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Islamismus

Wer hat Angst vor Salafisten?

Tobi Hansen, Neue Internationale 170, Juni 2012

Seitdem 2001 der „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen wurde, sind genügend Feindbilder mit islamischem Hintergrund entstanden. Politik und Medien waren eifrig bemüht, den „Schläfer“, die „Al-Qaida“ oder auch den „Kaplan von Köln“ im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Sämtliche Verschärfungen der inneren Sicherheit wurden mit der potenziellen „islamistischen terroristischen“ Gefahr begründet, sei es die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, die Internetüberwachung oder die Verhöre angeblicher „Terroristen“ in den Folterkammern verschiedener Staaten.

Feindbilder

Diese Feindbilder wurden in der BRD weniger von den rechtsextremen Parteien und Gruppierungen erdacht - diese konnten den „Mainstream“ gar nicht mehr toppen, sondern mussten ihm wie die NPD oder Buchautor und SPD-Mitglied Sarrazin einfach zustimmen.

Neben dieser Hetze wurde es zuletzt für Staat und Rassisten schwierig, ein geeignetes neues Feindbild zu finden. Zwar bemühten sich alle Innenminister, die Zahl der angeblich in Deutschland befindlichen „Terroristen“ häufig per Pressekonferenz zu vermelden (meist waren es etwa 300), allerdings ist eine abstrakte Zahl nicht so gut geeignet zur Feindbilderzeugung.

Deshalb kamen die Salafisten in Deutschland seit Beginn des Jahres häufig in den Medien vor. Hier  wird ein konkretes Feindbild vor die Kameras gezerrt. Besonders eignete sich dafür eine „Protestkundgebung“ von „Pro NRW“ vor einer Moschee in Bonn. Diese regionale Rechtspopulistentruppe versucht seit Jahren, die Islamhetze auszunutzen, zuerst als „Pro Köln“ v.a. gegen den „Kaplan von Köln“. Daraufhin mobilisierten die Salafisten ca. 300 für den „Moscheeschutz“, welche sich recht militant gegen die Polizei verteidigten.

In Bonn schließlich ging das Kalkül der staatlichen Anti-Terror-Kämpfer auf. 30 Pro-NRWler präsentierten ihren rassistischen Dreck und konnten ungestört die Salafisten mit ihren Mohammed-Karikaturen provozieren, worauf diese auf die zwischen ihnen und den Pro-NRWlern stehende Polizei losgingen. So bekamen die Medien ihre „Terror-Salafisten“ vor die Linse.

Die Salafisten gehören zu den besonders reaktionären Strömungen im Islam. Ihre Vorstellungen ähneln der wahabitischen, saudi-arabischen Auslegung des Islam und der Ideologie, die Al Qaida zugeschrieben wird. Vergleichbar mit bestimmten reaktionären christlichen Sekten, vollzieht sich für den Salafismus die religiöse „Erleuchtung“ in einer bestimmten Lebensweise. Die Salafiyaa gilt als „Orientierung an den Altvorderen“, d.h. es soll nach der Tradition und Kultur des 7./8. Jahrhunderts gelebt werden, quasi die Gründungszeit des Islam. Dementsprechend vertreten die deutschen Salafisten mit dem Mediendarling und Konvertiten Pierre Vogel als Hauptprediger an der Spitze ein aggressives, chauvinistisches und durch und durch reaktionäres Frauen-, Menschen- und Weltbild.

Gegen diese reaktionäre Hetze hilft freilich kein Staat, keine Repressionsorgane, die in Bonn damit beschäftigt waren, die RassistInnen von Pro-NRW zu schützen.

So sehr wir als SozialistInnen religiöse Hetzer ablehnen und bekämpfen müssen, genau so müssen wir wissen, welche Ziele der bürgerliche Staat verfolgt. Wenn ein Innenminister vor „gewaltbereiten Extremisten“ warnt, so stehen immer auch die demokratischen Grundfreiheiten Aller zur Disposition: Wer darf sich wann und wo versammeln? Welche Organisationen sind zugelassen? Welche Mittel können Polizei und Verfassungsschutz  gegen „politische“ Gegner einsetzen?

Die Stimmungsmache gegen die Salafisten hat funktioniert. Als diese dann im Bundesgebiet den Koran umsonst verteilten, sahen manche Medien und Politiker schon das Abendland bedroht, obwohl das Verteilen von Schriften eigentlich zu den allgemeinen Grundrechten gehören sollte.

Wir lehnen grundsätzlich ab, dass sich der bürgerliche Staat zum Schiedsrichter über religiöse Überzeugungen macht. Wir fordern, dass die Überwachung der Moscheen und von Muslimen im Zuge des „Kampfes gegen den Terrorismus“ - selbst nur die innenpolitische Kehrseite der imperialistischen Intervention in Afghanistan u.a. „islamischen“ Ländern - beendet wird. Die Linke und die Arbeiterbewegung müssen gegen jede Einschränkung der demokratischen Rechte bekämpfen.

Das heißt natürlich nicht, wie wir politisch solche reaktionären Gruppen - wie auch die christlichen Kirchen - gleichgültig gegenüber stehen. Der Kampf gegen ihren ideologischen Einfluss auf Jugendliche und rassistische unterdrückte MigrantInnen und gegen jede reaktionäre Aktion - z.B. direkte Angriffe auf Frauen, Schule oder Lesben - muss vielmehr auf allen Ebenen entschlossen geführt werden.

Doch der Kampf gegen den Einfluss reaktionärer, religiöser Ideen unter rassistisch Unterdrückten kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn wir ihn als Teil des Kampfes gegen die gesellschaftlichen Grundlagen eines anwachsenden Islamismus begreifen und führen - rassistische Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung, die mehr und mehr Menschen in ein Leben der Hoffnungslosigkeit zwingen, wo religiöse Verklärung als letzter Trost in einer trostlosen Welt erscheint.

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Nr. 170, Juni 2012
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