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Tunesien

Das Attentat von Sousse

Erklärung des Politischen Komitees von Workers Power, 29. Juni 15, Infomail 829, 7. Juli 2015

Wir verurteilen das terroristische Attentat in Sousse, Tunesien, verübt von Tätern, die sich zum Daesch (Islamischer Staat) bekennen. Dem Attentat fielen 37 zumeist europäische UrlauberInnen zum Opfer. Nichts kann solche und ähnliche Attentate wie beim Bardo-Museum im März in Tunis rechtfertigen, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen.

Eine Hauptmotivation für diese Attentate ist ökonomische Sabotage, um die Fremdenverkehrsindustrie des Landes zu treffen, die 15% der Gesamtwirtschaft Tunesiens ausmacht und 473.000 Arbeitskräfte beschäftigt, das sind 13,8% aller Beschäftigten. Das Land hat eine Arbeitslosenrate von 17,5%.

Deswegen ist das Attentat auch ein Anschlag auf die tunesische ArbeiterInnenklasse, deren Gewerkschaften und sozialistische Parteien dem reaktionären Druck von Seiten salafistischer Parteien und anderer sektiererischer Eiferer, auf deren Konto die Ermordung von Linken und Gewerkschaftern durch bewaffnete Djihadisten gehen, standgehalten haben.

Diese Morde sind Teil einer laufenden Offensive von radikalen Islamisten gegen die demokratischen Errungenschaften des Arabischen Frühlings von 2011 in Tunesien. Die entsetzlichen Folgen der konterrevolutionären Rolle, die diese und ähnliche Gruppierungen anderweitig spielen, sind am deutlichsten in Syrien und im Irak zu sehen. Dort teilen sie jedoch die Schuld mit dem mörderischen syrischen Bashar al Assad-Regime und der von westlichen Imperialisten angeführten Allianz, die hier und im Irak militärisch interveniert hat.

An anderen Schauplätzen wie in Ägypten haben pro-US- und pro-EU-Diktaturen wie die von Abdel Fattah al-Sisi weitestgehend die alte Ordnung wiederhergestellt, während eine Allianz der Ölmonarchien in der Persischen Golfregion und auf der Arabischen Halbinsel die jungen revolutionären Kräfte v.a. in Bahrain niedergeschlagen hat.

Inzwischen haben rivalisierende reaktionäre Kräfte im Irak und in Syrien, die sowohl pro-USA (Saudi-Arabien, Jordanien) wie anti-USA (Daesch, Assad-Regime, Iran und schiitische Sektierer des irakischen Staats) orientiert sind, verheerende Auswirkungen in beiden Ländern angerichtet.

Das Attentat in Tunesien passierte am selben Tag, als bei einer weiteren Attacke bei Lyon, Frankreich, ein Mann enthauptet und drei weitere verletzt wurden. Auch dieses Attentat wurde der Daesch-Gruppierung zugeschrieben. In einer Hörbotschaft wandte sich letzte Woche der syrische Daesch-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani an Sympathisanten, ähnliche Attentate in ihren jeweiligen Ländern durchzuführen: „Muslime, begebt Euch eilends zum Heiligen Krieg (...) O Gotteskrieger überall, eilt Euch und macht den Fastenmonat Ramadan zu einem Monat der Katastrophe für die Ungläubigen.“

Die Absichten dieser Führer, die solche Attentate anregen und weitertragen, spiegeln die Absichten der rassistischen islamfeindlichen Kreise in Europa wider und tragen dazu bei, die europäischen muslimischen Minderheiten von ihren nicht-muslimischen MitbürgerInnen zu isolieren und zu entfremden.

Auch in Kuwait übernahm die Daesch-Bewegung die Verantwortung für eine Explosion, die sich in einer schiitischen Moschee in der Hauptstadt nach den Freitagsgebeten am selben Tag wie die abscheulichen Taten von Tunesien und Frankreich ereignete. Dies ist die Kehrseite der provokativen Strategie der radikal eifernden djihadistischen Reaktion in Europa: den sektiererischen Hass in arabischen und muslimischen Ländern schüren und davon profitieren. Die meisten ihrer Opfer sind nämlich andersgläubige Muslime.

Die Propagandastrategie des Imperialismus steuert darauf zu, den ‚Radikalismus’ als Strömung zu identifizieren, der nicht nur die muslimische Reaktion, sondern auch jegliche Gegnerschaft gegen Imperialismus und Krieg betrifft. Diese Strategie wurde nach den Massenmobilisierungen 2003 entwickelt, als Millionen Muslime wie Nicht-Muslime gegen den Krieg auf die Straße gingen. Der Zweck ist, Muslime dazu zu treiben, dass sie ihnen Gefolgschaftstreue geloben oder zumindest ihre Feindschaft gegen die westlich imperialistische Besatzungs- und Unterjochungspolitik in Nahost aufzugeben.  Diese Strategie wirkt jedoch nicht wegen der reaktionär blutigen Spur des Verbrechens, die der Imperialismus nach sich zieht.

Die Erklärungen von Cameron, Hollande und Obama, die die Barbarei des islamistischen Terrorismus verurteilen, sind pure Heuchelei, weil sie von Staatschefs kommen, die überall in Nah- und Mittelost Bevölkerungen haben bombardieren und mit der ‚Schock- und Schrecken’-Strategie terrorisieren lassen. Sie unterstützen die krimininelle wahabitische Saudi-Monarchie, die den Jemen seit dem 25. März bombardiert, und die Monarchie in Bahrain, die die demokratische Bewegung durch Kumpanei aus Saudi-Arabien und Katar und Billigung durch die britischen und US-Regierung brutal unterdrückt hat. Die Vorfälle und der Terror, die unbeteiligte Menschen in den Tod gerissen haben, übersteigen bei weitem die Zahl der von den djihadistischen Gruppen in Europa oder Nordamerika verübten Akte.

Obwohl Al-Kaida, der Islamische Staat u.a. djihadistische Gruppen als konterrevolutionäre Kräfte ihre Wurzeln in den politischen Kämpfen der arabischen Region während der letzten 40 Jahre haben, spielten doch die Westmächte eine enorme Rolle bei deren Förderung und Bewaffnung in der letzten Etappe des Kalten Krieges. Sie halfen dem westlichen Imperialismus, den Kalten Krieg zu gewinnen. Nachfolgend begünstigte dies jedoch die Etablierung ihrer früheren Hilfstruppen besonders in Afghanistan und verlieh ihnen Glaubwürdigkeit als vermeintliche Avantgarde des islamischen Kampfes gegen fremde Bevormundung.

Zbigniew Brzesinski, der Sicherheitsberater des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, gibt nicht nur zu, dass er 1979 bewusst den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan provoziert habe, sondern dort ebenso bewusst den djihadistischen Terror gefördert hat. Er bedauert dies bis heute nicht.

In einem Interview mit dem französischen Nachrichtenmagazin Le Nouvel Observateur vom Januar 1998 erwiderte Brzesinski  auf die Frage, ob er bedaure „den islamischen Fundamentalismus unterstützt zu haben, indem er Waffen und Rat künftigen Terroristen gegeben habe“ mit der Gegenfrage: „Was ist am wichtigsten für die Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetreichs? Einige aufrührerische Moslems oder die Befreiung Mitteleuropas und das Ende des Kalten Kriegs?“

Die ‚aufrührerischen Moslems’ haben den USA immerhin seither eine oft gebrauchte Entschuldigung für ihre Invasionen und Besetzungen geliefert.

Also hat der von den Westmächten beschworene ‚Krieg  gegen den Terror’, in dessen Namen die Invasionen in Afghanistan und Irak durchgeführt wurden, das Wachstum der reaktionär djihadistischen Gruppierungen beflügelt. Diese präsentieren sich als einzig wirksame Kraft gegen die neuen ‚Kreuzfahrer’. Ohne diese Auswirkung auf junge Menschen im Westen, deren Familien aus muslimischen Ländern stammen, wäre kein scheinbar mysteriöser Prozess der ‚Radikalisierung über das Internet’ denkbar und in der Lage, sie dazu zu bewegen, sich der Daesch-Bewegung anzuschließen oder terroristische Attacken in den eigenen Ländern zu begehen. Polizeiliche Versuche, junge Menschen auszuspionieren und zu kriminalisieren, werden nur kontraproduktiv sein, weil sie bei den jungen Menschen so ankommen, als seien die konterrevolutionären Kräfte eine wahre antiimperialistische Widerstandsbewegung.

Die Arbeiterbewegung und die Linke muss ihnen beweisen, dass es einen wirklich gangbaren Weg gibt, den Imperialismus in Nahost und Merkel und Co. zu Hause zu bekämpfen. Unser Aufruf an sie lautet: Schließt Euch uns an bei der Entlarvung der Verbrechen eurer Herrscher und bei der Unterstützung für die fortschrittlichen und wirklich antiimperialistischen Bewegungen in Nahost!

SozialistInnen und KriegsgegnerInnen in Europa müssen sich einhellig gegen alle Formen von Islamfeindlichkeit und Angriffen auf Moslems stellen. Sie müssen ihnen die Hand entgegen strecken für gemeinsame Verteidigung und Kameradschaft mit muslimischen Gemeinden überall. Wir müssen auch beweisen, dass es hier bedeutende gesellschaftliche Kräfte gibt, die gegen die westlich imperialistischen Invasionen und Ausbeutungen der Länder der arabischen und muslimischen Sphäre auftreten.

Welche abscheulichen Attacken die djihadistischen Terroristen auch verüben mögen, wir müssen betonen, dass die Wurzeln der Konflikte in Nahost in der Teilung und Plünderung der Region im letzten Jahrhundert durch die imperialistischen Mächte Europas und Nordamerikas liegen. Nur durch den Sturz der herrschenden Klassen im eigenen Land und der ihnen dienenden diktatorischen Regierungen in den imperialisierten Ländern können Frieden, Freiheit und ein Ende der Ausbeutung für alle Völker erreicht werden.

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