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Arbeitskämpfe in Berlin

Für eine organisierte Opposition!

Markus Lehner/Brigitte Falke, Neue Internationale 130, Juni 2008

In Berlin gab es zuletzt mehrere zentrale Arbeitskämpfe, sowohl im Öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft. Dabei haben sich die Gewerkschaftsführungen wieder einmal entlarvt.

Dies betrifft den Konflikt bei der BVG wie die noch laufende Auseinandersetzung um die Tarifanpassung derjenigen Teile des öffentlichen Dienstes, die vom „Anwendungstarifvertrag“ betroffen sind. Dies betrifft die zersplitterte Streikführung im Handel wie auch die Auseinandersetzungen um neuerliche Entlassungswellen in der Industrie, z.B. bei Tyco und Visteon.

BVG-Streik

Der BVG-Streik hat eindrucksvoll gezeigt, wie man einen Streik, der mit einer sehr hohen Kampfbereitschaft der KollegInnen (98% bei der Urabstimmung), einer großen Unterstützung in der Bevölkerung (in den ersten Umfragen) und durchaus vorhandenen Druckmitteln mit einer hirnverbrannten Streikführung vollständig versemmeln kann.

Die hohe Streikbereitschaft kam auch darin zum Ausdruck, dass die ersten Aktionen sehr rasch - und gegen den Willen der Führung - losbrachen. Auch später gingen KollegInnen spontan der zögerlichen Führung voran. Die Stimmung vor den Depots war sehr gut, die Besetzung der Streikposten bei hoher Beteiligung und Selbstorganisation der Belegschaften kein Problem.

Das alles hätte offensiv genutzt werden müssen, um an die Öffentlichkeit zu gehen, den SPD/LINKEN-Senat mit direkten Aktionen zu konfrontieren und so den Streik zu einem politischen Streik gegen die neoliberale Sanierungspolitik auszuweiten - doch die ver.di-Führung beließ die KollegInnen vor Ort, kümmerte sich kaum um Öffentlichkeitsarbeit unter den BVG-KundInnen und wartete auf „Einsicht“ bei Wowereit, Sarazin (beide SPD) und Wirtschaftssenator Wolf (LINKE).

Als von denen nichts zu hören war und Ostern kam, brach man den Streik ab, da ja die Verhandlungspartner „sowieso in Urlaub sind.“ Natürlich war man dann kaum mehr in der Lage, den Streik wieder richtig aufzunehmen. Inzwischen hatte der Senat - auch mit Hilfe der Medien - ver.di so in die Defensive gebracht, dass die Verhandlungen auf der Grundlage von Vorgaben des Finanzsenators Sarazin geführt wurden.

Kein Wunder, dass nach Ostern von der ursprünglich geforderten spürbaren Lohnerhöhung von 12% keine Rede mehr war. Jetzt gab man schon öffentlich bekannt, dass man nur noch über 5% für die Altbeschäftigten und 8% für die Neubeschäftigten verhandle - bei voller Akzeptanz der Spaltungskampagne der bürgerlichen Meinungsmache. Damit konnte man dann aber kaum noch vernünftige Aktionen auf die Beine bringen.

Schließlich kam dann am 2. Mai ein Verhandlungsergebnis heraus mit durchschnittlich 4,6%, wobei die Neubeschäftigten rund 40% mehr als die Altbeschäftigten bekommen - und alles mit zwei Jahren Laufzeit!

Von der ursprünglichen Euphorie und Entschlossenheit der BVG-Beschäftigten ist heute nichts mehr zu spüren. Die große Enttäuschung kommt im Urabstimmungsergebnis von nur 34,3% Zustimmung zum Ausdruck. „Streikführer“ Frank Bäsler von ver.di erklärte dazu, dass damit die erforderliche Hürde von 25% „deutlich überschritten wurde!“

Doch die nun enttäuschten KollegInnen sollten sich nicht einfach zurückziehen und ihren Ärger nur im engen KollegInnenkreis äußern. Das Gebot der Stunde heißt: Organisierung und Opposition gegen Bäsler und Co.! Aus dem Debakel der Streikleitung müssen Konsequenzen gezogen werden!

Zunächst müssen sich die aktivsten und kritischsten KollegInnen vernetzen und gemeinsam diskutieren, wie künftig ein solcher Ausverkauf verhindert und sichergestellt werden kann, dass der Streik unter der Kontrolle der Basis läuft. Letztlich geht es um den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisopposition in ver.di Berlin und darüber hinaus.

Der nächste Ausverkauf

Die Entwicklung bei der BVG lässt das Schlimmste für den noch laufenden Arbeitskampf im Berliner Öffentlichen Dienst befürchten. Nachdem die kampfstarken Bereiche alle abgeschlossen haben (BVG, Stadtreinigung, Wasserbetriebe, da sie weiter im Tarifverband der Arbeitgeber sind), bleiben nun nur Bereiche wie Senatsverwaltung, Polizei, Bezirksverwaltungen und Kitas übrig. Statt zumindest diese Bereiche koordiniert in den Arbeitskampf (um 2,9% und 3x300 Einmalzahlung) zu führen, werden dezentrale Streiks mit minimaler Wirkung durchgeführt. Auch hier wäre mindestens die Konzentration der Aktionen notwendig!

Im Februar/März dieses Jahres war in Berlin eine Situation gegeben, die zu einer Bündelung von Streikaktionen gegen die miese Lage von Beschäftigten in der Region hätte genutzt werden können. Man stelle sich nur vor, der BVG-Streik wäre - wie kurzeitig angekündigt - mit einem erneuten GDL-Streik zusammen gefallen (und damit auch die S-Bahn lahmgelegt)! In Kombination mit Streiks im Öffentlichen Dienst und im Einzelhandel (konzentriert und nicht nur sporadisch) hätte dies das wirtschaftliche Leben der Stadt tatsächlich lahmlegen können.

Natürlich fürchtet sich die Gewerkschaftsführung vor einer solchen Entwicklung, vor wirklichem, auch politischem Druck. Die Bürokratie weiß sehr wohl, dass ein solcher Streik ansatzweise die Machtfrage aufwerfen würde und zudem ein klassenkämpferisches Signal über Berlin hinaus wäre. Das fürchtet sie wie der Teufel das Weihwasser.

Natürlich würde eine solche Streikperspektive auch die Konflikte um den weiteren Abbau von Industriearbeitsplätzen in Berlin umfassen müssen. Doch auch die IG Metall-Führung hat gezeigt, was sie unter „Industriepolitik“ versteht. Musterbeispiel ist derzeit Visteon, eine 100%ige Ford-Tochter. Der Berliner Betrieb mit über 600 Beschäftigten beliefert v.a. Ford in Köln und soll nun um die Hälfte reduziert werden. Anfang 2008 nahm die Bezirksleitung der IGM daraufhin Verhandlungen auf, um über Arbeitszeiterhöhung, Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld etc. die Abbauzahl zu reduzieren und für den Rest „günstigere“ Abfindungen auszuhandeln.

Als in der Belegschaft Widerstand aufkam und in einer Mitgliederversammlung darüber beraten wurde, kam heraus, dass die Bezirksleitung bereits eine Tarifkommission ernannt hatte. Eine von den Mitgliedern daraufhin selbst gewählte Tarifkommission wurde von der Leitung (satzungsgemäß!) nicht akzeptiert. In einem Brief haben 170 KollegInnen ihren Protest dagegen gegenüber der Bezirksleitung formuliert.

Aufgrund des Widerstands sind inzwischen die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung abgebrochen worden. Klar ist, dass es schnell zu einer alternativen Führung der Auseinandersetzung kommen muss - noch würde ein Arbeitskampf im Ford-Produktionsverbund unmittelbar Druck erzeugen. Je länger abgewartet wird, desto mehr droht die Gefahr einer Spaltung der KollegInnen und einer Politik der langsamen Abwicklung des Werks. Die im Werk aktiven, oppositionellen Kollegen brauchen dringend die Unterstützung anderer Betriebe!

Auch ihr Vorgehen zeigt, dass wir gegen die Co-Manager in den Gewerkschaftsführungen endlich eine organisierte Opposition brauchen!

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Nr. 130, Juni 2008
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*  Gysi und Israel: Strammstehn vor der Staatsräson
*  Sri Lanka: Solidarität mit internationalistischen Gewerkschaften
*  Gewerkschaftslinke: Welche Perspektive?
*  Arbeitskämpfe in Berlin: Für eine organisierte Opposition
*  Heile Welt
*  Missbrauchskandal in Amstetten: Gefängnis Familie
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*  G8 in Hokkaido: Gipfel der Heuchler
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