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Luxemburg/liebknecht-Ehrung

In wessen Spuren?

Martin Suchanek, Neue Internationale 185, Dezember 2013/Januar 2014

Die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration ist - wie jedes Jahr - eine Demonstration verschiedener Strömungen, von Linken verschiedener Spektren gegen Kapitalismus, Imperialismus und Ausbeutung. Aber sie ist auch mehr und mehr zu einem leblosen Ritual geworden, zu einer Mischung aus Gedenken und Gedankenlosigkeit. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Die Demonstration hat keinen wirklichen Bezug zu den aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Damit ist nicht diese oder jene teilnehmende Gruppierung gemeint, sondern vielmehr der immergleiche Ablauf der Demonstration. Der Aufruf zur LL-Demonstration ist - zurecht - nicht weiter bekannt und im Grunde immer derselbe.

Die Demonstration ist daher für die Klassenkämpfe, Mobilisierungen, Aktionen über den 2. Sonntag im Januar hinaus somit folgenlos. Einen Versuch, die Lohnabhängigen über die schon organisierte Linke hinaus zu erreichen, gibt es nicht.

Politisch-ideologisch ist die Demonstration v.a. von Gruppierungen geprägt, die aus einer stalinistischen Tradition stammen. Das fängt bei den eigentlichen OrganisatorInnen an und zeigt sich auch auf der Demonstration selbst. Schon das gibt dem Gedenken an Liebknecht, Luxemburg und Lenin einen fragwürdigen Charakter. Hier sollen kommunistische TheoretikerInnen und PolitikerInnen in eine letztlich dem Kommunismus fremde Tradition, die untrennbar mit der Verteidigung bürokratischer Herrschaft über das Proletariat verbunden ist, missbraucht werden.

Nicht minder abstoßend ist, wenn ReformpolitikerInnen der Linkspartei oder gar SPD-Apparatschicks aus der zweiten, vorgeblich linken Juso-Reihe Karl und Rosa ihre Aufwartung machen und - wie die Stalinisten - deren Erbe nur für die eigenen, alles andere als revolutionären und emanzipatorischen Zwecke missbrauchen.

Es gibt also viel zu kritisieren an der LL-Demonstration. Und es bedarf auf keiner großen Kenntnis des politischen Werks der beiden RevolutionärInnen, um zu wissen, dass ihnen eine solche „Gedenkform“ zuwider gewesen wäre.

Der beklagenswerte, ritualisierte Charakter des „Gedenkens“ wirft jedoch auch die Frage auf, was ein Gedenken an Luxemburg und Liebknecht bedeutet. Es geht hier nicht einfach um die „Verehrung“ zweier heroischer KämpferInnen, die sie, wie auch hunderttausende, ja Millionen namenlose Opfer der herrschenden Klasse, waren. Es geht v.a. darum, an welche ihrer Positionen revolutionäre, kommunistische Politik heute anknüpfen kann und muss, welche für die gegenwärtigen und zukünftigen Klassenkämpfe fruchtbar zu machen sind.

Im Folgenden wollen wir thesenartig darlegen, an welchen Positionen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht es auch heute anzuknüpfen gilt.

1. Massenstreik als revolutionäres Kampfmittel

Rosa Luxemburg hebt zurecht die Bedeutung des POLITISCHEN Massenstreiks als eines revolutionären Kampfmittels hervor - als Mittel zur Vereinheitlichung der Klasse der Lohnabhängigen, gerade, weil der rein gewerkschaftliche Kampf, der Teilkampf der schon Organisierten seine Grenzen hat.

Sie sieht ihn als Mittel der Zuspitzung und Einbeziehung der Massen, als Mittel zu deren praktischem Selbstständigwerden.

Daher richtet sich ihre Kritik nicht nur an die Gewerkschaftsbürokratie und die Parteirechte in der Sozialdemokratie, sondern auch gegen Kautskys' Demonstrations-Streikkonzeption und seine „Ermattungsstrategie“.

2. Anti-Militarismus und Internationalismus

Liebknechts und Luxemburgs Politik ist untrennbar mit dem Kampf gegen militärische Intervention, gegen die Militarisierung v.a. der Jugend verbunden.

Die imperialistische Politik der „eigenen herrschenden“ Klasse, des Hauptfeinds, der im eigenen Land steht, muss ihnen zufolge mit den Mitteln des Klassenkampfes bekämpft werden. Dazu gehört ihr Eintreten für gemeinsame Aktion der Arbeiterklasse, die Agitation im Krieg, die selbst half, die politischen Grundlagen für Streikaktionen wie jene in der Rüstungsindustrie Anfang 1918 zu legen.

Anti-Militarismus war für sie keine auf ein Land beschränkte Sache, sondern untrennbar mit der internationalen Aktion der Klasse verbunden - und damit auch mit dem Kampf für den Aufbau einer neuen Internationale, nachdem die Zweite degeneriert war.

3. Charakterisierung der Epoche als imperialistisch

Luxemburg erkennt wie eine Reihe anderer TheoretikerInnen, dass an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein Epochenwechsel stattfindet, dass der Kapitalismus zu einem Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung geworden ist.

Entgegen den Vorstellungen der revisionistischen Theoretiker in der Sozialdemokratie hebt sie hervor, dass wir in eine Epoche der engeren Verschmelzung von Staat und Kapital, der Aushöhlung der Demokratie eingetreten sind. Daher kommt für sie auch die Entwicklung zum Krieg um eine Neuaufteilung der Welt nicht überraschend, sondern wird vorhergesehen. Prägnant wird das in der Formulierung der historischen Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ ausgedrückt.

4. Kritik am Reformismus

Luxemburg erkennt als eine der ersten, dass das reine Gewerkschaftertum und der Revisionismus als frühe Formen des Reformismus unbedingt bekämpft werden müssen. Sie erkennt früher als viele andere, dass es sich hier nicht um einen anderen Weg zum gleichen Ziel, sondern letztlich auch um ein anderes Ziel handelt - und damit um die Aufgabe des Klassenstandpunktes des Proletariats überhaupt.

Der Sozialismus ergibt sich für Luxemburg “aus den immer mehr sich zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der Arbeiterklasse von der Unerläßlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung.”

Und weiter schreibt sie: “Leugnet man das eine und verwirft man das andere, wie es der Revisionismus tut, dann reduziert sich die Arbeiterbewegung zunächst auf simple Gewerkvereinlerei und Sozialreformerei und führt durch eigene Schwerkraft in letzter Linie zum Verlassen des Klassenstandpunktes.” (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution)

5. Kritik am Versöhnlertum

Für Luxemburg ist Reformismus - selbst wenn er den Sozialismus als „Endziel“ einer fernen Zukunft proklamiert - bürgerliche Politik, der „linke“ Flügel der bürgerlichen Ordnung. Sie wendet sich aber nicht nur gegen die Berufsverräter der Bürokratie, welche  die Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien bis heute beherrschen; sie wendet sich auch gegen alle, die den grundlegenden Unterschied zwischen Kommunismus und Reformismus unter den Teppich kehren wollen.

Luxemburg wendet sich daher mit großer polemischer und analytischer Schärfe auch gegen das Versöhnlertum, gegen den Zentrismus. So kritisiert sie schon sehr viel früher als andere auch die Politik Kautskys in der Sozialdemokratie.

6. Notwendigkeit der proletarischen Diktatur

Alle Kampfmittel, Teilkämpfe, jede Taktik werden von Luxemburg letztlich als Mittel zum Erreichen des eigentlichen Ziels der Arbeiterklasse, der geschichtlichen Bewegung, des revolutionären Sturzes des Kapitalismus begriffen. Das heißt, dass der Kampf um die politische Machtergreifung, die Errichtung der Diktatur des Proletariats geführt werden muss.

Für Luxemburg entspricht die soziale Revolution einem weltgeschichtlichen Bürgerkrieg, einem Krieg zwischen Klassen. Daher muss sich die revolutionäre Klasse auch rüsten, um diesen Krieg zu gewinnen. Prägnant formuliert sie das in „Was will der Spartacusbund?“: „Eine solche Ausrüstung der kompakten arbeitenden Volksmasse mit dem ganzen politischen Arsenal für die Aufgaben der Revolution, das ist die Diktatur des Proletariats und deshalb die wahre Demokratie.“

Zweifellos hatte Luxemburg nichts mit der bürokratischen Diktatur des Stalinismus am Hut. Für sie war Sozialismus die breiteste Demokratie der arbeitenden Massen. Aber sie war auch keine Dutzend-Demokratin, die sich davor gescheut hätte, offen die Notwendigkeit auszusprechen, dass die ArbeiterInnenklasse zu ihrer Befreiung die politische Macht nicht nur erobern, sondern auch verteidigen muss.

7. Notwendigkeit der revolutionären Partei

Für Luxemburg steht die Notwendigkeit der Organisierung der Avantgarde, der bewusstesten Teile der Arbeiterklasse zur politischen Partei nie in Frage.

Luxemburg besteht vielmehr - und zwar zurecht - darauf, dass diese auch die Aktion der Gewerkschaften resp. der Parteimitglieder in Gewerkschaften und Bewegungen bestimmen muss.

Das zeigt sich natürlich auch darin, dass ein zentraler Teil ihres Lebenswerkes der Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei war: der Sozialdemokratie in Polen und Litauen, der Kampf auf dem linken, revolutionären Flügel der SPD und die Gründung der KPD.

Ihr Verständnis davon kommt deutlich zum Ausdruck in „Was will der Spartacusbund?“: „Der Spartacusbund ist nur der zielbewußteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtliche Aufgabe hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt.“

Zweifellos zeigte Luxemburgs Werk auch etliche Schwächen: so ihre Akkumulations- und Krisentheorie; ihr falsches Verständnis der nationalen Frage; ihr Zögern im Kampf um die Gründung der Kommunistischen Internationale (siehe dazu den Beitrag „Luxemburgs Beitrag zum Marxismus“ ).

Zweifellos hat sie in etlichen Abschnitten ihres Werkes und Wirkens die Rolle der Spontanität im Klassenkampf zu hoch bewertet. Selbst ihren Überspitzungen lag jedoch ein richtiges Element zugrunde, wo es sich gegen die bürokratische, passive und anti-revolutionäre Behäbigkeit der Sozialdemokratie und Gewerkschaften wandte.

Die Vorstellung, dass Luxemburg eine grundlegende Alternative zum Leninismus darstelle oder herausgearbeitet habe, ist jedoch eine nachträgliche Konstruktion, die ihr Werk selbst entstellt. Es ist eine Mythologisierung, die Stalinismus und Sozialdemokratie teilen, um die jeweils eigene, nicht-revolutionäre Politik zu legitimieren.

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Nr. 185, Dez. 13/Jan. 14
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