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Frankreich

Welche Partei brauchen wir?

Interview mit Marc Lassalle und Inès Fertin, AktivistInnen der „Liga für die Fünfte Internationale” in Frankreich, Neue Internationale 130, Juni 2008

Neue Internationale (NI): Die „Ligue Communiste Révolutionnaire“ (LCR) und Olivier Besancenot haben vor einigen Monaten zum Aufbau einer antikapitalistischen Partei aufgerufen. Wie ist bisher die Resonanz bei ArbeiterInnen, Jugendlichen oder in den sozialen Bewegungen?

Marc: Olivier Besancenot hat zum ersten Mal unmittelbar nach den Parlamentswahlen im letzten Jahr zur Bildung einer antikapitalistischen Partei aufgerufen. Im Juli 2007 hat dann die Führung der LCR einen schriftlichen Aufruf herausgeben. Die Reaktion der LCR-Mitglieder an der Basis war sehr unterschiedlich, in einigen Fällen auch langsam und zurückhaltend.

Die ersten offenen Versammlungen zur Gründung der neuen Partei fanden erst in den letzten Monaten statt. Die LCR behauptet, dass heute mehr als 3.000 Menschen in 350 lokalen Komitees aktiv die Partei aufbauen. Das bezieht sich nur auf die Hälfte aller Departements. Hinzu kommt, dass die Zahl momentan täglich steigt. Trotzdem ist es heute schwer zu sagen, wie groß die Resonanz wirklich ist, die dieser Aufruf über das LCR-Umfeld hinaus hat.

Mit Sicherheit kann man sagen, dass Besancenot bei der Jugend und den ArbeiterInnen überaus populär ist, da er als der ernsthafteste Gegner Sarkozys auf der Linken betrachtet wird. Außerdem kann die neue Partei ein großes Vakuum füllen, das durch die Rechtsentwicklung und den Niedergang von PS und KPF entstanden ist.

Inés: Das Ziel der LCR ist jedenfalls, jene Menschen, die in verschiedenen Bündnissen und Vereinigungen gegen Diskriminierung, Rassismus, Faschismus, gegen soziale Angriffe usw. und AktivsitInnen einer dynamischen jungen Generation von den Schulen und Unis zu gewinnen.

NI: Wie hat die französische Linke auf diese Initiative reagiert?

Marc: Die reformistische Linke fürchtet, dass die LCR in der nächsten Periode rasch wächst. Die PS nimmt die LCR als ernste Konkurrenz wahr. Andere haben versucht, den Aufruf für eine neue Partei zu kopieren. So haben sich die Lambertisten in „Komitees für eine neue Arbeiterpartei“ umbenannt. Die PCF erwägt, ihren Namen zu ändern und sich selbst in eine neue Partei aufzulösen. Vor kurzem wurde auch ein Aufruf für eine „Alternative auf der Linken“ von bekannten Intellektuellen und „Vertretern des öffentlichen Lebens“ in „Politics“, einem linken Journal, lanciert. All das sind Versuche dieser Gruppierungen, für sich einen prominenten Platz in der neuen Partei zu reklamieren, sollte die LCR-Initiative erfolgreich sein.

Das zeigt aber auch, dass die Initiative der LCR einem wirklichen Bedürfnis des Klassenkampfes entspricht. Die KP hingegen ist durch ihre Jahre in reformistischen Regierungen und ihre politische Strategie der offenen Anpassung an die PS viel zu diskreditiert, um eine solche Initiative glaubhaft zu vertreten. All diese anderen Kräfte versuchen vielmehr, sich parasitär an die Initiative der LCR anzuhängen.

Ines: Lutte Ouvrière ist die einzige größere linke Gruppierung, die sich dem Prozess gegenüber direkt ablehnend verhält. Statt dessen hat sie ihre eigene politische Strategie hin zu Wahlallianzen mit der PS verändert!

Marc: Die Opposition in LO, die Fraktion, wurde außerdem suspendiert, weil sie die Wende von LO zu Allianzen mit der PS ablehnt. Die Fraktion hat ihr Interesse am Aufbau der neuen Partei erklärt.

Wie viele andere kleinere Gruppen betrachten sie die neue Partei als Möglichkeit zur „Umgruppierung“ der „RevolutionärInnen“. Das heißt, dass sie einerseits nicht das Potential und die Aufgabe, eine ganze Avantgardeschicht der Arbeiterklasse zu organisieren, sehen und in den Mittelpunkt stellen. Andererseits hängen sie der illusionären Einheit der „orthodoxen“ oder „prinzipienfesten“ TrotzkistInnen an und erblicken darin den einzigen Weg, um eine revolutionären Partei und Internationale aufzubauen.

NI: Im Herbst 07 konnte sich die Regierung Sarkozy trotz heftiger Kämpfe mit ihren Angriffen gegen die Arbeiterklasse und die StudentInnen durchsetzen. Was plant die französische Regierung derzeit an neuen Attacken? Welche Aufgabe wird die neue Partei beim Aufbau einer Widerstandsfront haben?

Marc: Sarkozy und die Regierung planen gerade eine weitere Runde von Angriffen: auf die Rente (volle Rente erste nach 41 Arbeitsjahren), auf die 35 Stundenwoche, auf Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst und auf die Ausbildung an Schulen und Unis. Sarkozy muss diese Angriffe zu einem Zeitpunkt durchführen, da er selbst sehr unpopulär ist, weil die meisten ArbeiterInnen und Jugendlichen begreifen, was er vorhat. So hat er zum Beispiel versprochen, der „Präsident der Kaufkraft aller“ zu sein - aber gleich darauf die Steuern für die Reichen reduziert.

Die Lebensbedingungen für die Lohnabhängigen sind hingegen aufgrund von jahrelang stagnierenden Löhnen und steigenden Preisen immer schlechter geworden. Seine Lügen sind also offensichtlich. Selbst die Gewerkschaften, die durchaus bereit waren, mit ihm zu diskutieren und zu verhandeln, drohen jetzt wieder mit Mobilisierungen. Im Juni sind mehrere Aktionstage der EisenbahnerInnen und gegen die Angriffe auf die Renten geplant.

Ines: Sarkozy plant auch, das Streikrecht einzuschränken - durch die Einführung eines „Mindest-Service“ im Öffentlichen Dienst, um so einen bestimmten Prozentsatz der Beschäftigten während eines Streiks an Schulen, bei der Bahn u.a. Transportmitteln zur Arbeit zwingen zu können. Zugleich sollen im Öffentlichen Dienst weiter Stellen gestrichen werden.

Zur Zeit baut die Regierung auch staatliche Forschungs- und Bildungsinstitutionen ab.

Hinzu kommt, dass sie Quoten für Razzien gegen die Sans-papiers (MigrantInnen ohne Papiere) bestimmt hat. So hat der Präfekt von Paris z.B. in der letzten Woche mitgeteilt, dass in der Stadt pro Woche mindestens 64 Verhaftungen und Abschiebungen gefordert sind.

NI: Welche Art von Partei schwebt der LCR, schwebt den Initiatoren vor?

Marc: Die LCR würde die neue Partei gern auf Grundlage eine Minimalplattform schaffen. Sie soll antikapitalistisch sein, jede Koalition mit der PS ablehnen und ein Ausdruck der Kämpfe sein. Dieser drei Bedingungen sind bewusst vage. Sie können theoretisch alles bedeuten - von einer links-reformistischen Partei bis hin zu einer wirklich revolutionären. Es ist wahrscheinlich, dass die Forderungsplattform der Partei dem „programme d'urgance“ (Sofortprogramm) ähneln wird, das die LCR bei den letzten Wahlen vorgelegt hat.

Alles in allem hält sich die LCR sehr bedeckt bei dieser entscheidenden Frage und gibt vor allem Formelkompromisse aus. Um z.B. nicht sagen zu müssen, dass sie für eine Revolution ist, tritt sie für eine Partei ein, die „die Gesellschaft revolutioniert.“ Statt von der Enteignung der Kapitalisten sprechen sie von „Aufteilung des Reichtums.“ Anstatt eine offene Debatte über Reform und Revolution zu führen, zieht es die LRC vor, alle Richtungen gleichermaßen zu bedienen, mit anderen Worten: eine zentristische Massenpartei aufzubauen.

NI: Wie bewertet ihr diese Strategie, für welche Partei tretet ihr ein?

Marc: Wir haben den Aufruf der LCR für eine neue Partei begrüßt. In Wirklichkeit trägt die LCR auch eine Verantwortung, die politische Sympathie, die sie u.a. durch Besancenot erlangt hat, in politische Organisierung umzusetzen. Die Popularität Besancenots ist schließlich auch eine Populärität, die nicht nur auf die LCR zurückgeht, sondern auch darauf, dass er mehr als jeder andere die Kämpfe und Bewegungen der letzten Jahre repräsentiert. Die LCR trägt eine Verantwortung, die Avantgardeschichten der Kämpfe, die AktivistInnen der 1,5 Millionen WählerInnen, die letztes Jahr für ihn stimmten, zu organisieren.

1995 hatte LO ein ähnlich gutes Wahlergebnis, für die Bildung einer neuen Partei aufgerufen, doch dieses Projekt nach ein paar Treffen wieder eingestellt. Die LCR hat hier mehr Courage gezeigt (und auch einen taktisch gewiefteren Opportunismus als LO).

In den Kämpfen der letzten Jahre fehlte ein politische Kraft, die den Massen eine klare politische Führung in der Mobilisierung zu geben vermochte. Die Gewerkschaftsbürokraten waren so immer wieder in der Lage, die Kämpfe ins Leere laufen zu lassen, auszuverkaufen, zu vertraten, da es keine organisierte Kraft gab, um diese Führungen zu bekämpfen.

Ines: Einen starken und Erfolg versprechenden Widerstand gegen Sarkozy aufbauen heißt, alle Sektoren, die angegriffen werden - Jugendliche, Sans Papiers, ArbeiterInnen im öffentlichen und privaten Sektor - im gemeinsamen Kampf zu vereinen. Eine solche Rolle muss eine neue Partei und kann sie potentiell spielen. Daher haben wir den Aufruf zur neuen Partei begrüßt. Unsere Intervention bewegt sich um drei Achsen:

a) Die neue Partei soll auf einem Aktionsprogramm zur Mobilisierung gegen aktuelle Angriffe basieren, das den ArbeiterInnen auch eine politische Anleitung gibt, die Kämpfe selbst zu organisieren. Das Aktionsprogramm soll ein Programm von Übergangsforderungen sein, das vom Kampf für die unmittelbaren Tagesforderungen zu einer verallgemeinerten Offensive gegen den Kapitalismus und den bürgerlichen Stadt führt.

b) Die Partei muss die Herrschaft der Gewerkschaftsbürokratie in den Gewerkschaften und ihr „Monopol“ über die Arbeitskämpfe offen angreifen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung gegen die Bürokratie über Gewerkschaftsgrenzen hinaus, um so die Gewerkschaften zu Kampfinstrumenten zu machen.

c) Die Partei muss eine offene und demokratische Debatte über Schlüsselfragen von Programm und Strategie organisieren, v.a. des Verhältnisses von Reform und Revolution. Wir treten dafür ein, dass sie demokratisch, internationalistisch und revolutionär-kommunistische ist.

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Nr. 130, Juni 2008
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