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Bundestagswahl

Vor der Großen Koalition?

Hannes Hohn, Infomail 706, 25. September 2013

Angela Merkel hat die Union zu einem überaus klaren Erfolg geführt. Sie erreichte 41,5% und gewann damit gegenüber 2009 7,7% hinzu. Doch der Euphorie könnte schnell die Ernüchterung folgen, denn das Desaster der FDP hat Merkel die Fortsetzung der schwarz/gelben Regierung gekostet und die Union in schwer abwägbare Koalitionsverhandlungen gezwungen, die durchaus auch scheitern könnten, auch wenn letztlich die Bildung einer Großen Koalition des weitaus wahrscheinlichste Resultat sein dürfte.

Merkels Erfolg beruht nicht nur darauf, dass es momentan fast völlige Klassenkampfruhe gibt und Deutschland wirtschaftlich - noch - relativ gut dasteht. Der Kanzlerin gelang es auch, den Eindruck von Stabilität zu vermitteln und sich selbst als quasi über den Parteien stehende „Mutti der Nation“ zu präsentieren, als Felsen inmitten einer chaotischen, krisengeschüttelten Welt.

Die Wahltaktik der Unions-Parteien, die altbewährte Zweitstimmenkampagne für den schwächelnden Koalitionspartner FDP abzulehnen, hat dieser eine Katastrophe beschert - sie erhielt nur 4,8%, erlitt Verluste von sagenhaften 9,8 Prozent und flog mit Pauken und Trompeten aus dem Parlament. Da die CDU aber selbst keine absolute Mehrheit hat, steht sie nun ohne ihren traditionellen Lieblingskoalitionär da. Der Erfolg der Union relativiert sich auch insofern, als ihre Stimmengewinne zum erheblichen Teil daher rührten, dass sie ihre Leihstimmen für die FDP von 2009 nun wieder für sich selbst nutzte.

Welche Regierung?

Da wir nicht davon ausgehen sollten, dass die Unions-Wahltaktiker völlig den Verstand verloren haben, bleibt nur ein Schluss übrig: die FDP sollte bewusst ausgebootet werden, um eine Große Koalition zu ermöglichen - zumindest wurde das in Kauf genommen. Immerhin hatte sich Schwarz/Rot während der schweren Krisen-Erschütterungen 2008/09 schon einmal sehr gut dabei bewährt, das deutsche Kapital erfolgreich durch die Krise zu führen. Dahinter steht sicher auch die - durchaus richtige - Überlegung, dass die globale Krise noch lange nicht ausgestanden ist und auch Deutschland, dessen Wirtschaft bisher zu den Gewinnern der Krise gehörte, in schwereres Fahrwasser geraten wird.

Der deutschen Bourgeoisie ist auch bewusst, dass sie zwar ihre Stellung in Europa, aber durchaus nicht im globalen Maßstab ausbauen konnte. Insofern will und muss sie weitere Vorstöße wagen, um den imperialistischen EU/Euro-Block aus der Malaise zu führen, und weitere Angriffe gegen das eigene Proletariat starten, um im Konkurrenzkampf mit den imperialen Rivalen, v.a. mit den USA und China, zu punkten. Für dieses Mammutprojekt aber braucht das Kapital eine große Mehrheit und eine stabile Regierung mit Rückhalt in allen Klassen. Die FDP ist dafür eindeutig zu schwach und derzeit nur mit den Leihstimmen der Union wahltauglich. Die SPD hingegen bietet den großen Vorteil, dass sie über die Gewerkschaftsapparate und das Gros der Betriebsräte immer noch die Arbeiterklasse kontrolliert und - wie einst unter Schröder - Protest und Widerstand im Schulterschluss mit den DGB-Spitzen kanalisieren kann. Hinzu kommt, dass sich die FPD – anders als SPD und auch die Grünen unter Fischer – als außenpolitische Nullnummer entpuppte.

Wer nun mit der CDU regieren wird, ist offen. SPD und Grünen ist natürlich zuzutrauen, entgegen den Erwartungen ihrer WählerInnen und entgegen ihren politischen Ankündigungen mit der CDU ins Regierungsbett zu steigen. Sie wissen auch, dass sie das viel politisches Prestige kosten würde und sie als Juniorpartner der Union nur verlieren können. Doch schon SPD-Alt-Kanzler Schröder war ja durchaus bereit, für das Wohlergehen des deutschen Kapitals Reformen einzuleiten, welche die SPD Hunderttausende Mitglieder und Millionen WählerInnen kosteten.

Trotz allem Jubel der Union: Schwarz/Gelb hat in summa 1,9% verloren. Das konservativ/liberale Lager (Union, FDP und AfD) insgesamt hat nur 2,8% hinzugewonnen. Dabei hat die AfD als „eurokritische“, ansonsten aber rechts von der CDU stehende Kraft ein halbes Jahr nach ihrer Gründung einen bemerkenswerten Teilerfolg geschafft. Dass v.a. sie und nicht die links von ihr stehenden Parteien SPD, Grüne und die LINKE von der offensichtlichen Krise des Euro und der EU profitieren konnten, verweist auch darauf, wie wenig „alternativ“ und „kritisch“ deren Politik in dieser Hinsicht von den WählerInnen bewertet werden.

SPD und Linkspartei

Zusammen konnten diese beiden bürgerlichen Arbeiterparteien (politisch bürgerlich, aber sozial stärker mit der Arbeiterklasse bzw. den Gewerkschaften verbunden) keinen Boden gutmachen. Die SPD gewann gerade 2,7% hinzu und kam auf bescheidene 25,7 Prozent, die LINKE erreichte 8,6%, was einen Verlust von ca. 25 Prozent ihrer Stimmen gegenüber 2009 bedeutet.

Warum war nicht mehr drin? Der Hauptgrund dafür (und für das gute Abschneiden der Union) ist sicher die wirtschaftliche Gesamtlage Deutschlands, v.a. im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, die sich auch in der relativ niedrigen Arbeitslosenquote ausdrückt. Die Reallohnentwicklung war im Durchschnitt zwar rückläufig, aber nur leicht. Der durchaus deutliche soziale Abstieg der letzten Jahre betraf eben „nur“ wichtige Teile der Arbeiterklasse, nicht deren industrielle Kernschichten.

Ein zweiter Grund war, dass es keine größeren Klassenkämpfe oder wenigstens Proteste gab, die der Klasse den Eindruck vermitteln konnten, dass wirklich etwas änderbar ist und welches Kampfpotential die Klasse wirklich hat.

Das wiederum führt uns zum dritten Faktor: der Politik der Reformisten von SPD und Linkspartei.

Die SPD wollte und konnte keinen wirklichen Bruch mit ihrer früheren Agenda-Politik vollziehen. So war es ihr letztlich unmöglich, die Millionen enttäuschter proletarischer WählerInnen zurückzugewinnen. Zudem hat die SPD nie versucht, mit Kampagnen oder gar der aktiven Unterstützung von Mobilisierungen, z.B. jener gegen die Rente mit 67, zu beweisen, dass sie es mit ihren Versprechen ernst meint.

Die LINKE positioniert sich zwar in etlichen Punkten linker und kann im Unterschied zur SPD auf eine langjährige politische Kontinuität (z.B. bei der Mindestlohn-Forderung) verweisen, doch diesen Bonus machte sie andererseits wieder dadurch kaputt, dass sie in den Landesregierungen und Kommunen auch nur bürgerliches Krisenmanagement betreibt. Vor allem aber versäumte sie es, sich als aktive, kämpferische Kraft zu präsentieren: in Mobilisierungen war ihre Präsenz - gemessen an ihren Möglichkeiten - meist peinlich gering. Ihren durchaus vorhandenen Einfluss in den linkeren, aktiveren Milieus der Klasse und in den Gewerkschaften hat sie nie dazu genutzt, einen linken, klassenkämpferischen Pol oder gar einen organisierte Opposition im DGB aufzubauen. So konnte sie sich auch nicht überzeugend von der SPD absetzen und vermitteln, dass sie andere Ziele und eben auch andere Mittel wählt, um diese durchzusetzen.

Die LINKE hat zwar einen überproportionalen Einfluss auf Arbeitslose, wo sie beachtliche 22% erreichte, doch im betrieblich/gewerkschaftlichen Bereich konnte sie offenbar nicht zulegen. So verwundert es nicht, dass sich die LINKE gegenüber der SPD - trotz deren nach wie vor misslicher Lage - nicht verbessern konnte, sondern sogar zurück fiel. Allerdings sprechen ihre 8,6% auch dafür, dass es die LINKE geschafft hat, ihre inneren Konflikte zu regulieren und sich zu stabilisieren. Dass die LINKE zur drittstärksten Partei wurde und sich als „Opposition“ wieder stärker profilieren konnte, zeigt auch - bei allen reformistischen Grenzen ihrer Politik -, dass eine linke, „antikapitalistische“ Politik als Alternative mehr überzeugt, als die Konzepte der Grünen oder der Piraten.

Neue Angriffe …

Egal, welche Regierungskonstellation entsteht: Es ist klar, dass jede neue Bundesregierung unter erheblichem Handlungsdruck steht.

Trotz einiger leichter Aufschwung-Tendenzen in Teilen der Weltwirtschaft und sogar im Euro-Raum sind die tieferen Ursachen der Krise - riesige Überkapazitäten und daraus folgend immense Mengen an „vagabundierendem“ Spekulations-Kapital - nicht gelöst. Die riesigen Schuldenberge der Staaten (darunter v.a. auch der USA) und die Politik des billigen Geldes, das in Massen in die Märkte gepumpt wird, zeigen eher, dass die Risikopotentiale noch größer geworden sind.

Für das deutsche Kapital geht es einerseits darum, ihr strategisches Hauptziel, die Formierung eines imperialistischen EU-Blocks unter deutscher Führung voranzubringen und aus der derzeitigen Krise zu führen. Dazu bedarf es auch einer stärkeren politischen Vereinheitlichung Europas, um wirklich „durchregieren“ zu können. Bisher ist man hier auf halbem Wege stehen geblieben.

Andererseits muss sich Deutschland wirtschaftlich v.a. gegenüber China Boden behaupten oder zumindest verhindern, noch weiter zurück zu fallen. Dass bedeutet auch, den in den vergangenen Jahren für die deutschen Kapitalisten so wichtigen Vorteil in punkto Lohnkosten wieder zu erreichen. Die überwiegend auf dem Export beruhende deutsche Wirtschaft könnte schon vom nächsten globalen Abschwung - der kommen wird - heftig getroffen werden.

Deshalb sind weitere Angriffe vorprogrammiert, z.B. auf Arbeitslose und RentnerInnen. Was vor der Wahl von den Herrschenden noch hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde, wird bald zu  großen Schlagzeilen werden; das bürgerliche Lager wird nicht lange warten, die Notwendigkeit neuer „Reformen“ zu betonen, um den „Standort D“ zu sichern, Europa zu „retten“ oder der Krise zu „begegnen“.

… neuer Widerstand

Vor diesem Hintergrund ist eines überdeutlich: wenn es nicht gelingt, stärkeren Widerstand zu formieren, drohen neue soziale Einschnitte, wird sich die Lebenslage von Millionen von Lohnabhängigen, Arbeitslosen, RentnerInnen und Jugendlichen verschlechtern.

Dabei sollten uns die Erfahrungen z.B. Griechenlands Warnung genug sein. Dort gab es immerhin massenhafte Proteste und fast permanente Abwehrkämpfe, darunter fast 30 eintägige Generalstreiks. Trotzdem gelang es den Massen nicht, den Angriffen der Troika wirklich etwas entgegen zu setzen, geschweige denn, sie zu stoppen.

Diese Erfahrungen zeigen sehr deutlich, dass erstens einem massiven Angriff des Klassengegners nur erfolgreich begegnet werden kann, wenn die gesamte Kampfkraft der Klasse eingesetzt wird, wenn es unbegrenzte politische Massen- und Generalstreiks gibt, wenn es gelingt, eigene Machtstützpunkte und Kampforgane zu schaffen.

Das Ausmaß der Krise Europas und das Agieren der Troika zeigen zudem, dass jede nur im nationalen Rahmen gedachte Widerstands-Perspektive zu kurz greift. Wir müssen die nationalen Proteste und Kampf-Strukturen international verbinden, wie es in bescheidenen Ansätzen 2012 in den europaweiten Streikaktionen sichtbar wurde.

Die vergangenen Monate und Jahre haben zweitens auch gezeigt, dass die reformistischen Führungen der Arbeiterbewegung, die Gewerkschaftsspitzen und die „linken“ Parteien, weder bereit noch in der Lage sind, effektiven Widerstand zu organisieren.

Daraus folgt, dass alle revolutionären, alle linken und klassenkämpferischen Kräfte gemeinsam für die Schaffung starker revolutionärer Parteien und einer Internationale eintreten müssen, um die historische Führungskrise der Arbeiterklasse zu überwinden. Dazu ist es z.B. in Deutschland dringend nötig, eine Basisbewegung aufzubauen, welche in Protesten und Mobilisierungen eingreift, die Kräfte in der Aktion zusammenführt und für eine klassenkämpferische und antikapitalistische Orientierung eintritt. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, v.a. im DGB und in den Betrieben eine bundesweite Oppositionsstruktur zu formieren, welche die reformistischen Führungen und Apparate herausfordern und ihnen Paroli bieten kann.

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Nr. 183, Oktober 2013
*  Bundestagswahl: Vor einer Großen Koalition?
*  Heile Welt
*  Berliner GEW-Streiktage: Der Kampf hält an
*  Kongress der Gewerkschaftslinken: Ein Aufbruch ist nötig
*  Metallindustrie: IG Metall unter Druck
*  Neue Anti-kapitalistische Organisation: Wie weiter?
*  Wurzeln des Rassismus: Nation, Ausbeutung, Imperialismus
*  München: Solidarität mit den Flüchtlingen!
*  90 Jahre deutscher Oktober: Die verpasste Revolution
*  Solidarität mit TextilarbeiterInnen in Pakistan: Freiheit für die "Sechs aus Faisalabad"
*  Griechenland: Naziterror stoppen!
*  UN-Resolution zu Syrien: Abkommen gegen die Revolution



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