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IT Branche

Fachkräftemangel?

Markus Lehner, Neue Internationale 167, März 2012

Seit einiger Zeit entdecken deutsche Unternehmen und ihre Presseorgane die Gefahr eines „Fachkräfte-Mangels“, der die Zukunft der Exportwirtschaft bedrohe. Tatsächlich ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ingenieure in den letzten beiden Jahren gesunken. Auf der anderen Seite hat sich dies auf die Gehaltsentwicklung so gut wie nicht ausgewirkt (durchschnittlich Inflationsausgleich).  Besonders aber wurde in allen Ingenieursbereichen in den letzten Jahren eine enorme Leistungs- und Arbeitsverdichtung vorgenommen, die sich in gestiegenen Fällen von Stresssymptomen und -erkrankungen deutlich macht. Nicht nur in dieser Beziehung fühlt man sich hier eher durch die Mangel gezogen und vom Mangel-Gefasel verarscht.

Insgesamt ist klar, dass das Kapital v.a. einen drohenden Mangel an billigen und belastbaren Arbeitskräften bejammert, auch in Hinblick auf die Grenzen der Verlagerung von fachkräfte-intensiven Arbeiten in Länder wie China und Indien. In Indien liegt die durchschnittliche Verweildauer z.B. eines IT-Ingenieurs in einer Arbeitsstelle bei etwa 3 Monaten - bis eine bessere Stelle gefunden wurde. So fehlt die Stabilität für längerfristige Projekte, die Unternehmen sind zurückgeworfen auf die „teuren“ europäischen Ingenieure. Das ändert aber nichts daran, dass das Kapital in seiner (Un)Logik versucht, gerade diese stabilen Arbeitsverhältnisse auch hierzulande zu untergraben.

Trotz des beschworenen „Fachkräftemangels“ läuft nämlich derzeit z.B. im deutschen IT-Sektor eine Entlassungswelle gerade im Ingenieursbereich. Das Ziel dabei ist, tarifliche und unbefristete Arbeitsverhältnisse durch „freie Mitarbeiter“ zu ersetzen.

Arbeitskampf bei Nokia-Siemens

Am heftigsten betroffen sind derzeit die Ingenieure bei Nokia Siemens Networks (NSN), aber auch z.B. bei Alcatel-Lucent und IBM. Bei NSN soll der gesamte Entwicklungsstandort München mit immerhin 3.600 Beschäftigten geschlossen werden. Großzügigerweise sollen 1.600 davon Angebote für Arbeitsplätze an anderen Standorten erhalten. Bundesweit sollen 2.900 Beschäftigte an 30 Standorten ihre Arbeitsplätze bis Jahresende verlieren. Begründet wird diese Ankündigung mit der „Notwendigkeit“ sich auf Kernbereiche zu konzentrieren, auf denen man mit der China-Konkurrenz mithalten könne. Dabei werden aber gerade mit dem Münchner Standort Fachkräfte gerade aus diesen Kernbereichen auf die Straße gesetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass diese dann über andere Formen von Arbeitsverhältnissen weiter beschäftigt werden.

Im Grunde geschieht hier im Ingenieursbereich eine Entwicklung, die in anderen Fertigungs- und Dienstleistungsbereichen über die Ausdehnung prekärer Beschäftigung wie Leiharbeit schon längst umgesetzt wird.

Auslagerung

Dabei haben Firmen wie IBM spezielle Strategien entwickelt, um solche Verhältnisse im Fachkräftebereich zu organisieren. IBM setzt dabei auf Technologien aus dem Bereich sozialer Netzwerke und der Virtualisierung von Arbeitsumgebungen („Cloud Computing“). Vom Konzern akquirierte Projekte werden in Pakete aufgeteilt, die in einer „Fachkräfte-Cloud“ (über soziale Netzwerke ansprechbare freie, nicht-festangestellte Fachkräfte) zur Bearbeitung angeboten werden. Die Fachkräfte können sich dann an einer eBay-artigen Versteigerung um den „Preis ihrer Arbeit“ beteiligen. Dabei gehen allerdings auch noch „score cards“ über die „digitale Reputation“ der Betreffenden ein - im sozialen Netzwerk sind in den Träumen der Tool-Propagandisten sämtliche Daten über vergangene Projektergebnisse bis hin zu „Zuverlässigkeit“ und Kreditwürdigkeit abrufbar. Solche Tools sind keineswegs Zukunftspläne. Wie man an Plattformen wie „topcoder“ oder dem IBM-Projekt „liquid“ im Netz sehen kann, sind sie schon jetzt ganz real. Gerade in China und Indien, in denen die geschilderten Probleme mit schnellen Firmenwechseln bestehen, werden diese Tools heute verstärkt eingesetzt.

Es ist also nur folgerichtig, dass die Perspektive des Abbaus von Festanstellungsverhältnissen für Fachkräfte jetzt auch in Deutschland in Gang gesetzt wird. Bei IBM gibt es - wenn auch offiziell dementiert - schon länger Vorstellungen, zwei Drittel der Fachkräfte über Tools wie „liquid“ auslagern zu können. Jüngst wurde für Deutschland in der Presse gemeldet, dass bis zu 8.000 Beschäftigte bis 2015 davon betroffen sein könnten. Auch dies wurde offiziell dementiert, aber wir können voraussagen, dass sich die KollegInnen auf Einiges gefasst machen können.

Gegenwehr und Perspektive

Mit NSN wird derzeit sicherlich der kampffähigste und am besten organisierte Betrieb aus dem IT-Ingenieursbereich angegriffen. Gerade der Münchner Standort hatte noch zu Zeiten, als er Siemens-Kommunikationstechnik in der Hofmannstraße war, einen erfolgreichen Arbeitskampf gegen die damaligen Entlassungspläne geführt. In diesem Zusammenhang entstand auch das oppositionelle IT-Netzwerk NCI (Network for communication and information). Auch nach der Ankündigung Ende Januar versammelten sich wieder tausende  NSN-KollegInnen in ganz Deutschland zu Protestkundgebungen, v.a. zu Solidaritätskundgebungen für den Münchner Standort. Angesichts der globalen Strategien der IT-Konzerne ist es entscheidend, dass dieser Kampf aus anderen IT-Betrieben unterstützt wird.

Wie immer hilft es wenig, auf die Aktivität von Betriebsratsspitzen und IGM-Führung zu warten. Die Hauptstrategie des Gesamtbetriebsrats von NSN scheint zu sein, die anderen Standorte „zu sichern“ bzw. andere Teile in Outsourcings (Verkauf an zumeist nicht-tarifgebundene Spartenfirmen) zu retten. Dass die anderen Standorte ohne den kampffähigsten und zentralen Standort nur noch leichte Beute sein werden, ist dabei eigentlich klar.

Es wird daher entscheidend sein, eigenständige Kampforgane zu bilden, die die Führungen in BR und IGM auch tatsächlich zum Kampf zwingen. Die Geschichte der NCI ist dabei ein gutes, für die Branche wesentliches Beispiel. Gerade angesichts der Netzstrategie der Konzerne - die Beschäftigten zu miteinander in Konkurrenz stehenden und vereinzelten Scheinselbständigen zu machen - ist die globale Vernetzung der Gegenwehr um so entscheidender.

Dabei ist es zentral, von einem Netzwerk des „Auskotzens“ über BR und Geschäftsführung, über rechtliche Tipps und „Enthüllungen“ weiter zu schreiten zur wirklichen Koordinierung von Aktion und Widerstand. Ein bloßes Netzwerk ist nicht genug - es braucht eine organisierte Opposition!

Kontakt im Netz: www.netzwerkit.de (Projekte / offene Foren / NSN)

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Nr. 167, März 2012
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