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Frankreich

Wir zahlen nicht für eure Krise!

Marc Lassalle, Paris, Neue Internationale 144, November 2009

Selbst wenn Journalisten und Politiker unisono verkünden, dass es Anzeichen für Erholung in der Wirtschaft gäbe und sich die Verhältnisse bald bessern würden, ist dies im Grunde belanglos, weil die gesellschaftlichen  Folgen der Krise des Kapitalismus noch in den kommenden Jahren nachwirken werden.

Die Erwerbslosenrate ist mit 9,1% auf dem Höhepunkt, seit Januar 2009 sind allein 252.000 Neuzugänge zu verzeichnen. Stetiger Sozialabbau hat die Lohnabhängigen des Landes mehr als irgendwo anders drangsaliert.

Den Unternehmen wurde von ihren Dienern in der Regierung eine gewaltige Kapitalspritze zu unschlagbar günstigen Zinssätzen verabreicht (hunderte Milliarden für die Banken, 8 Milliarden für die Autoindustrie u.a. Wirtschaftszweige). Diese Summen haben sie als Schirm zur Rettung ihrer Profite benutzt - und trotzdem immer mehr Personal abgebaut.

Die Regierung ist mit ihrer arbeiterfeindlichen Politik in die Offensive gegangen. Ihr Ziel ist es, die Arbeiterklasse die Kosten der Krise zahlen zu lassen. Es gibt fortgesetzte Attacken gegen den öffentlichen Dienst, 13.000 Stellen wurden im Bildungswesen gestrichen, im Gesundheitssektor wird gekürzt, die Post wurde privatisiert und bei der Eisenbahn wurde gespart. Zugleich hat die Regierung das Haushaltsdefizit vergrößert, in diesem Jahr allein auf über 140 Milliarden. Die Schuldenrückzahlung soll den Massen aufgebürdet werden.

Nach der Abschaffung der Reichensteuer, der Errichtung eines Steuerschutzschildes für die Superreichen und der Festsetzung einer Obergrenze für die Unternehmensbesteuerung will die Regierung die Niedrigverdiener am stärksten zur Kasse bitten. Es ist wie bei Robin Hood, nur umgekehrt: den Armen wird genommen, den Reichen gegeben. Jene mit geringem Einkommen werden auch besonders hart von den erhöhten Krankenhauskosten und der Nichterstattung für Arzneimittelausgaben getroffen. Wie konnte es dazu kommen, trotz der Massenmobilisierungen zu Jahresanfang, den Arbeiterkämpfen und der breiten Bewegungen an Universitäten und Krankenhäusern?

Ursachen

Die Hauptschwäche ist die Führung sowohl auf gewerkschaftlicher wie auf politischer Ebene. Die Gewerkschaftsspitzen haben alles getan, um den gemeinsamen Kampf zu verhindern. Sie haben uns wieder einmal mit Aktionstagen beglückt, die nur Kräfte gebunden, aber nichts bewegt haben. Von Januar bis Juni gab es im Schnitt einen Aktionstag im Monat mit verschwommenen Slogans, aber keine wirkliche Strategie. Diese Führer wollen nichts als friedliche Verhandlungen mit der Regierung frei vom Druck von unten. Sie verhandeln und verhökern lieber unsere Interessen und Errungenschaften als dass sie einen härteren Kampf organisieren.

Die Sozialistische Partei (SP) hat sich durch bürokratische Grabenkämpfe selbst ins Abseits manövriert. Sie hat den ArbeiterInnen nichts anzubieten. Zwar spielt sie immer noch eine Rolle bei Wahlen, aber ihr rechtslastiger Reformismus treibt sie in den Sog der Wahlkatastrophen, wie sie ihre Schwesterparteien in Deutschland und Italien schon erlebt haben.

Die französische KP und die Linkspartei verstecken ihre Form von Reformismus weiter hinter dem Slogan vom „Anti-Neoliberalismus“. Trotz all ihrer Kritik an der SP und deren neoliberaler Politik endet auch ihr eigener politischer Horizont dort. WählerInnen von links passen nur in ihr Kalkül, wenn damit ein größerer Druck auf die SP ausgeübt werden kann, um diese dann für Regierungskoalitionen mit ihnen geneigter zu stimmen. Das erklärt ihr Beharren auf der „Einheit der Linken“'. Sie nutzen den Restbestand an Anhängerschaft nur noch, um ihr parlamentarisches Dasein und ihre Kleinparteienbürokratie sowie natürlich ihre einträglichen Pöstchen als kommunale Funktionäre zu bewahren. Statt mit Klassenkampf und Abwehr gegen die Regierungsoffensiven beschäftigen sich diese Parteien vornehmlich mit der Vorbereitung der Regionalwahlen im nächsten Jahr.

Die NPA

Fast zwei Jahre nach Aufruf der Revolutionär-kommunistischen Liga (LCR) zur Bildung einer neuen Partei und neun Monate nach dem Gründungskongress steht die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) nun am Scheideweg. Sie hat tausende von radikalen AktivistInnen in ganz Frankreich organisiert und mobilisiert, eine andere Art von Politikverständnis, das auf Revolution statt Reform orientiert, vorgelegt und die Perspektive einer politischen Kraft entfaltet, die entschlossen an der Seite der ArbeiterInnen und Unterdrückten kämpfen will. Die konkreten Ansätze dazu, insbesondere in Hinblick auf die Rolle als mobilisierende treibende Kraft in Aktionen und militanten Kampagnen, sind jedoch sehr bescheiden.

Im Winter und Frühjahr ging es in der Bewegung insgesamt noch voran. Sie stand  unverkennbar den ArbeiterInnen im Kampf gegen die Stellenstreichungen zur Seite, konnte oder wollte aber nicht eine landesweite Bewegung für die Besetzung der Unternehmen entfachen, die Entlassungen angekündigt hatten. Die Losung des Generalstreiks wurde gelegentlich erhoben, aber keine Taktik angegeben, die den Arbeiterinnen die Selbstorganisation und die Durchsetzung des Generalstreiks auch gegen den Verrat der Bürokratie landesweit ermöglicht hätte. Es fehlte ein klares Aktionsprogramm für diese Kämpfe.

Schlimmer noch: Ein Teil der NPA ist gegenwärtig dabei, Regionalwahlen zur zentralen Aufgabe des Klassenkampfs zu erheben. Wenn der rechteste Flügel damit durchkommt, würde die NPA als linksreformistischer Schatten von KP und Linkspartei enden. Statt eine revolutionäre politische Kraft aufzubauen, würde sich die NPA in die schlimmste institutionelle Apparatpolitik verstricken, inmitten eines Systems, das sie zu bekämpfen vorgibt.

Natürlich muss es nicht so kommen, aber um dies zu verhindern, ist es notwendig, die NPA nicht nur zu einem Werkzeug im Klassenkampf zu formen, sondern auch zu einem für den revolutionären Parteiaufbau und die Machteroberung der Arbeiterklasse. Dazu muss mit Klassenkämpfen begonnen werden - hier und heute.

Die NPA kann und muss eine entscheidende Rolle in den gegenwärtigen Kämpfen spielen. Sie ist landesweit die einzige organisierte Kraft, die der Bewegung eine klare Perspektive weisen kann, insbesondere, indem sie als Organisatorin und Antreiberin einer allgemeinen Kampfeswelle in Erscheinung tritt. Die NPA sollte sich in diesem Herbst v.a. zwei Kampfplätzen widmen: gegen die Privatisierung der Post sowie gegen Sozialabbau und Betriebsschließungen.

Der Regierungsbeschluss, die Post in ein „beschränktes Unternehmen“ umzuwandeln, zeigt ihren Willen zur Durchsetzung ihrer Ankündigungen. In anderen Ländern war die Privatisierung von Einrichtungen gleichbedeutend mit Gebührenerhöhungen und Qualitätsverlust für die Verbraucher, schlechteren Arbeitsbedingungen und verschärfter Ausbeutung für die Beschäftigten. Die Fortsetzung der Privatisierung ist eine reine Provokation durch die Regierung, denn die Krise hat die Überholtheit des kapitalistischen Systems gezeigt, das völlig unhaltbar und unfähig ist, die brennenden Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.

Die Ereignisse vom 22.9. und die Umfragen beweisen, dass es möglich ist, die Beschäftigten und Nutzer der Post zu mobilisieren. Wir dürfen aber nicht nur gegen die beabsichtigte Privatisierung kämpfen, sondern müssen auch jede Entlassung, Auslagerung und Leiharbeit verhindern. Das gesamte Postpersonal muss denselben Status und dieselben Sozialleistungen erhalten.

In allen Bezirken müssen Ausschüsse von Postbediensteten und -nutzern gegen die  Privatisierung gebildet werden. Doch die Forderung nach einer Volksabstimmung über diese Frage ist eine Falle, in die wir nicht gehen dürfen. Die Regierung kann nur durch Mobilisierung, Demonstrationen, Kämpfe und letzten Endes Massenstreiks zum Nachgeben gezwungen werden.

Die jüngsten Kämpfe bei Continental, Freescale usw. haben bewiesen, dass die ArbeiterInnen bereit sind, ihre Arbeitsplätze zu verteidigen. Auch an anderen Orten werden demnächst solche Kämpfe stattfinden. Sie dürfen nicht isoliert bleiben! Die Abwehr von Stellenstreichungen darf kein bloßes Lippenbekenntnis sein, das nur in Wahlkampagnen geäußert wird. Eine militante Einstellung in allen ähnlich gelagerten Konflikten ist vonnöten. Jeder Kampf gegen Betriebsstilllegungen muss in Streik und Besetzung münden. In jeder Stadt können wir Unterstützungsausschüsse für diese Kämpfe errichten.

So können Brücken der Solidarität zwischen den ArbeiterInnen verschiedener Orte geschlagen und die Kämpfe vorangebracht werden. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie zu einer allgemeinen Massenbewegung unter der Losung „Wir zahlen nicht für ihre Krise“ wird. Wir müssen eine Kette von Maßnahmen und Sofortplänen gegen Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit fordern und dass die Gewerkschaften gemeinsame Massendemonstrationen veranstalten, welche die Grundlage für die Verbreiterung dieser Bewegung sein können. Aber wir müssen uns auch für Aktionstage mit eigenständiger Organisierung auf Basisebene wappnen, falls die Bürokraten nicht zum Handeln bereit sind oder gar die Bewegung boykottieren.

Für eine weitestgehende Mobilisierung müssen wir ein Aktionsprogramm auflegen, das einfache und notwendige Forderungen enthält, die von ArbeiterInnen im Kampf angewendet werden und diese Kämpfe auf gemeinsamer Grundlage geführt werden können.

Streiks und Besetzungen aller Betriebe, die von Schließung bedroht sind! Keine einzige Entlassung! Aktive Solidarität mit unseren KollegInnen im Kampf!

Verstaatlichung aller Banken und Unternehmen, die Stellen streichen wollen  entschädigungslos und unter Arbeiterkontrolle!

Sofortiger Lohnzuschlag von 300 Euro für alle! Anhebung der Mindestlöhne auf 1.500 Euro netto!

Stopp aller Privatisierungspläne im Öffentlichen Dienst, besonders bei der Post!

Kein Jobverlust im Bildungswesen! Stopp der schleichenden Privatisierung der

Universitäten! Weg mit den „Schulreformen“!

Für ein Sofortprogramm zum Bau von Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern unter Arbeiteraufsicht! Beschlagnahme aller leerstehenden Häuser!

Für eine massive Besteuerung der Reichen und großen Firmen!

Schluss mit prekärer und Billigarbeit! Umwandlung aller befristeten in Voll-Lohn- und Dauerarbeitsplätze!

Volle Aufenthaltsrechte und Staatsbürgerausweise für alle ImmigrantInnen! Rücknahme aller rassistischen Gesetze! Für offene Grenzen!

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Nr. 144, November 2009
*  Gewerkschaftslinke und Anti-Krisenkonferenz: Für einen Aktionsplan des Widerstandes
*  Nach der Regierungsbildung: Politische Lage, Taktik und der Aufbau der revolutionären Partei
*  IG BAU: Sieg dem Streik der GebäudereinigerInnen!
*  Angriffe auf Süd-Waziristan: Pakistan vor dem Bürgerkrieg?
*  Nordrhein-Westfalen: Die Landtagswahlen und das Projekt Rot-Rot-Grün
*  Klassenkampf: Für politische Massenstreiks!
*  Frankreich: Wir zahlen nicht für Eure Krise!
*  Interview: Uni-Besetzungen in Österreich
*  Geschichte und Untergang der DDR, Teil 1: Aufbruch und Erstarrung