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Die Ukraine und RIOs Unverständnis revolutionärer Politik

Franz Ickstatt, Revolutionärer Marxismus 47, September 2015

Nicht dass alle schriftlichen Ergüsse linker Gruppierungen über die Lage in der Ukraine von hoher Bedeutung wären. Die große Schande des Großteils der deutschen, ja der weltweiten Linken bleibt die faktische politische Unterordnung unter den westlichen Imperialismus, vorzugsweise ihren „eigenen“. Ergänzt wird dies durch die neutralistische Position eines weiteren großen Teils der Linken, dessen Passivität letztlich auch den Imperialisten dient.

Zu solchen Neutralisten gehört zum Beispiel die MLPD, die u.a. den „Abzug aller fremden Panzer“ fordert, was nur als Entwaffnung des legitimen Widerstandes im Osten gegen den Krieg der Kiewer Regierung interpretiert werden kann. Auch sonst verweigert die MLPD die Solidarität mit der Bewegung in der Ostukraine, ruft aber zu Solidarität mit „den Linken“ in der Ukraine auf. Konkret meint sie damit die KSDR, ein Mitglied ihrer internationalen Strömung ICOR. Unter AktivistInnen aus dem Land ist diese Gruppe allerdings völlig unbekannt, dem Rest der Welt sowieso. Sie führt ein politisches Leben nur auf den Seiten der MLPD und des ICOR. Es gibt von dieser Gruppe keinerlei Veröffentlichungen, lediglich ein einziges Interview in der Roten Fahne. Die Solidarität der MLPD beläuft sich in der Praxis darauf, ihr eigenes potemkinsches Dörfchen in der Ukraine zu basteln.

Which side are you on?

Würde die MLPD in der Praxis auf der richtigen Seite stehen - wie es die DKP tut, trotz falscher Begründung (1) - könnte dies zumindest in Deutschland zu einer erheblich besseren Mobilisierung gegen die Politik des deutschen Imperialismus beitragen. So bleibt der Hauptfeind im eigenen Land von der MLPD in dieser Frage unbehelligt.

Gleiches gilt auch für RIO. Diese Gruppe könnte zwar zahlenmäßig deutlich weniger zu einer Mobilisierung beitragen als die MLPD, aber sie hat zum Thema mehr - wenn auch mehr in sich Widersprüchliches - verfasst. Im Aufruf der internationalen Strömung der MLPD, der ICOR, wird der Konflikt in der Ukraine als „Stellvertreterkrieg“ bezeichnet, werden die gegenläufigen Interessen der russischen und westlichen Imperialisten benannt und wird dann zur Ostukraine selbst nur gesagt: „Wenn auch die NATO der Hauptaggressor ist, heißt das nicht, dass sich revolutionäre Organisationen auf die Seite des russischen Imperialismus stellen oder die Gebiete Donezk und Lugansk als ‚befreite Gebiete' ansehen können. Es ist sehr auffällig, wie nicht nur Kiew, sondern auch Putin mit Faschisten zusammenarbeitet.“ (2) Dürftiger geht's wohl nicht mehr.

Anders RIO. Im Gegensatz zu ihrer internationalen Strömung „Trotzkistische Fraktion“, die auf ihrer Web-Seite zuletzt im September 2014 eine Stellungnahme veröffentlichte (3), präsentierte RIO in ihrem Blatt „Klasse gegen Klasse“ Nr. 9 nicht nur eine Analyse der Lage in der Ukraine (Stand September 2014) (4), sondern auch eine Auseinandersetzung mit anderen Linken unter dem Titel „Debatte: Muss man das „kleinere Übel“ unterstützen?“ (5). Dem ging ein erster Artikel im August 2014 voraus (6). Jetzt folgte eine Polemik „Verwirrung und Verzweiflung“ (7), der sich auch mit Positionen anderer linker Gruppen, vor allem aber unserer Stellungnahme sowie der von Borotba befasst.

Aber auch schon in „Debatte: Muss man das „kleinere Übel“ unterstützen?“ ging das Feuer in diese Richtung. Gehen wir über die völlig frei erfundene Behauptung des Autoren Wladek Flakin hinweg, dass die kritisierten Organisationen - seien es diejenigen, die die Maidan-Bewegung, oder jene, die die Bewegung im Osten unterstützen - dies mit der Begründung des „kleineren Übels“ täten. Das tun sie definitiv nicht. Stellen wir der unzureichende Kritik an den Maidan-Unterstützern wohlwollend die Bewertung „stets bemüht“ aus und widmen uns dann dem Teil, der sich mit den von ihm so bezeichneten „AntifaschistInnen“ auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung ist mehr als doppelt so lang wie die andere mit den Maidan-„DemokratInnen“ und offensichtlich der Hauptzweck des Artikels.

Während hier komplett das (ex-)stalinistische/reformistische Lager, z.B. die DKP, unerwähnt und somit unkritisiert bleibt, schreibt Flakin einiges über Borotba, die er einmal als „stalinistisch“ bezeichnet und dann der Vertretung „nationalistischer Positionen“ beschuldigt. Belegen kann er weder das eine noch das andere. Dann folgt eine Auseinandersetzung mit der Jalta-Konferenz, die Anfang Juli 2014 auf der Krim stattgefunden hat. Sie wurde organisiert von einem gewissen Anpilogow, der als russischer Nationalist bezeichnet wird. Er soll dann auch einen Monat später eine Konferenz mit verschiedenen Nationalisten und gar Faschisten aus Europa organisiert haben. Damit habe er „Linke und Rechtsextreme für die gleiche Front mobilisiert“.

Unserem Genossen Brenner, der an der Konferenz in Jalta teilgenommen hatte, wird dabei „eine defensive Verteidigung seiner Position“ und der „Zusammenarbeit mit rechtsextremen ‚AntifaschistInnen'“ nachgesagt. In der Fußnote distanziert sich Flakin zwar von der „sozialimperialistischen AWL“, die diese „Fakten zusammengetragen habe“, aber sie seien „schwer zu widerlegen“. Das ist dann der Fall, wenn man politische Analyse durch eine linke Version der Klatschspalten der Regenbogenpresse ersetzt: Wer hat mit wem getanzt, getrunken oder gar geknutscht?

Revolutionäre MarxistInnen unterscheiden sich aber von OpportunistInnen aller Art auch und vor allem in ihrer Methode.

Wer mit wem oder wer für was?

Unserem Genossen eine „Zusammenarbeit mit Rechtsextremen“ zu unterstellen, ist eine schlichte Lüge der AWL (Alliance for Workers' Liberty; britische rechtszentristische Organisation). Der Besuch einer Konferenz ist noch lange keine Zusammenarbeit, schon gar nicht, wenn diese nicht mal anwesend sind. Auch wenn Anpilogow selbst ein Rechtsextremer wäre, wäre er einer der sehr seltenen Rechtsextremen, die für Linke Konferenzen organisieren. Hinzu kommt, dass Anpilogow zwar bei der Konferenz anwesend war, die maßgebliche Person bei der Organisierung jedoch Boris Kagarlitzki war, ein international bekannter russischer Linker.

Aber mal unterstellt, es wäre bekannt gewesen, dass Anpilogow nach der Konferenz der Linken eine ebensolche der Rechten organisieren würde, dann stellt sich die Frage doch so: „Dürfen Linke auf Konferenzen gehen, die von dubiosen, möglicherweise nationalistischen Personen oder Organisationen organisiert werden?“

In der gleichen Ausgabe ihrer Zeitung berichten andere GenossInnen von RIO von ihrem Besuch auf der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di organisierten Konferenz „Erneuerung durch Streik“ in Hannover und erklären, dass dies „eine gute Gelegenheit zur Vernetzung“ gewesen sei, „die es sonst selten gibt“ (8). Unabhängig von und im Widerspruch zu ihrem schönen Namen organisiert diese Stiftung aber auch Veranstaltungen mit übelsten Zionisten und anderen Nationalisten und Rassisten sowie UnterstützerInnen des deutschen und US-Imperialismus, was RIO vermutlich genauso sieht wie wir.

Die Frage, ob eine Teilnahme an einer Konferenz sinnvoll und legitim ist, beantwortet hier RIO aber offensichtlich ganz anders. Die Tatsache, dass einer der Hauptredner in Hannover das IG Metall-Vorstandsmitglied Urban war, der als Mitglied der Linken die entsprechende Rhetorik beherrscht, der in der Praxis aber die ganze rechte korporatistische Standort-Deutschland-Politik dieser Gewerkschaft einschließlich der Unterstützung für den Angriff auf das Streikrecht durch die Bundesregierung mitträgt, ist den RIO-GenossInnen keine Erwähnung wert - was schade ist - und kein Grund für sie, nicht nach Hannover zu gehen -was korrekt ist.

Zu Recht kritisiert RIO übrigens, dass in Hannover die Verabschiedung einer Resolution zur Flüchtlingsfrage verhindert worden ist. Es gab nur eine zur Verteidigung des Streikrechts. Auf der Jalta-Konferenz, der bis dahin einzigen „Gelegenheit zur Vernetzung“ der Linken, die die Bewegung im Osten unterstützen, gab es anders als in Hannover eine gemeinsame Schlusserklärung. Diese würden wir als Mischung von reformistischen und linkspopulistischen Ideen charakterisieren. Mit anderen Worten, diese Erklärung und damit die Konferenz hat mit den Positionen der Rechtsextremen, die sich ein paar Wochen später in Jalta versammelten, politisch aber auch gar nichts gemeinsam! Und das ist auch noch für jedeN überprüfbar - im Unterschied zu Konferenzen, die ohne Erklärung zu Ende gehen. Zweitens gibt eine Erklärung immer die Möglichkeit, inhaltliche Kritik zu üben und Gegenvorschläge zu formulieren - auch für Flakin oder die AWL. Es ist aber bemerkenswert, dass alle Kritiker der Konferenz von Jalta mit keinem Wort auf deren Hinhalt eingehen - obwohl der Text seit langem in verschiedenen Sprachen, darunter auch in deutscher Übersetzung vorliegt (9).

In den Texten wird einfach politische Analyse und Kritik durch Kolportage ersetzt, um so davon abzulenken, dass RIO die Verteidigung des Donbas gegen die Angriffe der ukranischen Armee und faschistischer Milizen neuerdings rundweg ablehnt. Diese Vermutung bestätigt sich mit dem Artikel, den Alexej Geworkian im Mai 2015 für RIO verfasste (10) und der sich erneut vor allem auf unsere Position sowie auf BOROTBA konzentriert. Wir werden zeigen, dass die Methoden RIOs weiterhin zentristisch sind und ihre Politik ebenfalls. RIOs Abkehr von revolutionärer Methodik und Programmatik läuft aber letztlich auf die Unterstützung der westlichen Imperialisten hinaus.

RIOs Zentrismus: Linksradikale Worte - passive Praxis

Die grundlegenden Fehler von RIO in der Ukrainefrage haben wir bereits in Auseinandersetzung mit ihrem Artikel vom August 2014 ausführlich analysiert.

„Waren die beiden Seiten zuerst noch ‚qualitativ' ungleich, sind wenige Zeilen später ‚beide Seiten gleichermaßen reaktionär.'

Um die Verwirrung perfekt zu machen, heißt es gegen Ende des Artikels: ‚Vor dem Hintergrund der notwendigen Verteidigung gegen militärische Angriffe muss ein sozialistisches Programm entwickelt werden.'  Das heißt aber für jeden klar denkenden Menschen nichts anderes, als dass sich die Arbeiterklasse auf einer Seite im Konflikt positionieren soll/muss - ansonsten ist ja die Verteidigung einer Seite gegen Angriffe vollkommen sinnfrei.

Die ganze Verwirrung kommt daher, dass RIO die Bewegung im Osten einmal als reaktionär definiert, weil die Führung eine Volksfront ist. An anderer Stelle sieht sich die Gruppe aber wieder genötigt anzuerkennen, dass ein Teil der Bewegung im Osten und auch die ‚Volksrepubliken' qualitativ verschieden von der Kiewer Seite wären.

Das Problem ist an sich leicht zu lösen. Als RevolutionärInnen unterscheiden wir auch in Donezk und Lugansk zwischen der sozialen Basis, den Zielen und Potenzen einer Bewegung und einer reaktionären Führung. Trotz des reaktionären Charakters der Spitzen der ‚Volksrepubliken' müssen RevolutionärInnen diese gegen die Angriffe der Reaktion verteidigen. Wir bekämpfen diese Führungen dabei immer auch politisch und treten für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei ein - aber wir tun dies auf eine Art und Weise, die den Sieg gegen die Kiewer Reaktion herbeiführen soll. Und das heißt im Bürgerkrieg, um die Führung in der militärischen Verteidigung zu kämpfen.“ (11)

Die zentristische Methode führt RIO dabei zu folgenden Fehlern:

In der Analyse der Kräfte im Osten unterschätzt RIO völlig den Einfluss der ArbeiterInnenklasse und untersucht nicht das Verhältnis zwischen örtlichen Kräften und den Zielen Moskaus.

In der Frage, ob es sich in erster Linie um einen Bürgerkrieg oder um einen Krieg zwischen Russland und Moskau handelt, gibt es ständige Schwankungen; in der Tendenz neigt RIO aber zu letzterem.

Die mangelhafte Bestimmung der Bewegung der ArbeiterInnenklasse führt dazu, keine Taktiken für die Klasse vorzuschlagen, höchstens die radikal klingende, aber im Bürgerkrieg völlig untaugliche Forderung nach einem Generalstreik.

So endet RIO in Passivität und konzentriert ihre Angriffe auf die Kräfte, die politisch am effektivsten im Osten eingreifen bzw. diesen Kampf verteidigen, wie z.B. Borotba und die Liga für die Fünfte Internationale.

Wir werden diese Fehler im Einzelnen anhand der Aussagen RIOs analysieren und darstellen.

Der Unterschied zu RIO

Den Fehler, aus einer halb-richtigen Analyse die ganz falschen Schlüsse zu ziehen, setzte RIO in der Herbst-Nummer 2015 ihres Magazins fort. Die „Igitt, was für Leute!“-Geste, die aus Flakins Artikel strömt und der er entweder selbst unterliegt („schwer zu widerlegen“) oder mit der er hofft, andere in die Irre führen zu können, hat ihre Grundlage aber in einem Unverständnis revolutionärer Taktik, das neben RIO auch andere Zentristen teilen, ja es ist für sich genommen ebenfalls ein Kennzeichen dieses Schwankens zwischen Revolution und Reform.

RIO nimmt eine „neutrale“ Position im Ukraine-Konflikt ein und damit zugleich eine untätige. Sie erklärt den ArbeiterInnen, dass sie sich unabhängig organisieren müssten. Da sie dies aber - in den Augen RIOs - nicht tun, steht RIO weiterhin mit erhobenem Zeigefinger am Rande des Geschehens, zu dem sie selbst sagen: „Der BürgerInnenkrieg in der Ukraine ruft die größten geopolitischen Spannungen seit dem Ende des kalten Krieges hervor.“

Wir dagegen suchen nach den Punkten, wo die ArbeiterInnenklasse tätig wird. Wir suchen die Klassenfronten. RIO versucht schon das wegzureden, indem sie uns unterstellt, wir würden das „kleinere Übel“ (Flakin) oder die „fortschrittliche Seite“ (Geworkian) suchen.

Damit soll offenkundig Suggestion an die Stelle einer konkreten Einschätzung der konkreten Situation treten. Eine Niederlage des Widerstandes im Osten, der Volksrepubliken, würde trotz des reaktionären Charakters der Führungen einem Sieg des Regimes der Oligarchen gleichkommen. Er wäre ein entscheidender Schlag gegen die ArbeiterInnenklasse, gegen alle unterdrückten Schichten in der Ukraine. Wahrscheinlich würde er mit einer Pogromstimmung gegen die „Separatistenkämp-ferInnen“ einhergehen wie auch gegen die Kommunistische Partie und linke Organisationen wie Borotba. Die faschistischen und nationalistischen Bataillone, große Teile der Nationalgarde, ja auch der Armee würden sich von brutalen Massakern kaum abhalten lassen.

All das stellt eine besonders brutale und abscheuliche Form der Festigung der Klassenherrschaft der ukrainischen Bourgeoisie, der Festigung ihrer Kontrolle über das Land dar - eine für große Teile des Proletariats im unmittelbaren Sinn vernichtende Niederlage. Ein solcher Sieg würde selbstverständlich auch die Eigentumsfrage usw. im Donbass „lösen“. Für revolutionäre KommunistInnen ist daher ihre Pflicht, den Klassencharakter des Konflikts und der beteiligten Kräfte, nicht nur die Ideologien von Parteien zu untersuchen. Daraus ergibt sich, welchen Platz die ArbeiterInnenklasse in einem Konflikt einnehmen muss. Gibt es eine „fortschrittliche Seite“ in einem Bürgerkrieg, so ist es die Pflicht des Proletariats, diese trotz all ihrer Schwächen gegen die Reaktion zu unterstützen.

RIO ersetzt diese Aufgabe durch die für sich genommen immer richtige Wahrheit, dass sich die Klasse „unabhängig“ organisieren müsse. Diese Erkenntnis verkommt jedoch zur reinen Abstraktion, wenn sie nicht mit der realen Auseinandersetzung vermittelt wird, wenn hinter allgemeinen Formeln geleugnet wird, dass der Widerstand im Osten einen fortschrittlichen Charakter hat. Es bedeutet nichts anderes, als das Proletariat in Stich zu lassen.

Die Klassenfronten in der Ukraine sind die Klassenfronten in Europa

RIO hält umso hartnäckiger an ihrer falschen Einschätzung fest, je klarer die Klassenfronten im Donbass werden. Dass diese offener zu Tage treten, ist allerdings nicht den passiven Ultimaten von RIO zu verdanken.

Mit Bombardierung der Zechen im Osten wurde die Masse der Bergleute erst in den Streik getrieben und dann an die Front. Sie bilden die Hauptstütze der „Roten Kosaken“. Das war nicht immer so. Vor dem Bürgerkrieg war der Vorsitzende ihrer Gewerkschaft, der Unabhängigen Gewerkschaft NPGU, für Julia Timoschenkos Vaterlandspartei im Parlament. In Donezk selbst hatte sich die Gewerkschaft gespalten, die Mehrheit wird schon länger von Michail Krylenko vertreten. Unbestreitbar hat hier auch eine Radikalisierung nach links stattgefunden.

Ein zweiter Konfliktpunkt ist die Frage der Fabriken und Minen, die von der Kiewer Regierung oder den Oligarchen aufgegeben oder bombardiert wurden. Die Janukowytsch-Leute, russische Nationalisten und Putin-Agenten wollen sie unter die Kontrolle russischer Oligarchen bringen. Die ArbeiterInnen haben offensichtlich andere Absichten. Sogar die „Unabhängige Bewegung Noworossija“, eine kleinbürgerlich-populistische Vereinigung, drückt dies in ihrer programmatischen Erklärung aus: „Großes Eigentum, industrielles und finanzielles Vermögen sollen dem Staat gehören. Der Nationalrat setzt sich zusammen aus Delegierten aus Räten von nationalen und Arbeitskollektiven und soll die höchste gesetzgebende Körperschaft von Noworossija werden.“ Ein offensichtliches Zugeständnis an die Arbeiterklasse.

Drittens geht es um die Verteilung der Hilfsgüter: Bestimmt die Administration aus prorussischen Janukowytsch-Leuten oder bestimmen die kämpfenden Einheiten? Diese stellen oft die progressiveren Elemente. Einige treten für Komitees der Bevölkerung ein. Ende des Jahres 2014 gab es zunehmend Konflikte um diese Frage. Etliche Kommandeure der „Roten Kosaken“ griffen das Staatsoberhaupt der „Volksrepublik Lugansk“, Plotnitzki, an, weil er zu wenig für die Bevölkerung täte und Material für sich abzweige. Dieser seinerseits beschuldigte Alexander Bednow, den populären Verteidiger der Stadt in den Augustkämpfen, der Unterschlagung und der Folter von ZivilistInnen. Dies geschah, nachdem Bednow unter nicht geklärten Umständen mit einigen seiner Leute durch eine (vermutlich russische) Spezialeinheit liquidiert worden war.

Viertens traten diese Konflikte auch bei den Wahlen im November zutage, bei denen in Donezk die KP an der Kandidatur gehindert wurde, ebenso wie Bednow in der Volksrepublik Lugansk. Genauso stellt die Gefangennahme von 4 Mitgliedern von BOROTBA Ende 2014 einen Beweis für die sich vertiefenden Konflikte im Osten dar. Die Freilassung nach zwei Wochen beweist aber auch das Gewicht der linken Kräfte.

Fünftens ist auch der Aufbau von explizit linken Kampfverbänden einerseits etwas, was keine Entsprechung in den Kiewer Truppen findet und andererseits ein Beweis, dass sich die linken Kräfte verstärken konnten. Herausragendes Beispiel ist die „Gespenster“-Brigade des legendären Kommandanten Alexander Mosgowoj. Innerhalb der Brigade gibt es ein Kommunistisches Bataillon, ein sehr internationalistisches Bataillon, in dem KommunistInnen aus vielen Ländern unter roten Fahnen kämpfen. Er organisierte auch eine politische Abteilung zur Schulung der Kämpferinnen und zur Produktion von linker Propaganda. Er warb SozialistInnen und KommunistInnen für diese Posten an.

RIO braucht im Ukraine-Konflikt keine Taktik, weil sie diese durch Allgemein-plätze ersetzt und die reale Bewegung ignoriert.

Einheitsfronttaktik im Bürgerkrieg ist zwar etwas anderes als Einheitsfronttaktik in Gewerkschaften. In jenen sind unsere Gegner/potentiellen Verbündeten meist ReformistInnen, die sich immerhin auf ArbeiterInnenbewegung und Streik beziehen, wie z.B. die Linkspartei-Mitglieder auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Bürgerkrieg hat man es dagegen oft auch mit nationalen und nationalistischen Positionen und Konflikten zu tun, wie generell der Bürgerkrieg „verworrener“ ist, weil er eine höhere Form des Klassenkampfes darstellt als der gewerkschaftliche Kampf. Im Bürgerkrieg werden alle Schichten der Gesellschaft in Bewegung gesetzt, alles wird umgeworfen im Kampf um die politische Macht.

Die grundlegende Herangehensweise ist jedoch auch von zwei zentralen Gemeinsamkeiten gekennzeichnet. Sowohl in gewerkschaftlichen wie politischen Klassenkämpfen sind RevolutionärInnen gezwungen, zeitweilige Bündnisse mit nicht-revolutionären Kräften einzugehen. Die Basis dafür besteht in der Verfolgung gleicher Ziele gegen einen gemeinsamen Gegner. Zugleich müssen solche Bündnisse immer mit der strikten Unabhängigkeit der revolutionären Organisation verbunden sein, also ihrem Recht/ihrer Möglichkeit, jederzeit auch Kritik am „Partner“ zu üben. Zweifellos werden daher in vielen Fällen (ob nun in gewerkschaftlichen Kämpfen wie auch im Bürgerkrieg) Einheitsfronten nicht zustande kommen trotz der Anwendung der Taktik der Einheitsfront, also der Forderung an andere, trotz fundamentaler politischer Differenzen den Kampf gemeinsam zu führen.

Die Ablehnung der Einheitsfront oder ihr Nicht-Zustandekommen ändert dabei nichts daran, dass ein fortschrittlicher Kampf weiter unterstützt werden muss.

Hinzu kommt, dass in Bürgerkriegen - und nicht nur dort - soziale Fragen oft die Form von demokratischen oder nationalen Konflikten annehmen. Soziale Forderungen verbergen sich hinter nationalen oder demokratischen Forderungen. Das entspringt aus der einfachen Tatsache, dass die Bourgeoisie zum Zwecke der Ausbeutung von Klassen, die viel zahlreicher an Menschen sind als die ihre, diese auch unterdrücken muss. Gegen diese Unterdrückung begehren dann die in ihren demokratischen und nationalen Rechten Unterdrückten auf. Der soziale Konflikt, die Ausbeutung, erscheint untergeordnet. Die Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen - auch wenn die Klassenkämpfe die Form von Kriegen und Bürgerkriegen annehmen. Trotzki präzisierte diese Aussage des Kommunistischen Manifestes noch: „Der Sektierer ignoriert einfach, dass der nationale Kampf, als eine der verworrensten und unübersichtlichsten, aber zugleich äußerst wichtigen Formen des Klassenkampfes, nicht durch bloßen Verweis auf die künftige Weltrevolution entschieden werden kann.“ (12) Als ob er RIOs Erklärungen zur Ukraine gelesen hätte!

Es ist also vollkommen sektiererisch, wenn man in einem Bürgerkrieg nicht Partei ergreift, obwohl man erkennt, dass die eine Seite einen berechtigten Kampf führt - nur weil die Klassenfrage noch nicht offen zu Tage liegt. Es ist zentrale Aufgabe jeder ArbeiterInnenorganisation, der ArbeiterInnenklasse zu helfen, den Klasseninhalt durch ihren eigenen Kampf sichtbar zu machen!

Welche Taktiken dann für revolutionäre Organisationen in Bürgerkriegen zulässig sind, werden wir weiter unten erläutern. Wir müssen uns noch damit befassen, dass RIO den Bürgerkrieg in der Ukraine zu einem Krieg umdeutet.

Imperialistischer Krieg und/oder Bürgerkrieg

RIO weicht einer wirklichen Analyse der kämpfenden Kräfte in der Ost-Ukraine auch dadurch aus, dass kurzerhand alles in den Volksrepubliken als von Russland gelenkt und kontrolliert dargestellt wird.

Dann erklärt Geworkian, dass RevolutionärInnen in einem Konflikt zwischen Imperialisten keine Partei ergreifen dürfen. Zugleich charakterisiert RIO aber die Russische Föderation als entwickelten Kapitalismus, lehnt es aber ab, dabei von einer imperialistischen Macht zu sprechen. Würde Geworkian seine eigenen Gedanken ernst nehmen, so müsste er sich die Frage stellen, wer hier eigentlich stellvertretend für wen agiert? Um einen imperialistischen Stellvertreterkrieg kann es sich ja schlecht handeln, wenn eine Seite gar keine imperialistische Macht darstellt.

Mit seinen „allgemeinen“ Erwägungen erspart sich Geworkian aber vor allem eine konkrete Analyse. Er unterstellt, dass der Krieg ein „imperialistischer auf beiden Seiten“ wäre, ohne das überhaupt zu untersuchen. Dabei ist genau das die Frage.

Der vorherrschende Charakter dieses Konflikts ist welcher? Handelt Kiew mit seiner Armee einschließlich der faschistischen und nationalistischen Paramilitärs als reine Schachfigur der USA und der EU oder verfolgt es eigene Interessen? Das eine muss das andere nicht ausschließen und sicher hatte der Maidan das Überlaufen der Mehrheit der ukrainischen Bourgeoisie ins westliche Lager zum Ergebnis. Der Hauptaspekt des Krieges ist aber ein sozialer und interner Konflikt: die ukrainische Regierung und ihre Hilfstruppen kämpfen mit der Waffe in der Hand für ein brutales Sparprogramm, für die Abwälzung der exorbitanten Krisenlasten auf die Massen, was natürlich auch im Interesse der EU, der USA und des IWF geschieht. Die arbeitenden Massen im Ostteil des Landes bekämpfen das, teilweise unter Waffen stehend. Es handelt sich also von beiden Seiten vorwiegend um einen Bürgerkrieg: zum einen, weil Russland nicht Kriegspartei ist, zum anderen, weil die Kiewer Regierung nicht überwiegend als Stellvertreterin des Westens agiert.

Wenn Kiew lediglich eine westliche Marionette wäre und Moskau die Volksrepubliken wirklich kontrollieren würde, dann hätte der Krieg einen anderen Charakter und ein anderes Ziel - die Schwächung Russlands bzw. deren Verhinderung - und nähme einen anderen Verlauf, wenn die westlichen Imperialisten ihre Kiewer Marionetten militärisch lenken würden.

Es handelt sich aber auch nicht in erster Linie um einen militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Das ukrainische Bürgertum führt vielmehr einen Bürgerkrieg gegen seine ArbeiterInnenklasse. Im Falle einer Invasion Russlands müsste die ukrainische ArbeiterInnenklasse einen Zweifrontenkrieg gegen zwei gleich große Übel führen, sofern der Charakter des Konflikts sich nicht z.B. in einen gegen nationale Unterdrückung durch Russland änderte und die ukrainische Bourgeoisie den sozialen Bürgerkrieg zurückstellen müsste. Diese Situation könnte z.B. im Vorfeld einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Russland und der EU sowie deren Verbündeten eintreten, wenn Russland die gesamte Ukraine annektierte, die damit das Schicksal z.B. Tschetscheniens teilen müsste. Eine Invasion der Ostukraine durch Russland könnte hingegen von der Mehrheit der dortigen Bevölkerung durchaus nicht als nationale Unterdrückung empfunden werden, wie das Beispiel der Krim zeigt, sondern sogar als „Befreiung“ aufgefasst werden (Noworossija). Nichtsdestotrotz müsste dann die ostukrainische ArbeiterInnenschaft sowohl Kiews wie Moskaus Truppen bekämpfen, denn beide Seiten würden mit den dort, in den Volksrepubliken, erkämpften proletarischen Errungenschaften, Milizen, Betriebsbesetzungen und -übernahmen wie Räteansätzen, gründlich aufräumen, die ohne Wenn und Aber als Faustpfande einer kommenden ArbeiterInnenrevolution verteidigt werden müssen, auch wenn in diesem Kriegsszenario der Bürgerkrieg einen untergeordneten Charakter angenommen hätte und der Krieg Russlands gegen die Ukraine in den Vordergrund gerückt wäre. Vor allem: wenn es sich aber nach wie vor um einen Bürgerkrieg handelt, kommen „RevolutionärInnen“ doch in arge Not, ihre Passivität zu rechtfertigen.

Auch wenn der Bürgerkrieg das dominierende Element in einem Konflikt ist, mischen sich die Imperialisten natürlich ein. Vielen Linken reicht der Hinweis auf imperialistische Einmischung, um Bürgerkriegsfronten zu entscheiden, wenn auch meistens falsch. So wurden von vielen Linken die Revolutionen und Bürgerkriege in Libyen und Syrien kurzerhand zu Projekten des US-Imperialismus erklärt und die Rebellen und revolutionären Kräfte zu seinen Marionetten. Aber im Zeitalter des Imperialismus gibt es keinen und kann es auch keinen Bürgerkrieg geben, den Imperialisten nicht für ihre Konkurrenz-Konflikte nutzen. Ein Bürgerkrieg hört aber weder im Nahen Osten noch in der Ukraine auf, ein Bürgerkrieg zu sein, nur weil sich Imperialisten einmischen. Der spanische Bürgerkrieg blieb eben von Anfang bis Ende ein solcher, obwohl sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien „einmischten“ - wie auch der degenerierte Arbeiterstaat UdSSR. Beide Lager - auch das Francos - agierten deshalb aber nicht schon überwiegend als verlängerter militärischer Arm ihrer imperialistischen Unterstützer.

Nebelkerzen

Noch ist also das dominierende Element der Bürgerkrieg. Wer kämpft denn da auf der Seite des Ostens? Geworkian unterstellt uns: „Die GAM scheint Borotbas Analyse geteilt zu haben, dass in der Ostukraine so etwas wie eine anfängliche soziale Revolution vonstattenging, die auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zielte. Hierzu ließ sie sich von der sowjetischen Nostalgie der russischen NationalistInnen mitreißen, die ihre Scheinparlamente gern ‚Sowjets' nennen. Doch diese Volksrepubliken entstanden und entwickelten sich unter direkter Führung des kapitalistischen russischen Staates. Auch ein Programm von ‚Verstaatlichung' beschränkt sich auf die Notwendigkeiten der Kriegsführung und des Aufbaus einer pro-russischen Enklave wie Transnistrien/ Pridnestrowien - wo Verstaatlichungen die angeschlagene kapitalistische Marktwirtschaft am Laufen halten.“ (13)

Wenn es eine „direkte Führung“ der „Volksrepubliken“ durch den russischen Staat gegeben hätte, wären sie eben keine „Volksrepubliken“ geworden. Transnistrien oder Nord-Ossetien nennen sich nicht Volksrepubliken, gerade weil der direkte russische Einfluss dort so etwas nicht will. Im Unterschied zur Krim - und auch die wurde nicht einfach annektiert - sind Lugansk und Donezk auch kein Bestandteil Russlands geworden. Ein Neu-Russland als Teil der Russischen Föderation ist eher ein Albtraum für Putin und ausgesprochen nicht seine Absicht.

Das, was uns Geworkian unterstellt, war nie unsere Analyse und Geworkian weiß das. Acht von dreizehn Verweisen in seinem Artikel beziehen sich auf GAM bzw. NAO. Er kennt also unsere Artikel. Der Maidan und die Übergriffe der neuen Regierung provozierten einen „Anti-Maidan“ im Osten, eine Massenbewegung, die Zehntausende auf die Straße brachte. Wir sind hingefahren und haben uns das angeschaut. Wir wollten wissen, wie die soziale Zusammensetzung ist, welche Parteien politisch dominieren, wofür die Bewegung kämpft, haben also dieselben Kriterien als Maßstab angelegt, mit denen wir den Maidan be- und verurteilt haben. Schon damals war klar, dass russisch-nationalistische Kräfte dort Einfluss suchen, dass es sich aber um eine Massenbewegung handelt, die vor allem aus der Arbeiterklasse besteht.

Wir haben diese Bewegung weiterverfolgt und untersucht. So haben sich z.B. größere Teile der Bergarbeiter erst später angeschlossen. Wir haben untersucht, ob und wie sich Forderungen der Klasse in diesem Bürgerkrieg ausdrücken.

Anders RIO heute. Während Baran Serhad im August 2014 noch eine differenziertere, wenn auch in sich widersprüchliche Analyse versuchte (14), ist für Geworkian nur noch ein „BürgerInnenkrieg zwischen reaktionären Banden“ zu sehen.

Wo ist denn eigentlich die Arbeiterklasse im Donbass geblieben? Während Serhad noch feststellte, dass es Demonstrationen dieser gegen die „Antiterror-Operation“ gegeben habe, tauchen ArbeiterInnen bei Geworkian real nicht mehr auf. Sind die alle geflohen? Sitzen die zu Hause rum wie RIO und kritisieren diejenigen, die kämpfen?

Bemerkenswert ist, dass Serhad noch analysierte: „Diese sogenannten Milizen stützen sich auf Arbeitslose, bankrottes Kleinbürgertum, NationalistInnen aus Russland, Armeekräfte und SondereinsatzpolizistInnen der alten Regierung. Doch von einem konkreten russischen militärischen Einsatz wie auf der Krim kann in der Ostukraine nicht die Rede sein.“ (15) Während Geworkian schreibt: „ … der ‚antifaschistische Widerstand' in der Ostukraine, der russische Militärs, GeheimdienstlerInnen, BürokratInnen und SöldnerInnen sowie einheimische KapitalistInnen umfasst,…“. (16) Die Arbeitslosen, also immerhin ein Teil der Arbeiterklasse, sind plötzlich verschwunden, dafür kämpfen die einheimischen KapitalistInnen. Und der „konkrete russische Einsatz“, den Serhad noch explizit ausschloss, ist bei Geworkian durch die „russischen Militärs“ dann gegeben.

Das wirkliche Problem, wie die ArbeiterInnenklasse, die im Süd-/Osten der Ukraine eben im Verbund mit anderen Kräften kämpft, sich in diesem Kampf als eigene Kraft formieren und ausdrücken kann, wird von RIO jetzt dadurch erledigt, dass sie einfach nicht mehr vorkommt.

Damit sich die ArbeiterInnenklasse aber unabhängig organisieren kann - was natürlich eine notwendige Voraussetzung für revolutionäres Handeln der Klasse ist - müssen RevolutionärInnen in die Kämpfe eingreifen, in denen die Klasse und vor allem ihre Avantgarde für ihre Interessen kämpfen, auch wenn sie dies nicht mit offenem Banner tun.

Serhad schlug vor einem Jahr noch vor: „Um die Unabhängigkeit von der Bourgeoisie zu schaffen, ist gerade in den Volksrepubliken die Bildung von ArbeiterInnenräten in Fabriken nötig, die sowohl die Funktion von Kampforganen haben als auch die Funktion der Verwaltung auf der lokalen und regionalen Ebene.“ (17) Für Geworkian haben aber Schritte, die in diese Richtung gehen, nichts mit der Klasse zu tun: „Auch ein Programm von ‚Verstaatlichung' beschränkt sich auf die Notwendigkeiten der Kriegsführung…“. (18)

Wir als GAM aber stellen klar, dass die Übernahme und Kontrolle von Betrieben durch ArbeiterInnen in der Ostukraine natürlich deren Willen und Kraft zeigt und dass hier eine revolutionäre Politik ansetzen kann und muss. Dass diese Entwicklung auch aus der Not des Krieges geboren wurde, sagt weniger über die Lage im Osten der Ukraine aus als über das Unverständnis von RIO für reale Klassenkämpfe. Historisch betrachtet wurden Maßnahmen wie Verstaatlichungen oft aus der Notwendigkeit anderer politischer Ziele geboren.

Diese Übernahmen von Fabriken und Kolchosen müssen ergänzt werden durch ein Programm zur Enteignung aller (auch der russischen) Oligarchen und der Errichtung von ArbeiterInnenkontrolle und Räten. Sie sind in der Tat ein hervorragender Beleg für die Notwendigkeit und die Durchführbarkeit eines solchen Programms - so wie die von der Trotzkistischen Fraktion unterstützte Besetzung und Weiterführung der Keramikfabrik Zanon in Neuquén ein Ansatz für ein entsprechendes Programm für Argentinien ist, obwohl sie selbst nur aus der ökonomischen Notwendigkeit der ArbeiterInnen geboren wurden, die in der Krise 2001 nicht arbeitslos werden wollten.

Aber selbst wenn die Verstaatlichung von Fabriken im Donbass aus dem Besitz von Oligarchen rein aus militärischer Logik durchgeführt würde, wie Geworkian behauptet: Seit wann lehnen wir eigentlich Verstaatlichungen ab, wenn sie vom ideellen Gesamtkapitalisten, dem bürgerlichen Staat, durchgeführt werden? Die Forderung aus dem Übergangsprogramm nach „Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle und entschädigungslose Enteignung der FabrikbesitzerInnen“ verlangt diese explizit dann, wenn der bürgerliche Staat noch existiert. Im ArbeiterInnenstaat wäre diese Forderung überflüssig. Trotzki kritisierte übrigens gerade das republikanische Spanien dafür, dass die Regierung nicht genügend Anstrengungen zum Aufbau einer eigenen Kriegsindustrie unternommen habe.

Wir wissen auch sehr gut, was Räte sind und fallen bestimmt nicht auf nostalgische Begriffsverwendung rein, wie Geworkian behauptet: „Hierzu ließ sie sich von der sowjetischen Nostalgie der russischen NationalistInnen mitreißen, die ihre Scheinparlamente gern ‚Sowjets' nennen.“ Im Unterschied zu RIO überlegen wir uns aber auch, warum russische NationalistInnen in Russland ihre Scheinparlamente nicht „Sowjets“ nennen, russische NationalistInnen - und eben auch andere politischen Kräfte - im Donbass aber von „Volksrepubliken“ und „Sowjets“ reden, überlegen, ob das was mit ArbeiterInnenklasse zu tun hat und wie diese ihren Klassenkampf aus seiner verdeckten Form befreien kann.

Die ArbeiterInnenklasse kann sich nur auf der Basis ihres Kampfes unabhängig organisieren. RIO lehnt es de facto ab, der ArbeiterInnenklasse zu helfen, sich aus ihrer „Unterordnung unter bürgerliche“ Kräfte zu befreien, wenn sie den realen, fortschrittlichen Kampf der Klasse ignoriert bzw. desavouiert.

Taktiken im Bürgerkrieg

Mit solcher Vernebelung und Verdrehung glaubt RIO es sich auch weiterhin leisten zu können, die Taktiken zu verleumden, die der Klasse helfen, sich zu formieren. Die Verteidigung gegen das reaktionäre bürgerliche Regime ist aus demokratischen (Recht auf eigene Sprache und gegen nationale Unterdrückung) wie aus sozialen Gründen (gegen die Verelendungsprogramme des IWF und die Ausbeutung durch Oligarchen) völlig berechtigt. Natürlich ist auch der Widerstand gegen die Faschisten nicht nur berechtigt, sondern völlig notwendig, wenn die Arbeiterklasse eigene Organisationen aufbauen bzw. verteidigen will.

In diesem Kampf können Organisationen der ArbeiterInnenklasse - oder diejenigen, die solche aufbauen wollen - eine militärische Front mit anderen, auch mit bürgerlichen, Kräften bilden. Linke dürfen natürlich nicht sich dem bürgerlichen „Antifaschismus“ oder jeder anderen bürgerlichen Politik unterordnen. Es ist völlig klar, dass trotz dieser gemeinsamen militärischen Front es massive politische Konflikte gibt und geben muss, je stärker die Linke wird - wenn auch RIO diese im Donbass gerne ignoriert, um ihr Zerrbild aufrechtzuerhalten.

So schreibt Geworkian : „Gleichzeitig will sie (die GAM) mit SoldatInnen der russischen Armee in einer ‚militärischen Front' zusammenstehen, und zwar gegen den Faschismus. Für MarxistInnen ist es eine Frage grundlegender Prinzipien, konsequent gegen den Imperialismus zu kämpfen. Eine solche ‚Einheitsfront' (Volksfront) mit einer imperialistischen Macht kann nur Verrat an den Interessen der Unterdrückten bedeuten - auch und gerade im Namen der ‚Demokratie' oder des ‚Antifaschismus'.“

Halten wir zunächst fest: es kämpft im Donbass nach wie vor nicht die russische Armee, was - wie oben gesagt - die Lage ändern würde. Von einer „Einheitsfront mit einer imperialistischen Macht“ kann also keine Rede sein (mal abgesehen davon, dass RIO und ihre Internationale ansonsten gern erklären, dass Russland keine imperialistische Macht wäre). Eine solche war z.B. Stalins Weltkriegspolitik oder der Burgfrieden der sozialdemokratischen Parteien mit „ihren“ Imperialismen.

Nicht jede Einheitsfront mit Bürgerlichen ist allerdings Klassenverrat und umgekehrt nicht jedes klassenverräterische Bündnis mit der Bourgeoisie eine Volksfront. Letztere ist eine Regierung aus opportunistischen ArbeiterInnenparteien und offen bürgerlichen Parteien, Einzelpersonen oder Institutionen (Militär) in einer (vor-)revolutionären Situation oder Periode. Eine Einheitsfront selbst mit dem Bürgertum (oder Teilen davon) kann wiederum völlig legitim sein (19). Wir würden unter 3 Bedingungen Einheitsfronten eingehen: gemeinsame Ziele; Aktions- und Bewegungsfreiheit, Freiheit von Kritik und Propaganda; keine Vermischung der Fahnen oder gemeinsame Aufrufe außer zum Zwecke unmittelbarer Mobilisierung. Wir würden aber immer für die Linie der ArbeiterInnenbeinheitsfront eintreten, also z.B. in einem Anti-Nazi-Bündnis, in dem auch die GRÜNEN und Kirchen sitzen, für physische Konfrontation und Selbstverteidigung der ArbeiterInnenorganisationen, was eine direkte Konfrontation mit den bürgerlichen Kräften in einem solchen Bündnis bedeuten würde.

Kommt keine Einheitsfront zustande, weil auch nur eines der o.a. 3 Kriterien nicht erfüllbar ist, können trotzdem zeitweilige Absprachen durchaus sinnvoll sein, um die Widersprüche im Lager des Feindes auszunutzen: z.B. mit der Résistance im besetzten Frankreich während des 2. Weltkriegs, obwohl TrotzkistInnen schon allein deren Ziel (Niederlage Deutschlands, Sieg Frankreichs)  nicht teilten, sondern im Konflikt Deutschland gegen Frankreich für revolutionären Defaitismus eintraten. Man merkt RIO deutlich an, dass ihr „Trotzkismus“ deutlich kindisch-sektiererische Züge annimmt, die Prinzipien aus einer Reihe auswendig gelernter Formeln bestehen. So läuft jede Tuchfühlung mit nichtproletarischen Kräften oder rückständigen ArbeiterInnenmassen Gefahr, als Verrat verteufelt zu werden.

Armer Trotzki

Geworkian versucht sogar Trotzki zu ent-trotzkisieren: „Wir bedauern, dass die GAM heute schlussfolgert, eine ‚Verteidigung der Volksfrontregierung gegen Franco' sei in Spanien notwendig gewesen. Damals haben die RevolutionärInnen in einer Front mit den SoldatInnen der Republik gegen die faschistischen Truppen gestanden - aber im Rahmen dessen dafür argumentiert, die bürgerliche Republik durch eine Räterepublik zu ersetzen. Als die ArbeiterInnen Barcelonas im Mai 1937 gegen diese repressive bürgerliche Regierung einen Aufstand begannen, standen die TrotzkistInnen mit ihnen auf den Barrikaden - eine „Verteidigung der Volksfront” war das sicher nicht, eben nur eine Verteidigung der Bastionen der ArbeiterInnen, um den Sturz der Volksfront zum frühstmöglichen Zeitpunkt vorzubereiten. Die wirkliche Lehre Trotzkis aus dem spanischen BürgerInnenkrieg ist also tatsächlich ‚1:1' auf den ukrainischen zu übernehmen: Nur die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse gegen jeden bürgerlichen Pseudo-Antifaschismus kann den Sieg gegen den Faschismus bringen.“ (20)

Interessant schon mal, dass es für RIO in Spanien möglich war, „in einer Front“ mit Kämpfern für eine bürgerliche Republik zu stehen und gleichzeitig für revolutionäre Ziele zu argumentieren - was sie für die Ukraine bestreiten.

Aber dann lügt sich Geworkian einiges in die Tasche: Die „RevolutionärInnen“ in Spanien waren nur zum Teil in eigenen Truppen aufgestellt (CNT/FAI, POUM). Der überwältigende Teil der klassenbewussten ArbeiterInnen einschließlich der Sozialdemokraten und Stalinisten kämpfte in den Truppen der Republik. Es ist aber schlechterdings unmöglich, mit den Truppen der Republik zu kämpfen, ohne diese zu verteidigen. Deshalb verbanden Trotzki und die RevolutionärInnen im Bürgerkrieg die Verteidigung der Republik mit dem Kampf für die Revolution. Was Trotzki bekämpfte, war die Unterordnung der revolutionären Ziele unter diese Republik und ihre Verteidigung, wie sie von Zentristen der POUM und den Stalinisten vertreten wurde. Das ist genau der Weg, wie RevolutionärInnen in einen Bürgerkrieg eingreifen, der auf beiden Seiten von bürgerlichen Kräften geführt wird, in dem die Arbeiterklasse aber auf der einen Seite kämpft.

Geworkian beschreibt die Taktik der Revolutionäre in Spanien wie folgt: „Sie haben zwar in der ersten Reihe gegen Francos Schergen gekämpft, behielten aber dabei ihre völlige politische Unabhängigkeit von der bürgerlichen Republik und bereiteten den Kampf für eine ArbeiterInnenregierung vor.“ (21) Die politische Unabhängigkeit behält man in einer gemeinsamen Front mit bürgerlichen Kräften, indem die revolutionären Ziele und Forderungen eben nicht untergeordnet oder zurückgestellt werden. So dass für alle nachvollziehbar ist, wenn die gemeinsame Front aufgelöst werden kann und muss, weil der Weg zur Revolution, zur ArbeiterInnenregierung beschritten werden kann bzw. die revolutionären Errungenschaften gegen die bürgerliche Regierung verteidigt werden müssen, die man zuvor noch gegen die Faschisten unterstützte.

Natürlich ist die Situation dann klarer, wenn sich die RevolutionärInnen und die Bürgerlichen gegenüberstehen. Klar, Genosse Geworkian, dass ihr „1937 mit den TrotzkistInnen gemeinsam auf den Barrikaden Barcelonas gestanden“ (22) hättet. Fein, und vorher? Erkläre uns doch, ob RevolutionärInnen in den Gegenden in der spanischen republikanischen Armee kämpften, wo eine Teilnahme an anarchistischen oder POUM-Milizen unmöglich war, weil es keine gab. „In der ersten Reihe gegen Francos Schergen“ schreibt Geworkian. Der „ersten Reihe“ von was?: der gemeinsamen Front zur Verteidigung der Republik natürlich! Da hilft alles RIO-Schamanentum nichts, weder die Geschichte noch diese grundlegende bolschewistische Taktik kann Geworkian wegzaubern. RIOs Methode zur Bewahrung ihrer unbefleckten Unabhängigkeit aber hätte auch in Spanien ein weitgehendes Raushalten aus dem Bürgerkrieg bedeutet!

Wir bedauern, dass RIO dies nicht mal verstehen will, wenn es Trotzki erklärt. Zum Glück stellen Kriege höchste Anforderungen an Programme, Strategien und Taktiken von Linken, so dass sich hier wie nirgendwo anders ihr wahrer Gehalt zeigt: der eines zusammenhängenden Systems von Handlungsanleitungen, die jederzeit auf der Höhe sich möglicherweise rasch verändernder Situationen stehen oder der einer nachgekauten dünnen Bettelsuppe leerer Phrasen und Beschwörungsformeln hinter der „trotzkistischen“ Fassade.

Die Unabhängigkeit der Klasse erkämpfen

Um der Klasse und den Linken zu helfen, die von RIO so beschworene „Unabhängigkeit“ zu erreichen, ist natürlich nötig, dass sich linke, ja revolutionäre Programmatik entwickelt und mit der Klasse bzw. ihrer Avantgarde verbindet. Neben der - sicher schwierigen - direkten Intervention in die Kämpfe sind dazu die Debatten mit den Kräften nötig, die das tun.

Dazu war die schon erwähnte Konferenz in Jalta die wichtigste Gelegenheit im letzten Jahr. Dieses Jahres gab es eine Konferenz zum Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus, die am 9./10. Mai 2015  in Lugansk und Altschewsk stattfand. Eingeladen hatte die KP von Lugansk (23), gekommen waren 177 Delegierte von 31  kommunistischen und sozialistischen Organisationen aus 17 Ländern. Wohl die bisher größte internationale linke Konferenz auf dem Boden der Ukraine. Nachdem die Regierung von Lugansk sie verbieten wollte, lud Mosgowoj die Konferenz nach Altschewsk ein. Ihre Beteiligung an der Demonstration und das Konzert von Banda Bassotti, einer antifaschistischen italienischen Band, wurden von der Bevölkerung gefeiert.

Geworkian gefällt sich darin, Mosgowoj mit dem Verweis auf seine Religiosität und seinen Sexismus zu erledigen. Wir kritisieren das eine wie das andere. Wir halten aber fest, dass er ein heftiger Kritiker der Regierungsorgane war, für einen ukraine-weiten Kampf gegen die Oligarchen aufrief und kommunistische Propaganda in seinem „Gespenster“-Bataillon nicht nur zuließ, sondern ausdrücklich förderte.

Klassenkämpfe und Bürgerkriege können sprunghafte Radikalisierungen nach links bewirken, was auch zu Widersprüchlichkeiten bei den KämpferInnen führen kann. Sie können auch zur politischen Degeneration nach rechts führen. Wie das Beispiel RIO zeigt, erzeugt aber auch dieser Prozess Widersprüchlichkeiten.

Geworkian ist nicht nur ignorant, sondern fälscht auch. Während sein Genosse Flakin noch feststellte, dass die Jalta-Konferenz von jemand organisiert wurde, der später auch mit Rechten zusammenarbeitete, erklärt jener: „Richard Brenner, führendes Mitglied der Liga für die Fünfte Internationale (L5I, internationale Strömung der GAM), ließ sich zuerst zur Teilnahme an einer von Rechtsextremen organisierten Konferenz und dort noch zur Unterstützung von ‚Neurussland' hinreißen, wie wir bereits kritisiert haben.“ Wir haben oben dazu genug geschrieben. Bemerkenswert ist hier nur, dass bei Flakin unser Genosse noch auf einer Konferenz von Linken war, jetzt wird der Eindruck erweckt, da seien Rechtsextreme gewesen.

Solidarität mit BOROTBA!

Die von RIO - wie von den meisten anderen Zentristen angefeindete und oftmals verleumdete - Organisation BOROTBA hat sicher politische Schwächen. So verteidigen, ja glorifizieren die BorotbistInnen ihre programmatische Schwäche, die sich im Fehlen von Analysen zeigt und darin, dass zum Beispiel den programmatischen Erklärungen der Jalta-Konferenz keine eigenen Losungen gegenübergestellt werden. Leninzitate auf Facebook können das nicht ersetzen. Historisch hat das natürlich seine Ursache in der Entstehungsweise von BOROTBA, der Sammlung von GenossInnen unterschiedlicher Überzeugungen auf aktivistischer Grundlage. Der Verzicht darauf, revolutionär-marxistische Programmatik zu entwickeln - was natürlich im Bürgerkrieg nicht die einfachste Aufgabe ist -  kann in der Zukunft noch zu größeren Schwankungen führen als bisher.

So hat BOROTBA die völlig richtige militärische Allianz mit verschiedenen nationalistischen Kräften im Donbass mit einem gewissen Verzicht auf politische Kritik verbunden. Sie haben also die gleiche falsche, zentristische Auffassung von Bündnispolitik wie RIO - nämlich dass ein militärisches Bündnis zugleich auch eine gewisse politische Partnerschaft beinhaltet -, aber sie ziehen den umgekehrten Schluss. Damit stehen sie zwar im Kampf auf der richtigen Seite und haben die Möglichkeit - anders als RIO - in den Klassenkampf einzugreifen. Sie tun das auch, wenn auch zu sehr mit dem Fokus auf Aktion, zu wenig auf politische Propaganda. Ohne diese wird aber das politische Bewusstsein der Klasse, das sich derzeit vor allem in vagem „Linkssein“, im Bezugnehmen auf die Sowjetunion und im antifaschistischen und anti-oligarchischen Kampf ausdrückt, sich nicht auf die Höhe der Aufgaben heben können.

Eine Sache ist es, im Bürgerkrieg verlassene Fabriken oder landwirtschaftliche Betriebe zu besetzen und unter eigener Kontrolle zu führen wie die Kolchose in Altschewsk, eine andere aber, diese dann auch politisch zu verteidigen. Das verlangt danach, den bürgerlichen Parlamenten und Verwaltungen, sei es im Donbass oder der ganzen Ukraine, Arbeiterräte und Milizen entgegenzusetzen, um die Macht der Oligarchen zu brechen und in Richtung Revolution zu marschieren.

Diese unzureichenden Angriffe auf die russischen Nationalisten berechtigen aber keineswegs dazu, BOROTBA selbst als nationalistisch zu bezeichnen, genauso wie die unzureichende Aufarbeitung des Stalinismus in der Organisation als Ganzes dazu berechtigt, BOROTBA als stalinistisch zu titulieren. Solche Logik - angewandt auf RIO, Flakin und Geworkian - würde diese als Agenten des US- oder EU-Imperialismus oder des Kiewer Regimes abqualifizieren. Dagegen würden wir sie genauso in Schutz nehmen.

Aber offensichtlich ist es das wichtigste Anliegen RIOs, jegliche Handlungsper-spektive und praktische Solidarität zu verbauen. Das gipfelt in ihren ständigen Angriffen auf und Verleumdungen gegen BOROTBA, die sich von denen ukrainischer Nationalisten wie der LINKEN OPPOSITION oder zu den Faschisten übergelaufenen Anarchisten inhaltlich nicht unterscheiden. Geworkian aber versucht dabei jetzt, uns zu instrumentalisieren:

„In diesem Zusammenhang kritisiert die GAM erstmalig auch Borotba, weil diese auf ‘eine ausreichende politische Kritik an [den NationalistInnen im Osten] verzichtet’. Ist Borotba erst Anfang dieses Jahres so geworden - oder warum bekam die Gruppe vorher die politische Unterstützung der GAM?“ (24)

Dazu stellen wir fest, dass wir weiter solidarisch mit BOROTBA zusammenarbeiten. Die Tatsache, dass wir ihre Kritik an den NationalistInnen - die selbst Geworkian nicht leugnet - für nicht ausreichend halten, steht dem überhaupt nicht entgegen. Wir, wie die GenossInnen von BOROTBA, betrachten das als eine solidarische Kritik.

Im Bürgerkrieg in der Ukraine sind Tausende gestorben, darunter etliche linke KämpferInnen. Andere sind im Exil oder im Gefängnis. Europa ist hart an die Grenze eines Krieges gerutscht. Das Mindeste, was Linke in Europa angesichts dieses Dramas tun können und müssen, ist, neben der Organisierung von Solidarität die aufgeworfenen Fragen zu klären. Einige Strömungen haben sich in der Ukraine-Frage völlig disqualifiziert und desavouiert.

So der überwiegende Rest der ukrainischen Linken, vor allem die „Linke Opposition“, die in sich nicht weniger uneinheitlich ist als BOROTBA. Alle diese Figuren haben ihre Anpassung an die verschiedenen bürgerlichen Kräfte, die den Maidan dominierten, danach konsequent fortgesetzt bis dahin, die Angriffe der Armee auf den Osten und die Aktionen der Faschisten in Odessa zu rechtfertigen.

In allen Ländern gibt es Linke, die solches Anschmieren an Reaktion und Konterrevolution gutheißen und selbst praktizieren. Mit diesen Kräften werden die deutschen wie alle anderen Imperialisten nicht zu bekämpfen sein. Sie stehen auf deren Seite.

Die Neutralisten, die Schwankenden, die Verwirrten - vor allem auch RIO - sollten sich den Problemen ernsthaft stellen und auch die eigene Methodik überprüfen.

Das Vorgehen von RIO, von den ArbeiterInnen im Donbass zu fordern, dass sie sich erst einmal klassenmäßig organisieren und am besten gleich die Führung der Volksrepubliken übernehmen müssten, ist schlicht ultimatistisch. Wie immer geht linker Radikalismus Hand in Hand mit Opportunismus, in diesem Fall gegenüber der deutschen Bourgeoisie und ihrer Politik wie gegenüber den Maidan-Linken, die angefangen von libertären und anarchistischen KleinbürgerInnen über den rechten Flügel der „Trotzkistischen Familie“ (Mehrheit der „Vierten Internationale“, SAV/CWI, Marx21/IST, AWL,…) bis hin zu den Grünen reichen. Dabei dürfte die Anpassung an die „Trotzkisten“ für RIO der Hauptbeweggrund sein.

Was immer aber ihre Beweggründe sein mögen, je klarer die Klassenfronten werden, desto abenteuerlicher, unmarxistischer und inkonsistenter wird RIOs Position zur Ukraine-Frage. Verwirrung und Verzweiflung liegen ganz auf ihrer Seite.

Endnoten

(1) In den Reihen der DKP gibt es unterschiedliche Begründungsmuster; manche sehen Russland als den „besseren“ Imperialismus an, andere als kapitalistisch, aber nicht imperialistisch, manche scheinen noch in alten Ost-West-Reflexen verhaftet. Überwiegend sehen aber auch sie den Konflikt als vor allem einen zwischen den westlichen Imperialisten und Russland und unterschätzen die Dimension des Bürgerkrieges, die für uns bis heute das dominierende Element ist.

(2) http://www.icor.info/2015-1/aufruf-der-icor-zum-antikriegstag-2015

(3) Die Trotzkistische Fraktion hat übrigens auch nicht die Artikel RIOs übersetzt oder auf ihrer internationalen Seite veröffentlicht.

(4) http://www.klassegegenklasse.org/nach-dem-waffenstillstand/

(5) http://www.klassegegenklasse.org/debatte-muss-man-das-kleinere-ubel-unterstutzen/

(6) http://www.klassegegenklasse.org/die-reaktion-herrscht-in-der-ukraine/

(7) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

(8) http://www.klassegegenklasse.org/erneuerung-von-oben/

(9) Die Erklärung von Jalta, http://kai-ehlers.de/texte/thesen/2014-07-16-erklaerung-von-jalta. Zur inhaltlichen Auseinandersetzung und Kritik der Erklärung siehe auch: Dave Stockton, A populist, not a communist manifesto, www.workerspower.co.uk/2014/09/ukrain-yalta-conference-manifest

(10) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

(11) Martin Suchanek: „Die Ukraine und die Verwirrung des trotzkistischen Zentrismus“, RM 46, Oktober 2014, S. 175/176

(12) Trotzki, Die Unabhängigkeit der Ukraine und die sektiererischen Wirrköpfe, In: Trotzki Schriften 1.2., Rasch und Röhring, Hamburg 1988, S. 1246

(13) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

(14) http://www.klassegegenklasse.org/die-reaktion-herrscht-in-der-ukraine/

(15) Ebenda

(16) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

(17) http://www.klassegegenklasse.org/die-reaktion-herrscht-in-der-ukraine/

(18) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

(19) BRKI, Thesen zur anti-imperialistischen Einheitsfront, RM 36, S. 77 - 84

(20) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

(21) Ebenda

(22) Ebenda

(23) Die KP von Lugansk hat die sich neu formiert aus Mitgliedern der KP der Ukraine, die in einem hilflosen Versuch, der Repression zu entfliehen, alle ihre des „Separatismus“ verdächtigen Mitglieder ausgeschlossen hat.

(24) http://www.klassegegenklasse.org/zwischen-verwirrung-und-verzweiflung/

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  Vorwort
  Klasse, Partei, Umgruppierung. Strategie und Taktik in der aktuellen Periode
  Dritter Anlauf um den Platz an der Sonne - deutscher Imperialismus heute
  PODEMOS - populistische Falle oder Alternative für die ArbeiterInnenklasse?
  Syriza nach dem Verrat - Handlanger der EU-Diktate
  Griechenland nach dem Referendum: Ist Plan B die Alternative?
  Gegen Repression, Patriarchat und Krieg. Frauenkampf in Westkurdistan
  Krise der NaO: Revolutionäre Einheit oder plurale Beliebigkeit
  Die Ukraine und RIOs Unverständnis revolutionärer Politik
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