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Vor dem DGB-Kongress

Für eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik!

Tobi Hansen, Neue Internationale 189, Mai 2014

Alle vier Jahre wählen wir in unserer „Demokratie“ ein neues Parlament mit meistens vorhersehbaren Ergebnissen, manchmal auch mit positiven Überraschungen wie dem Ausscheiden der FDP im vergangenen Jahr. Alle vier Jahre findet auch der DGB-Bundeskongress statt, dieses Jahr vom 11.-16. Mai in Berlin, allerdings sind hier nur wenig Überraschungen zu erwarten. Michael Sommer tritt nach 12 Jahren ab, sein Nachfolger, Reiner Hoffmann von der IG BCE, war schon im Bundesvorstand und Elke Hannack als amtierende Stellvertreterin vertritt weiterhin die Interessen der CDA (Christdemokratischen ArbeitnehmerInnen) im ansonsten sozialdemokratisch besetzten DGB-Vorstand.

Sommers Bilanz

Wir wollen hier keine „Laudatio“ auf Kollegen Sommer bringen, aber einige Punkte müssen schon  erwähnt werden. Unter Sommer haben es die DGB-Gewerkschaften in 9 Jahren der Kanzlerschaft Merkels geschafft, keinen nennenswerten Widerstand gegen die Politik der Regierung aufzubauen, stattdessen wurden die Kategorien Sozialpartnerschaft und Co-Management weiter vertieft.

Sommer war auch jener DGB-Vorsitzende, der öfter einen „heißen Herbst“ ankündigte, der sich dann aber immer nur als laues Lüftchen entpuppte, der dem Kapital nie Feuer unterm Hintern machte - und das auch weder wollte noch sollte. Schließlich fällt in seine Amtszeit die Verabschiedung der „Agenda 2010“ und der „Harz-Gesetze“, die den größten Sozialkahlschlag in der Geschichte der BRD markieren.

Die Lage der Beschäftigten und der Arbeitslosen in der BRD hat sich in Sommers Amtszeit massiv verschlechtert. Es waren 12 Jahre, in denen die DGB-Einzelgewerkschaften ihre Politik an den Erfordernissen des deutschen Kapitals ausrichteten, im schweren Krisenjahr 2009 z.B. gänzlich auf Tarifforderungen verzichteten und stattdessen Kurzarbeit und Verlagerung in die Leiharbeit mitmachten.

Während Sommers Leistungen bestimmt gewürdigt werden - u.a. vom Bundespräsidenten Gauck - ist sein designierter Nachfolger Hoffmann bislang für Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständig gewesen und war 2003-09 stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) - beides Bereiche, in denen die Gewerkschaftsführungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten nur im Sinne des Kapitals geglänzt haben.

Dabei gab es durchaus Anlässe und Möglichkeiten, um effektiver Widerstand gegen die Krisenfolgen und die Angriffe von Staat und Kapital zu leisten - von den Notwendigkeiten, die Interessen der Lohnabhängigen zu verteidigen, ganz abgesehen. So z.B. die gewerkschaftlichen Massenproteste gegen Schröders Agenda-Politik, die Montagsdemos gegen Hartz IV, die Streiks für die 35-Stunden-Woche im Osten oder die betrieblichen Aktionen gegen die Einführung der Rente mit 67. All diese realen Ansätze von Klassenkampf wurden nicht genutzt, abgeblockt oder beerdigt. Das ist die wahre Bilanz des DGB unter Sommer!

Die Überlassenschaft: die Tarifeinheit

Ein Ziel konnte Sommer jedoch nicht gemeinsam mit den „Sozialpartnern“ des Kapitals vollenden: die „Tarifeinheit“. Unter diesem scheinheiligen Motto wurde schon 2011 versucht, die Rechte - v.a. das Tarif- und Streikrecht - von kleineren Gewerkschaften einzuschränken und ihnen die Verhandlungsbasis zu entreißen. Damals scheiterte dies am Widerstand der Basis, die deutlich den verschiedenen Vorständen in die Parade fuhr.

Der ver.di-Bezirk Nordrhein-Westfalen, der Fachbereich Medien bei ver.di, der IGM Bezirk Frankfurt/M. lehnten z.B das Vorhaben der „Sozialpartner“ ab, am Ende war sogar ver.di-Chef Bsirske genötigt, zum Gegner dieser „Tarifeinheit“ zu werden.

Ziel dieser Tarifeinheit ist die Ausschaltung der jeweils kleineren Gewerkschaft. Gibt es in einem Betrieb mehrere konkurrierende Tarifverträge, so soll nur der Anwendung finden, der von der Mehrheit oder größten Gruppe im Betrieb stammt. Somit würden die anderen Gewerkschaften ihr Verhandlungsrecht und praktisch ihre Anerkennung als Gewerkschaft verlieren, inklusive der rechtlich gesicherten Mittel der Tarifauseinandersetzung wie dem Streikrecht.

Auf Initiative der Gewerkschaftslinken (IVG), der Berufsgewerkschaften (z.B. GdL), linken Gruppierungen und syndikalistischen Kreisen entstand 2011 eine gemeinsame Initiative, die gegen die „Tarifeinheit“ mobilisierte und damit viele KollegInnen in den Einzelgewerkschaften erreichte. Gerade diese „Vielfalt“ des Bündnisses zeigte, worum es ging - um die Existenzbedingungen von Gewerkschaften in der BRD, wer sich organisieren darf und welche Mittel eine Gewerkschaft einsetzen darf.

Die Vorstände der DGB-Gewerkschaften geben sich Mühe, die Berufsgewerkschaften auf die Stufe der „unabhängig/christlichen“, sprich gelben Gewerkschaften zu stellen, aber damit können diese Vorstände leider nicht erklären, warum diese Berufsgewerkschaften in den letzten beiden Jahrzehnten oft erfolgreicher als sie selbst waren. Es war doch nicht der plötzlich hereinbrechende „Standesdünkel“, der ÄrztInnen, LokführerInnen oder PilotInnen zum Marburger Bund, zur GdL oder zu Cockpit trieb, sondern die schlechte Tarifpolitik der vorhandenen DGB-Gewerkschaften.

Natürlich werden die Beschäftigten immer jene Interessenvertretung bevorzugen, die real ihre Arbeitsbedingungen verbessert und in der Lage ist, Angriffe des Unternehmens auf die sozialen Rechte der Beschäftigten abzuwehren. Die angesprochenen Berufsgruppen konnten diese Erfahrung machen, ihre Interessen wurden von „ihren“ Berufsgewerkschaften besser vertreten als von ver.di, die zuvor meist dafür zuständig war.

Doch anstatt eine andere Tarifpolitik zu verfolgen und z.B. die Arbeitszeiten von Assistenzärzten zu verbessern und die Bedürfnisse dieser Beschäftigten besser zu vertreten, verfolgt die DGB-Spitze lieber eine Gesetzesinitiative mit der Bundesregierung und dem „Bund deutscher Arbeitgeber“ (BDA).

Aufgeschreckt durch den eindrucksvollen Streik von cockpit bei der Lufthansa, als dieser Konzern drei Tage alle Flüge in Deutschland einstellen musste, wurden die Interessen von Regierung und Kapital deutlich. Verkehrsminister Dobrindt (CSU) sprach von „volkswirtschaftlichen Gefahren“ und BDI-Chef Grillo warnte vor „zu viel Macht“ dieser Gewerkschaft auf Kosten der Passagiere.

Tarifeinheit ohne Eingriff ins Streikrecht?

Nach der allgemeinen Stimmungsmache gegen cockpit und der wieder startenden Initiative zur Verteidigung des Streikrechts haben sich die DGB-Gewerkschaften wieder schrittweise von der Tarifeinheit entfernt, die Losung lautet nun „Tarifeinheit ja - aber ohne Eingriff ins Streikrecht“.

Wie das gehen soll, ist zwar schleierhaft, aber vor dem DGB-Bundeskongress hört sich das schon mal besser an. So hat es bei der IG Metall, bei ver.di und bei der IG BCE an der Basis kräftig rumort, denn auch diese Gewerkschaften könnten ja mal in der Minderheit sein, z.B. gegenüber einer „unabhängigen“ oder „christlichen Gewerkschaft - das wäre dann das Ende der DGB-Gewerkschaft im Betrieb.

Allein die Tatsache, dass die DGB-Spitzen immer wieder dieses Thema aufgreifen und sich anscheinend in der Hinsicht für nichts zu Schade sind, zeigt, dass es eine politische Opposition in den Gewerkschaften braucht. Die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG) stellt einen ersten Bezugspunkt für kritische und antikapitalistische KollegInnen dar, doch fehlt in vielen Regionen und Städten eine örtliche Struktur.

Labourstart-Konferenz vom 23.-25.5. in Berlin

Nach dem DGB tagt zunächst der IGB (Internationaler Gewerkschaftsbund) und ganz am Ende kommt die Labourstart-Konferenz, auf der sich dann aktive GewerkschafterInnen aus aller Welt treffen. Dort finden dann Diskussionen und Workshops statt, z.B. zur Lage der EU, zur gewerkschaftlichen Arbeit in Diktaturen, zum Aufbau globaler Gewerkschaftsarbeit, zur Lage der Frauen in der Arbeitswelt, zu Arbeitsmigration und was AktivistInnen dort miteinander planen können.

Dieser Austausch zwischen internationalen AktivistInnen ist wichtig und geschieht in vielen gewerkschaftlichen Bereichen viel zu selten, weshalb auch wir an dieser Konferenz teilnehmen werden. Wir wollen ins Gespräch darüber kommen, wie Gewerkschaftsarbeit heute unter den Bedingungen der Krise stattfindet und wie sich kämpferische GewerkschafterInnen verbinden können. Dieser Aufbau von internationalen Strukturen ist wichtig, darf aber nicht auf Informationsaustausch begrenzt sein. Stattdessen muss bei solchen Konferenzen die Grundlage für eine gemeinsame politische Arbeit in den Gewerkschaften, in Betrieben, im Widerstand gegen die globalen Angriffe des Kapitals gelegt werden. Hier können wir uns verbinden gegen jegliche Form der Standortpolitik und des Co-Managements, die von vielen Gewerkschaftsführungen betrieben werden. Wir brauchen daher eine politische Opposition gegen sozialdemokratisch-reformistische Politik.

International können wir neue „Brennpunkte“ gewerkschaftlicher Politik beobachten. In Asien haben in den letzten Jahren die Arbeitskämpfe massiv zugenommen und sind Beweis einer erwachenden Arbeiterbewegung in diesen Staaten. Die Streiks der TextilarbeiterInnen in Kambodscha um den Jahreswechsel hatten das Regime herausgefordert, auch in Bangladesch und Pakistan sind die Gewerkschaften dieser Branche aktiv. In China gibt es die meisten Streiks im globalen Kapitalismus (Deutschland liegt dort mit der Schweiz am Ende der Skala). Chinas Arbeiterbewegung ist nicht nur zahlenmäßig die größte der Welt, sie hat auch ein deutlich größeres Gewicht bekommen und ist insofern auch eine Herausforderung für die globale Gewerkschaftsbewegung.

Basisbewegung

Es muss darum gehen, kritische GewerkschafterInnen hinter einem politischen Programm, hinter einer antikapitalistischen Richtung zu vereinen. Reine Gewerkschafterei und/oder syndikalistische Methodik hilft nicht beim Kampf gegen die reformistischen Führungen, sie lässt diese letztlich unangetastet, z.B. auf dem Feld der „allgemeinen“ Politik. Auch wenn viel Arbeit in Netzwerken und Initiativen wichtige Verbindungen herstellt und zu gemeinsamen Aktionen führen kann, dürfen wir dabei nicht stehen bleiben.

Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung in Betrieb und Gewerkschaft, die sich z.B. gegen Eingriffe ins Streikrecht wendet und europäische und internationale Perspektiven anbietet, ist eine wichtige Notwendigkeit der heutigen Lage.

Nur so können Sozialpartnerschaft und Co-Management wirksam bekämpft werden, können die Gewerkschaften wieder die Interessen der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Prekarisierten - ja  aller Teile der Klasse wirksam vertreten. Doch dafür braucht es einen politischen Kampf in den Gewerkschaften - gegen deren Kurs, gegen deren Führungen und gegen deren oft undemokratische Strukturen. Einen solchen Kampf werden wir beim DGB-Bundeskongress nicht sehen, aber es muss unser Ziel sein, dahin zu kommen.

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Nr. 189, Mai 14
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