Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Anti-Krisenbewegung

Von der Unruhe zum Widerstand

Martin Suchanek, Neue Internationale 140, Juni 2009

Als am 16. Mai 100.000 dem Aufruf des DGB folgten, war das die bislang größte Demonstration gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Masse der Lohnabhängigen. Schon am 28. März waren 50 bis 60.000 Menschen gegen den Willen der Führungen der Einzelgewerkschaften unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ auf der Straße.

Wichtiger als die Größe der Demonstrationen ist freilich:

a) Die Legitimationskrise, nicht nur „der Wirtschaft“ oder des „Neoliberalismus“, sondern auch des Kapitalismus als System und der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie wächst - auch wenn sie sich bislang eher als Wut, als Stimmung, denn als gezielte Aktion, bewusste Ablehnung oder gar als klare Alternative ausdrückt.

b) Nicht nur die Größe der Demos, sondern auch - zweifellos auch durch Vorbilder aus anderen Ländern inspiriert - erste Betriebsbesetzungen wie bei Federal Mogul in Wiesbaden oder Karstadt in Kaiserslautern und spontane Arbeiterniederlegungen wie bei Mahle in Alzenau. Hinzu kommt, dass es auch mehr Aktionsbereitschaft anderer Schichten wie der Jugend gibt, z.B. in der Mobilisierung zu den Streiks der SchülerInnen und Studierenden.

c) Die herrschende Klasse ist verunsichert. Es mangelt ihr (noch) an einer klaren Strategie, wie sie die Krise bewältigen soll. Sie schwankt zwischen keynesianischen Maßnahmen wie Konjunkturprogrammen und liebäugelt mit Verstaatlichungen. Gleichzeitig warnen die Unternehmerverbände vor „Kapitalistenhatz“ und davor, die „Prinzipien“ - also neoliberale Deregulierungsdogmen - „über Bord zu werfen“. Daher reagiert sie schon auf die Warnung vor „sozialen Unruhen“ so hysterisch. Natürlich wissen die Kapitalisten genau, dass weder die Regierung noch DGB-Chef Sommer „Prinzipien über Bord werfen“ oder gar das kapitalistische System in Frage stellen wollen. Ja, sie alle wollen es retten.

All das sind Zeichen dafür, dass die Herrschenden tatsächlich fürchten, dass ihnen die Krise über den Kopf wächst - und eine soziale Explosion historischen Ausmaßes droht.

Auch die massive Verschärfung von „Sicherheitsgesetzen“, die Ausweitung der Überwachung und die Kriminalisierung von rebellierenden Jugendlichen wie am Ersten Mai oder gar das possenhafte Verbot harmloser Spielchen wie Paint Ball passen in dieses Bild.

Entscheidend zum Verständnis der aktuellen politischen Situation und zu den Perspektiven des Klassenkampfes ist jedoch das Verständnis des globalen Charakters der aktuellen Krise.

Weltlage

Die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen bestimmen die Weltlage und die politische, wirtschaftliche und soziale Situation auch in der Bundesrepublik. Die Krise und die Frage, wie ihr die Arbeiterklasse und die Unterdrückten begegnen sollen, ist zentrale politische Frage der nächsten Monate, ja womöglich Jahre.

Die gegenwärtige Krise ist eine historische Krise des Kapitalismus. Nach 18 Monaten ist die Finanzkrise noch lange nicht gelöst - trotz tausender Milliarden Dollar, die in die Rettung von Banken gepumpt wurde (und vom Standpunkt der herrschenden Klasse auch gepumpt werden musste).

Auch eine Lösung der Krise im produktiven Sektor ist keineswegs absehbar, selbst wenn die großen Konjunkturprogramme wie in den USA eine zeitweise Milderung der Probleme bringen mögen.

Aber sie lösen die Ursachen nicht. Sie führen ihrerseits zu neuen, gigantischen Problem wie dem dramatische Anstieg der Staatsverschuldung und der Schwächung des Dollars als internationaler Leitwährung.

Vor allem aber: Der Kern des Problems, die Überakkumulation von Kapital und die - vom Standpunkt der Kapitalverwertung - zu geringen Profitraten bleibt bestehen.

Im Rahmen des Kapitalismus ist diese Krise letztlich nur durch eine massive Erhöhung der Ausbeutungsrate und die Vernichtung „überschüssigen“ Kapitals, der Zerstörung von Überkapazitäten, also der Vernichtung von Produktionsmitteln und Gütern, also gesellschaftlichen Reichtums möglich.

Zahlen sollen die Kosten der Krise all jene, die sie nicht verursacht haben: die Lohnabhängigen (egal ob Beschäftigte oder Erwerbslose), MigrantInnen, Jugendliche, RentnerInnen und die „Dritte Welt“.

Das ist den Strategen der herrschenden Klasse durchaus bewusst. Aber sie haben selbst (noch) keine Einigkeit über das Wie dieser Maßnahmen.

Die herrschende Klasse hat ein Führungsproblem, das sich auch in der Debatte um zukünftige Regierungskoalitionen ausdrückt. Soll es weiter bei einer großen Koalition bleiben, die eher für „soziale Stabilität“ sorgt und zugleich noch immer einige Zugeständnisse an die Gewerkschaftsbürokratie und die Arbeiteraristokratie wie die Verlängerung des Kurzarbeitergelds von 18 auf jetzt 24 Monate macht? Oder soll es eine CDU/FDP-Koalition (mit oder ohne Grüne) sein, die direkter und offener angreift und dafür auch die „soziale Unruhe“ in Kauf nimmt? Diese Unruhe, also massiven Widerstand der Arbeiterklasse, wollen auch die Gewerkschaftsführungen um jeden Preis vermeiden und hätten dafür gern „ihre Partei“, die SPD, an der Regierung.

Die ganze Sache wird noch dadurch erschwert, dass die Krise (wie jede grundlegende Krise) nicht nur die Arbeiterklasse, sondern auch das Kleinbürgertum, die Mittelschichten sowie auch schwächere und kleinere Kapitalisten trifft, ja auch innerhalb des Finanzkapitals - also der großen Banken und der Industrie - die Konkurrenz samt „Übernahmeschlachten“ verschärft.

Hinzu kommt, dass sich angesichts der globalen Krise auch die kapitalistische und staatliche Konkurrenz verschärft, v.a. aber dass auch das strategische Projekt des deutschen Imperialismus, die EU-Formierung unter deutsch-französischer Vorherrschaft kracht und vor einem Wendepunkt steht.

All das sind eigentlich günstige Bedingungen für die Arbeiterklasse, die gesellschaftliche Krise nicht nur zum Abwehrkampf, sondern auch zum Kampf für eine sozialistische Alternative zu den zweifelhaften Segnungen der Marktwirtschaft zu nutzen. Angesichts der globalen Lage sind eine Strategie, ein Programm, ein Kampfplan gegen die Krise unerlässlich - nicht zuletzt, weil die herrschende Klasse früher oder später zu einem konzertierten Generalangriff ansetzt, der z.B. die Hartz-Gesetze als harmlose Reförmchen erscheinen lassen wird.

Die Rolle der reformistischen Bürokratie

In dieser für die Herrschenden angespannten Lage kommt der bürokratischen, reformistischen Führung der Arbeiterklasse - der Bürokratie in Gewerkschaften, SPD und Linkspartei - eine wichtige Rolle zu. Sie wollen verhindern, dass sich die wirtschaftliche Krise und die Legitimationskrise des politischen Systems zu einer Bedrohung für die Herrschaft der Kapitalistenklasse ausweiten.

Dies funktioniert über verschiedene Mechanismen:

a) Die Krise wird nur als Finanzkrise gesehen und als Resultat mangelnder „Kontrolle“ und zu geringen staatlichen Einflusses hingestellt. Diese müssten wiederhergestellt werden. Die „Gier“ wäre zu zügellos geworden.

Der bürgerliche Staat, der „starke Staat“ müsse jetzt entgegenwirken - natürlich nicht, um in die Eigentumsverhältnisse grundlegend einzugreifen, sondern um diese zu retten. Diese Strategie soll sowohl den Kapitalisten helfen, ihre Krise zu meistern und den Kapitalismus mithilfe des Sachverstands von Betriebsräten und Funktionären aus Gewerkschaften, SPD und Linkspartei zukünftig besser zu „co“managen.

b) Der Arbeiterklasse soll so vom Staat „das Schlimmste“ erspart bleiben. Konjunkturprogramme sollen Arbeitsplätze schaffen oder jedenfalls vor der Vernichtung bewahren. „Ausreichende“ Löhne und Mindestlöhne sollen die Kaufkraft stimulieren und damit nicht nur den ArbeiterInnen das Überleben sichern, sondern auch noch den Kapitalismus wiederbeleben. Dieser Verweis darf bei keiner Rede von Gewerkschaftsbonzen wie Bsirske und Sonmmer, von Lafontaine oder der SPD-Linken fehlen.

c) Demonstrationen und andere Aktionen sind dabei einerseits ein Ventil für den gestiegenen Druck der Beschäftigten in den Betrieben. Andererseits dienen sie dazu, der herrschenden Klasse nicht nur mit „guten Argumenten“, sondern auch mit halbherzigen Drohungen in Erinnerung zu rufen, dass die Arbeiterbürokratie zur „Bewältigung der Krise“, also zur Rettung des Systems noch gebraucht wird.

Dass die herrschende Klasse auf das System der Klassenkollaboration in der „Sozialpartnerschaft“ oder gar einem „noch mehr Partnerschaft“, wie es die Bürokratie gern hätte, zurückgreift, ja auf Dauer setzen kann, ist jedoch sehr fraglich. Fraglich vor allem angesichts der wirtschaftlichen Ziele und Weltmachtambitionen des deutschen Imperialismus, die einen verschärften Angriff auch auf die Kernschichten der Arbeiterklasse (inkl. großer Teile der Arbeiteraristokratie) erfordern, bei dem der Spielraum für „Partnerschaft“ für die Arbeiterbürokratie geringer wird.

Zurück zur Sozialpartnerschaft?

Das spürt auch die Bürokratie. Mit der Demonstration am 16. Mai wollte sie andeuten, was drohen könnte, wenn die herrschende Klasse ihre „vernünftigen Angebote“ in den Wind schlägt. Und sie haben tatsächlich gezeigt, dass die DGB-Gewerkschaften (und über diese die SPD und, in geringerem Ausmaß, DIE LINKE) nach wie vor eine hegemoniale Rolle in der Klasse haben.

Allerdings bewegt sich die Bürokratie dabei auf dünnem Eis. Jede, auch noch so bürokratisch kontrollierte Massenmobilisierung, vermittelt ja nicht nur eine Botschaft an die Regierung und die herrschende Klasse.

Sie vermittelt auch der Arbeiterklasse ein gewisses Gefühl der möglichen eigenen Stärke. Wenn 100.000 in Berlin demonstrieren können, warum nicht Millionen im Bundesgebiet?

Auch das Setzen auf Nationalismus, Chauvinismus - eine enorme Gefahr angesichts der Lage -, die nicht zuletzt von der Gewerkschaftsbürokratie immer wieder bedient werden, erweist sich in der aktuellen Situation keineswegs als „spontane“ Reaktion „der ArbeiterInnen“. So gab es z.B. gemeinsame Demos von Mahle-Beschäftigten aus Deutschland und Frankreich in Colmar und von Conti-ArbeiterInnen in Hannover.

In all diesen Aktionen macht sich auch eine wichtige Tendenz bemerkbar: Die Beschäftigen wollen über den Tellerrand des „Erlaubten“, des ihnen von ihren Führungen „Vorgesetzten“ hinausgehen und handeln. Sie spüren, dass viele von ihnen auch mit 24 Monaten Kurzarbeit nicht über die Krise kommen werden. Sie spüren, dass die aktuelle Krise nicht mit den sozialpartnerschaftlichen Antworten von Gestern gemeistert werden kann.

Die Frage der Führung

Aber die ArbeiterInnen verfügen auf allen Ebenen des Klassenkampfes noch nicht über eine Alternative zur gewerkschaftlichen und politischen Führung durch die Reformisten. Das ist nicht nur ein enormer Trumpf der Bürokraten bei der Kontrolle der Klasse, sondern vor allem ein enormer Trumpf des Kapitals.

Die Möglichkeit, den Abwehrkampf voranzutreiben, zu entwickeln und zu bündeln hängt wesentlich auch davon ab, eine alternative Führung  gegen die Reformisten auf gewerkschaftlicher, betrieblicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene aufzubauen.

Eine solche Führung kann freilich nicht nur durch Sammlung der klassenkämpferischen und politisch bewussten, fortgeschrittenen ArbeiterInnen und durch scharfe Kritik an der bürgerlichen Politik der Reformisten geschaffen werden.

Sie muss v.a. auch durch den Kampf für ein Programm gegen die Krise und Aktionen wie Besetzungen, Straßenblockaden, politische Streiks bis hin zum Generalstreik geführt werden!

Das erfordert, dass RevolutionärInnen, AntikapitalistInnen, alle klassenkämpferischen Kräfte heute unbedingt in „Bündnissen gegen die Krise“, wie z.B. jenem, das den 28. März organisiert hat, in oppositionellen Strukturen in den Betrieben und Gewerkschaften arbeiten müssen.

Das schließt auch die Zusammenarbeit mit Reformisten, mit den Führungen der Gewerkschaften und reformistischen Parteien ein - eine Zusammenarbeit, die jedoch auf die gemeinsame Aktion und Mobilisierung konzentriert, ja beschränkt sein muss. Es geht darum, sich auf gemeinsame, möglichst konkrete Ziele (z.B. 30-Stunden-Woche, 10 Euro Mindestlohn), klare Aktionen (Demos, Streiks, Blockaden) sowie demokratische Mobilisierungsstrukturen (z.B. Aktionskomitees in den Stadtteilen) zu einigen und zu handeln.

Es geht keineswegs darum, gemeinsame programmatische Erklärungen mit den Reformisten zu verfassen. Das wäre im Gegenteil nur schädlich, würde es doch gerade die grundlegenden politischen Differenzen verwischen, revolutionäre Klarheit durch reformistische Nebelkerzen ersetzen und so die Klasse eher verwirren, als aufklären. Vielmehr müssen KommunistInnen die gemeinsame Aktion mit der Kritik ihrer „Bündnispartner“ verbinden - ihrer Halbherzigkeit in der Aktion, ihrer bürokratischen Manöver, ihrer Strategie.

Kurz: es geht darum, die Taktik der Einheitsfront anzuwenden und sich am Aufbau von Einheitsfronten, von Bündnissen aktiv zu beteiligten. Eine „linke“ Organisation, die sich angesichts der aktuellen Krise und der bedrohlichen Situation für die Arbeiterklasse, dieser Aufgabe verweigert, ist schlichtweg sektiererisch. Sie mag dafür allerlei „Gründe“ angeben, in Wirklichkeit hilft eine solche Haltung nicht der Entwicklung des Klassenkampfes oder gar einem vorgeblichen Kampf gegen den Reformismus, sondern überlässt die Massen nur dem bestehenden, dominanten Einfluss der Arbeiterbürokratie.

Um in solchen Bündnissen als RevolutionärInnen zu agieren, ist es freilich auch notwendig, ein eigenes Aktionsprogramm, eine Programm von Übergangsforderungen zu propagieren und für dessen Losungen zu agitieren.

Als revolutionären MarxistInnen schlagen wir dabei ein Programm vor, das sowohl unmittelbare, konkrete Tagesforderungen, wie auch Übergangslosungen und Maximalforderungen umfasst - also ein System von Forderungen, das einen Weg weist vom aktuellen Abwehrkampf gegen die Krise zum Kampf für die sozialistische Revolution.

Für die Anti-Krisen-Bewegung schlagen wir folgende Forderungen vor:

Nein zu allen Entlassungen! Sofortige Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Aufteilung der Arbeit auf alle Hände unter Arbeiterkontrolle!

Für eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen gegen die Inflation!

Für einen Mindestlohn von 11 Euro/Stunde netto! Weg mit den Hartz-Gesetzen! Arbeitslosengeld und Mindesteinkommen für RentnerInnen und Auszubildende von 1.600/Monat, finanziert aus Progressivsteuern auf Reichtum und Kapital!

Nein zu Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen für Kapitalisten! Offenlegung aller Geschäftsunterlagen, der Konten und Finanzpläne für Arbeiterinspektionen!

Entschädigungslose Enteignung der Banken sowie deren Zusammenlegung zu einer einheitlichen Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Enteignung der Konzerne unter Arbeiterkontrolle - beginnend mit Unternehmen, die drohen, Löhne zu kürzen und zu entlassen!

Klassenkampf statt Schmusekurs mit dem Kapital! Betriebsbesetzungen, Blockaden, Streiks bis hin zum politischen Generalstreik!

Aufbau von Aktionskomitees in Städten, Kommunen, Stadtteilen, die Aktionen und Solidarität koordinieren.

Bundesweite und internationale Koordinierung des Kampfes gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 140, Juni 2009
*  Anti-Krisenbewegung: Von der Unruhe zum Widerstand!
*  EU-Wahlen: Das Europa der Imperialisten in der Krise
*  Mahle Alzenau: Wie Bürokraten eine Besetzung verhindern
*  Betriebsbesetzung: Was tun, wenn die Bullen kommen?
*  Ökologie: Green New Deal?
*  Heile Welt
*  Sri Lanka: Im Norden Völkermord, im Süden Hunger und Unterdrückung
*  Agenda 2009: Neues Projekt oder alter Reformismus?
*  USA: Für eine neue revolutionäre Bewegung
*  Bildungsstreik: Für welche Bildung kämpfen wir?