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Programmentwurf der Linkspartei

Ein Linksschwenk?

Hannes Hohn, Neue Internationale 149, Mai 2010

Nachdem die Fusion von PDS und WASG nur auf Basis „programmatischer Eckpunkte“ stattfand, legte der Vorstand der Linkspartei nun den Entwurf eines neuen Programms vor, der auf dem Parteitag im Mai beschlossen werden soll.

Verglichen mit dem „provisorischen“ Eckpunkten der Linkspartei stellt es einen Schritt nach links dar. Die Frage für MarxistInnen ist jedoch damit nicht erschöpft. Das Programm muss vielmehr danach beurteilt werden, ob es eine Anleitung zum Handeln, zum Kampf gegen die Krise bietet. Es muss sich fragen lassen, welche gesellschaftliche Alternative es vertritt und wie diese erreicht werden kann.

Antworten auf die Krise

„Die tiefe Weltwirtschaftskrise, die im Jahr 2008 begann, ist die Krise einer Wirtschaftsordnung, die allein für den Profit produziert und für die Bedarf nur dann existiert, wenn er sich als zahlungskräftige Nachfrage geltend macht. Eine Konjunkturkrise, eine Strukturkrise und die Krise der internationalen Finanzmärkte haben sich zur schwersten kapitalistischen Weltwirtschaftskrise seit 1929 zugespitzt. Mit dieser Krise ist ein globales Modell an seine Grenzen gelangt, das die Entwicklung des Kapitalismus in den vergangenen drei Jahrzehnten geprägt und getragen hatte.“ (1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE, dieses und alle anderen kursiv  gesetzten Zitate aus dem Text.)

Die jetzige Krise wurzelt jedoch keineswegs nur in einem „Modell“, das den Kapitalismus geprägt hat. Der Neoliberalismus hat zwar im Zuge der Globalisierung bestimmte Tendenzen noch verstärkt und beschleunigt. Die Krise wurzelt schon in den seit den 1970ern aufgestauten und ungelösten Verwertungsproblemen des Kapitals. In der Krise ist insofern nicht (nur) der Neoliberalismus, sondern der Kapitalismus insgesamt.

Dieses Fazit enthält das Programm jedoch nicht. Das ist nicht nur eine analytische Frage, sondern auch eng mit den politischen Schlussfolgerungen verbunden und der Sozialismusvorstellung der Linkspartei.

Diese laufen darauf hinaus, den Leib des Kapitalismus vom „Geschwür“ des Neoliberalismus zu befreien, um dem kapitalistischen Organismus zu neuer Vitalität zu verhelfen. Diese Idee ist mit der Vorstellung verbunden, die wuchernde Finanzbranche und die Dominanz der Exportwirtschaft zu stutzen und zugleich nicht nur den staatlichen Sektor auszubauen, sondern auch die „binnenmarktorientierten“ Unternehmen zu stärken.

Methodisch ist allen diesen Maßnahmen gemein, dass sie die ökonomischen Grundlagen und Funktionsweisen des Kapitalismus (Privateigentum, Konkurrenz, Gewinnstreben, Warenproduktion, Lohnarbeit) nicht angreifen und die bürgerlichen politischen Herrschaftsstrukturen (Parlamentarismus, Staatsapparat) nicht infrage stellen, sondern nur modifizieren wollen.

Die Grundfrage, welche Klasse herrscht, wirft das Programm überhaupt nicht auf - allenfalls in der Weise, dass die Dominanz der neoliberalen Abzocker und Shareholder gebrochen werden soll. Alle anderen Kapitalisten, die „nur“ ganz „normal“ Profit machen wollen (und müssen!), können weiter mit der Ausbeutung von Lohnarbeit fortfahren - wenn sie dabei nur nicht „über die Stränge schlagen“.

In einem Punkt lehnen sich die Programm-AutorInnen im Abschnitt IV  weiter aus dem Fenster:

„Die privaten Banken sind für den Spekulationsrausch der vergangenen Jahre und die entstandenen Milliardenverluste wesentlich verantwortlich. Private Banken müssen deshalb verstaatlicht, demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden.“

Grundsätzlich ist der Forderung nach Verstaatlichung der Banken natürlich zuzustimmen. Doch was bedeutet „demokratische Kontrolle“ - Kontrolle durch das Parlament, durch Wirtschaftsvertreter, durch die Gewerkschaftsbürokratie? Offenbar glaubt man, dass eine Kontrolle durch einen solchen Filz von „Spezialisten“ und Bürokraten, die meist selbst als Anteilsinhaber ein Interesse an hoher Profitabilität der Banken und Fonds haben, unabhängig, objektiv und effizient wäre.

Eine effektive Kontrolle wäre aber nur möglich, wenn sie durch Organe der Arbeiterklasse, die direkt von der Basis bestimmt und kontrolliert würden, erfolgte. Gerade das ist im Programm jedoch nicht vorgesehen.

DIE LINKE stellt sich die Wirtschaft als eine Art Mechanismus vor, den man durch verschiedene politische Maßnahmen nach und nach verändern und verbessern kann. Doch die kapitalistische Wirtschaft ist ein Herrschaftsverhältnis, ein Klassenverhältnis. D.h. jede wirkliche Veränderung/Verbesserung ist nur auf Kosten des Profitmachens der Bourgeoisie möglich. Daher werden die Kapitalisten und ihr Staat solchen Versuchen massiven Widerstand entgegen setzen.

Die Vorstellung der LINKEN, durch Gesetze, Reformen, mehr Demokratie usw. - also durch das Bewegen vieler Stellschräubchen und Hebelchen - die Mega-Maschine Kapitalismus grundsätzlich zu ändern und dazu zu bringen, Profit zu machen und gleichzeitig das Wohlergehen der Menschheit zu sichern, ist nichts als eine reine Wunschvorstellung. Ohne die Verfügungsgewalt des Kapitals zu brechen, es also zu enteignen, ist eine andere Wirtschaft undenkbar. Ohne den Sturz der Bourgeoisie und die Zerschlagung ihres Staatsapparates, ohne die Machtergreifung der Arbeiterklasse sind selbst die Ziele der Linkspartei, so bescheiden sie auch sein mögen, nicht erreichbar.

Planung oder „gemischte Wirtschaft“?

Ein weiterer zentraler methodischer Fehler des Programmentwurfs besteht darin, nicht zu verstehen, dass die Zurückdrängung des kapitalistischen Wertgesetzes nur möglich ist, wenn ein anderer Mechanismus an dessen Stelle tritt: die gesellschaftliche Planung. Dieser Begriff taucht im Programm jedoch gar nicht auf. Stattdessen wird eine „gemischte“ Wirtschaft aus „staatliche(n) und kommunale(n), gesellschaftliche(n) und private(n), genossenschaftliche(n) und andere(n) Formen des Eigentums“ als Ziel postuliert. Das Programm verkennt hier, dass verschiedene Eigentumsstrukturen auch gegensätzliche Wirkungsweisen und Interessen repräsentieren. Entweder es herrscht das Wertgesetz (Profitwirtschaft) oder die Planwirtschaft. Ein Mittelding, eine Art Koexistenz, kann es nicht geben - schon gar nicht auf Dauer.

Das Programm sieht aber eine gemischte Wirtschaft auch für den Sozialismus vor. D.h. sein „Sozialismus“ stützt sich auf eine ökonomische Basis, die aus antagonistischen Elementen besteht: Plan vs. Markt, Privateigentum vs. gesellschaftliches, Warenproduktion vs. Gebrauchswertproduktion.

Diese Widersprüchlichkeit schlägt sich auch bezüglich der Stellung der Beschäftigten nieder: „Die Beschäftigten müssen realen Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen bekommen. Wir setzen uns dafür ein, dass Belegschaften ohne Lohnverzicht an dem von ihnen erarbeiteten Betriebsvermögen beteiligt werden. In wichtigen Fragen, etwa wenn Massenentlassungen oder Betriebsschließungen geplant sind, muss es Belegschaftsabstimmungen geben.“

Da wird sich die Arbeiterklasse aber freuen, wenn sie künftig Anteile an einem Betrieb haben können, der demnächst womöglich über die marktwirtschaftliche Wupper geht. Doch auch für diesen Fall hat das Programm eine beruhigende Antwort parat: Die ArbeiterInnen können darüber abstimmen, wer entlassen wird!

Politikwechsel?

Es ist kein Zufall, dass im Abschnitt V nur vom Wechsel der Politik die Rede ist und nicht etwa von Klassenkampf. Unter Politik versteht DIE LINKE auch gemäß dem neuen Programm v.a. die Ausnutzung der  bürgerlichen Demokratie und ein „linkes“ Krisenmanagement in Form der Beteiligung an bürgerlichen Regierungen. Mobilisierungen dienen eher Wahlkampfzwecken und als politisches Druckmittel, nicht jedoch dazu, eine gesellschaftliche Kraft  aufzubauen, die im Alltag des Klassenkampfes eigene Kampf- und Machtorgane aufbaut und eine über den Kapitalismus hinausgehende Dynamik erhält.

Ein Beispiel. Der Programmentwurf fordert richtigerweise die Legalisierung politischer Streiks bzw. Generalstreiks. Doch mit der juristischen Behandlung dieser Frage ist das Problem für die LINKE auch schon erledigt - als ob sich die Fragen, wie, wozu und von wem politische (Massen)streiks organisiert werden, von selbst beantworten würden. Das Programm macht weder klar, dass ohne politischen Massenstreik bzw. Generalstreik die derzeitigen - und umso mehr die kommenden - massiven Angriffe von Staat und Kapital kaum abgewehrt werden können; es sagt nichts dazu, wie solche Kampfmaßnahmen gegen die Bremser im Gewerkschaftsapparat durchgesetzt werden könnten; es zeigt weder Mittel noch Methoden auf, wie solche generellen Mobilisierungen vorbereitet und organisiert werden könnten.

Imperialismus

Vor einigen Monaten sorgte Gregor Gysi für Zündstoff, als er in einer Grundsatzrede einen Kniefall vor der „deutschen Staatsräson“ zelebrierte, das Existenzrecht Israels - also eines Staates, der seit Jahrzehnten in der Region als Kettenhund des Imperialismus agiert und dessen Gründung, Existenz und Politik sich auf der Unterdrückung und Vertreibung der PalästinenserInnen gründet - verteidigte und jeder Form von bewaffnetem Widerstand gegen den Imperialismus eine klare Absage erteilte.

Der Programmentwurf enthält nichts, was dieser Gysi-Linie entgegensteht. Dieses grundsätzliche Herangehen kommt am krassesten in den Passagen zur EU zum Ausdruck. Einmal heißt es da zur EU, dass „deren Gründung einst dazu beigetragen hatte, den Frieden in Europa zu sichern“. Kurz danach stellt dasselbe Programm fest: „Auch die EU versucht zunehmend aggressiv, in der weltweiten Auseinandersetzung um Macht, Einfluss und natürliche Ressourcen ihre Stellung auszubauen.“ Und weiter: „Die EU, deren große friedenspolitische Leistung darin besteht, dass in der Europäischen Union seit mehr als einem halben Jahrhundert kein Krieg mehr geführt wurde, beteiligt sich außerhalb ihres Territoriums immer öfter an Kriegen.“

Das ist doch beruhigend, dass die EU bereits für Frieden in Europa sorgte, als sie noch gar nicht gegründet war! Diese Aussagen werfen zumindest eine Frage auf: Wann, wie und warum ereignete sich die erstaunliche Metamorphose der EU von einer pazifistischen Friedenstaube zum imperialen Aasgeier?

Das Programmverständnis

Das marxistische Programm-Verständnis geht vom aktuellen Stand des (internationalen) Klassenkampfes aus und unterbreitet Vorschläge, wie der Klassenkampf - wie also Aktion, Bewusstsein und Organisierung - voran gebracht werden kann.

Nicht so das Programm der LINKEN! Hier wird die zentrale Frage, warum der Widerstand gegen die Auswirkungen der Krise hierzulande bisher so schwach war, erst gar nicht gestellt. Die Führungen der Gewerkschaften haben fast nichts getan, um effektiven Kampf gegen die Krise zu organisieren. Im Gegenteil: Die Spitzen von DGB, IGM oder ver.di haben das Krisen-Management, d.h. die Abwälzung der Kosten auf die Massen, unterstützt.

Die LINKE schweigt nicht nur dazu, sie hat auch keinen einzigen Vorschlag, wie die Gewerkschaften dazu gebracht werden könnten, den Kampf zu organisieren. Diese komplette Kritiklosigkeit gegenüber der Gewerkschafts-Bürokratie ist ein grundlegender Mangel des Programm-Entwurfs. Es ist aber kein zufälliger Mangel, sondern Ausdruck der Tatsache, dass die Partei selbst von einem Flügel der Arbeiterbürokratie und der „linken“ Gewerkschaftsbürokratie beherrscht wird. Es bringt deren bornierte Sonderinteressen - letztlich den Kampf darum, bei der Verwaltung der bestehenden Verhältnisse mitmachen zu dürfen - zum Ausdruck. Der Kampf um den Sturz eben dieser Verhältnisse rückt das Programm dafür in weite Ferne.

Der Programmentwurf sieht einen „längere(n) emanzipatorische(n) Prozess (vor), in dem die Vorherrschaft des Kapitals durch demokratische, soziale und ökologische Kräfte überwunden wird und die Gesellschaft des demokratischen Sozialismus entsteht.“

Von der Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und dessen Ersetzung durch die Räte-Herrschaft der Arbeiterklasse ist dabei ebenso wenig die Rede wie von der Enteignung der Bourgeoisie als Klasse und die Einführung einer demokratischen Planwirtschaft.

Wer sich von diesem Programmentwurf eine klare Position zur Regierungsfrage erwartet hatte, sieht sich „natürlich“ auch getäuscht. Statt einer klaren Absage an jede Beteiligung an einer (bürgerlichen) Regierung sieht das Programm auch weiterhin eine solche vor, wenn es sich um eine Regierung handelt, die keinen Sozialabbau usw. betreibt. In der Praxis bedeutet diese Formel, dass die eigene Sozialabbau-Politik dann damit begründet wird, dass es ja ohne die LINKE noch viel schlimmer gekommen wäre. Trotz der „linken“ Formulierung öffnet also auch das neue Programm jeder Regierungsbeteiligung Tür und Tor.

Doch der Kurs auf die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen ist letztlich folgerichtig. Er entspricht dem Charakter und den strategischen Zielsetzungen des Programms. Für die LINKE ist die Entstehung des „Sozialismus“ nichts anderes als eine endlose Reihe parlamentarischer Reformen. Wer eine solche Strategie der „Überwindung“ der herrschenden Verhältnisse will, wer den bürgerlichen Staat als geeignetes Instrument dazu betrachtet, das nur von der „richtigen“ Klasse eingesetzt werden müsste, der tritt natürlich gegen eine Revolution auf und für einen „längeren Prozess“ zur Überwindung der „Vorherrschaft des Kapitals durch demokratische, soziale und ökologische Kräfte“ am Regierungstisch ein.

Insgesamt offenbart der Entwurf ein Programmverständnis, das methodisch im sozialdemokratischen Reformismus wurzelt (und auch grundsätzlich dem des Stalinismus entspricht). Es ist ein Minimal-Maximal-Programm, d.h. der Sozialismus als „historisches Endziel“ steht unvermittelt und unverbunden neben Alltagsforderungen. Der zentrale Mangel besteht also darin, dass es kein Programm von Übergangsforderungen ist.

Ein Übergangs-Programm würde die Alltagskämpfe mit der Perspektive der Machtergreifung der Arbeiterklasse verbinden. Diese Verbindung käme dadurch zustande, dass die Selbstorganisation der Klasse gefördert wird, dass die Klasse sich eigene Machtpositionen und -organe im Betrieb, im Stadtteil und letztlich in der Gesellschaft erkämpft. Solche Forderungen sind z.B. jene nach Arbeiterkontrolle über Produktion, Verteilung, Verstaatlichung, Sicherheitsstandards usw.; es sind Forderungen nach Streikkomitees, die von der Basis direkt gewählt und ihr verantwortlich sind; es sind Forderungen zur Schaffung von Streikposten, Arbeitermilizen, Preiskontrollkomitees usw. bis hin zu Räten und einer Arbeiterregierung, die sich auf die Mobilisierungen und Kampforgane der Klasse stützt.

Ein Linksschwenk?

Der Programm-Vorschlag des Parteivorstands der LINKEN enthält keine konkreten Vorschläge, wie der Klassenkampf weiterentwickelt werden kann. Es ist rein reformistisch und hält an der Orientierung auf den Parlamentarismus fest. Es ist in der Illusion der schrittweisen Reformierung des Kapitalismus befangen lehnt eine revolutionäre Strategie und den Marxismus ab.

Für MarxistInnen und alle klassenbewussten ArbeiterInnen und Linken kann es daher nur eine Position zu diesem Programm geben: ein klares Nein! Denn die Alternative zu jedem reformistischen Programm ist nicht ein linkeres, sondern ein revolutionäres!

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Nr. 149, Mai 2010
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