volkspartei. Überraschend war das Ergebnis keineswegs, der AfD gelang es, ihre WählerInnen von der Bundestagswahl 2013 erneut zu mobilisieren, bei geringerer Wahlbeteiligung ist dann auch das Ergebnis höher.

Im Wahlkampf „bewährten“ sich die EU-Kritik und der Euro-Skeptizismus der AfD. Gleichzeitig ging sie aber auch verstärkt mit rechts-populistischen Themen auf Stimmenfang. Plakate wie „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“, gegen Einwanderung in die „sozialen Netze“ hatten große Ähnlichkeit mit dem Wahlkampf von NPD, REPs oder Pro NRW. Diese Ähnlichkeit gibt es aber auch im Vergleich zur CSU, die ihren Wahlkampf ebenfalls EU-kritisch und regional-populistisch aufbaute (Hauptsache Bayern ist stark in der EU), vor Einwanderung in die Sozialsysteme warnte und sehr massiv versuchte, den rechten Rand zu integrieren. Dies gelang aber selbst in Bayern nur teilweise, die AfD konnte mit 8% sogar dort ein höheres Ergebnis als im Bundesdurchschnitt erreichen - die Taktik der Unionsparteien und speziell der CSU ging nicht auf.

Mit diesem Wahlergebnis der AfD ist möglicherweise endgültig der Schicksal der FDP besiegelt. Auch wenn nach der Wahl über eine Spaltung der AfD spekuliert wurde - angeblich fühlten sich „Liberale“ nicht wohl in der Partei -, war das Ergebnis der FDP der eigentliche Sieg der AfD. Diese bürgerliche Partei scheint zumindest mittelfristig (bis zur nächsten Bundestagswahl) keine Rolle mehr zu spielen. Stattdessen könnte sich die AfD in diesem Spektrum etablieren bzw. wird die weitere Schlappe zur weiteren Zersetzung der FDP beitragen.

Nun sucht die AfD eine politische Heimat im EU-Parlament. Die Gedankenspiele, Mitglied in der EVP (Europäische Volkspartei) zu werden, können sich Lucke und Henkel wohl abschminken, das werden CDU/CSU zu verhindern wissen. Dementsprechend fährt die AfD jetzt zweigleisig: auf der einen Seite bietet die AfD sich dem Block um FN (Frankreich), UKIP (GB) und Co. an, auf der anderen Seite der konservativen Fraktion (Konservative und Reformer), in dem die britischen Tories die stärkste Kraft sind. Gerade die letzte Option bietet ein gewisses Schmankerl, während die Tories unter Cameron aus der EVP ausgetreten sind, könnten sie nun eine CDU/CSU-Abspaltung bei sich aufnehmen, was die Segmentierung der europäischen Konservativen vertiefen würde. Während inzwischen sich die europäischen Grünen für die Wahl von Juncker als Kommissionspräsident aussprechen, gibt es eine konservative Fraktion gegen Juncker, welche vom britischen Regierungschef Cameron angeführt wird, welcher sehr deutlich gegen Juncker polemisiert.

Was die AfD verspricht …

Gegenüber der EU zeigt die AfD einigen Populismus: Gegen die Bürokratie, gegen die Bankenrettung, gegen die Euro-Politik, gegen die Haftung der SteuerzahlerInnen, gegen Verarmung und Arbeitslosigkeit in Südeuropa. In ihrem EU-Wahlprogramm findet sich eine bunte Palette der Kritik. Als Lösung schlägt die AfD eine Rückbesinnung auf die „starken Nationen“ vor, dort sollen die Regierungen für gute Jobs und Sozialstandards sorgen, aber dafür bräuchte niemand eine EU. Bestimmte Losungen und Allgemeinplätze erinnern stark an den ehemaligen französischen Präsidenten Chirac und seine Vorstellungen von einem „Europa der Nationen“. Während die AfD die Arbeitslosigkeit beklagt, ist sie natürlich zugleich strikt gegen einen Mindestlohn in den Nationalstaaten. Ihre Begründung? Manche Jobs würden ja nur wenige Stunden pro Woche stattfinden und seien dann durch den Mindestlohn gefährdet. Das erinnert an die alte FDP und ihre Hochphase des Neoliberalismus.

Der Charakter der AfD

Letztlich will die AfD eine reine Handelsunion ohne politischen Überbau, in denen die stärkeren Staaten eine Variante des Euro haben können und die schwächeren eine andere Variante. Damit liegt die AfD politisch zwischen David Cameron und früheren Aussagen von Finanzminister Schäuble. Als Leumund für besseren Wettbewerb hat sich der ehemalige BDI-Chef und Chefagitator des deutschen Kapitals Hans-Olaf Henkel für die AfD einspannen lassen. Er wird jetzt mit Parteichef Lucke und Ökonom Starbatty die AfD im EU-Parlament führen. Im STERN beklagte Henkel, dass er bei seinen „alten Freunden“ nicht mehr so beliebt ist wie früher, auf Unternehmer- und Kapitalistenbanketts darf er seltener reden und wenn, gibt es sogar Kritik am Rechtspopulismus der AfD.

In der AfD sammeln sich Teile der CDU/CSU, der FDP und manche ex-SPDlerInnen, welche die Politik der Euro-Krise ablehnen, die Rettung der Banken kritisieren und sogar deren Zerschlagung fordern, allerdings aus einer klar bürgerlichen Perspektive. Hier sammeln sich auch Mittelstandskapitalisten, wofür in Deutschland der Begriff „Kleinbürgertum“ nur bedingt taugt, schließlich ist der deutsche Mittelstand gar nicht so kleinbürgerlich wie in vielen anderen kapitalistischen Staaten. Hier tummeln sich auch Marktführer, welche v.a. auf dem deutschen Binnenmarkt aktiv sind. Diese Gruppen des deutschen Kapitals haben nicht von der Bankenrettung profitiert, bekommen nicht mehr so leicht Kredite wie vor der Krise und sind der Konkurrenz mit dem deutschen Großkapital stärker ausgeliefert - wobei ihnen der Staat nicht so hilft wie den Multis. Mitleid erwarten sie von der Bundesregierung, vergessen dabei aber den Kommandocharakter des deutschen Großkapitals und die zwangsläufige Gefolgschaft jeder Bundesregierung.

Position des Großkapitals

Sicher teilt das Großkapital mit der AfD die Ablehnung von Euro-Bonds, welche Kanzlerin Merkel ja schon mal für ihre bleibende Lebenszeit ablehnte - was auch eine Vorstellung von ihren weiteren Regierungsplänen gibt. Ansonsten gibt es aber entscheidende Unterschiede. Das Großkapital der BRD braucht den vorhandenen Finanzsektor, auch wenn dieser im Vergleich mit der imperialistischen Konkurrenz hinterher hinkt. Es muss aber, um auch dort Rückstand aufzuholen und konkurrenzfähig zu sein, die Bankenrettung betreiben. Es ist ebenfalls auf den EU-Binnenmarkt angewiesen und die weitere Zerschlagung und Ausplünderung der europäischen Konkurrenz und den Ausbau der vorherrschenden Marktposition angewiesen. Alle Szenarien, die auf Spaltung der EU, verschiedene Währungszonen o.ä. Hinauslaufen, sind kurz- und mittelfristig eine Bedrohung für das deutsche Großkapital. So plant derzeit Siemens - neben der Entlassung von über 11.000 Beschäftigten - den Einstieg beim französischen Konkurrenten Alstom. Eine mögliche Teilübernahme dieses französischen Filetstücks wäre ein wichtiger strategischer Schritt. Dafür verfolgt die Große Koalition genau die richtige Politik für das deutsche Großkapital. Die Interessen des Mittelstands und/oder des Kleinbürgertums bleiben da z.T. auf der Strecke - auch das gehört zur Konkurrenz in der Krise.

Damit hat die AfD sicherlich das Potential, in den nächsten Jahren zu wachsen und weitere Unterstützung zu bekommen. Die Krise wird nicht verschwinden, sondern in abwechselnden Zyklen immer wieder ausbrechen. Hier können sich alle Enttäuschten des bürgerlichen Lagers sammeln.

In ihrer Ausrichtung betreibt die AfD derzeit ein Doppelspiel - und das sogar ziemlich erfolgreich. Zum einem kritisiert sie die Unionsparteien quasi aus ihrer Mitte (aus dem Mittelstand) heraus und gleichzeitig fischen sie mit rechtspopulistischen Themen den rechten Rand leer, in Bayern sogar auf Kosten der CSU. Damit ist die AfD eine rechtskonservative Kraft (früher gab es dafür die Nationalkonservativen / Liberalen) mit rechtspopulistischen Zügen, aber auch nicht mehr.

AfD = faschistisch?

Wenn auf der linken, antifaschistischen Seite die AfD als rechtsextrem oder gar proto-faschistisch bezeichnet wird, so schießt diese Analyse deutlich über das Ziel hinaus. Wir wollen dabei nicht bestreiten, dass die AfD aufgrund des beschriebenen Klassencharakters „gute“ Voraussetzungen hat, eine solche Kraft zu werden, aber die Linke in Deutschland muss zunächst v.a. den Ist-Zustand bewerten.

Die neue rechtsextreme, in bestimmten Aktionen faschistisch auftretende Partei „Die Rechte“ zeigt den Unterschied gut auf. Diese griffen mit ihrem Mob die Dortmunder Wahlparty im dortigen Rathaus an, Dutzende gewaltbereite Faschos des „Nationalen Widerstands Dortmund“ attackierten die Abgeordneten u.a. mit Pfefferspray. Diese Faschos feierten so ihren Parlamentseinzug, den sie schon mit dem Slogan „Mit einem Schlag ins Rathaus“ angekündigt hatten. Das ist eine proto- faschistische Partei, die mit Gewalt den politischen Gegner einschüchtern und dadurch ihre politische Basis verbreitern will.

Die AfD, zumindest das derzeitige Führungspersonal, träumt eher davon, mit der CDU/CSU zu koalieren, sie zu korrigieren und sich als bürgerliche Mittelstands-Adjutanten im parlamentarischen System zu etablieren. Das ist ein Unterschied zu den verschiedenen rechtsextremen und faschistischen Parteien a la Front National, Jobbik oder Goldene Morgenröte. Dazu kommt, dass die soziale Basis einer faschistischen Formation, das soziale deklassierte und rebellierende Kleinbürgertum, in der AfD derzeit höchstens marginal vorhanden ist.

Für die Linke muss es darum gehen, ihre Alternativen für ein sozialistisches und antikapitalistisches Europa in den Vordergrund zu rücken bzw. überhaupt zu vertreten. Es bringt nichts, die EU-Gegnerschaft dem bürgerlichen Spektrum zu überlassen, in Nord und Westeuropa profitierte davon das rechte Spektrum bei der EU-Wahl. Gerade das Kleinbürgertum, enttäuschte WählerInnen der etablierten Parteien brauchen ein Angebot von links, das über die halben Versprechungen der europäischen Linkspartei hinaus geht. Wenn die bürgerliche Kritik an der Bankenrettung radikaler klingt als die linke, dann muss eine radikale Linke darauf politisch-programmatisch reagieren, diese einfach als Nazis zu bezeichnen, reicht nicht aus, geht an der Sache vorbei und ist zugleich eine Verharmlosung des wirklichen Faschismus, wie es vor 1933 auch die stalinistische KPD vertrat - mit den bekannten fatalen Folgen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 190, Juni 2014
*  Ukraine: Anti-Kriegsbewegung aufbauen!
*  Solidarität mit AntifaschistInnen in der Ukraine: Wo bleibt die 'radikale' Linke?
*  Ostukraine: Perspektiven des Widerstandes
*  Wahlen zum EU-Parlament: Europa polarisiert sich
*  Podemos-Wahlerfolg in Spanien: Europäisches Vorbild?
*  Fussball-WM in Brasilien: FIFA, Profit, Widerstand
*  Heile Welt
*  Wahlerfolg der AfD: Nur ein Strohfeuer?
*  WMF: Ein Traditionsbetrieb geht in den Kampf
*  Betriebstratswahlen 2014: Eine erste Bilanz
*  Schul- und Unistreik am 1. Juli: Gegen Rassismus und Krieg!
*  USA: Kampf für 15 Dollar
*  Tarifeinheit und Streikrecht: Was will der DGB?