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Spanien

Welche Perspektive nach 6 Jahren Krise?

Rico Rodriguez, Neue Internationale 189, Mai 2014

Am 25. April sprach die spanische Aktivistin Esther Vivas auf einer Veranstaltung der NaO-Berlin und berichtete über die Auswirkungen der Krise in Spanien und die aktuellen Entwicklungen.

Auch im Jahr 6 nach Ausbruch der Krise sind die Auswirkungen für die spanische Arbeiterklasse fatal und Besserung nicht in Sicht. Die Arbeitslosigkeit liegt nach wie vor bei 23%, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 53%. Mittlerweile sind deshalb offiziell schon 400.000 meist junge SpanierInnen ausgewandert, die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen.

Die Löhne sind derweil ins Bodenlose gesunken. Esther erzählte, dass vor einigen Jahren die „Mil-Euristas“, d.h. ArbeiterInnen die nur 1.000 Euro im Monat verdienen, als arm galten. Heute sind 1.000 Euro im Monat v.a. für Jugendliche ein „Privileg“.

Vor diesem Hintergrund entstand 2011 die Bewegung des 15. Mai (15M) - von den allermeisten unvorhergesehen. Eine wichtige Folge dieser Bewegung war, dass die Motivation und das Selbstvertrauen für den politischen Kampf in große Teile der Bevölkerung zurückgekehrt sind. Das drückt sich auch in dem Slogan „Si, se puede!“ (Ja, wir können!) aus.

15M ist durch den Mangel an Organisation und das Fehlen einer politischen Perspektive heute (fast) schon wieder Geschichte, aber es sind andere Bewegungen daraus hervorgegangen. Zu den wichtigsten zählen die Bewegung gegen Privatisierungen („Mareas“) und die Plattform der Betroffenen von Zwangsräumungen. Heute finden in Spanien über 500 Zwangsräumungen täglich statt, da die BewohnerInnen die Miete oder die Hypothek nicht mehr bezahlen können. Auf der anderen Seite gibt es ca. 2-4 Millionen (!) leerstehende Wohnungen. So „effizient“ ist der Kapitalismus!

Nachdem die sozialen Kämpfe im vergangenen Jahr schwächer geworden sind, fand am 22. März eine wichtige Mobilisierung statt. Zu einer landesweit organisierten Demonstration in Madrid, deklariert als „Marsch der Würde“, kamen über eine Million Menschen! Organisiert wurde der Marsch federführend von sozialen Bewegungen und alternativen, kämpferischen Gewerkschaftsföderationen, u.a. aus Andalusien und Katalonien. Das ist deshalb sehr wichtig, weil die großen Verbände CCOO und UGT - wie so oft - den Widerstand sabotiert haben und passiv blieben.

Es gibt auch wichtige Streiks bei Coca Cola und Pepsico. Letzterer hält bereits seit 6 Monaten an.

Eine weitere wichtige Entwicklung sind die Unabhängigkeitsbestrebungen, v.a. in Katalonien. Die regionale Regierung will ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region im November durchführen, was die nationale Regierung unterbinden möchte. Ein großer Teil der spanischen Linken hat freilich in der nationalen Frage eine problematische Position - entweder wird sie ignoriert oder aber es kommt zur Anpassung an nationalistische Strömungen. Zweifellos müssen RevolutionärInnen das Selbstbestimmungsrecht unterstützen. Andererseits muss vor allen Illusionen in ein unabhängiges kapitalistisches Katalonien gewarnt werden.

Podemos

Nach den Erfahrungen der Kämpfe in den letzten Jahren ist vielen AktivistInnen bewusst geworden, dass es nicht reicht, Plätze zu besetzen, sondern dass auch eine politische Alternative aufgebaut werden muss. Eine neue linke Formation ist das Wahlbündnis „Podemos“. Es will bereits zu den Europawahlen antreten und hat in einer Umfrage in der Hauptstadt Madrid bis zu 6% erhalten. Allerdings ist die politische Plattform dieser neuen Formation alles andere als klar. Das Wahlprogramm ist reformistisch, von Antikapitalismus oder gar Revolution weit entfernt. Andererseits schafft es „Podemos“, regelmäßig Versammlungen von mehreren hundert und bis zu tausend Interessierten auch in kleineren Städten zu organisieren und viele Leute, die bisher nicht politisch aktiv waren, anzuziehen. Die endgültige politische Ausrichtung von „Podemos“ ist nach wie vor noch offen und keineswegs ausgefochten, auch wenn die provisorische Führung einen reformistischen Kurs einzuschlagen scheint. Die Stimmung an der Basis aber ist kämpferisch und offen auch für antikapitalistische Positionen.

Aus der Beschreibung von Esther Vivas und von GenossInnen von „Podemos“ in Berlin geht hervor, dass es sicher kein „Vereinigungsprojekt“ linker Gruppen ist, sondern vielmehr ein politisches Organisierungsprojekt, das aus einer Massenbewegung hervorging, viele neue AktivistInnen umfasst und unserer Meinung nach mit der Entstehung der WASG in Deutschland vergleichbar ist.

„Podemos“ ist sicher eine interessante Entwicklung in der spanischen Linken, die auch eine echte Alternative zur spanischen Linkspartei „Izquierda Unida“ werden kann. Die reformistischen Tendenzen müssen natürlich klar und offen kritisiert werden. Andererseits wäre es mit Sicherheit falsch und sektiererisch, das Projekt von vornherein abzuschreiben und sich dazu passiv zu verhalten, wie es ein Teil der Linken oft zelebriert. RevolutionärInnen sollten in „Podemos“ aktiv eingreifen und für dort eine revolutionäre Politik und Programmatik eintreten.

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Nr. 189, Mai 14
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*  Lage in der EU: Ein Kontinent in der Krise
*  Heile Welt
*  Spanien: Welche Perspektive nach 6 Jahren Krise?
*  Lage der Jugend: Generation prekär
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*  AKL und SAV: Antikapitalismus im Reformhaus?
*  Lesekreis: Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat abschaffen - aber wie?
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