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Die Troika will Griechenland ausbluten

Oxi! Nein zu den imperialistischen Blutsaugern!

Martin Suchanek, Infomail 828, 29. Juni 2015

Schäuble, Merkel, Lagarde und Company wollen Griechenland offenkundig wirtschaftlich „ausbluten“. Wochenlang haben die Gläubiger mit immer neuen Forderungen die Regierung Tsipras von einer Erpressung zur anderen gejagt. In den letzten Wochen wurden wir Mal für Mal Zeuge eines schäbigen Spiels. Die griechische Regierung hätte „zu liefern“, also weitere Kürzungen vorzunehmen, Privatisierungen zuzustimmen, die Renten zu „reformieren“ und von den Resten ihrer „überzogenen“ Wahlversprechen abzurücken. So die Forderungen von EU, EZB, IWF. Erfüllten Tsipras und Varoufakis diese Zumutungen weitestgehend, kam der Nachschlag aus Berlin oder vom IWF. Die griechische Regierung hätte es wieder versäumt, sich „konstruktiv“ zu verhalten, würde „unser Geld“ frei Haus haben wollen.

Dabei fließt dieses Geld zumeist ohnedies wieder in die Hände der Gläubigerstaaten, an privates internationales oder griechisches Kapital. Vor allem aber wurde zunehmend klar, dass die Imperialisten an Griechenland ein Exempel statuieren wollten.

Und das haben sie getan, als Tsipras keine weiteren Zugeständnisse mehr „liefern“ konnte. In dieser Situation trat die griechische Regierung die „Flucht nach vorne“ an. Sie entschied, die eigene Bevölkerung über die Diktate der Troika abstimmen zu lassen.

Diesen „Vertrauensbruch“ konnten Schäuble, Lagarde, Juncker und die ganze Bande von Staats- und Regierungschefs, von Finanzministern, Vertretern von IWF und EZB natürlich nicht akzeptieren. Selbst bei einer Zustimmung zu ihren Plänen durch die griechische Bevölkerung würde das „Angebot“ der Gläubiger nicht mehr stehen, drohte Lagarde.

Geht es um ihre Sparprogramme, geht es um Auflagen und Kürzungsdiktate, gilt ein Referendum als Provokation. Wer die Entscheidung über Spardiktate der Bevölkerung überlassen will, hat im politischen Establishment seinen letzten Kredit verspielt, kann keinesfalls mehr als „verlässlicher“ Partner gelten.

Was droht?

Die Reaktion der EU, der Regierungschefs und Finanzminister zeigt, was jetzt auf Griechenland zukommen wird. Die EZB wird droht den Geldhahn für die Banken abdrehen oder jedenfalls „einzufrieren“. Das Land wird finanziell ausgeblutet. „Ihr könnt in der Eurozone bleiben“, so die Botschaft von Schäuble, „nur Euros kriegt ihr keine mehr“.

Das ist die Strafe dafür, dass ihr „das Gesicht wahren“ wolltet, dass ihr nicht bereit wart zur „totalen Kapitulation“, sondern nur zu 90 Prozent. Jetzt zeigen EU und IWF ihr „wahres Gesicht“. Sie treiben Griechenland bewusst in den finanziellen Ruin. Der Geldfluss soll zusammenbrechen. Die „Märkte“ sollen ihr Urteil sprechen, die Banken dichtmachen. Wirtschaftliches Chaos und Niedergang werden in Griechenland nicht in Kauf genommen, sondern provoziert. Umso zynischer ist es, wenn jetzt alle EU-PolitikerInnen, insbesondere ihre Sozialdemokraten wie Schulz und Gabriel, versichern, dass sie keinesfalls die griechische Bevölkerung treffen wollten.

Diese Spiel ist einfach und durchsichtig. Der Boden soll für den Sturz der Regierung bereitet werden. Die Misere im Land soll so sehr verschärft werden, bis sich die Verzweiflung der Bevölkerung gegen die Regierung wendet und diese ihre Basis in der Gesellschaft wie im Parlament verliert – sei es durch Überläufer und einen Bruch innerhalb Syrizas, einen Bruch der ANEL mit „Linksradikalen“, sei es durch den „Ruf nach Ordnung“ durch den Staatspräsidenten oder das Militär.

Druck von allen Seiten

Tsipras und die Syriza-Führung hoffen, dass ihnen ein Referendum neuen Spielraum verschafft. Der Abbruch der Verhandlungen zeigt, dass die Regierung nicht nur von Seiten der Imperialisten unter mächtigem Druck stand, dem sie Monat für Monat auch immer mehr nachzugeben bereit war. Er zeigt auch, dass die Syriza-Führung unter dem Druck der eigenen Partei, ihrer Mitglieder, des stärker werdenden linken Flügels, in letzter Instanz der griechischen ArbeiterInnenklasse stand und steht. Syriza ist nicht nur eine reformistische Partei, deren Führung den griechischen Kapitalismus im Zusammenspiel mit den „Institutionen“, also dem deutschen Imperialismus, der EU und dem IWF, „reformieren“, retten will. Sie ist nicht nur eine Partei, deren Führung in den letzten Monaten immer wieder gezeigt hat, dass sie keinen Bruch mit dem Kapitalismus will, die eine Koalition, eine Volksfrontregierung mit der ultra-rechten, rassistischen ANEL bildete, die selbst die Spitzenfunktionäre des griechischen Staatsapparates im Amt ließ und einen Konservativen zum Staatspräsidenten wählte. Sie ist auch eine Massenpartei der griechischen ArbeiterInnenklasse, die von ihrer Parteispitze in den letzten Wochen immer schwerer zu domestizieren war. Tsipras und Varoufakis haben sich bemüht, dies zu bewerkstelligen, doch offenkundig erreichte der Druck aus der eigenen Partei angesichts der immer maßloseren Erpressung durch die Troika einen kritischen Punkt. Undank ist der Imperialisten Lohn. Die Kapitulation vom Februar 15, die zur Verlängerung des „Hilfsprogramms“ durch die Troika führte, reicht ihnen längst nicht.

Ein Referendum in dieser Situation ist keine neue Erfindung der Tsipras-Regierung, durch diese Ankündigung scheiterte schon die Regierung Papandreou 2011. Damals wurde die PASOK gespalten und es wurde eine „Einheitsregierung“ aus den Resten von PASOK unter Venizelos, der ND mit Samaras und der rechtspopulistischen LAOS, welche damals noch im Parlament vertreten war, gebildet. Ministerpräsident wurde damals der EZB-Vizechef Papadimos. Diese Szenarien liegen jetzt ganz offen auf dem Tisch und erste Kommentatoren sprechen schon unverblümt von den Absichten der ND, die aktuelle Regierung zu stürzen (Tagesschau 29.6.15).

Dementsprechend ist das Referendum der Syriza-Regierung nur ein letzter Ausweg, um ihre Partei und Regierung zu stabilisieren. Es ist nicht der „Kampf um die Demokratie“, sondern vor allem auch eine Verzweiflungsmaßnahme, sich des Rückhalts im Volk zu versichern.

Liberale und reformerische Kommentatoren kritisieren die westlichen Staatsführungen, darunter auch die Bundesregierung dafür, dass sie willentlich den Ruin Griechenlands in Kauf nehmen, nicht anerkennen, dass ein Teil der Schulden eben abgeschrieben werden müsse, dass die Sparmaßnahmen das Land nur weiter nach unten drücken. Sie plädieren für einen „vernünftigen“ Kurs, der dem der griechischen Regierung nicht ganz unähnlich ist. Die Bundesregierung, die EU und der IWF sollten doch die Kuh nicht schlachten, die sie melken wollen.

Doch diese bürgerlichen Kritiker verstehen nicht, dass es bei der „Griechenlandhilfe“ nicht um eine rein ökonomische Frage geht und schon gar nicht um eine über den Klassen stehende „vernünftige“ Wirtschaftspolitik im Interesse des Gemeinwohls. Es geht vielmehr um die „Neuordnung“ Europas im Interesse des deutschen Imperialismus. Ein Teil der Neuordnung ist Unterwerfung – nicht nur oder in erster Linie von Tsipras, sondern aller „schwächeren“ Länder Südeuropas. Vor allem aber geht es um die Unterwerfung der ArbeiterInnenklasse, der Bauern, der Jugend, aller Kräfte, die Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals leisten oder auch nur leisten könnten.

Gelingt es, durch neue Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Griechenland nicht nur die Regierung zu stürzen, sondern auch die ArbeiterInnenklasse, jeden Klassenwiderstand vernichtend zu schlagen, so ist auch der weitere Verbleib Griechenlands in der Eurozone kein Problem mehr. Dann wird sich, um in Merkels Worten zu sprechen, nicht nur ein Wille, sondern auch ein Weg finden.

Die griechische Regierung hat zwar viel getan, um der Troika entgegenzukommen. Die Imperialisten (und wohl auch Teile der griechischen Bourgeoisie) trauen ihr aber nicht zu, die Lage wirklich in den Griff zu bekommen. Sie fürchten vielmehr, dass jeder Anschein eines „Zugeständnisses“ an Tsipras auch in anderen Ländern eine Wende zu linken Parteien begünstigen könnte. Etliche dürften selbst fürchten, dass sich in Griechenland eine Situation entwickelt, wo die Politik von Tsipras zu einer Ablösungstendenz nach links führen könnte, wo sich die ArbeiterInnenklasse, die Basis von Syriza und die Linke außerhalb Syrizas zu einer gefährlichen Kraft formieren könnten, die die Regierung weiter treibt, als sie selbst will, oder die diese von links stürzen könnte.

Einer solchen Entwicklung will der Imperialismus durch die Destabilisierung des Landes vorgreifen, Chaos schaffen, um so den Ruf nach Ordnung zum Ruf für eine neue, mehr oder weniger offen diktatorische Regierung zu nutzen – sei es durch eine „Regierung der Nationalen Einheit“, ein „Expertenkabinett“ oder gar einen Putsch.

Oxi!

Je mehr beim Referendum mit NEIN stimmen, umso schwerer wird die rasche Umsetzung eines solchen Vorhabens. Aber das Referendum selbst löst umgekehrt keine Frage, vor der nun die griechische Bevölkerung steht. In gewisser Weise ist es selbst ein Zeichen dafür, dass die Regierung nicht die direkte Verantwortung für die nächste politische Entwicklung übernehmen will. KeinE ArbeiterIn, kein Jugendlicher, KeinE Arbeitslose/r hätte ihr den Abbruch der Verhandlungen, ein klares Oxi! zu den Erpressungen der Troika schon vor einigen Wochen verdenken können. Die Wahrheit ist, dass Tsipras und Co. eigentlich einen „Kompromiss“ wollten, zur Erfüllung fast aller Forderungen der Gläubiger bereit waren. Aber dieser Weg wurde für sie politisch immer schwerer.

Daher steht die Lage jetzt Spitz auf Knopf. Die ArbeiterInnenklasse in ganz Europa und weltweit muss der griechischen Bevölkerung beistehen. Jede Einmischung der EU, des IWF, einzelner Regierungen wie der deutschen oder auch der NATO muss bekämpft werden. In allen Ländern sind Solidaritätsaktionen nötig, die sich gegen die Diktate der Imperialisten wie das finanzielle Ausbluten Griechenlands wenden und die sofortige Streichung der Schulden fordern. Weder in Griechenland noch in den anderen Ländern sollen die Lohnabhängigen für die Krise bezahlen, sondern die Banken und Konzerne! Ein europaweites Bündnis aller Linken, aller Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien ist nötig, um mit allen Mitteln mobil zu machen.

Die Europäische Union scheut heute noch davor zurück, selbst die Verantwortung für einen Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion zu übernehmen. Sie stellt dem Land vielmehr ultimativ die Alternative, selbst „freiwillig“ auszuscheiden oder vollständig gegenüber den Gläubigern zu kapitulieren. Als RevolutionärInnen lehnen wir jeden Ausverkauf der Forderungen der Lohnabhängigen, jedes Nachgeben gegenüber den Diktaten der EU ab.

Aber wir halten auch die Losung großer Teile der radikalen Linken in Griechenland, dass die Regierung den Austritt aus dem Euro erklären solle, für falsch, ja politisch abenteuerlich angesichts der unvermeidlich folgenden weiteren Destabilisierung der griechischen Wirtschaft, kaum aufzuhaltenden freien Falls jeder neuen Währung und der damit verbundenen Verarmung der Lohnabhängigen. Unserer Auffassung nach liegt die Lösung des Problems vielmehr in der Internationalisierung des Kampfes, dem gemeinsamen Kampf gegen alle Kürzungsdiktate und Erpressungsmanöver gegenüber Griechenland.

Notprogramm

In Griechenland selbst wiederum braucht es ein Programm, um der drohenden katastrophalen Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Lage entgegenzuwirken und die Bedürfnisse der Bevölkerung zu sichern. Dazu sind nicht nur Kapitalverkehrskontrollen notwendig, sondern auch grundlegende Eingriffe in die kapitalistische Eigentumsordnung. Dazu gehören die entschädigungslose Eineignung des Großkapitals, ausländischer wie griechischer Unternehmen, insbesondere aller Banken; die Konfiskation der Vermögen der Superreichen; ein Notplan zur Sicherung der unmittelbaren Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung, vor allem der Armen. Dieser wiederum setzt voraus, dass die ArbeiterInnenklasse durch eigene Untersuchungskommissionen alle Vermögenswerte, Reichtümer, Produktionsmittel usw. erfasst. Kurz gesagt: Enteignung, ArbeiterInnenkontrolle und ein gesamtgesellschaftlicher Plan sind eine dringende Notwendigkeit, soll die Bevölkerung unter dem Druck der Währungskrise, des Zusammenbruchs des Zahlungsverkehrs und aufgrund ausbleibender Gehälter nicht noch mehr verarmen und entmutigt werden.

Ein solches Programm würde freilich auf den erbitterten Widerstand nicht nur des griechischen und internationalen Kapitals und die Sabotage durch den bürgerlichen Staatsapparat stoßen, sondern auch des Koalitionspartners ANEL und des Staatspräsidenten. Die Koalition mit ANEL wird sich als Fallstrick entpuppen. Wir fordern von Syriza den Bruch mit diesen Ministern, die sich unweigerlich gegen die Enteignung ihrer eigenen Klasse wehren werden. Auch wenn wir die griechische Regierung gegen jeden Umsturzversuch der Imperialisten verteidigen, so ist auch klar, dass die weitere Entwicklung einen Bruch mit der ANEL erfordert.

Wir wissen aus Erfahrung, dass die Syriza-Spitze dazu nicht freiwillig bereit sein wird. Im Gegenteil, sie zieht noch immer einen Deal mit der Troika einer anti-kapitalistischen Politik vor. Doch nur diese kann in der aktuellen Situation einen Ausweg weisen. So wichtig daher das NEIN beim Referendum ist, so wichtig ist es zugleich, die ArbeiterInnenklasse, die Jugend, die Massen für ein revolutionäres Programm von Übergangsforderungen zu gewinnen und zu mobilisieren.

Massenversammlungen zur Mobilisierung für das NEIN sollen daher nicht „nur“ Wahlveranstaltungen sein. Sie sollen auch über die weitere Perspektive beraten und die Selbstorganisation der Massen in Form von betrieblichen und kommunalen Aktionskomitees vorantreiben. Diese können zu Organen einer alternativen Macht zum bürgerlichen Staatsapparat werden, zur Basis für eine ArbeiterInnenregierung, die das Kapital enteignet, einen demokratischen Notplan unter ArbeiterInnenkontrolle durchsetzt, den Staatsapparat durch Räte und Milizen ersetzt.

Eine solche Regierung würde sich natürlich noch immer in höchster Not befinden. Die griechische Wirtschaft ist eng mit der europäischen Gesellschaft verbunden. Eine grundlegende soziale Veränderung müsste daher nicht nur von der ArbeiterInnenklasse in ganz Europa gegen jede Intervention, wirtschaftliche Erpressung und Isolierung verteidigt werden. Sie könnte letztlich nur überleben, wenn sie auch in anderen Ländern Schule machen, zum Ausgangspunkt für weitere Umstürze und Vereinigte Sozialistische Staaten Europas würde.

Die griechische ArbeiterInnenklasse hat in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass sie bereit ist, gegen scheinbar übermächtige Gegner zu kämpfen. Sie hat es geschafft, das alte Parteiensystem zum Einsturz zu bringen. Millionen haben ihre Hoffnungen in Syriza und Tsipras gesetzt. Aber letztlich braucht die ArbeiterInnenklasse eine Partei, die nicht nur Reformen verspricht, sondern die eine revolutionäre Unwälzung anführt – eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei. Die gegenwärtige politische Polarisierung in Griechenland wie in Syriza und der ArbeiterInnenbewegung sind auch der Nährboden, auf dem eine solche Partei geschaffen werden kann, eine Partei, die ihrerseits zu einem Ausgangspunkt werden könnte für den Aufbau einer neuen Internationale, einer Weltpartei der sozialistischen Revolution.

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