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Interview zu Süd-Asien, Teil 2

Klassenkampf und revolutionäre Perspektiven

Interview mit Robert Teller, Neue Internationale 149, Mai 2010

Zwei Genossen der Gruppe Arbeitermacht besuchten während einer Rundreise Indien, Nepal und Sri Lanka. Wir veröffentlichten den ersten Teil des Interviews mit Robert Teller zur Lage in Nepal in NI 148. Hier folgt der zweite Teil.

NI: Ihr wart auch im Kaschmir und habt dort Kontakt zu streikenden Busfahrern geschlossen. Welche Bedeutung hat der Krieg im Kaschmir?

R.: Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir ist wesentlich militärisch bedingt. Aufgrund seiner geographischen Lage ist es von zentraler Bedeutung, da die angrenzenden Himalaya-Regionen im Grenzgebiet Indien/Pakistan/China auf dem Landweg nur über Kaschmir zugänglich sind. Deshalb sind allein im indischen Teil Kaschmirs ca. 1 Mio. Soldaten stationiert - bei ca. 10 Mio. Einwohnern.

Kaschmir befindet sich seit Jahrzehnten faktisch im Besatzungszustand. Das durchschnittliche Einkommen der Kaschmiris beträgt nur einen Bruchteil dessen, was die Menschen im restlichen Indien verdienen. Die Kaschmiris kämpfen für einen vereinigten, unabhängigen Staat. Indien reagiert darauf mit einer gewaltigen Armee, die jede Straße, jede Kreuzung, jedes Dorf mit schwer bewaffneten Soldaten besetzt.

Die Militärmacht ist so erdrückend, dass zunächst jeder Versuch, Widerstand zu leisten, völlig unmöglich erscheint. Dennoch kämpfen die Menschen. Die ArbeiterInnen kämpfen gegen die systematische Benachteiligung gegenüber den anderen Bundesstaaten. In der Hauptstadt Srinagar kommt es regelmäßig zu schweren Kämpfen zwischen Jugendlichen und der Polizei. Täglich liest man in der Zeitung, dass Widerstandskämpfer erschossen worden sind. Selbst Kinder kommen durch die Armee um, viele erzählen von Familienmitgliedern, die von der Armee getötet wurden.

Um den Unabhängigkeitskampf zum Erfolg zu führen, wäre eine Organisation nötig, die den Kampf der ArbeiterInnen und der Jugend mit den militanten Kämpfern im Untergrund verbindet und ihnen eine politische Perspektive gibt. Diese Perspektive muss der revolutionäre Umsturz sein, die Enteignung und Neuverteilung des Landbesitzes und die Übernahme der Industrie durch die Arbeiterklasse. Nur ein sozialistisches, vereinigtes Kaschmir kann die systematische Diskriminierung durch den indischen Staat beenden.

Aufgrund der besonderen Bedeutung Kaschmirs für die Regionalmächte Indien, Pakistan und China könnte eine sozialistische Revolution in Kaschmir auch zur Initialzündung für revolutionäre Aufstände in ganz Südasien werden. Letztlich kann Kaschmir als unabhängiger Staat aber nur im Rahmen einer sozialistischen Föderation in Südasien auf Dauer bestehen. Daher müssen alle Kräfte darauf verwendet werden, die ArbeiterInnen, Bauern und die unterdrückte Jugend in ganz Südasien zusammenzuführen - gegen Chauvinismus, imperialistische Ausbeutung und Krieg. Dies ist die Perspektive für die Befreiung aller halbkolonialen Länder Südasiens.

NI: Am Ende Eurer Reise wart ihr in Sri Lanka, um die Arbeit der SPSL zu unterstützen. Wie ist die aktuelle politische Lage nach den Präsidentschaftswahlen?

R.: Die Lage ist sehr schwierig. Die Rajapakse-Regierung hat den Vernichtungssieg gegen die LTTE genutzt, um ihr reaktionäres Regime zu festigen und im chauvinistischen Siegestaumel ein gutes Wahlergebnis zu erreichen - daher waren die Präsidentschaftswahlen vorgezogen worden. Sri Lanka befindet sich also in einer reaktionären Phase.

Die politische Arbeit der GenossInnen ist schwierig. Dutzende kritische Journalisten und politische Gegner der Regierung waren im letzten Jahr "verschwunden". Der gesamte Medienapparat steht unter Kontrolle des Regimes, aus den ehemaligen Kriegsgebieten ist Berichterstattung unmöglich. Wir haben versucht, in den Norden und nach Jaffna zu gelangen, aber die Armee hat uns gestoppt. Ausländern wird der Zutritt gänzlich verwehrt, auch Einheimische können sich dort nur unter strengen Auflagen bewegen und werden schikaniert.

Es gibt außer der SPSL kaum eine nennenswerte politische Kraft, die gegen jeden Chauvinismus agitiert und die Rechte der TamilInnen ohne Vorbehalt verteidigt.

Um den Präsidenten Rajapakse wird ein Personenkult betrieben, der seinesgleichen sucht. Er ist allgegenwärtig. Auf Plakaten und riesigen Abbildungen inszeniert er sich als Heiliger und Heilsgeber, als Gott.

Die Arbeiterbewegung ist im Moment nicht in der Lage, dem etwas entgegenzusetzen. Die Gewerkschaften sind zersplittert, die große Mehrheit der Gewerkschaftsführer unterstützt das Regime oder kritisiert es nicht.

NI: Wie leben die Tamilen nach dem Krieg? Wie kann die Unterdrückung des tamilischen Volkes beendet werden?

R.: Nach allen Informationen, die es gibt, leben die Tamilen unter schrecklichen Bedingungen. Die Offensive der Armee im letzten Jahr war eine Offensive gegen das tamilische Volk, es war Völkermord. Die Armee hatte "Sicherheitszonen" definiert, in welchen Zivilisten Zuflucht finden sollten. Diese wurden mehrfach mit Bombern und Artillerie angegriffen.

Allein in diesen "Sicherheitszonen" fanden zehntausende Zivilisten den Tod. Nach der militärischen Niederlage wurden 250.000 Tamilen in Konzentrationslager gepfercht, ganze Landstriche wurden entvölkert. Die Verbliebenen müssen in Ruinen wohnen und jede Nacht fürchten, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben. Noch immer werden 80.000 in den Lagern festgehalten, die UNO, das Rote Kreuz u.a. Hilfsorganisationen haben keinen Zutritt. Ein Genosse, der 5 Monate in einem solchen Lager inhaftiert war, hat die schrecklichen Bedingungen dort beschrieben. Seine zwei Kinder sind noch immer inhaftiert, er hat keinen Kontakt zu ihnen, er weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben sind.

Doch allen Verbrechen und Morden zum Trotz: der Kampf der Tamilen gegen die Unterdrückung wird andauern, solange die Unterdrückung andauert. Um die Unterdrückung der Tamilen zu beenden, müssen alle sinhalesischen ArbeiterInnen von jenem chauvinistischen Gift befreit werden, das diesen Krieg erst ermöglicht hat. Es muss eine vereinte Bewegung der Tamilen und Sinhalesen aufgebaut werden, die dem Rajapakse-Regime den Krieg erklärt, um für das Selbstbestimmungsrecht der Tamilen zu kämpfen - bis hin zu einem unabhängigen Tamilen-Staat, sofern sie das wollen.

Diese Bewegung muss sich gegen die Ausbeuter im eigenen Land richten, ebenso wie gegen ihre Hintermänner und Strippenzieher, den Imperialismus. Es muss eine Bewegung der ArbeiterInnen und Bauern aufgebaut werden, in der wir für ein revolutionäres, sozialistisches Programm kämpfen werden. Nur eine sozialistische Revolution in Sri Lanka kann den Rassismus der herrschenden Klasse für immer begraben und einen gemeinsamen Kampf gegen die imperialistischen Ausbeuter ermöglichen.

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Nr. 149, Mai 2010
*  Erster Mai: Gemeinsam gegen Krise und Kapitalismus
*  Geschichte: Revolutionäre Wurzeln
*  Fascho-Provokationen: Nazi-Aufmärsche blockieren
*  Weltwirtschaftslage: Nach der Krise ist vor der Krise
*  Mahle-Konzern: Übernahme aus Kosten der Belegschaft
*  Daimler: Ausschlussverfahren stoppen!
*  Stuttgart 21: Die Stadt, die Zerstörung und der Profit
*  Programmentwurf der Linkspartei: Ein Linksschwenk?
*  Die Linken und das Programm: Zahme Kritiker
*  NRW-Wahl: Wählt DIE LINKE, aber organisiert den Kampf
*  Frauen: Die unheilige Familie
*  Kopfpauschale: Ende der gesetzlichen Krankenversicherung?
*  Interview Südasien, Teil 2: Klassenkampf und revolutionäre Perspektive
*  Indien: Politik und Wirtschaft
*  Heile Welt
*  Thailand: Aufstand der Rothemden