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Klassenkampf 2009

Ein Jahr der Krise

Hannes Hohn, Neue Internationale 135, Dezember 2008/Januar 2009

Zu Beginn der Finanzkrise hatten Kanzlerin Merkel, Finanzminister Steinbrück und Wirtschaftsminister Glos noch versucht, die Probleme klein zu reden. Sie suggerierten, die Krise beträfe nur die USA. Inzwischen haben sich diese Beschwichtigungen als Pfeifen im Walde erwiesen; das Zögern ist hektischer Betriebsamkeit gewichen. Täglich bringen die Medien neue Hiobsbotschaften von Finanzlöchern, Bank- und Firmenpleiten. Die Wachstumsdaten werden nach unten korrigiert, die Arbeitslosenzahlen nach oben.

Ergänzt werden diese Meldungen aus der „einzig funktionierenden Wirtschaftsordnung“ von Maßnahmen der Politik, der Krise zu begegnen. Überall werden Rettungspakete geschnürt, Konjunkturhilfen beschlossen und an steuerlichen und sonstigen Stellschrauben des Systems gedreht. Doch bislang haben weder Milliarden noch Appelle an das „Vertrauen“ etwas daran geändert, dass die Krise immer größere Kreise zieht und jeden Sektor, jede Region, jedes Land tiefer in den Strudel reißt. Der sogar in Teilen der Linken verbreitete Glaube, die Krise beträfe nur das Finanzsystem, erweist sich nicht nur als kurzsichtig, sondern als blind.

Ursachen der Krise

Das Übergreifen der Finanzkrise auf andere, „produktive“ Wirtschaftsektoren verweist nur darauf, dass sie dorthin „zurückkehrt“, von wo sie ausging.

Die tieferen Wurzeln der Schwere der Finanzkrise sind nämlich die Verwertungsprobleme des industriellen Kapitals. Riesige Überkapazitäten und damit schwindende Kapital-Anlagenmöglichkeiten - d.h. Anlagen, die eine ausreichend hohe Rendite versprechen - in diesen Bereichen haben erst zur Aufblähung des hochspekulativen Finanzsektors geführt. Diese Anhäufung eines hochexplosiven Krisenpotentials hat weltweit schon seit den 1970ern begonnen und mit der Globalisierung noch einmal einen Schub bekommen.

Schon die Asienkrise Ende der 1990er, das Platzen der Internet-Börsenblase um die Jahrtausendwende und die weltweiten Hungerrevolten Anfang 2008 deuteten dieses Krisenpotential und dessen eruptiven Ausbruch an. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise war es noch gelungen, die Explosion hinauszuzögern - freilich um den Preis der weiteren Vergrößerung der angehäuften Risiken, einer gigantischen Ausdehnung des fiktiven Kapitals.

Für MarxistInnen kam der Ausbruch dieser Krise und ihre sich jetzt abzeichnende Dimension einer weltweiten Wirtschaftskrise, wenn nicht sogar einer globalen Depression jedoch nicht überraschend. Seit Jahrzehnten können der tendenzielle Fall der Profitraten und das Sinken der Wachstumsraten beobachtet werden. Dieser, gleichsam „unter der Oberfläche“ ablaufende, Prozess zeigt, dass die Krise ein notwendiger Teil des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist und neben „konjunkturellen“ eben auch grundsätzliche „objektive“ Faktoren zur Krise führen.

Unsere Internationale Tendenz, die Liga für die Fünfte Inernationale (L5I) hat wiederholt den Charakter der Periode als einer vorrevolutionären, von tiefen Krisen, Kriegen und imperialistischen Konflikten, aber auch von wachsendem Widerstand und heftigeren Klassenkämpfen geprägten definiert.

Jene „Theorien“, die von einem prosperierenden, stabilen Kapitalismus ausgingen, sind nun in arger Argumentationsnot; die Ansicht, dass der Klassenkampf quasi nur defensiv geführt werden könne und eine revolutionäre Perspektive „unzeitgemäß“ wäre, erweist sich als unhaltbar. Galt auch vielen Linken Lenins Imperialismus-Theorie als Relikt vergangener Zeiten, wenn nicht überhaupt als falsch, so erweist sich seine Einschätzung des Imperialismus als einer Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die vom Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution, oder wie Luxemburg es formulierte, von der Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ geprägt ist, als grundsätzlich korrekt. Auch die Reaktion der Herrschenden auf „ihre“ Krise zeigt das sehr deutlich.

Krisenmanagement

Während bei Hartz IV mit jedem Euro geknausert wird, stellt die Regierung nun hunderte Milliarden bereit, um Banken zu retten oder die Binnen-Nachfrage anzukurbeln. Dabei geht es v.a. darum, das Finanzkapital und damit den Kreditsektor vor dem Zusammenbruch zu bewahren, weil das zu einem Kollaps der Gesamtwirtschaft führen würde. Diese Handlungsweise spiegelt auch die Einsicht wider, welch zentrale, ja beherrschende Rolle das Finanzkapital im Imperialismus spielt.

Sicher wird der eine oder andere Sektor des Kapitals so vor dem Ruin gerettet werden können, doch die Krise wird damit nicht gelöst. Allenfalls können deren Negativ-Auswirkungen für das deutsche, europäische o.a. imperialistische Kapitalgruppen begrenzt werden. Entgegen der Propaganda der „Rettung“ geht es tatsächlich darum, dass riesige Mengen fiktiven Kapitals und schwächere Kapitale vernichtet werden müssen, um eine neue Akkumulationsdynamik zu ermöglichen.

Was die Krise wie auch das Krisenmanagement für die Arbeiterklasse und die Masse der Bevölkerung bedeuten, zeigt sich schon jetzt. Ob inflationäre oder deflationäre Tendenzen überwiegen werden - klar ist, dass die Arbeitslosigkeit (deren Sinken ohnedies tw. durch Billig- und Teilzeitjobs sowie Statistikschwindel zustande kam) deutlich zunehmen wird. Schon jetzt werden zehntausende LeiharbeiterInnen entlassen und v.a. in der Autobranche wird kurzgearbeitet. Nachdem die Alt-Aufträge abgearbeitet sind, wird eine Pleite- und Entlassungswelle durchs Land rollen.

Die Kosten der Rettungspakete sowie die bald schmelzenden Steuereinnahmen werden auch jede Sanierung der Staatskassen ad absurdum führen und stattdessen eine neue Spirale von Verschuldung und Abhängigkeit vom Finanzkapital in Gang setzen.

Schon jetzt werden die Rettungspakete aus Steuermitteln - also zu erheblichen Teilen von den Lohnabhängigen - bezahlt. Schon jetzt verkünden Länder und Kommunen neue Sparpläne.

Ideologisch wird dies alles mit lauter Empörung über die Maßlosigkeit der Finanzhaie und Forderungen nach größerem Einfluss des Staates über das Finanzsystem garniert. Doch hinter dieser Nebelwand bleibt das Finanzsystem im Kern strukturell unangetastet. Von wirklicher „demokratischer Kontrolle“, „mehr Transparenz“ usw. kann keine Rede sein, geschweige denn von „Verstaatlichung“.

Auch die vollmundigen Ankündigungen diverser Klimaschutz-Maßnahmen werden von der Krise „aufgefressen“. So wurden jüngst von der EU die - ohnedies lächerlichen - Emissionsauflagen für die Autokonzerne praktisch komplett zurückgenommen.

Die Krise wie auch die „Lösung“ der Krise zeigen ganz klar, dass der Kapitalismus eine brutale, anarchische, ungerechte, inhumane Gesellschaft ist, welche die Existenzgrundlagen der Menschheit permanent ruiniert. Die gegenwärtige Krise ist keine normale zyklische Krise. Das jahrzehntelang aufgestaute Krisenpotential - Überkapazitäten, fallende Profit- und Wachstumsraten, fiktives Kapital - ist so gewaltig, dass eine weltweite Wirtschaftsdepression nicht ausgeschlossen ist und nicht nur 2009, sondern die ganzen nächsten Jahre von schweren Erschütterungen, niedrigem Wachstum oder Stagnation geprägt sein werden.

Es ist auch eine Krise, die einen Wendepunkt in den gesamten internationalen Beziehungen mit sich bringen wird, eine drastische Verschärfung der innerimperialistischen Konkurrenz angesichts der angezählten Hegemonialmacht USA.

Für die Arbeiterklassen, für alle Unterdrückten der ganzen Welt bedeutet das: massive Angriffe auf ihre sozialen und  politischen Errungenschaften, Not, Hunger. Regierungen und Kapital wollen für ihre Krise die Massen bezahlen lassen.

Krise und Reformismus

Eine Krise ist immer auch ein Test für „linke“ Parteien. Die SPD ist bereits vor der Krise ins Trudeln geraten. Bei ihrem Spagat, einerseits ihre Basis, die Lohnabhängen und die  Gewerkschaften, zu kontrollieren und sie andererseits im Interesse des Kapitals anzugreifen, verliert sie immer mehr an Mitgliedern, WählerInnen und Ansehen. Doch auch die neue Führung um Steinmeier und Müntefering führt diesen selbstzerstörerischen Kurs fort.

Die LINKE stellt sich als Alternative zur SPD dar. Doch die Realität straft sie Lügen. Dort, wo sie mitregiert, setzt sie dieselbe Politik des Sparens und Privatisierens um wie andere Parteien. Von sehr schwachen Mobilisierungen an allgemeinen Protesten abgesehen, tut sie nichts, um effektiven Widerstand aufzubauen. Im Gegenteil: Jeden Ausverkauf von Kämpfen durch die Spitzen des DGB - zuletzt z.B. der beschämende Abschluss im Öffentlichen Dienst in Berlin - unterstützt sie.

Auch das zentrale Projekt des Kapitals - das Rettungspaket der Regierung - trägt sie mit, wie die positiven Statements und das Ja der LINKE-Vertreter im Bundesrat dazu zeigen. Das Nein im Bundestag war da nichts weiter als eine „linke“ Geste, die niemand weht tut.

Die Gewerkschaften - genauer ihre Führungen und das Gros ihrer Apparate - komplettieren diese Riege von reformistischen Kriechern. Die „Erfolge“ ihrer Politik sind bei den letzten Tarifrunden deutlich ablesbar. Die Ergebnisse sind kaum ein Ausgleich für die Reallohnverluste. Vor allem weigern sich die Gewerkschaftsbonzen, über Branchen und reine Lohnrunden hinaus, den Widerstand zu bündeln und um politische Ziele zu führen. Während Regierung und Kapital ihren Generalangriff fortführen und die Krise selbst ein massiver Schlag gegen die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen ist, sind alle reformistischen Kräfte darum bemüht, das wankende System zu stützen.

Widerstand

In vielen Ländern der Welt haben sich große, eruptive Bewegungen gegen die Krise gebildet - oft schon Anfang 2008, als die Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie v.a. die Halbkolonien, die Länder der „Dritten Welt“ bluten ließen. In Italien, Frankreich, Griechenland hat sich der Klassenkampf in den letzten Monaten massiv verschärft bis hin zu Aufständen der Jugend und Generalstreiks.

In der BRD gab es gegen die Krise bisher noch wenig Protest und Widerstand. Das kann und wird sich ändern, wenn deren Auswirkungen deutlicher spürbar werden: Firmenpleiten, höhere Arbeitslosigkeit, Teuerung, Kürzungen.

Um sich gegen diese massiven Bedrohungen wehren zu können, bedarf es massiver Gegenwehr in Form von Massenprotesten, Massenstreiks und Besetzungen. Momentan gibt es dafür jedoch weder Strukturen noch eine Führung, Genauer gesagt, es gibt ein reformistische, bürgerliche Führung in den Gewerkschaften, die - siehe die IG Metall Tarifrunde - alles unternimmt, um einer Konfrontation mit der Regierung aus dem Weg zu gehen und in Hinterzimmergesprächen mit der herrschenden Klasse hofft, die Krise „sozial verträglich“ abzufedern.

Diese Politik - schon in „normalen“ Phasen der Konjunktur eine des Ausverkaufs - kann angesichts der beginnenden, tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg nur zur Katastrophe führen. Sie wird aber auch von allen Seiten der Gesellschaft mehr und mehr unter Druck geraten. Für die herrschende Klasse, für die imperiale Formierung eines europäischen Imperialismus gibt es immer weniger Spielraum für eine „Partnerschaft“ mit der Arbeiterbürokratie selbst zu den aktuellen „Geschäftsbedingungen“.

Die Masse der Lohnabhängigen wird umgekehrt immer weniger in einen solchen Prozess integrierbar sein - eine Entwicklung, die zu eruptiven Kämpfen, Besetzungen einzelner Betriebe, Mobilisierung von Schichten, die weniger von der Bürokratie inkorporiert sind und zu einer Radikalisierung führen wird - einer Radikalisierung, die, wird sie nicht von klassenkämpferischen, revolutionären Kräften gebündelt auch zu Frustration, Demoralisierung und/oder einem Erstarken der extremen Rechten führen kann.

Für Widerstand gibt es auch erste Ansätze. Einer ist die immer wieder deutlich gewordene große Bereitschaft von Belegschaften zu Streiks, ein anderer war der erste bundesweite Schulstreik am 12.11. mit 100.000 TeilnehmerInnen. Ein wichtiger Fokus für Widerstand kann und muss auch die von der Gewerkschaftslinken vorgeschlagene bundesweite Großdemo gegen die Krise Anfang 2009 sein. Auch die Demos für Karl und Rosa im Januar in Berlin und gegen die Sicherheitskonferenz in München sowie die internationale Anti-Nato-Mobilisierung im März in Strassburg müssen genutzt werden, um den Widerstand gegen imperialistischen Krieg und Demokratieabbau mit dem Kampf gegen die Krise zu verbinden und zu machvollen antikapitalistischen Manifestationen zu machen.

Entgegen der Strategie der Regierung und ihrer reformistischen Adjutanten muss die Arbeiterbewegung eigene Antworten auf die Krise geben!

Offenlegung der Geschäftsbücher, Konten und Finanzpläne! Nur so ist es der Arbeiterklasse möglich, sich einen Überblick über die Wirtschaft zu verschaffen. Nur so ist sie fähig, zu unterscheiden, was wirklich droht oder was nur Drohung ist.

Für eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen gegen die Inflation!

Mindestlohn von 12 Euro/Stunde! Arbeitslosengeld und Mindesteinkommen für RentnerInnen und in Ausbildung Befindliche von 1500/Monat, finanziert aus progressiver Besteuerung der Reichen, der Kapitalisten und VermögensbesitzerInnen!

Enteignung der Banken, Anlagefonds, Devisen-, Warentermin- und Aktienbörsen sowie deren Zusammenlegung zu einer einheitlichen Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Enteignung der großen Konzerne unter Arbeiterkontrolle - beginnend mit allen Unternehmen, die drohen, Löhne zu kürzen und ArbeiterInnen zu entlassen! Gleitende Skala der Arbeitszeit!

Ein solches Notprogramm gegen die Krise lässt sich nicht durch Appelle und Bitten erreichen. Es muss erkämpft werden. Es wird auch von keiner bestehenden Partei oder möglichen „linken“ Regierung umgesetzt werden.

Dazu sind Massenaktionen, Streiks, Besetzungen und die Bildung einer Arbeiterregierung notwendig, die sich auf die räteähnliche, direkt-demokratische Kampforgane einer solchen Mobilisierung stützt.

Doch um eine solche Perspektive Wirklichkeit werden zu lassen - eine Perspektive des revolutionären Sturzes der Herrschaft des Kapitalismus und des Übergangs zu einer sozialistischen Gesellschaft - bedarf es nicht nur des Kampfes. Es bedarf auch einer politischen Organisation, die eine Strategie und Taktik erarbeitet und umsetzt, um die verschiedenen Kämpfe zu vereinen: einer revolutionären Arbeiterpartei.

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Nr. 135, Dez.Jan 2008/09
*  Klassenkampf 2009: Ein Jahr der Krise
*  31. Januar: Vorbereitungstreffen für bundesweite Demo
*  Metallabschluss: Schlappe im Kampf gegen die Krise
*  Heile Welt
*  Öffentlicher Dienst Berlin: Schlechter geht's (n)immer
*  Perspektiven des Bildungsstreiks: Für eine anti-kapitalistische Jugendbewegung!
*  Frankreich: Neue Kämpfe, neue Partei
*  Indien: Nach dem Anschlag - vor dem Krieg?
*  Griechenland: Aufstand gegen die Krise
*  Theorie: Luxemburgs Beitrag zum Marxismus