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Wahlen in Österreich

Linksprojekt tritt an

Rex Rotmann, Neue Internationale 132, September 2008

Auch Österreich, das wie kaum ein anderes Land sozialpartnerschaftlich befriedet war, ist in den Sog der Krise des Welt-Kapitalismus geraten. Neoliberale Reformen, Sozialabbau, ansteigender Rassismus und vermehrtes militärisches Engagement im Ausland erschüttern die Beschaulichkeit der Alpenrepublik. Doch auch Proteste und Streiks - in Österreich jahrzehntelang fast unbekannt - prägten die letzten Jahre. So waren Hunderttausende gegen die schwarz/blaue Regierung oder gegen die Pensionsreformen auf der Strasse.

Die österreichische Bourgeoisie konnte mit der amtierenden Regierung aus ÖVP (der Hauptpartei der Bourgeoisie) und SPÖ Fortschritte erzielen. So beschloss man das Gesetz zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und untergrub somit den 8-Stunden-Tag, die Militarisierung durch den Ankauf der Eurofighter und den Einsatz im Tschad wurde weiter vorangetrieben und der EU-Reformvertrag (auch wenn dieser erstmal auf Eis liegt) beschlossen. Der Kündigungsschutz für Lehrlinge wurde faktisch aufgehoben und die Ladenöffnungszeiten wurden flexibilisiert.

Doch nun ist die Große Koalition unter Kanzler Gusenbauer (SPÖ) zerbrochen und Neuwahlen im September sind nötig. Was waren die Gründe für das vorzeitige Aus dieser Regierung? Der SPÖ droht die Ruinierung, falls sie weiter regiert und selbst die Angriffe auf die Massen vorträgt, zudem kann sie sich auch der früheren Nibelungentreue des reformistischen Apparats der Gewerkschaften nicht mehr so sicher sein. Die ÖVP wiederum will von der Krise der SPÖ profitieren und hofft, nach der Neuwahl eine schlagkräftigere Regierung unter ihrer Führung installieren zu können.

Die politische Krise der österreichischen Gesellschaft lässt sich auch an den zahlreichen Skandalen ablesen, die zu einem tiefen Vertrauensverlust der Bevölkerung in „die Politik“, in ihre Parteien und Institutionen geführt hat.

Reformismus in der Krise

Am dramatischsten ist davon der Reformismus betroffen. Die Spitzen der Gewerkschaften - traditionell noch weitaus enger mit Kapital und Staat verbandelt als hier - waren in mehrere Korruptionsaffären verwickelt und sehen sich einer frustrierten Mitgliedschaft gegenüber. Sie sehen immer klarer, dass sich die reformistischen Gewerkschaften bzw. ihre Führungen gerade dann, wenn es gilt, die Errungenschaften der Arbeiterklasse gegen Angriffe zu verteidigen, als wenig brauchbar erweisen.

Besonders arg hat es aber die SPÖ erwischt. Mehr noch als die Korruptionsaffären hat sie der Bruch ihrer zentralen Wahlversprechen ins Desaster geführt. Kaum war die Tinte unter dem Koalitionsvertrag trocken, gab die SPÖ-Führung dem Druck der ÖVP und der Kapitalverbände hinter ihr nach und brach ihre Versprechen.

Die offen neoliberale Politik der SPÖ und ihr Rechtsruck in den letzten Jahren haben den jahrzehntelangen Niedergang der Partei dramatisch vertieft. Das ist auch am Mitgliedsstand ablesbar. Hatte die SPÖ 1979 noch 721.000 Mitglieder, sank die Zahl bis 1999 auf 430.000. Heute hat die SPÖ nur noch ca. 250.000 Mitglieder.

Diese Krise der Sozialdemokratie ist allerdings kein rein österreichisches Phänomen. Auch woanders (SPD in Deutschland, SP und KP in Frankreich, Labour in Britannien) ist der Stern des Reformismus im Sinken.

Spezifisch für Österreich war, dass SPÖ und Gewerkschaftsführungen im Nachkriegssystem besonders eng in das politische System integriert waren. Die SPÖ saß seit 1945 bis zur schwarz/blauen Regierung der 90er Jahre in jeder Regierung. Der ÖGB war nicht nur auf betrieblicher und gewerkschaftlicher, sondern auch auf gesamtstaatlicher Ebene in das System der „Sozialpartnerschaft“ integriert. So mussten z.B. Gesetzesvorlagen dem ÖGB zur Begutachtung vorgelegt werden. ÖGB, Arbeiterkammer, Wirtschaftsbund und Landwirtschaftskammer beeinflussten noch bis Ende der 1980er/90er Jahre wesentlich die Wirtschaftspolitik. Diese politische Komponente der Sozialpartnerschaft wurde in den 1990er Jahren zerstört - und damit auch der Nährboden der Stärke von Gewerkschaftsbürokratie und Sozialdemokratie.

Die Krise der SPÖ verweist darauf, dass die Illusionen der Basis der SPÖ in „ihre“ Partei sinken und die organischen Verbindungen zwischen Sozialdemokratie und Arbeiterklasse schwächer werden.

Die ansteigende Frequenz von Klassenkämpfen einerseits wie die schwindende Bindungskraft der SPÖ andererseits sind die objektiven Bedingungen dafür, dass der Aufbau einer neuen polischen Kraft links von der SPÖ möglich ist.

Das Linksprojekt

Natürlich treten RevolutionärInnen immer dafür ein, eine revolutionäre Arbeiterpartei als Alternative zum Reformismus aufzubauen. Gegenwärtig sind aber auch in Österreich die Kräfte, die das aktiv wollen, in einer verschwindenden Minderheit.

Um diesem Ziel näher zu kommen und jene Kräfte der Vorhut der Klasse zu sammeln, die dafür momentan in Frage kommen, ist es daher nötig die sich bietenden Gelegenheit, zur politischen Formierung solcher AktivistInnen zu nutzen. Die anstehenden Neuwahlen sind dafür eine Möglichkeit.

Ein erstes Treffen von Kräften, die Interesse an einer linken Kandidatur  haben, gab es Anfang Juli. Am 19. Juli wurde auf einer bundesweiten Konferenz die Frage einer linken Wahl-Kandidatur erneut diskutiert und positiv entschieden. Auch unsere Schwesterorganisation Liga der Sozialistischen Revolution (LSR) befürwortet eine solche Kandidatur und nimmt an den Vorbereitungstätigkeiten des Linksprojekts aktiv teil.

In einer Erklärung der LSR heißt es dazu:

„Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren erkannt, dass die SPÖ nicht die Interessen der arbeitenden Menschen, der MigrantInnen und Jugendlichen vertritt. Sie sehen, dass das kapitalistische Profitsystem - der sogenannte Neoliberalismus - eine soziale Errungenschaft nach der anderen zertrümmert und zum Ansteigen des Rassismus sowie zu vermehrten Auslandseinsätzen des Bundesheers führt. Dies alles findet mit stillschweigender Duldung oder sogar der führenden Teilnahme der SPÖ statt. Viele Menschen wollen sich dagegen wehren und suchen daher nach einer politischen Alternative. Eine solche Alternative kann nur eine neue LINKE PARTEI - eine neue Partei der Lohnabhängigen, der MigrantInnen und Jugendlichen - sein.

Die Liga der Sozialistischen Revolution tritt daher für den Aufbau einer solchen neuen Partei ein. Eine solche Partei muß eine Partei der Tat, der Aktionen sein. Eine Partei, die Kampagnen und Widerstandsbewegungen gegen Sozial- und Bildungsabbau, Rassismus und Krieg unterstützt und ihnen eine politische Perspektive gibt.

Eine solche Partei darf keine Stellvertreter- und Bürokratenpartei sein, sondern muß demokratisch von unten nach oben aufgebaut werden. Funktionäre dürfen nur ein Facharbeitergehalt beziehen und müssen jederzeit abwählbar sein.“

Für unsere GenossInnen der LSR geht es jedoch nicht einfach darum, eine Partei aufzubauen, die links von der SPÖ steht.

„Eine solche Partei soll offen sagen, dass das kapitalistische Profitsystem immer mehr Menschen in den finanziellen Abgrund stürzt und eine ökologische Katastrophe bereits jetzt losgetreten hat. Eine solche Partei muss auch klar sagen, dass dies Resultat der Diktion nach hohen Dividenden und mehr Profit ist. Eine solche Partei muss auch die Konsequenz daraus ziehen und für eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft und den Aufbau eines sozialistischen Systems eintreten.“

Politische Perspektiven

Das Linksprojekt vereint heterogene Kräfte: RevolutionärInnen, ZentristInnen, linke ReformistInnen, VertreterInnen „sozialer Bewegungen“, GewerkschafterInnen, ehemalige SozialdemokratInnen und Jugendliche. Insofern ist klar, dass es verschiedene politische Konzeptionen im Linksprojekt gibt. Die bisherigen Debatten haben diese Widersprüche auch widergespiegelt.

Ein Beispiel soll das illustrieren. Die LSR hat in ihrem Vorschlag für eine Wahlplattform die Forderung nach Enteignung der „Oberen 10.000“ aufgestellt. Die Umsetzung dieser Losung wäre ein klarer Eingriff in die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. So verwundert es nicht, dass die Medien über solchen Radikalismus „entsetzt“ waren.

Erstaunlich ist hingegen aber, wenn im Linksprojekt Kräfte wie die Sozialistische Linkspartei (SLP, in Deutschland SAV), die diese Forderung „an sich“ auch für richtig hält, sich dagegen wandten, sie ins Programm aufzunehmen - weil mit dieser Losung die Menschen „verschreckt würden“.

Dahinter verbirgt sich eine grundsätzliche Differenz über die Frage, was Wesen und Funktion des Linksprojektes bzw. einer daraus entstehenden Partei ist.

Das zeigte sich auch bei der Abstimmung um das Wahlprogramm des Linksprojekts am 31. August. Während SLP, Kommunistische Initiative (eine Abspaltung von der KPÖ) und die meisten anderen Kräfte ein, nicht einmal allzu radikales reformistisches Programm vorlegten, trat die LSR für ein revolutionäres Aktionsprogramm ein.

Diese Kräfte im Linksprojekt steuern auf eine neue reformistische Kraft links von der SPÖ zu, während die LSR auf den Aufbau einer antikapitalistischen Partei orientiert. Insofern bedingt das eine Ziel ein links-reformistisches Programm, das andere ein revolutionäres. Letzteres bedeutet Orientierung auf Massenaktionen und Streiks; es bedeutet, sich v.a. auf die Arbeiterklasse und die Jugend zu konzentrieren; es bedeutet, auf den Aufbau von Machtstrukturen der Klasse (Arbeiterkontrolle, Streikkomitees, Rätestrukturen, Selbstverteidigungsorgane) und eine auf diese Organe gestützte Arbeiterregierung zu orientieren; es bedeutet letztlich, die herrschende Klasse zu enteignen und den bürgerlichen Staat zu zerschlagen.

Das Programm und die Struktur des Linksprojektes, wie sie von der Mehrheit getragen wird, dagegen haben aber einen (links)reformistischen Charakter.

Trotzdem ist es völlig richtig, wenn die LSR und die Jugendorganisation REVOLUTION dieses Projekt unterstützen, zugleich ihre eigenen programmatischen Vorschläge und Kritiken einbringt und auf dieser Grundlage im Wahlkampf agitieren.

Die LINKE-Kandidatur ist eine gute Chance, a) ein öffentliches Zeichen zu setzen, dass es eine Alternative zur SPÖ geben kann und b) mit diesem Projekt jene Kräfte in der Linken, in der Arbeiterklasse, in der Jugend anzuziehen und zu organisieren, mit denen jetzt schon ein effektiver Kampf gegen Sozialabbau, Rassismus, Militarismus, Frauenunterdrückung usw. begonnen werden kann. Diese „Vorhut“ kann dann auch größere Massen gewinnen. Aus diesem Potential können auch Kräfte für eine revolutionäre Organisation gewonnen werden. Gerade dafür ist es aber notwendig, ein revolutionäres Programm einzubringen und mit der Kritik an reformistischen und zentristischen Kräften und ihren Manövern nicht hinterm Berg zu halten. Ansonsten könnte die LINKE in Österreich dasselbe Schicksal ereilen wie die WASG in Deutschland: eine linke Kopie der Sozialdemokratie zu werden. Auch beim Weg der WASG in diese Sackgasse standen etliche „extreme Linke“ Pate - indem sie wie Linksruck (heute Marx21) den linken Gehilfen der reformistischen Apparatschiks spielten oder sich wie die SAV (wie jetzt in Österreich ihre Schwester-Partei SLP) dem links-reformistischen Flügel der WASG bzw. heute der Linkspartei politisch anbiedern. Die LINKE-Kandidatur ist noch nicht die neue linke Partei, aber sie ist ein wichtiger Zwischenschritt dahin.

„Eine solche Partei“, schreibt die LSR, „kann nicht von heute auf morgen geschaffen werden. Aber wir können und müssen JETZT damit beginnen, sie aufzubauen. Die Neuwahlen sind eine wichtige Chance, um eine solche neue Partei aufzubauen. Natürlich existiert eine Partei der Lohnabhängigen, der MigrantInnen und Jugendlichen nicht in erster Linie für Wahlkandidaturen. Wir wissen, daß Wahlen zu keinen grundlegenden Änderungen führen. Aber eine solche Partei muß Wahlen ausnützen, um einen neuen Weg links von SPÖ und Grünen aufzuzeigen und dem Widerstand auf der Straße, in den Betrieben und in Schulen und Unis auch durch eine Kandidatur eine politische Stimme zu verleihen.”

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Nr. 132, Sept. 2008
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*  Metall-Tarifrunde: Prozentualer Kampf?
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*  70 Jahre Gründung der Vierten Internationale: Aufbruch und Zerfall
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