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Arbeiterklasse und Revolution

Thesen zum Marxistischen Klassenbegriff

Markus Lehner, Revolutionärer Marxismus 28, wiederveröffentlicht Revolutionärer Marxismus 42, Oktober 2010

IV. Kapital und Lohnarbeit

 

Das zentrale, widersprüchliche Klassenverhältnis der bürgerlichen Gesellschaftsformationen ergibt sich unmittelbar aus dem Produktionsprozeß des Kapitals selbst. Der Kapitalismus hat bekanntlich als Voraussetzung die Ausdehnung der Warenmärkte als zentrales, immer größere Gebiete umfassendes Vermittlungsorgan ökonomischer Prozesse (Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zur verallgemeinerten Warenproduktion), sowie die Entwicklung eines Marktes freier Lohnarbeit (Entwicklung der Arbeitskraft zur Ware). Auf der gesellschaftlichen Oberfläche erscheint diese Vermarktwirtschaftlichung der gesellschaftlichen und ökonomischen Beziehungen als das "Wesentliche" am Kapitalismus.

Warentausch

Auf der Ebene der einfachen Warenzirkulation (W-G-W) erscheinen die einzelnen als freie und gleiche Warenbesitzer und Eigentum als Resultat eigener Arbeit und der darauf begründeten Möglichkeiten im Warentausch. Vom Standpunkt des Warentausches scheint es im Belieben des Einzelnen gestellt, je nach individueller Anlage und Lebensumständen über die Waren zu bestimmen, die zum Austausch gelangen sollen:

"Die einfache Zirkulation für sich betrachtet, und sie ist die Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft, worin die tieferen Operationen, aus der sie hervorgeht, ausgelöscht sind, zeigt keinen Unterschied zwischen den Subjekten des Austausches, außer nur formelle und verschwindende. Es ist dies das Recht der Freiheit, Gleichheit und des auf 'Arbeit' gegründeten Eigentums". (48)

Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich aus dieser Perspektive der wechselwirkenden, vereinzelten Warenbesitzer ergeben, sind vom Tauschverhältnis abgeleitet. Die Personen nehmen je nach ökonomischen Bedingungen die "Charaktermasken" (49) des "Käufers", "Verkäufers", "Gläubigers", "Schuldners" etc. an und gehen damit Verpflichtungen ein, deren Nichterfüllung zu Sanktionen der bürgerlichen Gesellschaft führen (bzw. die Charaktermasken des "Diebes", "Betrügers" etc. annehmen lassen). Diese gesellschaftlichen Beziehungen betreffen nur die sekundäre Aneignung von Waren (Aneignung von W2 in W1-G-W2), nicht die primäre - wie überhaupt W1 in Besitz des Warenbesitzers gekommen ist.

Dies ändert sich, sobald die selbständige Bewegung der Geldform eine über die einfache Warenzirkulation hinausgehende Zirkulation entwickelt (G-W-G'). Als Ausgangs- und Endpunkt der Bewegung wird hier Geld zu Kapital, oder "sich selbst verwertender Wert". Voraussetzung dafür ist die Entwicklung der Arbeitskraft zur Ware. Dabei versteht Marx unter Arbeitskraft den "Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, in der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung umsetzt, so oft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert" (50).

Ware Arbeitskraft

Denn dies ist die einzige Ware, deren Gebrauchswert es für seinen Käufer ist, Tauschwerte zu produzieren, und deren Tauschwert (Produktionskosten der Ware Arbeitskraft) den Tauschwert der produzierten Waren unterschreiten kann (letzteres ist bei Produktionsmitteln, deren Gebrauchswert auch in der Tauschwertproduktion besteht, nicht der Fall). Dabei ergibt sich der Tauschwert der Ware Arbeitskraft aus der für ihre Reproduktion notwendigen durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitszeit, sowie aus einem historischen und moralischen Verteilungselement. Wird somit die Geldzirkulation auf der Grundlage der Lohnarbeit betrachtet, so ist die Ausbeutung von Mehrarbeit in Form von Mehrwert (Wertprodukt minus Wert der Arbeitskraft) zur Quelle des Reichtums geworden. Das Verhältnis von Arbeit und Privateigentum, wie es sich aus der einfachen Warenzirkulation ergab, kehrt sich also um:

"Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Privateigentums". (51)

Trotz dieser Negation der Arbeit zu selbstgesetzten Zwecken scheinen die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Verteilung von Reichtum weiterhin aus der Natur von Warentausch und "eigener Leistung" hervorzugehen. Dies resultiert aus der Undurchschaubarkeit der Wertformen und ihrer Derivate, wie sie sich in immer komplexerer Weise im Kapitalismus herausarbeiten. Die losgelöste, abstrakte Existenz des "Werts" ergibt sich zunächst aus der zusammenhangslosen Einzelproduktion "auf private Rechnung", die erst im Nachhinein, durch den Tauschprozeß am Markt gesellschaftlich "bewertet" wird, insofern erst hier entschieden wird, ob die vorhergehende Produktion in einer gesellschaftlich effektiven Weise zu einer Reproduktion des gesamten ökonomischen Kreislaufes beitragen konnte.

Diese Bewertung nimmt Formen an, die sich mit der Ausdehnung von Warenproduktion immer mehr in verselbständigende abstrakte Gegenstände verwandeln, die den Handelnden eine objektive, von ihnen unabhängige "Rationalität", "Sachgesetzlichkeit" zu haben scheinen. Dies ist die Grundlage der sogenannten "Fetischformen", die dem "Markt", dem "Geld", dem "Kapital", objektive, den Naturgesetzen gleichkommende Macht über die Menschen zuschreiben. Mit der Verwandlung der Arbeitskraft selbst in eine Ware, wird den Arbeitenden ihr eigenes Arbeitsvermögen selbst zu einer fremden, sie beherrschenden "Sache", die es zu pflegen, verkaufen und einzusetzen gilt, um entsprechend den "Sachgesetzen" von Ware und Kapital die eigene private Aneignung entsprechend dem "gerechten Lohn für eine gerechte Arbeit" voranzutreiben.

So erscheint der Arbeitende als bloßer Träger einer bestimmten, vom großen "Arbeitgeber" Kapital so gewünschten Arbeitsfunktion. Diese Arbeitsfunktion wird ihm zu etwas Zufälligem, zu einer "zweiten Haut", die er je nach den von ihm "nicht kontrollierbaren" Marktbedingungen zu wechseln hat. Dies ist der Prozeß der absoluten Selbstentfremdung des Menschen von seinen eigenen, grundlegenden produktiven Fähigkeiten, der gleichzeitig als ungeheure "Individualisierung", im Sinne von Auflösung bestehender, traditioneller Bindungen dieser Fähigkeiten wirkt. Einerseits wird damit der nüchterne, von traditionellen Einengungen befreite Blick auf die gesellschaftlichen Beziehungen möglich, andererseits verschleiert gerade der Wertfetisch wieder die Möglichkeit der menschlichen Beherrschbarkeit dieser Beziehungen, indem er sie in unkontrollierbare Sachzwänge verwandelt.

Veränderter Charakter des Arbeitsprozesses

Sobald der Arbeitsprozeß nicht mehr einfach Selbstbetätigung des Arbeiters zu seinen Privatzwecken ist, sondern der Produktion von Mehrwert dient, der in der Zirkulation in Profit realisiert wird, ändert sich auch der Charakter des Arbeitsprozesses selbst. Einerseits wird die Arbeit direkt der Kontrolle des Kapitals unterworfen, um dessen Zwecken maximal zu dienen - es findet eine formelle und reelle Subsumtion des Arbeitsprozesses unter das Kapital statt. Andererseits wird das Produkt als Eigentum des Kapitalisten und nicht mehr des unmittelbaren Produzenten, nicht wegen seines Gebrauchswerts, sondern wegen seines Werts und Mehrwerts produziert. Der kapitalistische Produktionsprozeß nimmt daher den Doppelcharakter von Arbeits- und Verwertungsprozeß an.

Der konkret bestimmte Arbeitsprozeß, mit seiner Zielsetzung, bestimmte Gebrauchswerte herzustellen, wird zur bloßen Erscheinungsform des eigentlich vorwärtstreibenden Verwertungsprozesses von Kapital: Das Wesen des kapitalistischen Produktionsprozesses ist es, dem Kapital in Form von Produktionsmitteln Arbeit in abstrakt menschlicher Form zuzusetzen und dabei die Arbeitskraft länger wirken zu lassen, als zu ihrer eigenen Reproduktion nötig wäre, also das produktive Kapital zur Aneignung von Mehrwert zu benützen, bestehendes Kapital zu verwerten. Damit wird alle Arbeit und nur diese Arbeit produktiv im kapitalistischen Sinn, die der Verwertung von in Produktionsmitteln angelegtem Kapital dient.

Produktiver Gesamtarbeiter

Einerseits entfernt sich damit die kapital-produktive Arbeit immer mehr von dem Begriff der "nützlichen Arbeit" im Sinne der "individuellen Aneignung von Naturgegenständen für die Lebenszwecke des Arbeitenden":

"Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsprozesses näher oder ferner stehen. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen". (52)

Dieser, dem Kapital innewohnenden, geschichtlichen Tendenz zur Umgestaltung der individuellen Privatarbeit in einen immer kooperativeren, gesellschaftlicheren Charakter der produktiven Arbeit, steht der sich befestigende private Zweck der Tätigkeit des produktiven Gesamtarbeiters gegenüber:

"Andererseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder der Selbstverwertung des Kapitals dient. (...) Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keineswegs bloß ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandenes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum bloßen Verwertungsmittel des Kapitals stempelt". (53)

In diesen beiden Bestimmungen der produktiven Arbeit im Rahmen der kapitalistischen Arbeitsteilung ist die Definition der Arbeiterklasse "an sich" gegeben, wie sie sich aus der Betrachtung des kapitalistischen Produktionsprozesses ergibt. Die Arbeiterklasse ist derjenige Teil der Gesellschaft, der als Gesamtarbeiter Mittel zur Selbstverwertung des Kapitals ist. Zur beständigen Erscheinung wird dieser Gesamtarbeiter dabei nur durch die fortlaufende Wiederholung dieser Selbstverwertung, also durch die Reproduktion des Kapitals. Diese stellt nicht nur das produktive Ausgangskapital (die Produktionsmittel in Kapitalbesitz) wieder her, bzw. erweitert es, sie reproduziert auch die produktiven Arbeiter, die aus dem Reproduktionsprozeß jeweils wieder als das hervortreten, als das sie in den Produktionsprozeß eingetreten sind: als Besitzer von nichts anderem als ihrer Arbeitskraft:

"Der kapitalistische Produktionsprozeß reproduziert also durch seinen eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt damit die Exploitationsbedingungen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt den Kapitalisten zu ihrem Kauf, um sich zu bereichern. Es ist nicht mehr der Zufall, welcher Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer einander auf dem Warenmarkt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Prozesses selbst, die den einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Warenmarkt zurückschleudert und sein eignes Produkt stets in das Kaufmittel des andren verwandelt. In der Tat gehört der Arbeiter dem Kapital, bevor er sich dem Kapitalisten verkauft. Seine ökonomische Hörigkeit ist zugleich vermittelt und versteckt durch die periodische Erneuerung seines Selbstverkaufs, den Wechsel seiner individuellen Lohnherrn und die Oszillation im Marktpreis der Arbeit". (54)

Damit sind wir beim Kern des gesellschaftlichen Verhältnisses angelangt: Die Lohnsklaverei ist bloß der Erscheinung und Vermittlung nach etwas anderes, als die Ausbeutung anderer werktätiger Klassen in früheren Geschichtsepochen. Sie wird vermittelt über den "gleichen Tausch", basiert auf der ursprünglichen Aneignung von Reichtum, die allein die Kapitalistenklasse zur Kontrolle über die hoch entwickelten Produktionsmittel befähigt, und der Entstehung des doppelt freien Lohnarbeiters - und reproduziert sich beständig über die Reproduktion des Kapitals selbst.

Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital

Hieraus ergibt sich das dialektische Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital: (1.) beide befinden sich in einem Gegensatzverhältnis (das kapitalistische Eigentum ist die Negation der auf eigene Arbeit gegründeten Arbeit), (2.) beide befinden sich aber auch in einem Identitätsverhältnis, in dem jedes das andere bedingt (kein Kapital ohne Lohnarbeit, keine Lohnarbeit ohne Kapital; im Prozeß der Reproduktion des Kapitals wird auch beständig die Lohnarbeit wiedererzeugt und umgekehrt).

Zum wirklich dialektischen Verhältnis wird dieses Identitäts- und Gegensatzverhältnis jedoch erst durch die Zuspitzung zum Widerspruch: Das Kapital als Ausdruck der auf Mehrwertaneignung gegründeten Geldzirkulation (G-W-G') ist in seiner Bewegung maßlos, da losgelöst von irgendeiner Gebrauchswertfixierung von Reichtum, als rein quantitative Form von Reichtum. Daraus ergibt sich, daß das Wesen der Kapitalbewegung letztlich die Akkumulation von Mehrwert ist. Also nicht bloß beständige Reproduktion des Kapitals auf gleichbleibender produktiver Grundlage, sondern beständige Umwälzung und Ausdehnung der Produktion durch Neuinvestition des in Geld realisierten Mehrwerts.

Die Widersprüche dieses Akkumulationsprinzips (zwischen quantitativer Unbegrenztheit des Verwertungsbedürfnisses und qualitativer Begrenztheit des Gebrauchswerthorizontes, zwischen steigender organischer Zusammensetzung des Kapitals - und damit sinkender Mehrwertmasse gegenüber dem eingesetzten Kapital - und gesteigertem Hunger nach Mehrwert andererseits, um das wachsende Produktivkapital weiter verwerten zu können), zwingen das Kapital, verschiedenste Wege zu finden, um mehr Wert aus dem Arbeitstag zu pressen.

Dies mag geschehen durch Verlängerung der Arbeitszeit, Intensivierung der Arbeit (Steigerung des absoluten Mehrwerts) oder durch Verbilligung des Werts der Ware Arbeitskraft selbst, also durch technische Umwälzung der Produktionsgrundlagen (Steigerung des relativen Mehrwerts). Doch damit werden Preis der Arbeitskraft, Regulierung des Arbeitstages und die unmittelbare Gestaltung des Arbeitsprozesses beständigem Druck von Seiten des Kapitalverwertungsinteresses ausgesetzt.

Im Unterschied zum "gemütlichen Herr-Knechtverhältnis", das auf gegenseitiger Abhängigkeit und Anerkennung des die Arbeit des Knechtes nur formell überwachenden Herrn beruht, erfaßt das Kapitalverhältnis den Arbeitsprozeß als Ganzes und treibt die Ausbeutung so weit, daß die Grundlage des Kapitalreichtums, die Arbeit selbst untergraben wird, schließlich ihre Reproduzierbarkeit nur durch Klassenkampf gewährleisten kann:

"Man sieht: Von ganz elastischen Schranken abgesehen, ergibt sich aus der Natur des Warentausches selbst keine Grenze des Arbeitstages, also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang als möglich und womöglich aus einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andererseits schließt die spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warentausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstages als Kampf um die Schranken des Arbeitstages dar - ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten, d.h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse". (55)

Kampf um die Verkaufbedingungen der Arbeitskraft

Die Widersprüche des Akkumulationsprinzips führen daher auf der Zirkulationsebene zum Widerspruch zwischen Klassen: die Kauf- und Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft sind ein beständiges Streitobjekt, bei dem die Position der Arbeiterklasse - solange der Konflikt auf der Zirkulationsebene gehalten wird - stets im Nachteil ist, da das Akkumulationsgesetz tendenziell zu einer industriellen Reservearmee führt. Also zu einem beständigen Überangebot an Arbeitskraft. Daher ist die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerspruch in den Produktionsprozeß selbst zu tragen. Durch die (zeitweilige) Verweigerung der Kontrolle des Kapitals über den Arbeitsprozeß, z.B. durch Streiks oder "Dienst nach Vorschrift", wird das Kapital seinerseits in seinen Reproduktionsbedingungen bedroht. Andererseits begründet dieses Widerspruchsverhältnis die Tendenz zur Organisierung der Klasseninteressen.

Damit gelangen wir zum letzten Element der Dialektik des Klassenverhältnisses: Zur Möglichkeit der Aufhebung des Klassenwiderspruchs (Negation der Negation). Die organisierte Arbeiterklasse ist objektiv befähigt, die gesamten Produktionsmittel der Gesellschaft der Kontrolle des Kapitals zu entreißen und die vom Kapitalismus auf immer höherer Stufe vorangetriebene Vergesellschaftung der Ökonomie in einer bewußten, planmäßigen Selbstverwaltung der arbeitenden Bevölkerung gemäß ihren sich entwickelnden Bedürfnissen und Fähigkeiten aufzuheben.

Ökonomische Klassenlage und Bildung von Klassen im Kapitalismus

Im vorigen Abschnitt wurde die Arbeiterklasse ihrem ökonomischen Wesen nach bestimmt durch vier Charakteristika:

Lohnabhängigkeit

Ausbeutung ihrer Mehrarbeit (produktiver Gesamtarbeiter)

Tendenz zur Bedrohung durch Lohndrückerei, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit

Interesse und Fähigkeit zur Aufhebung der Lohnabhängigkeit und Vergesellschaftung der Arbeitsbedingungen

Die abstrakt ökonomische Bestimmung von Lohnarbeit und Kapital muß nun mit konkreten gesellschaftlichen Erscheinungen in Beziehung gesetzt werden. In der Einleitung zu den "Grundrissen" bemerkt Marx hierzu grundlegend: "Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Manigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist". (56)

Wenn also auch das konkret gegebene der Ausgangspunkt ist, so muß im wissenschaftlichen Denkprozeß, das Konkrete aus den "abstrakten Bestimmungen" reproduziert werden. Andernfalls geht der Blick auf den Zusammenhang, das begründete System des Konkreten verloren: "Es scheint das richtige zu sein, mit dem Realen und konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z.B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die die Grundlage und das Subjekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsaktes ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung als falsch. Die Bevölkerung ist eine Abstraktion, wenn ich z.B. die Klassen aus denen sie besteht, weglasse. Die Klassen sind wiederum ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn. Z. B. Lohnarbeit, Kapital etc. Diese unterstellen Austausch, Teilung der Arbeit, Preise etc. Kapital z.B. ohne Lohnarbeit ist nichts, ohne Wert, Geld, Preis, etc. Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre dies eine chaotische Vorstellung des Ganzen, und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt bin. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung angelangte, diesmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen". (57)

Hier ist interessant (1.), daß die Klassen als abstrakte Bestimmung eine Konkretionsstufe höher angesiedelt werden als "Lohnarbeit und Kapital", als Vermittlungsschritt zur konkreten kapitalistischen Gesellschaftsformation; (2.) daß die Herleitung der konkreten gesellschaftlichen Kategorien aus einfacheren ökonomischen Bestimmungen als dem Denkprozeß (vom abstrakten zum konkreten) entsprechend dargestellt wird, keineswegs aber als deren konkreter Entstehungsprozeß: "Z. B. die einfachste ökonomische Kategorie, sage z.B. Tauschwert unterstellt Bevölkerung, Bevölkerung produzierend in bestimmten Verhältnissen; auch gewisse Sorte von Familien-, Gemeinde- oder Staatswesen etc. Er kann nie existieren außer als abstrakte, einseitige Beziehung eines schon gegebnen konkreten, lebendigen Ganzen". (58)

Dialektik des Grundes

Marx verweist hier auf die Dialektik des "Grundes", wie sie Hegel in seiner Behandlung des Verhältnisses von Wesen und Erscheinungsform entwickelte. Eine der wichtigsten methodischen Leistungen Hegels ist es, gerade die Einheit, den notwendigen Zusammenhang von Wesen und Erscheinung erfaßt zu haben: Die Erscheinungsform ist nicht nur der "unwesentliche", "zufällige" Schleier, hinter dem sich die eigentliche Wirklichkeit, "das Wesen", verbirgt. Die Erscheinung ist vielmehr die notwendige, lebendige, konkrete Entwicklung dieses Wesens, das sich in dieser Perspektive als der "Grund", der Ausgangspunkt der Entwicklung darstellt. Das Wesen ist daher sowohl das konstituierende, identische Element der Erscheinung als auch seine Negation - es läßt sich also nur als Widerspruch fassen.

Während das abstrakt allgemeine Wesen, in Gesetze gefaßt, statisch-objektive Erklärungen des Bestehenden liefert: "das Reich der Gesetze ist das ruhige Abbild der existierenden oder erscheinenden Welt" (59), ist die konkrete Welt der Erscheinungen, die das Wesen als Grund enthält, wie auch über diesen Grund hinauszustreben trachtet, das bewegende, subjektive Moment: "die Erscheinung ist daher gegen das Gesetz die Totalität, denn sie enthält das Gesetz, aber auch noch mehr, nämlich das Moment der sich selbst bewegenden Form" (60).

Somit wird die Erscheinungsform, das Begründete, selbst wieder zum Grund, zur Grundlage der Entwicklung des Wesens: "Die Gründe sind selbst Existenzen und die Existierenden ebenso nach vielen Seiten hin Gründe sowohl als Begründete". (61) Das einzelne Verhältnis von Grund und erscheinendem Wirklichen ist somit von Zufälligkeit geprägt (ansonsten wäre es auch ein tautologisches, nicht erklärendes, da Grund und Begründetes notwendig dasselbe wären). Erst das Gesamtsystem der Wirklichkeit, in dem Wesen und Erscheinungsformen als Totalität wirken, stellt die notwendige Beziehung zwischen allen diesen Elementen her.

Dieser knappe Exkurs in die Dialektik war notwendig, um das Verhältnis des abstrakten Wesens "Lohnarbeit/Kapital" zu seinen konkreten Erscheinungsformen, den einzelnen konkreten Arbeitern bzw. Kapitalisten in einer nicht ökonomistisch-mechanistischen Weise zu bestimmen. Das Verhältnis von Grund und Verkörperung wird von Marx im Kapital direkt angesprochen:

"Es ist nach der bisher gegebnen Erklärung überflüssig, von neuem nachzuweisen, wie das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit den ganzen Charakter der Produktionsweise bestimmt. Die Hauptagenten dieser Produktionsweise selbst, der Kapitalist und der Lohnarbeiter, sind als solche nur Verkörperungen, Personifizierungen von Kapital und Lohnarbeit; bestimmte gesellschaftliche Charaktere, die der gesellschaftliche Produktionsprozeß den Individuen aufprägt; Produkte dieser bestimmten gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse". (62)

An anderer Stelle verwendet Marx statt dem Begriff "Personifikation" auch den Begriff des "Funktionärs": "Kapitalist und Lohnarbeiter ... die einzigen Funktionäre und Faktoren der Produktion, deren Beziehung und Gegenübertreten aus dem Wesen der kapitalistischen Produktionsweise entspringt". (63) Die Produktionsverhältnisse zwingen den handelnden Subjekten also bestimmte gesellschaftliche Funktionen in einem Gegensatzverhältnis auf.

Kapitalist und Arbeiter als Personifikationen

"Der Kapitalist in dem Produktionsprozeß erscheint als Direktor der Arbeit, als Kommandeur derselben (captain of industry) und spielt so eine tätige Rolle im Arbeitsprozeß selbst. Soweit diese Funktionen aber aus der spezifischen Form der kapitalistischen Produktion hervorgehen - also aus der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit als seine Arbeit und daher über die Arbeiter als seine Instrumente, aus der Natur des Kapitals, das als die gesellschaftliche Einheit, das Subjekt der gesellschaftlichen Form der Arbeit, erscheint, die sich in ihm als Macht über die Arbeit personifiziert -, ist diese mit der Exploitation verbundene Arbeit (die auch an einen manager übertragen werden kann) eine Arbeit, die allerdings so gut wie die des Lohnarbeiters in den Wert des Produkts eingeht, ganz wie bei der Sklaverei die Arbeit des Sklavenaufsehers so gut bezahlt werden muß als die des Arbeiters selbst". (64)

Hier wird das widersprüchliche Verhältnis von Personifikation und Wesen besonders deutlich: der konkrete Kapitalist selbst kann durch seine ökonomische Funktion (im Gegensatz zu seiner Rolle als bloßer Eigentümer) zum Bestandteil des produktiven Gesamtarbeiters werden. Umgekehrt können "Lohnabhängige" selbst diese kapitalistische Arbeit, die Organisierung des Arbeitsprozesses als Verwertungsprozeß, übernehmen: "Das Amt der Direktion, die labour of superintendence, kann jetzt ebenso auf dem Markt gekauft werden und ist relativ ebenso wohlfeil zu produzieren und daher zu kaufen, wie jedes andere Arbeitsvermögen. Die kapitalistische Produktion selbst hat es dahin gebracht, daß die labour of direction, ganz getrennt vom Kapitaleigentum, sei es an eignem oder fremden Kapital, auf der Straße herumläuft". (65)

In jedem Agenten des kapitalistischen Produktionsprozesses muß sich in widersprüchlicher Weise der Doppelcharakter dieses Prozesses als Arbeits- und Verwertungsprozeß widerspiegeln. Jeder hat mehr oder weniger Funktionen, die der Reproduktion des bestehenden Kapitalverhältnisses dienen und es befestigen, jeder ist mehr oder weniger betroffen von den Zwängen, Einengungen und Bedrohungen des Verwertungszwanges (Identität und Nicht-Identität von Kapital und Lohnarbeit). Das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit setzt sich also nicht in gerader Linie in die Subjekte um. Die Agenten der Produktion teilen sich in Schichten, die auf der untersten Ebene vor allem Funktionen des produktiven Gesamtarbeiters und kaum Funktionen der kapitalistischen Kontrolle über den Produktionsprozeß in sich einschließen, bis hin zu solchen Teilen, die fast nur Kapitalfunktionen ausüben.

Die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalverhältnisses, die also im Allgemeinen die Rollen von Kapital und Lohnarbeit hervorbringen, müssen unter den gegebenen historischen Voraussetzungen und materiellen Entstehungsbedin-gungen zu besonderen sozialen Rollen führen, die in so vermittelter Form die allgemeinen Klassenbedingungen verkörpern. Schließlich sind auch diese Rollen nur ein Rahmen, der von den tatsächlich (auch auf politisch-organisatorischer Ebene) handelnden, vergesellschafteten Individuen ausgefüllt wird. Erst auf dieser Handlungsebene erscheinen im Einzelnen reale Klassensubjekte.

Das Fabriksystem

Gerade durch die geschichtliche Tendenz des Akkumulationsprozesses zu immer weiter fortschreitender Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses (symbolisiert durch die Stufen "einfache Kooperation", "manufakturmäßige Teilung der Arbeit", "Maschinerie und große Industrie") vergegenständlicht sich der Klassenwiderspruch immer mehr im Arbeitsprozeß und seiner Organisation selbst. Die auf Ausbeutung beruhende gesellschaftliche Arbeitsteilung prägt sich als despotisches System mehr und mehr der materiellen Produktion selbst auf. Am deutlichsten beschreibt dies Marx anhand der Arbeitsteilung im Fabrikssystem seiner Zeit:

"Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen Potenzen des Produktionsprozesses von der Handarbeit und die Verwandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich (...) in der auf Grundlage der Maschinerie aufgebauten großen Industrie. Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert ist und mit ihm die Macht des 'Meisters' bilden". (66)

Verwissenschaftlichung und Arbeitsteilung

Diese Tendenzen zu Verwissenschaftlichung, Massenarbeit und Organisation des Arbeitsprozesses als Herrschaftsprozeß über den Massenarbeiter führen zu einer charakteristischen Arbeitsteilung:

"Die gegliederte Gruppe des Manufaktursystems ist ersetzt durch den Zusammenhang des Hauptarbeiters mit wenigen Gehilfen. Die wesentliche Scheidung ist die von Arbeitern, die wirklich an den Werkzeugmaschinen beschäftigt sind (es kommen hinzu einige Arbeiter zur Bewachung, resp. Füttrung der Bewegungsmaschine) und von bloßen Handlangern (fast ausschließlich Kinder) dieser Maschinenarbeiter. Zu den Handlangern zählen mehr oder minder alle ‚Feeders' (die den Maschinen bloß Arbeitsstoff darreichen). Neben diese Hauptklassen tritt ein numerisch unbedeutendes Personal, das mit der Kontrolle der gesamten Maschinerie und ihrer beständigen Reparatur beschäftigt ist, wie Ingenieure, Mechaniker, Schreiner usw. Es ist eine höhere, teils wissenschaftlich gebildete, teils handwerksmäßige Arbeiterklasse, außerhalb des Kreises der Fabrikarbeiter und ihnen nur aggregiert". (67)

Diesen gegenüber treten die direkten Agenten des Kapitals, das Aufsichtspersonal, der "Meister", in "dessen Hirn die Maschinerie und sein Monopol an derselben unzertrennlich verwachsen sind" (68). Die "eigentümliche Zusammensetzung des Arbeitskörpers" entwickelt sich zu einem "Fabrikregime" mit "kasernenmäßiger Disziplin", das "die schon früher erwähnte Arbeit der Oberaufsicht, also zugleich die Teilung der Arbeit in Handarbeiter und Arbeitsaufseher, in gemeine Industriesoldaten und Industrieunteroffiziere, völlig entwickelt" (69).

Diese Darstellung des Fabriksystems zeigt, daß selbst der Modellfall des produktiven kapitalistischen Gesamtarbeiters, der fabrikmäßige Arbeitskörper, nicht nur aus Mitgliedern der Arbeiterklasse besteht - im Gegenteil: gerade die höchste Stufe der Entwicklung der Arbeitskooperation unter kapitalistischen Bedingungen führt zu einer Verstärkung der widersprüchlichen Klassenzusammensetzung des produktiven Arbeitskörpers. Der Mechanismus, der die soziale Strukturierung des industriellen Arbeitskörpers auf der Grundlage des Kapital-Lohnarbeitsverhältnisses bestimmt, besteht dabei im wesentlichen aus zwei Elementen:

die Art und Weise wie die Entwicklung der Produktivkräfte unter Bedingungen des Akkumulationsprinzips die gesellschaftliche Arbeitsteilung bestimmt (Produktion des relativen Mehrwerts). Dies betrifft vor allem die Industrialisierung (Maschinisierung) und Verwissenschaftlichung der Produktion und die damit einhergehende Form der Teilung von Hand- und Kopfarbeit.

die Art und Weise wie die Kapitalfunktion der Kontrolle über die im Umfang her immer zentralisiertere, konzentriertere Produktion organisiert wird (Überwachung der Aneignung des absoluten Mehrwerts, Intensivierung der Arbeit, etc.). Dabei übernimmt das Kapital Organisationsformen des Staates, also ein bürokratisches oder militärähnliches Regime, und entwickelt sie in Zusammenwirkung mit der Verwissenschaftlichung zu eigenen Formen der Arbeitsorganisation.

Widersprüchliche Klassenzusammensetzung des produktiven Gesamtarbeiters

Besonders die Ausführung von Anleitungsfunktionen wird vom Kapital entsprechend privilegiert und mit Autorität ausgestattet. Die sie ausführenden Schichten entstehen mit der kapitalistischen Form der Arbeitsteilung und vergehen mit der Selbstverwaltung der Koordinationsfunktionen, wenn die Arbeiter selbst die Kontrolle über die Produktionsmittel erlangt haben. Dieses Anleitungspersonal ist daher einerseits eine wesentliche Stütze der Kapitalherrschaft im Betrieb selbst, andererseits ein objektiver Gegner jedes langfristigen Klassenkampfes.

Dazu kommt, daß das Kapital nicht in allen Bereichen seiner Produktion das Widerspruchsverhältnis Lohnarbeit/Kapital voll entwickeln muß (dies ist ja nur im "allgemeinen Modell" der Fall): Es kann durchaus Bereiche des Produktionsprozesses geben, die zwar im Gesamtprozeß für die Mehrwertaneignung wesentlich sind, in denen die dort Beschäftigten jedoch nur im geringen Sinn ausgebeutet sind (einen wesentlich über der gesellschaftlichen Mehrwertrate liegenden Lohn erhalten), deren Arbeitsbedingungen nicht zur vollen industriellen, kapitalistischen Organisation vorangetrieben werden, sondern von überkommenen Arbeits- und Berufsregulierungen geschützt werden.

Diese Bereiche der Produktionsbeschäftigten sind demgemäß systematisch über lange Zeiträume nicht von Konsequenzen wie Lohndrückerei, Verschlechterung von Arbeitsbedingungen betroffen und erfreuen sich bei Wohlverhalten eines hohen Kündigungsschutzes. Diese Gruppen stellen sich dann auch systematisch außerhalb des Klassenkampfes und entwickeln kaum Solidarität mit dem Rest der Belegschaft.

Gerade im Zuge der Verwissenschaftlichung der Produktion können hochqualifizierte Abteilungen von Technikern im Interesse der Stabilität der Kapitalverwertung eine solche systematische Privilegierung erfahren. Aber auch überkommene Standesprivilegien können in Großunternehmen über lange Zeit überdauern und verteidigt werden, z.B. bei Piloten oder Krankenhausärzten. Wenn z.B. Piloten in den Streik treten hat dies im Gegensatz zu Arbeitskämpfen des restlichen Personals von Fluglinien zumeist eher den Charakter der Verteidigung von Privilegien als den Kampf um die Existenzsicherung.

Natürlich ist aber diese Form des Herausgenommenseins aus dem Klassenwiderspruch im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise eine unwesentliche, zufällige Form, die durch den Fortgang der Akkumulation und der Krisenhaftigkeit des Gesamtsystems wesentlich unsicher ist und in einem mehr oder weniger kurzen "Umstrukturierungsprozeß" durch den reinen Klassengegensatz ersetzt werden. So hat sich die Rolle der technischen Intelligenz durch die fortschreitende Industrialisierung der Kopfarbeit und den darauf ausgerichteten Umbau des Ausbildungssektors wesentlich geändert. Die Klassenposition von Technikern und Ingenieuren muß heute differenziert betrachtet werden - sie unterscheidet sich oft sogar von Betrieb zu Betrieb.

Die historischen Bedingungen von Klassenbegriff und Klassenbildung

Wenn auch in Marx' und Engels' Schriften eine besondere Abhandlung der Klassentheorie fehlt und das Abschlußkapitel des 3. Bandes des Kapital "Die Klassen" fragmentarisch geblieben ist, zeichnet sich doch ihr gesamtes Werk, nicht ‚nur' jede einzelne historisch-konkrete Klassenanalyse, dadurch aus, daß es von Klassenantagonismus und Klassenkampf bestimmt ist und auf die Umwälzung der kapitalistischen  Klassengesellschaft zielt.

Der Begriff "Klasse" ist wesentlich jünger als die kapitalistischen Klassengesellschaften. In der römischen Antike bezeichnete man die Häupter der vermögenden Familien als "classici" im Gegensatz zu den besitzlosen "proletarii". Als das aufkommende Bürgertum im 18. Jahrhundert seine politisch-ideologischen Ambitionen gerne in das Gewand der römischen Antike zu hüllen pflegte, wurde auch der Klassenbegriff, der "Vermögen" als gesellschaftliches Kriterium über "Geburt" stellt, zu einem bürgerlichen Kampfbegriff. Wurde er Mitte des 18. Jahrhunderts noch vornehmlich literarisch-wissenschaftlich benutzt (z.B. bei den Physiokraten), so verschaffte die Französische Revolution ihm die Merkmale des Klassengegensatzes und des Klassenkampfes und beendete die "Doppelherrschaft" der Begriffe "Stand" und "Klasse". Mit der Pariser Julirevolution 1830 begann die Ausbildung des proletarischen Klassenbegriffs in der Praxis der Arbeiterbewegung.

Wenn das Kommunistische Manifest die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft als Geschichte von Klassenkämpfen bezeichnet, so ist damit allerdings nicht gemeint, alle früheren sozialen Konflikte seien Auseinandersetzungen zwischen Klassen im modernen  Sinne  gewesen. Der Klassen- und Klassenkampfcharakter früherer antagonistischer Gesellschaften ist erst vom Blickpunkt der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise aus sichtbar geworden. In der Form  des Klassengegensatzes kapitalistischer Provenienz setzt sich der vordem verborgene und mystifizierte Inhalt der Klassengesellschaft durch: der Antagonismus von gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignung wird aus der entscheidenden geschichtlichen Determinante zur Struktur der Gesellschaft.

In den modernen Klassen Bourgeoisie und Proletariat treten sich gesellschaftliche Arbeit und private Aneignung als Klassen gegenüber. Dies deshalb, weil "Arbeit" als abstrakte Kategorie ebenso modern ist wie die Verhältnisse, die diese einfache Kategorie erzeugen. Sobald sich innerhalb der agrarisch-naturalwirtschaftlich bestimmten Wirtschaftsweise die einfache Warenproduktion entfaltet, erscheint die Allgemeinheit der Arbeit als gegenständlicher Reichtum, als Sache außer sich im Geld.

In der darauffolgenden frühkapitalistischen Epoche setzt entsprechend der Umwälzung des Produktionssystems ein Aufklärungsprozeß ein, der stufenweise das Wesen der Kategorie "Arbeit" hervorspringen (und den Begriff "Klasse" ins gesellschaftliche Bewußtsein treten) läßt: der Merkantilismus verlagert die Quelle des Reichtums aus dem Gegenstand in die subjektive Tätigkeit, diese jedoch nur als geldmachend begrenzte; die Physiokraten überwinden die Fixierung auf das Geld, erkennen aber nur landwirtschaftliche Produktion als Reichtum schaffend; erst Adam Smith erkennt Produkt und Arbeit überhaupt als Reichtum (schaffend) an.

Vorkapitalistische und kapitalistische Klassenverhältnisse

Vom Gesichtspunkt der Abschaffung des kapitalistischen Klassenverhältnisses her kann Marx die gesellschaftlichen Gliederungsformen der Vergangenheit als Entwicklungsformen des Klassengegensatzes begreifen. Mehr noch: Marx erkennt in den Aktiengesellschaften, Monopolen und Verstaatlichungen ebensosehr die im Schoß des Kapitalismus entstandenen zugespitztesten Formen der Bewältigung der Rebellion der Produktivkräfte (Vergesellschaftung) gegen die Produktionsverhält-nisse (private Aneignung, Marktanarchie, Durchschnittsprofitrate) wie ihr Drängen nach Befreiung aus deren Korsett (objektive Grundlagen des Sozialismus).

Analog dazu sieht er in diesen Prozessen die ultimative Zuspitzung des Klassengegensatzes wie den Keim seiner Aufhebung: mit dem "Verschwinden" des klassischen Kapitalisten tritt das Kapital den Lohntätigen (zu denen grundsätzlich auch die Masse der Angestellten und formell sogar die Manager gehören, wo also fast die gesamte Gesellschaft zu Lohnarbeitern geworden ist) als unmittelbare Macht der Dinge über die Menschen gegenüber, als ein System "technischer" Sachzwänge von dämonischer Funktionalität. Es ist dies der direkte, zugespitzte Gegensatz zwischen der toten (aufgehäuften, vergegenständlichten) und der lebendigen Arbeit als letzte Stufe des gesellschaftlichen Antagonismus. Nachdem die Kapitalisten nicht mehr funktionell das Kapital personifizieren, personifiziert sich die Kapitalistenklasse unmittelbar und unsichtbar im Kapital als blind-selbsttätigem Funktionssystem.

Mit dieser totalen Verdinglichung der Klassenkategorie erklärt sich einerseits der schon im Kommunistischen Manifest gebrauchte Begriff der zwei "Lager" der kapitalistischen Gesellschaft wie der Passage aus "Das Elend der Philosophie" (70): "Mit dem Moment, wo die Zivilisation beginnt, beginnt die Produktion sich aufzubauen auf den Gegensatz der Berufe, der Stände, der Klassen, schließlich auf dem Gegensatz von angehäufter und unmittelbarer Arbeit."

Nicht die Aufhebung der Klassengesellschaft zeigt sich hier, sondern die Möglichkeit ihrer Überwindung wird im Schoß der alten Gesellschaft vorbereitet, angedeutet, transparent. Hiermit haben wir eine Grundlage herausgearbeitet, auf der sich mit den drei wesentlichen Einwänden gegen die marxistische Klassentheorie adäquat kämpfen läßt.

Die Kritik zielt erstens vor allem auf die Prognose der Spaltung der kapitalistischen Gesellschaft in zwei große feindliche Lager, in Bourgeoisie und Proletariat - eine Prognose, die durch die Entstehung einer "neuen Mittelklasse/-schicht" anscheinend widerlegt ist. Sie zielt zweitens auf die "theoretischen Widersprüche" zwischen den einzelnen Klassenanalysen: so beschreibe Marx die kapitalistische Klassenstruktur nicht nur als dichotomisch, sondern auch als trichotomisch (Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit) und sogar als pluralistisch (unproduktive Klassen, Dienstbotenklasse). Die Kritik zielt drittens auf die widersprüchliche Verwendungsweise des Klassenbegriffs selbst - die ganze bisherige Geschichte wird als Geschichte von Klassenkämpfen begriffen; andererseits aber der Kapitalismus als Klassengesellschaft von der feudalen Ständegesellschaft und anderen vorkapitalistischen Formationen abgegrenzt.

Dichotomische Klassenstruktur?

Während der dritte Kritikpunkt sich nach unseren Ausführungen vollständig und der erste zumindest teilweise erledigt haben, so scheint doch die trichotomische oder pluralistische Gliederung in untere, mittlere und obere Kasten, Stände oder Klassen mit der Theorie der in "zwei große feindliche Lager" gespaltenen antagonistischen Gesellschaft ebensowenig vereinbar wie die innere Untergliederung einzelner Klassen in relativ verselbständigte Schichten und Fraktionen. Es stellt sich die Frage: existiert ein wesentlicher innerer Zusammenhang zwischen der Teilung in die Hauptklassen und der inneren Untergliederung dieser Klassen, zwischen der Teilung in Hauptklassen und Nebenklassen oder Zwischenschichten?

Die Klassengliederung ist nur abstrakt durch das Eigentumsverhältnis bestimmt, wenn man Eigentum und Arbeitsteilung als voneinander getrennt und unvermittelt auffaßt; freilich wird diese Trennung real durch die kapitalistische Verwertung abstrakter Arbeit vollzogen und damit selbst angestrengten Denkern nahegelegt. Für Marx war jedoch gesellschaftliche Arbeitsteilung mehr und anderes: er faßte sie nicht einfach technisch-funktional, sondern erstens gemäß dem dreifachen Charakter von Distribution (Verteilung der Produktionsmittel, der Gesellschaftsmitglieder unter die verschiedenen Produktionsarten, der Erzeugnisse), zweitens gemäß der Unterscheidung naturwüchsiger gesellschaftlicher und betrieblicher planvoller Arbeitsteilung, drittens als Durchdringung von Arbeit und Herrschaft.

Während also das je herrschende Eigentum die gesamte Bevölkerung dichotomisch gliedert in die Großgruppe der Eigentümer und die Großgruppe der Produzenten, so wirkt die dementsprechende Arbeitsteilung als funktionelles  Gliederungsverhältnis. Die Teilung von Landwirtschaft und Industrie, Industrie und Kommerz, ihre Teilung in Zweige und Branchen, schließlich die Verselbständigung fester Berufe und die Sonderung dispositiver, reproduktiver und administrativer Tätigkeit von der unmittelbaren Produktionsarbeit - diese ‚naturwüchsige' gesellschaftliche Arbeitsteilung, hervorgerufen durch Entfaltung der Produktivkräfte, subsumiert die Individuen unter spezielle Produktionsverhältnisse und determiniert die funktionelle Gruppierung, die innere Gliederung und Fraktionierung der großen Gesellschaftsklassen.

Aus dem Gesagten wird mehreres deutlich: die im Verhältnis zu vorkapitalistischen Klassengesellschaften dynamische, ständige Neuzusammensetzung der Klassen wie des "Zwischenklassenpuffers" auf Grundlage objektiv zunehmender Lohnabhängigkeit, Proletarisierung der Mittelklasse(n), Unmittelbarmachung vermittelter (geistiger) Produktionstätigkeiten etc. einerseits, andererseits die in der Form der Lohnarbeit zunehmenden funktionellen (Prostitutions-) Dienste des Kapitals. Die Eigentumskonzentration vermehrt einerseits den Pol der formal Lohntätigen, differenziert ihn aber auch funktionell.

Nicht eine Neudefinition des Klassenbegriffs ist notwendig, sondern eine Aktualisierung aus der Erkenntnis heraus, daß die zunehmend eigentumsmäßig polarisierte kapitalistische Gesellschaft im Spätstadium eine funktionierende revolutionäre Theorie und Praxis braucht, die das "Lager" der objektiv Lohnabhängigen über all seine Streitungen hinweg ausgehend von der Basis einer differenzierten, realistischen Klassenanalyse funktional polarisiert: Klassenanalyse statt reine Eigentumsstatistik ist die Antwort auf die Potenzen ("große Lager") wie Fallen (Lohnstatus = Arbeiterklasse) der objektiven kapitalistischen Entwicklung als revolutionärer Kampfbegriff!

Kommerzielle Lohnarbeiter

Verkörpert sich der produktive Gesamtarbeiter auf der einen Seite nicht nur in der Form der Arbeiterklasse, so besteht die Arbeiterklasse andererseits auch aus Werktätigen, die nicht produktive Arbeiter sind. Dies deshalb, da der Gesamtprozeß des Kapitalkreislaufs nicht nur den industriellen Produktionsprozeß umfaßt. Im Verlauf des Akkumulationsprozesses entwickeln sich auch in anderen Bereichen als der industriellen Produktion, vor allem im Zirkulationssektor, Kapitale, die sich auf der Grundlage der Ausbeutung von Lohnarbeit akkumulieren können. Dies entwickelt Marx im 3. Band des Kapitals am Beispiel der kommerziellen Lohnarbeit:

"Nach einer Seite hin ist ein solcher kommerzieller Arbeiter Lohnarbeiter wie ein anderer. Erstens, insofern die Arbeit gekauft wird vom variablen Kapital des Kaufmanns, nicht von dem als Revenue verausgabten Geld, und daher auch nur gekauft wird nicht für Privatbedienung, sondern zum Zweck der Selbstverwertung des darin vorgeschoßnen Kapitals. Zweitens, sofern der Wert seiner Arbeitskraft und daher sein Arbeitslohn bestimmt ist, wie bei allen anderen Lohnarbeitern, durch die Produktions- und Reproduktionskosten seiner spezifischen Arbeitskraft, nicht durch das Produkt seiner Arbeit". (71)

Andererseits produzieren kommerzielle Lohnarbeiter keinen Mehrwert, da dem Produkt durch Verkauf oder Ankauf oder ähnliches kein Wert zugefügt wird. Da aber für das industrielle Kapital die Produktion von Waren wertlos wäre, ohne daß sich deren Wert im Zirkulationsprozeß realisieren ließe, wird ein mit dem Umfang des Produktionsprozesses wachsendes Handelskapital wesentlich für den Gesamtreproduktionsprozeß des Kapitals. Erscheint der Marktpreis für das industrielle Kapital gebildet durch Aufschlag von Gewinn- und Handelsspanne auf den Produktionspreis, so ist dies nur eine Erscheinungsform einer Verteilung des Gesamtmehrwerts zwischen industriellem und kommerziellem Kapital, die sich durch einen Ausgleichungsprozeß der Profitraten zwischen diesen beiden Teilen ergibt.

"Es ist nur durch seine Funktion der Realisierung der Werte, daß das Handelskapital im Reproduktionsprozeß als Kapital fungiert und daher, als fungierendes Kapital, aus dem vom Gesamtkapital erzeugten Mehrwert zieht. Die Masse seines Profits hängt ab für den einzelnen Kaufmann von der Masse Kapital, die er in diesem Prozeß anwenden kann, und er kann um so mehr davon anwenden, im Kaufen und Verkaufen, je größer die unbezahlte Arbeit seiner Kommis. Die Funktion selbst, kraft deren sein Geld Kapital ist, läßt der kaufmännische Kapitalist großenteils durch seine Arbeiter verrichten. Die unbezahlte Arbeit dieser Kommis, obgleich sie nicht Mehrwert schafft, schafft ihm aber Aneignung von Mehrwert, was für dieses Kapital dem Resultat nach ganz dasselbe ist; sie ist also für es Quelle des Profits. Das kaufmännische Geschäft könnte sonst nie auf großer Stufenleiter, nie kapitalistisch betrieben werden". (72)

Auch wenn die Arbeit der kommerziellen Lohnarbeiter daher im Verhältnis zum Gesamtkapital nicht produktiv ist, so ist sie es doch für das kommerzielle Einzelkapital, das um so mehr Profit aus den Handelsspannen seiner Verkäufe ziehen kann, je mehr unbezahlte Arbeit von den Handelsangestellten geleistet wird. Daher ist es nicht die Lohnhöhe der kommerziellen Arbeiter, die den Profit des Handelskapitals direkt bestimmt, sondern wie bei anderen Arbeitern auch, das Verhältnis von notwendiger und unbezahlter Arbeit, wie auch die der Stufenleiter der Entwicklung des kommerziellen Kapitals entsprechende Masse an fixem und zirkulierendem Kapital.

Aus der Entwicklung der kommerziellen Lohnarbeitsschichten seiner Zeit projiziert Marx eine durchaus eingetroffene Prognose: "Der eigentlich kommerzielle Arbeiter gehört zu der besser bezahlten Klasse von Lohnarbeitern, zu denen, deren Arbeit geschickte Arbeit ist, über der Durchschnittsarbeit steht. Indes hat der Lohn die Tendenz zu fallen, selbst im Verhältnis zur Durchschnittsarbeit, im Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise. Teils durch Teilung der Arbeit innerhalb des Kontors [Büros]; daher nur einseitige Entwicklung der Arbeitsfähigkeit zu produzieren und die Kosten dieser Produktion dem Kapitalisten zum Teil nichts kosten, sondern das Geschick des Arbeiters durch die Funktion selbst entwickelt, und um so rascher, je einseitiger es mit der Teilung der Arbeit wird. Zweitens weil die Vorbildung, Handels- und Sprachkenntnisse usw. mit dem Fortschritt der Wissenschaft und Volksbildung immer rascher, leichter, allgemeiner, wohlfeiler reproduziert werden, je mehr die kapitalistische Produktionsweise die Lehrmethoden usw. aufs Praktische richtet. Die Verallgemeinerung des Volksunterrichts erlaubt, diese Sorte aus Klassen zu rekrutieren, die früher davon ausgeschlossen, an schlechtere Lebensweise gewöhnt waren. Dazu vermehrt sie den Zugang und die Konkurrenz. Mit einigen Ausnahmen entwertet sich daher im Fortgang der kapitalistischen Produktion die Arbeitskraft dieser Leute; ihr Lohn sinkt, während ihre Arbeitsfähigkeit zunimmt. Der Kapitalist vermehrt die Zahl dieser Arbeiter, wenn mehr Wert und Profit zu realisieren ist. Die Zunahme dieser Arbeit ist stets Wirkung nie Ursache der Vermehrung des Mehrwerts". (73)

Hieraus ergibt sich auch, daß die verhältnismäßige Zunahme von kommerziellen Beschäftigten gegenüber den in der Industrie Beschäftigten kein Ausdruck von "schwindender Bedeutung der Industrie" ist, sondern im Gegenteil das Hinterherhinken der Produktivität des kommerziellen Kapitals gegenüber dem industriellen aufzeigt.

Es muß hier noch angemerkt werden, daß kommerzielle Lohnarbeit natürlich nicht nur im Handel verrichtet wird. Auch das industrielle Einzelkapital selbst muß, um seine Waren realisieren zu können bzw. um sein fixes, zirkulierendes und variables Kapital reproduzieren zu können, kommerzielle Funktionen durchführen lassen. Also im wachsenden Maße Lohnabhängige beschäftigen, die mit kommerziellen Aktivitäten wie Ankauf, Verkauf, Lagerhaltung, Buchhaltung, etc. beschäftigt sind.

Des weiteren ergeben sich wie bei den produktiven Beschäftigten wiederum Differenzierungen nach Qualifikation, Aufsichtsfunktionen und ständischen Privilegierungen. Dabei ist zu bemerken, daß kommerzielle Tätigkeiten in Industriebetrieben eng verknüpft sind mit Aufsichtsfunktionen. So stellt die kaufmännische Leitung einer Abteilung die Repräsentanz der Eigentümerinteressen in der Abteilung dar (Überwachung des Prinzips der Kosteneffizienz).

So spiegelt sich die bürgerliche Gewaltenteilung von Exekutive und Legislative in den beiden Säulen der betrieblichen Leitung, der operativen und der kaufmännischen. Es ist daher kein Wunder, daß die zentralen Auseinandersetzungen mit der Fabrikarbeiterschaft zumeist von einer kommerziellen Abteilungsleitung, der der Personalabteilungen, geführt werden. Schließlich kann in gleicher Weise wie für das kommerzielle Kapital auch für das Finanzkapital (Banken und Versicherungen) gezeigt werden, daß es eine weitere Quelle für Lohnabhängige darstellt. Allerdings ist dies ein Sektor, in dem sich die Klassenspaltung weitaus nicht so dynamisch wie im kommerziellen Sektor entwickelt und ständische Privilegierungen sehr zählebig sind.

Fußnoten und Anmerkungen

(48) Marx an Engels, 2. April 1858, in: MEW 29, S. 317

(49) K. Marx, Das Kapital, Band 1, MEW Band 23, S.100

(50) ebd., S.182

(51) ebd., S.791

(52) ebd., S.531

(53) ebd., S.532

(54) ebd., S.603

(55) ebd., S.249

(56) MEW Band 42,S.35

(57) Ebenda

(58) ebd.,S.35f

(59) G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Band 2, HW Band 6,S.154

(60) Ebenda

(61) G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Band 1, HW Band 8,S.253

(62) K. Marx, Das Kapital, Band 3, MEW Band 25, S.886f.

(63) K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Band 26.2, S.148

(64) ebd., MEW Band 26.3, S.486

(65) Ebenda

(66) K. Marx, Das Kapital, Band 1, MEW Band 23, S.446

(67) ebd., S.443

(68) ebd., S.446

(69) ebd., S.444

(70) K. Marx, Das Elend der Philosophie, in: MEW, Bd. 4, S. 91 f.

(71) K. Marx, Das Kapital, Band 3, MEW Bd. 25, S.303f. - nebenbei bemerkt werden hier noch einmal klar die zentralen Definitionspunkte für Lohnarbeit angeführt!

(72) ebd., S.304f.

(73) ebd., S.311f

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