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IG Metall Gewerkschaftstag

Durchmarsch der Rechten

Frederik Haber, Neue Internationale 125, November/Dezember 2007

Der CDU-Frau im Vorstand, Regina Görner, macht „ es jetzt wieder Spaß“, in der IG Metall zu sein. Das hat vor allem mit dem neuen Vorsitzenden Berthold Huber zu tun. Diesen hält Arbeitgeberchef Hundt für „ einen sehr wirtschaftsorientierten Mann“. Was haben Metallerinnen und Metaller nun zu erwarten?

Diese „Wirtschaftsorientierung“ des neuen Vorsitzenden schlägt sich in der Praxis derart nieder, dass Tarifverträge und Standortsicherungsverträge der IG Metall schon zu Beginn erklären, dass sie das Ziel haben, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Metallindustrie bzw. des jeweiligen Unternehmens zu stärken.

Für die Tarif- wie für die Betriebspolitik ist Huber schon seit vier Jahren zuständig. In dieser Zeit hat er mit dafür gesorgt, dass immer mehr Tarifverträge auf betrieblicher Ebene abgeschlossen werden. Verbrämt wird dies u.a. damit, „dass damit die Belange der einzelnen Betriebe stärker berücksichtigt würden“.

So formuliert es auch der schon oben erwähnte Dieter Hundt. Wenn Kapitalisten von den „Belangen der Betriebe“ reden, meinen sie die Interessen der Kapitalisten. Deshalb sind auch fast alle betrieblichen Regelungen, welche die IG Metall abgeschlossen hat, Abweichungen nach unten vom Flächentarifvertrag und stellen Verschlechterungen für die Beschäftigten dar. Das Problem für die IG Metall besteht darin, dass die „Wirtschaftorientierung“ ihres neuen Vorsitzenden, die sich in der Tat mit der Mehrheitsmeinung der Funktionsträger in den Betrieben deckt, diese „Belange der Betriebe“ oder der deutschen Metall- und Elektroindustrie allgemein zu den ihren macht.

Die Forderungen der Kapitalisten werden grundsätzlich als berechtigt angesehen, schließlich befände man sich „gemeinsam“ im internationalen Wettbewerb. Nur einzelnen Unternehmen, meist kleineren, wird vorgeworfen, mit „Missmanagement“ Fehler verursacht zu haben, die jetzt die Beschäftigten ausbaden sollen.

Den Großkonzernen wie Daimler, VW, Siemens oder Bosch gestehen die IG Metall-Oberen jedoch seit langem zu, dass sie im internationalen Wettbewerb „Kostenprobleme“ hätten. Diese dürfen sie dann auf die Beschäftigten abladen. Unter zwei Bedingungen: Sie müssen der Belegschaft eine „Beschäftigungsgarantie“ geben und sie müssen Betriebsräte und IG Metall „mitgestalten“ lassen.

Dabei zeigen sich dann besonders die „Reformer“ sehr kreativ. Der neue zweite Vorsitzende der IG Metall, Wetzel, hat dies bereits flächendeckend in NRW bewiesen. Seit Jahrzehnten gibt es in der Gewerkschaft die Diskussion, wie die Unternehmer gezwungen werden könnten, die tariflichen Leistungen, die eigentlich nur Gewerkschaftsmitgliedern zustehen, nicht auch freiwillig an andere zu verteilen. Wetzel hat es geschafft: Er hat Vereinbarungen in Betrieben geschaffen, die alle Beschäftigten schlechter stellen, den IGM-Mitgliedern aber einen kleinen Bonus, z.B. 100 € im Jahr, zusichern.

Dieser Weg in die gemeinsame Gestaltung des Lohnabbaus, der Rationalisierung und Arbeitsplatzvernichtung ist nicht das Werk eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe, auch wenn Huber wegweisend war. So hat er schon vor Jahren den deutschen Automobilherstellern eine „Rationalisierungspartnerschaft“ angeboten. Er hat die massiven Verschlechterungen im Bundesmontagetarifvertrag durchgesetzt, wie auch die Verschlechterungen bei der Siemens-Handy-Produktion.

Was aber hat den Durchmarsch dieser Rechtswende in der IG Metall so einfach und glatt ermöglicht?

Versagen des Reformismus

Zuerst fällt die Unfähigkeit der „Traditionalisten“ auf, den „Reformern“ außer Rhetorik irgendetwas entgegenzusetzen. Hinter diesem Mangel an alternativen Konzepten steht die Logik des Reformismus. Gewerkschaftsarbeit für sich genommen ist immer darauf aus, die Bedingungen innerhalb des Systems zu verbessern: die Arbeitsbedingungen, die Bezahlung, die Möglichkeiten zur Erholung.

Das kann man besser oder schlechter machen, aber in jedem Fall setzt das System die Bedingungen. Die verschärfte internationale Konkurrenz unter den Kapitalisten zwingt diese heute überall, die Ausbeutung zu erhöhen. Die hohen Umsatz- und Kapitalrenditen der Spitzenunternehmen sind nicht Ausdruck dessen, dass es dem Kapitalismus so gut geht, sondern dass der Kampf so hart ist, dass schon der zweit- oder drittbeste dran glauben muss, wenn er nicht schnell wieder zum Besten aufschließt.

Der „Beste“ ist derjenige mit der höchsten Kapitalrendite. Da bleibt immer weniger Platz für Zugeständnisse an die Belegschaften oder auch nur Teile davon. Da muss alles in Frage gestellt werden. Für all jene, die den Kapitalismus gutheißen, keine Alternative haben oder nicht dafür kämpfen wollen, bleibt so nur die Unterwerfung unter diese Bedingungen.

Huber trifft ungewollt ins Schwarze, wenn er sagt, dass in Zeiten der Globalisierung keine Arbeitszeitverkürzung mehr möglich ist. Unter den Bedingungen der verschärften Konkurrenz ist der Spielraum für „Verbesserungen“, für Sicherung der Reproduktion der Arbeitskraft nach Verschlechterungen dramatisch geringer geworden, selbst in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs.

Arbeitszeitverkürzung, ja selbst die Verteidigung der 35-Stunden-Woche erfordert nicht nur, dass man sie dem Kapital aufzwingt. Das war immer so. Aber anders als z.B. in den 1960er Jahren es nicht mehr möglich, dass sich auf Basis von erhöhter Produktivität bei gleichzeitigen „Verbesserungen“ für die ArbeiterInnen - im Grunde selbst ein ideologisierter Begriff, denn in Wirklichkeit sind höhere Löhne oder verkürzte Arbeitszeit fast immer Kompensationen für eine vorhergehende Erhöhung der Ausbeutungsrate) - ein relativ stabiles und dynamisches System der erweiterten Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals entwickeln kann.

Daher führt die Logik des Reformismus überall zur Kapitulation vor den Angriffen. Wenn es um die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals geht, müssen natürlich auch Rente, Arbeitslosenversicherung und Gesundheitswesen so reformiert werden, dass die Kapitalisten entlastet werden.

Huber will hier eigene Ideen einbringen. Er will nicht mehr Nein sagen, wie Peters. Peters wollte Nein sagen, aber wollte nicht wirksam kämpfen. Er musste daher jedes Zugeständnis als Erfolg verkaufen und überließ die Tarifpolitik, das Herzstück der IG-Metall, schon in den letzten Jahren bereitwillig seinem Nachfolger.

Die imperialistischen Bestrebungen des deutschen Kapitals, die EU unter seiner Führung zu einen und die USA als führende Weltmacht anzugreifen, wie es die Agenda von Lissabon formuliert hatte, werden von Huber unterstützt. Er redet von Frieden, findet aber keine Worte der Kritik am Afghanistaneinsatz, der militärischen Aufrüstung und der verschärften Repression im Innern. Er kritisiert die EU-Politik der Regierung als „unzureichend“ - nicht etwa als falsch. Immerhin hatte Merkel zuletzt die Inhalte durchsetzen können, die als „EU-Verfassung“ noch gescheitert waren.

Mit diesen Inhalten wird es also keinen übergreifenden Widerstand gegen Sozialabbau mehr geben, höchstens Meinungsbekundungen für mehr Gerechtigkeit. Es kann keine internationale Solidarität geben, höchstens den in europäischen oder internationalen Betriebsräten  koordinierten Arbeitsplatz- und Lohnabbau. Es wird aber jede Menge Ausschlüsse und Repression innerhalb der Organisation geben. Denn der Einheit an der Spitze der Gewerkschaft steht eine weitgehend entfremdete Basis gegenüber. Noch nie war die Spitze so weit von der Basis weg. Diese Distanz bedeutet (noch) nicht Opposition. Aber sie wird automatisch zur Opposition dort, wo Beschäftigte wirksam kämpfen wollen. Wo sie eine Organisation zur Ausweitung und Vernetzung von Kämpfen wollen, werden sie auf Gängelung und bürokratische Manöver stoßen.

Perspektiven

Werden solche Kämpfe kommen, werden sie zunehmen oder eher kontrollierbare Ausnahmeerscheinungen bleiben? Die Huber-Leute sind Utopisten. Sie glauben an die Zukunft des Kapitalismus: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten 20 Jahren tiefgreifend verändert. Die technischen Innovationen sind enorm, ihre Dynamik ist gigantisch. Nach dem Fall der Mauer ist bis auf einige kleine Enklaven der Weltmarkt hergestellt worden. Die großen Unternehmen haben sich global vernetzt. Osteuropa, Russland, China, Indien entwickeln sich rasant“.

MarxistInnen wissen, dass sich dahinter ein großes Krisen- und Konfliktpotential aufbaut. Wir gehen davon aus, dass diese rasante Entwicklung ungeheure Überkapazitäten geschaffen hat, die zu Schließungen, Konkursen und Massenentlassungen führen werden. Dass solche Konflikte, z.B. auch in China, dass die Herstellung des Weltmarktes zu einer Verbreitung dieser Krisen in allen Länder führen wird.

Aber selbst wenn wir falsch liegen würden und der Kapitalismus sich rasant weiterentwickeln würde - welche Perspektive hat ein Konzept, das in einer Aufschwungphase und bei Exportweltmeisterschaft der deutschen Metall- und Elektroindustrie in Tarifrunden weniger rausholt als den Rationalisierungsfortschritt, die Arbeitszeit verlängert und die Arbeitsbedingungen verschlechtert?

Die entscheidende Frage ist, wie und wo sich Strukturen in und um die IG Metall und in den Betrieben bilden, die den Kampf für eine andere Führung aufnehmen können? Aus der Gewerkschaftslinken kam entschieden zu wenig, die alternativen Betriebsratslisten, soweit sie Ausdruck von kämpferischen Belegschaftsteilen sind, sind oft sehr betriebsbezogen und die Kämpfe gegen Betriebsschließungen, so militant sie waren, hatten ihr natürliches Ende.

Ein Schlüssel zu dieser Frage ist die politische Orientierung und Organisation. Um in heftige Kämpfe um Arbeitsplätze, Lohn oder Arbeitszeiten einzutreten, muss man nicht antikapitalistisch sein, es reicht, die Schnauze voll zu haben.

Aber um in diesen Kämpfen zu siegen, müssen die reformistischen Führungen bekämpft werden! Um aus diesen Kämpfen dauerhafte Strukturen aufzubauen, muss sich in den Kämpfen politisches Bewusstsein bilden, müssen RevolutionärInnen Antworten auf die Tagsfragen und zu den strategischen Aufgaben geben. „Kämpferisch“ allein genügt nicht mehr.

Basisbewegung und Partei

Alle linken Organisationen werden sich an dieser Aufgabe messen lassen müssen. Die Chance, durch Intervention in die WASG eine Gruppierung aufzubauen, in der Antikapitalismus ihren Platz hat, haben die wenigsten genutzt. Das Ergebnis - die LINKE - ist auch in der IG Metall nur ein braver Vasall der Huberisten, versetzt mit einigen, die Peters nachtrauern.

Zum IGM-Gewerkschaftstag haben MetallerInnen aus Stuttgart einen Appell „Wir wollen Gewerkschaften, die kämpfen“ lanciert. Er scheint auf fruchtbaren Boeden zu fallen. Zweierlei ist nötig, damit diese Initiative nicht im Sand verläuft.

Praktische Aktivitäten sind nötig, um die betriebliche Basis, die damit durchaus erreicht wird, auch aus diesen herauszuholen. Ziel muss eine klassenkämpferische Basisbewegung sein, die in allen tariflichen, betrieblichen und politischen Konflikten Vorschläge für den Kampf macht und praktisch zeigt, wie das auch funktioniert - eine Basisbewegung, die gegen die Bürokratie und für eine neue, klassenkämpferische Führung kämpft.

Eine politische Debatte muss in Gang gebracht werden, die klarmacht, dass es nicht um Gier der Kapitalisten geht, sondern um ein System; dass Heuschrecken nicht eine Entartung, sondern ein notwendiger Ausdruck des Kapitalismus darstellen; dass es schwerer ist, den Kapitalismus zu zähmen als ihn abzuschaffen. Dass es nicht nur einer gewerkschaftlichen und politischen Basisbewegung, sondern einer neuen, revolutionären Partei der Arbeiterklasse bedarf. Wir brauchen eine Debatte, die verdeutlicht, dass es letztlich nur einen Weg gibt, aus der Mühle der permanenten Angriffe herauszukommen: die soziale Revolution.

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Nr. 125, Nov./Dez. 2007
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