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Tarifrunde Öffentlicher Dienst

Kampfkraft oder Kaufkraft?

Helga Müller, Neue Internationale 146, Februar 2010

Die Forderungen der diesjährigen Tarifrunde für die 2,1 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen stehen:

5% mehr Gehalt im Gesamtvolumen mit einer nachhaltigen sozialen Komponente, damit die unteren Einkommen stärker von der Erhöhung profitieren als die oberen Einkommen;

tarifliche Altersteilzeitregelung, welche die Überalterung im Öffentlichen Dienst abmildern und eine Beschäftigung für Auszubildende sichern soll.

Darüber hinaus sollen noch Punkte diskutiert werden, die seit Abschluss des neuen „Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst“ (TVöD) im Jahr 2005 immer noch offen sind, was zu wachsender Ungleichheit bei den Beschäftigten führt und daher bei diesen auf zunehmenden Unmut stößt.

So soll die Wiedereinsetzung des „Bewährungsaufstiegs“ aus dem alten BAT durchgesetzt werden, den die Tarifkommission bei Abschluss des TVöD ausgesetzt hatte - im Vertrauen auf eine baldige Durchsetzung eines neuen Eingruppierungssystems, das die öffentlichen Arbeit“geber“ bis heute verweigern. Folge davon ist, dass Aufstiege nach dem alten System BAT nur noch für Beschäftigte, die vor Abschluss des neuen TVöD eingestellt wurden, durchgesetzt werden konnten. Neueingestellte gehen bei Übernahme neuer Tätigkeiten leer aus.

Weiter sollen für bestimmte Beschäftigungsgruppen spezielle Forderungen durchgesetzt werden, da seit Abschluss des TVöD „Spartentarifverträge“ mit speziellen Regelungen für besondere Bereiche eingeführt wurden, was zu einer Zersplitterung der Kampfkraft führt:

Überstundenzuschläge für Teilzeitkräfte oder Bonuszahlungen bei kurzfristigen Einsätzen für Beschäftigte im Krankenhausbereich;

Beschäftigte der kommunalen Versorgung (Stadtwerke) fordern sogar eigene Verhandlungen, da viele Punkte, die bei den Gesamtverhandlungen gefordert werden, sie überhaupt nicht oder kaum betreffen.

Die Gehaltsforderung ist mehr als überfällig; so hat eine Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) nachgewiesen, dass die Einkommen im Öffentlichen Dienst seit 2000 deutlich langsamer gewachsen sind als die in der Privatwirtschaft. Demnach sind die Einkommen im öffentlichen Dienst in Westdeutschland nominal um 17 Prozent, in der Gesamtwirtschaft dagegen durchschnittlich um 21,4 Prozent gestiegen. In der Metall- und Elektroindustrie lag die Steigerung dagegen sogar bei 27,4 Prozent. Zieht man die insgesamt bescheidenen Lohnerhöhungen in der Bundesrepublik in Betracht, kann man von einem deutlichen Reallohnverlust für die Beschäftigten von Bund, Ländern und Kommunen sprechen.

Geht man davon aus, dass in diesem Jahr nach Ablauf der Kurzarbeiterregelung für die Privatwirtschaft eine Entlassungswelle bevorsteht und der Öffentliche Dienst selbst einen massiven Stellenabbau hinter sich hat, müsste der Öffentliche Dienst in dieser Frage eigentlich eine Vorreiterrolle spielen.

Darauf gibt es in dieser Tarifrunde von der ver.di-Führung aber keine Antwort, obwohl es zumindest aus dem Landesbezirk Baden-Württemberg einen Antrag gab. So hatte die Tarifkonferenz Baden-Württemberg die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung aufgestellt. Sie  fordern fünf freie Tage mehr pro Jahr. Begründet wird das Forderung in einem Interview mit Volker Mörbe, Sprecher der ver.di-Vertrauensleute im Stuttgarter Klinikum so: „Ganze freie Tage bieten die beste Gewähr dafür, dass das nicht einfach durch Überstunden kompensiert wird und tatsächlich neue Stellen geschaffen werden.“ (junge Welt, 1.12.09)

Wenn diese Forderung auch nicht ausgereicht hätte, um die bevorstehende Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, so hätte sie zumindest einen Einstieg in die Diskussion der Arbeitszeitverkürzung bedeutet. Dass die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung verbunden mit vollem Lohn- und Personalausgleich auch in anderen Bezirken diskutiert wurde, beweisen diverse Flugblätter, in welche diese Frage mit aufgenommen wurde - aber klein gedruckt und nur als allgemeine Feststellung. Auf einen Kampf dafür verzichtet ver.di vollkommen, obwohl dies ein Signal für andere Bereiche gewesen wäre.

Falsche Orientierung

Nun könnte man denken, dass die Tarifkommission in Zeiten der Krise und der Sparhaushalte ihre ganze Kraft auf die Durchsetzung der Gehalts- und Lohnforderung konzentrieren will. Aber auch in dieser Frage wird die Argumentation verkehrt aufgezogen. Die zentrale Losung für die Durchsetzung der Forderung beschränkt sich auf: „ Krise bekämpfen - Kaufkraft stärken“ oder „Sozial ist, was Kaufkraft schafft!“

Was diese Losungen bedeuten, wird in einer Veröffentlichung von ver.di nach der ersten Verhandlungsrunde am 13.1.10 deutlich: „Keine Antwort hätten sie (die öffentlichen Arbeit“geber“, d.Red.) auf den gewerkschaftlichen Hinweis gegeben, dass ein Lohnzuwachs für rund 2 Millionen Beschäftigte ein kräftiger Beitrag zur Stärkung der Binnennachfrage sei.“

D.h. also nichts anderes als dass die Linie der Verhandlungsführer darin besteht, an die öffentlichen Arbeit“geber“ zu appellieren, dass es volkswirtschaftlich vernünftig sei, die Kaufkraft zu stärken, um die Binnennachfrage anzukurbeln. Begründet wird dies in mehreren Veröffentlichung damit, dass eine wirtschaftliche Erholung in einer exportabhängigen Wirtschaft wie der Bundesrepublik nur stabilisiert werden kann, wenn auch die Binnennachfrage gestärkt würde. Also geht es in dieser Tarifrunde nur darum, die öffentlichen Arbeit“geber“ von dieser vernünftigen volkwirtschaftlichen Lehre zu überzeugen.

Notwendig wäre aber, um die volle Kampfkraft der Beschäftigten ins Feld zu führen, diesen Tarifkampf auch politisch zu führen, ihn zu einem Kampf Klasse gegen Klasse zu machen. Jede/jeder hat es im letzten Jahr mitgekriegt: Die Haushalte wurden durch die Umverteilungspolitik zugunsten der Unternehmer und durch die Milliardengeschenke an die maroden Banken durch die Bundesregierung finanziell ausgeblutet. Und im Vorfeld des Tarifkampfes haben die Kommunen angekündigt, dass sie die gesamte Bevölkerung dafür bluten lassen will, mit Gebührenerhöhungen bei Schwimmbädern oder Schließungen etc.

Also wäre die Schlussfolgerung, in diesem Tarifkampf aufzuzeigen, in wessen Interesse diese Umverteilung stattgefunden hat, Gegenforderungen wie z.B. die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aufzustellen und dafür den Kampf zu führen. Wenn der Tarifkampf so geführt würde, könnte auch die gesamte Arbeiterklasse mit in diesen Kampf einbezogen werden.

Darauf verzichtet aber die Verhandlungsführung komplett, auch wenn in einigen Veröffentlichungen, die Steuerpolitik der Bundesregierung angeprangert wird. Ihre Hauptlinie besteht im Appell an die Arbeit“geber“ zusammen mit ver.di vernünftige wirtschaftspolitische Entscheidungen zu fällen.

Dafür soll es im Februar - ganz nach dem traditionellen Tarifrundenritual - erste Warnstreiks geben, um die öffentlichen Arbeit“geber“ nachhaltig zu „überzeugen“. Notwendig wäre es aber, zügig zu Vollstreiks zu kommen, um die gesamte Kampfkraft der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in die Waagschale zu werfen. Notwendig wäre es, lokale Streikleitungen zu wählen, wie es in einigen Bezirken im letztjährigen ErzieherInnenstreik gemacht wurde, damit der Streik unter Kontrolle der Beschäftigten geführt werden kann, um zumindest die Gehaltsforderung durchzusetzen.

Damit der Tarifkampf ein Erfolg wird und die Beschäftigten in den Kampf geführt werden können, muss dieser um folgende zentrale Forderungen und unter folgenden Bedingungen geführt werden:

Kampf um die volle Durchsetzung der 5 Prozent Lohnforderung!

Einführung einer Millionärssteuer! Rücknahme der Steuervergünstigungen der letzten 15 Jahre, z.B. der Senkung der Körperschaftssteuer und des Spitzensteuersatzes!

Aufbau von lokalen Streikkomitees, die bundesweit koordiniert werden, damit der Kampf unter Kontrolle der Beschäftigten geführt werden kann!

Aufbau von Solidaritätskomitees in den Stadtteilen!

Urabstimmung sofort über den Beginn eines Vollstreiks!

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