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Bundestagswahlen

LINKE wählen, aber Widerstand organisieren!

Hannes Hohn, Neue Internationale 182, September 2013

Die Bundestagswahlen finden in einer widersprüchlichen Situation statt. Die globale Lage ist von einer tiefen, historischen Krise des Kapitalismus geprägt. Wo es überhaupt Wirtschaftswachstum gibt, liegt dieses knapp über Null. China, der „Motor der Weltwirtschaft“, kommt immer mehr ins Stottern. Japan, die zweitgrößte Ökonomie, ist trotz eines enormen Konjunkturprogramms, das den Wert des Yen drückt, um den Export anzukurbeln, nach wenigen Monaten wieder in seine Dauer-Stagnation zurück gefallen. Auch in den USA - immer noch die weltgrößte Ökonomie - ist von Aufschwung nur wenig zu spüren. Wo eine gewisse „Stabilisierung“ und Wachstum durch „billiges Geld“ erkauft werden, so geht das oft genug auf Kosten anderer „Wachstumsregionen“, zur Zeit auf Kosten von Hoffnungsträgern des globalen Kapitalismus (Brasilien, Indien). In Europa selbst ist ein Ende der Krise der EU und des EURO nicht abzusehen, der aktuelle Jubel über Ansätze einer leichten Erholung gleicht eher dem Pfeifen im Walde.

Auch Deutschland, das vom EURO profitierte und seine dominante Stellung in Europa sowohl ökonomisch als auch politisch ausbauen konnte, bekommt nun die Flaute in (Süd)Europa zunehmend zu spüren. Die Wirtschaft und - aufgrund der Sparprogramme - auch die Kaufkraft in Südeuropa hat derart abgenommen, dass die deutsche (Export)Wirtschaft zunehmend darunter leidet, immerhin ist Europa immer noch der Haupthandels und -wirtschaftspartner Deutschlands.

Zu dieser stagnativen Grundtendenz der Weltwirtschaft kommt hinzu, dass die Risiko-Potentiale des Finanzsektors immer noch wachsen und die Hauptursache der Krise - die riesigen Überkapazitäten - nach wie vor existieren.

Natürlich ist die derzeitige Krise nicht nur von einem allgemeinem Abschwung gekennzeichnet, auch kurze, aber begrenzte Booms sind nicht ausgeschlossen. Vor allem aber ist die Krise von verschärfter Konkurrenz, wachsender Aggressivität des Imperialismus, von Instabilität und jähen Wendungen geprägt.

Die Sparprogramme unter der Regie der Troika aus IWF, EZB und EU haben in Südeuropa für einen sozialen Erdrutsch gesorgt: Verelendung breiter Schichten, Massenarbeitslosigkeit und der Niedergang der Wirtschaft provozierten massenhaften Widerstand. Doch mangels einer einheitlichen, zum Kampf entschlossenen Führung dieses Widerstands hatten die Proteste und begrenzten Streiks bisher fast keine Wirkung. Doch immerhin wurde deutlich, welch großes Widerstandspotential real vorhanden ist.

Deutschland

Ökonomisch wie politisch scheint Deutschland wie das Auge des Tornados zu sein, wo inmitten der größten Dynamik Ruhe herrscht. Warum ist das so?

Zum einen profitierte das deutsche Kapital massiv vom Euro und konnte seine Stellung als Exporteur industrieller Produkte weiter ausbauen. Als sich die Krise 2009 auch auf Deutschland massiv auswirkte, konnten mit Rettungspaketen (Bankenrettung und Abwrackprämie) und der Kurzarbeiterregelung Massenentlassungen verhindert und ein schnelles Reagieren der Unternehmen  auf die Erholung der Weltwirtschaft sichergestellt werden. Dazu konnten die deutschen Kapitalisten seit den Agenda-Reformen unter Schröder die Lohnquote gegenüber ihren Konkurrenten deutlich senken.

Zu diesen objektiven Faktoren des Klassenkampfes kommen aber auch andere, politische Umstände, die dazu führten und führen, dass es kaum Widerstand gibt. Die Hauptverantwortung dafür tragen die reformistischen Führungen und die bürokratischen Apparate der DGB-Gewerkschaften. Sie verhinderten massenhaften Widerstand oder blockten ihn ab - wie bei den Protesten gegen die Rente mit 67 oder die Montagsdemos gegen Hartz IV. Ja, sie stellten sogar Ideen und Personal für solche antisozialen Projekte wie die Riester-Rente oder die Hartz-Gesetze. Bestenfalls organisierte der DGB einige begrenzte symbolische Proteste. Selbst die letzten Tarifrunden brachten nur mäßige Abschlüsse knapp über oder um die Inflationsrate und oft genug mit zweijährigen Laufzeiten. Von einer Verbindung der Kämpfe verschiedener Branchen, um die Kräfte zu bündeln, gar nicht zu reden. Auch Unterstützung von Aktionen in anderen Ländern wie dem europaweiten Streikaktionstag am 14. November 2012 gab es nicht. Stattdessen riet IGM-Chef Huber den gebeutelten KollegInnen in Spanien zu weiterem Lohnverzicht.

Einen Schritt weiter - aber wie?

Allerdings zeigten nicht nur die Tarifrunden, dass es bei den KollegInnen durchaus Bereitschaft zum Kampf gibt. Einzelne Kämpfe wie jener bei Neupack oder der Streik der LehrerInnen in Berlin zeugen davon, dass es durchaus den Willen gibt, über „geregelten“ Protest hinaus zu gehen. Ein größeres Widerstands-Potential formierte sich in den vergangenen Monaten auch gegen die wachsende Misere auf dem Wohnungsmarkt. Auch einige Aktionen der „radikalen“ Linken wie am 1. Mai in Berlin oder bei Blockupy in Frankfurt/M. mobilisierten jeweils mehrere tausend oder sogar über zehntausend Menschen. Es gibt also auch im „Herzen der Bestie“ Ansätze von Widerstand und ein mobilisierbares Potential.

Um auch hierzulande den Klassenkampf voran zu bringen, müssen drei zentrale Aufgaben gelöst werden:

Aufbau einer klassenkämpferischen Basisopposition in Betrieb und Gewerkschaft, um die aktiven Teile der Klasse in einer handlungsfähigen Struktur zu sammeln, um Kämpfe initiieren oder gar führen und als Alternative zur Bürokratie und ihrer Ausverkaufspolitik sichtbar werden zu können. Dabei kommt auch der Gewerkschaftslinken eine wichtige Rolle zu.

Verknüpfung der verschiedenen Milieus von Widerstand (Streiks, Mieterproteste, Blockupy, Antifa, Griechenlandsolidarität, Flüchtlingsproteste usw.), um die Kräfte zu bündeln.

Aufbau von permanenten Mobilisierungsstrukturen vor Ort wie z.B. Anti-Krisen-Komitees  und deren bundesweite Koordinierung. Dazu wäre es z.B. nötig, bundesweite Konferenzen  durchzuführen, auf denen ein Aktionsfahrplan beraten und beschlossen wird.

All diese Aufgaben berühren natürlich auch die seit Jahrzehnten zentrale Frage des Klassenkampfes in Deutschland: die Dominanz des Reformismus in der Arbeiterklasse und im Gros der Linken und das Fehlen einer relevanten antikapitalistischen Kraft, einer revolutionären Arbeiterpartei. Gerade in einer solchen Situation ist es daher wichtig, in Bündnissen und Aktionen die Politik des Reformismus zu kritisieren und Forderungen an diese Kräfte und deren Führungen zu stellen, um sie zu entlarven und größere Teile der Avantgarde der Klasse für eine andere Politik und Organisierung zu gewinnen.

Ruhe vor dem Sturm?

Das deutsche Kapital jedenfalls wird - unabhängig von der kurzfristigen konjunkturellen Bewegung - die Hände nicht in den Schoß legen, im Gegenteil: die nächste Runde von Angriffen ist zumindest argumentativ schon eingeläutet. Da ist von einer Agenda 2020 die Rede, von Hartz V oder der Rente mit 69. Hinzu kommt, dass in etlichen Großbetreiben - nicht nur bei Opel Bochum - „Kapazitätsanpassungen“, also Massenentlassungen drohen.

Tatsächlich muss das deutsche Kapital etwas tun, um zu verhindern, dass sich seine global-imperialistischen Ambitionen nicht bald als Illusion erweisen. Trotzdem Deutschland nämlich seine Position in Europa stärken konnte, ist das EU/EURO-Projekt so fragil wie nie zuvor. Auch die Position des deutschen Kapitals in der Welt ist unsicher, weil erstens der imperialistische Block Europa nicht gut funktioniert und zweitens mit China eine neue, aufstrebende imperialistische Macht die Weltbühne betreten hat.

Egal, welche Regierungskoalition sich nach dem 22. September ergibt: es werden neue Angriffe kommen.

Auch wenn es als gewiss anzunehmen ist, dass auch die nächste deutsche Regierung von Merkel und der CDU/CSU geführt wird, so war deren Regierungspolitik keineswegs ein reines Erfolgsmodell für das Kapital. Die entscheidende Frage, die Formierung eines europäischen imperialistischen Blocks unter deutscher Führung, ist zwar ökonomisch relativ gestärkt worden,  politisch aber keineswegs gesichert. Im Gegenteil, sie kann durchaus an den widerstreitenden nationalstaatlichen Interessen, genauer an den Gegensätzen der imperialistischen Mächte in der EU wieder zerbrechen.

Wen wählen?

Die Lösung der Führungsfrage der EU und der Eurozone ist nicht nur eine Frage überlegener wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit, sondern v.a. eine politische Frage. Egal ob es nun zur Wiederauflage von Schwarz-Gelb, einer Großen Koalition oder Schwarz-Grün kommen sollte - in jedem Fall wird es darum gehen, dass die nächste Bundesregierung versuchen muss, offener und direkter die deutsche Führung Europas auch institutionell durchzusetzen, also eine quasi-offiziellen Anerkennung durch andere historische Kapitalistenklassen Europas zu erhalten. Ironischerweise hatten sowohl Kohl als auch Schröder/Fischer mehr von einer europäischen imperialen „Vision“ zu bieten als die Pragmatikerin Merkel, deren Schwächen für den deutschen Imperialismus auf der Bühne der Weltpolitik und globalen politischen Konkurrenz immer wieder zu Tage treten.

Einige Linke meinen, dass Wahlen nichts Grundsätzliches am System ändern würden. Das ist ganz allgemein richtig, doch trifft das auch auf symbolische Aktionen zu. Nach dieser Logik wäre also fast jede Aktivität obsolet, sofern sie nicht direkt die Macht des Kapitals in Frage stellen kann.

Zweitens ist der Ausgang einer Wahl - weil er das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen widerspiegelt - für den Klassenkampf keineswegs egal. Er ist gewissermaßen ein Barometer für die Stimmung, für das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen wie in der Arbeiterbewegung selbst.

Die Realität ist etwas vielfältiger strukturiert als die Gehirne mancher Linker. Wahlen sind eben auch von einem stärkeren politischen Interesse vieler Menschen gekennzeichnet. Und immerhin müssen sich Parteien direkter als sonst „ihren“ WählerInnen und deren Erwartungen  präsentieren.

Das betrifft in besonderem Maße die beiden reformistischen Parteien SPD und DIE LINKE. Beide stützen sich - im Unterschied zu allen anderen - historisch und sozial wesentlich auf die Arbeiterklasse bzw. die Arbeiterbewegung. Trotzdem ist ihre Politik insgesamt bürgerlich - was trotz manch linker Phrase auch auf die Linkspartei zutrifft. Sie bewegt sich komplett im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen. Sie ist ebenso wie die SPD eine bürgerliche Arbeiterpartei - bürgerlich in ihrer Politik, (überwiegend) proletarisch hinsichtlich ihrer sozialen Verankerung.

Die LINKE unterscheidet sich von der SPD freilich in zweierlei Hinsicht. Erstens ist die Sozialdemokratie über Jahrzehnte ungleich stärker mit dem deutschen Staat verbunden. Zweitens verfügt die SPD über sehr enge strukturelle Verbindungen zur DGB-Bürokratie. Die Politik der SPD, sich wieder einmal als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu bewähren und diesen Kurs selbst in der Opposition und im Wahlkampf mehr oder weniger nahtlos durchzuhalten, belegt nicht nur die engen, nun schon gut 100jährigen Bindungen des sozialdemokratischen Reformismus an den deutschen Imperialismus und seinen Staat - sie hat auch dazu geführt, dass die Position der SPD in der Arbeiterklasse schwächer geworden ist, dass sie sich (ganz ähnlich wie die Gewerkschaften) mehr und mehr auf bestimmte, relative privilegierte Teile der Klasse, die Arbeiteraristokratie, stützt (grob gesagt, auf die Belegschaften in den großen, konkurrenzfähigen Kernunternehmen des deutschen Kapitalismus).

Die LINKE hingegen ist enger mit Arbeitslosen und sozialen und linken Initiativen und Mobilisierungen verbunden ist - was sich nicht zuletzt auch in den Wählerströmungen zeigt. Sie repräsentiert auch jenen, traditionell sozialdemokratisch geprägten Teil der Arbeiterklasse, der sich eine Rückkehr zu den angeblich besseren Tagen der SPD nur noch von der Linkspartei erhofft.

Diese Verbindungen und die entsprechenden Erwartungen von Lohnabhängigen in sie sind es auch, die es möglich und notwendig machen, Forderungen an sie zu stellen und sie in der Praxis zu  testen. Wenn es gelingt, sie zu mehr Aktivität, zur Unterstützung von Widerstand, zur aktiven Umsetzung ihrer Versprechen zu bewegen - gut; wenn nicht, können so wenigstens die Illusionen in diese Parteien einem Test unterzogen werden.

Kritische Unterstützung der Linkspartei!

Wir rufen daher zu den Bundestagswahlen zur Wahl der Linkspartei auf.

Die LINKE ist politisch nicht nur linker als die SPD (wiewohl - siehe die Politik in gemeinsamen Landesregierungen - dieser Unterschied nicht überbewertet werden sollte). Sie muss auch nicht wie diese zentrale Angriffe wie Hartz IV, die Rente mit 67 oder die Auslandseinsätze verantworten, schon, weil sie bisher an keiner Bundesregierung beteiligt war. Sie ist zudem auch stärker in sozialen Bewegungen aktiv und enger mit linkeren, aktiveren Teilen der Gewerkschaft verbunden. All das bedeutet, dass sie generell die bewussteren Schichten der Arbeiterklasse an sich bindet - und sei es auch nur als WählerInnen und UnterstützerInnen, die mangels eine sichtbaren, massenwirksamen revolutionären Alternative die Linkspartei wählen, um ihre Ablehnung der Politik der Regierungsparteien wie auch von SPD und Grünen zum Ausdruck zu bringen.

Wie wenig sie eine wirkliche Alternative darstellt, erweist sie nicht nur auf programmatischer Ebene, sondern auch beim Verzicht auf jede Kritik am Kurs der Gewerkschaften und bei ihrer Weigerung, einen eigenen Flügel oder eine Opposition gegen die Bürokratie im DGB aufzubauen. Im Gegenteil, sie hofft möglichst viele sozialdemokratische AnhängerInnen - nicht zuletzt auch aus dem Apparat - von der SPD erben zu können. Trotzdem richten sich die Erwartungen von Teilen der Vorhut der Klasse, von Arbeitslosen und Linken stärker auf die LINKE. So ist es auch besser möglich, diese Milieus dazu zu bringen, Forderungen an die LINKE zu stellen und sie anhand dieser zu testen.

Nach der Wahl

Hinzu kommt, dass ein Wahlerfolg der LINKEN auch als Ausdruck des Protestes gegen die herrschende Politik und den Kapitalismus verstanden und so auch eine Ermutigung für Widerstand darstellt, unabhängig vom links-reformistischen Gehalt dieser Politik.

Deshalb ist es entscheidend, nicht nur mit der Stimmabgabe zu zeigen, was man will, sondern aktiv für die eigenen Ziele zu kämpfen:

Alle Initiativen gegen die Regierungspolitik und die Unternehmerwillkür müssen unterstützt werden und bundesweit koordiniert! Für eine Aktionskonferenz der Sozialen Bewegungen, von GewerkschafterInnen, linken Parteien und Organisationen, um einen gemeinsamen Aktionsplan gegen die Angriffe der nächsten Regierung und zur Koordinierung des Widerstandes in Europa zu beraten und zu beschließen!

In den Gewerkschaften müssen wir einen kämpferischen Kurs gegen Kabinett und Kapital eintreten! Schluss mit dem Kuscheln mit Merkel und dem Ausverkauf der Tarifbewegungen! Schluss mit den Standortsicherungen, die sich gegen die KollegInnen in anderen Werken oder im Ausland richten und die Standards senken! Gerade auch von den LinksparteilerInnen in den Reihen der Gewerkschaften fordern wir mehr Opposition gegen die Spitze, gerade sie müssten helfen, eine Opposition aufzubauen!

In der Praxis sollen die KandidatInnen der LINKEN zeigen, wofür sie wirklich stehen, da können ihren Worten Taten folgen.

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