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Ägypten unter al-Sisi

Russisches Kapital als Retter?

Bericht Felix Wiesel aus Ägypten, Infomail 774, 1. Oktober 2014

Seitdem Investitionen und Tourismus zurückgegangen sind, steckt Ägyptens Wirtschaft in der Krise. Zur Behebung der Probleme macht das Sisi-Regime Versprechungen, deren Realisierung jedoch auf sich warten lassen. Ausländische Investoren sollen helfen, neben US-amerikanischen und europäischen auch russische.

Das liegt natürlich im Interesse Russland, das durch die Sanktionen der EU und der USA gezwungen ist, neue Handelspartner und Absatzmärkte zu suchen und sich eine neue Rolle in der halbkolonialen Welt zu sichern.

Abkommen mit Russland

Am 15. September 2014 unterzeichneten Gasprom und der ägyptische Minister für Handel und Industrie, Mounir Fakhry Abdel Nour, ein Abkommen, das Ägypten ab Anfang Dezember sieben Schiffslieferungen Flüssiggas von ungewissem Volumen zusichert. Im Gegenzug unterzeichneten Gazprom und die Egyptian Natural Gas Holding Company (EGAS) einen Vertrag, der dem Russischen Konzern die Rechte an der Erforschung von Gas- und Ölfeldern in Ägypten zuschlägt.

Zugleich wurde ein Abkommen geschlossen, das den Handel zwischen den beiden Ländern steigern soll. In erster Linie soll das Handelsabkommen den Export von Agrarprodukten aus Ägypten nach Russland forcieren. 2013 lag der Handel Ägyptens mit Russland bei 3 Mrd. US-Dollar, davon entfielen 454 Millionen auf ägyptische Exporte. Das Volumen ist ist seither um 30% gestiegen. Das Abkommen soll den Handel nochmals um 30% steigern. Das Schema einer Kolonialökonomie liegt bei alldem offen zutage: Russland sichert sich den Zugriff auf ägyptische Rohstoffe und speist das Land mit billigen Almosen in Form von Gaslieferungen ab.

Gleichzeitig ist Ägypten jedoch abhängig von Getreide-Importen: Frankreich wird 180.000 Tonnen Weizen leifern, um die Nahrungsmittelversorgung bis Februar zu sichern. Ägypten zahlt dafür 247,49 US-Dollar pro Tonne.

Nicht nur Russland

Die Preise von Öl und Gas steigen und derzeit bemüht sich nicht nur Russland, diese Situation für  zusätzlcihe Gaslieferungen auszunutzen. Auch die Weltbank hat dem Land einen Kredit über 500 Millionen Dollar für die Gasversorgung zugesichert. Und auch aus Israel soll Gas importiert werden, um die Energieversorgung zu sichern.

In Alexandria wird der Strom derzeit regelmäßig abgestellt: in jedem Viertel gehen ein- bis zwei mal am Tag die Lichter aus und die Leute streiten sich darüber, ob das nun geschieht, um die Leute zu ärgern, um Extraprofite zu kassieren oder um Energie zu sparen. Seit der Sisi-Regierung nimmt die Zahl der Stromausfälle zu wie die Preise für Benzin, was natürlich Auswirkungen auf die Preise anderer Waren hat: "Die Preise verdoppeln sich jährlich" heißt es.

Al-Sisi will der Krise Ägyptens durch eine Umstrukturierung der Außenpolitik in Richtung Russland (um so zumindest den Manövrierspielraum des Landes zu erhöhen), Handelsabkommen und Grossprojekte entgegentreten. Der Suezkanal soll ausgebaut und in zwei Richtungen beschiffbar werden. In der offiziellen Propaganda soll das Arbeitsplätze schaffen und das Land aus der Wirtschaftskrise führen.

Aber die Aussichten sehen für die Mehrheit der ÄgypterInnen anders aus: sie können an diesen Unternehmen nicht teilhaben, weil Berufsvergabe und Profite unter der Kaste ehemaliger Militärs aufgeteilt werden. Ehemalige Offiziere erhalten zwar eine Rente, sichern sich das große Geld aber durch den Eintritt in die Bürokratie oder den freien Markt. Auf diese Art ist das ägyptische Militär eng mit der Wirtschaft verbunden.

Repression

Gleichzeitig sichert die neue Regierung ihre Position durch Repression. Seit dem Militärputsch Al-Sisis gegen Mohammed Morsi im Juli 2013 ist die Zahl der getöteten JournalistInnen in Ägypten stark angestiegen. Waren es zwischen dem Beginn der Revolution 2011 und dem Ende der Morsi-Regierung noch drei vom Militär getötete JournalistInnen, sind seit 2013 acht weitere gestorben. Etwa 80 JournalistInnen befinden sich derzeit in Haft. Neben einer Kampagne internationalen Senders Al-Jazeera für seine in Ägypten inhaftierten drei Journalisten klagen auch internationale Journalisten-Verbände wie das amerikanische "Committee to Protect Journalists" und das französische "Reporters Without Borders" die ägyptischen Verhältnisse an und fordern ein Ende der Zensur.

Auch die Kampagnen politischer Gruppen sind auf die inhaftierten AktvistInnen konzentriert und wird getragen von einer Welle von Hungerstreicks, die sich gegen das repressive Versammlungsrecht wenden, das die übliche Form des Protests enorm erschwert; die Zahl der Inhaftierten ist horrend und unter ihnen viele Kader und charismatische Gesichter der linken Bewegung.

Gegenüber den Muslimbrüdern ist die Stimmung angespannt, ja hetzerisch. Explodiert irgendwo im Land eine Bombe, sollen es die Muslimbrüder gewesensein, obwohl sie selbst sich "friedlichen Aktivismus" zuschreiben. "Wenn du einen Stein auf ein Fenster wirst, sag, es waren die Muslimbrüder und alle werden es glauben!" Dabei ist die Struktur der ehemals bestorganisierten Oppositionsorganisation geschwächt, nachdem hunderte Anhänger getötet, verhaftet und ihre Kader verurteilt wurden. Doch das Regime braucht dieses Feindbild und hält es aufrecht. Dabei werden die Muslimbrüder mit dem Islamischen Staat (IS) oft über einen Kamm geschert. Damit wird ein Feindbild aufrecht gehalten, das die Rückkehr der Polizei in die Viertel rechtfertigen soll. Damit erobert sie sich die Position zurück, die sie während der Revolution verloren hat.

Zweimal haben die Militärs die Hoffnungen verraten, die in sie gesetzt wurden. Jetzt versucht Aal-Sisi sein Regime zu etablieren und muss sich dabei gegen die noch immer aktiven Teile der Bewegung durchsetzen. Al-Sisi und das Militär haben ihre Herrschaft weitgehend neu aufgerichtet und halten die politischen und wirtschaftlichen Fäden in der Hand. Aber sie stehen nun einer Gesellschaft gegenüber, die durch die Revolution extrem politisiert wurde. Gespräche über die Revolution und das neue Regime werden offen und häufig geführt, was einen großen Unterschied zur Mubarak-Zeit darstellt.

Die jahrelangen Kämpfe und die Schläge der Konterrevoluton haben der Revolution die Unterstützung der politisch weniger aktiven Teile der Bevölkerung entzogen, die nun empfänglich sind für die Versprechungen al-Sisis nach Sicherheit und Ordnung. Sei rechnen nicht mit einem baldigen Wiederaufflammen der Revolution. Vielleicht in vier Jahren, sagen sie, wenn al-Sisis Wiederwahl zur Disposition steht und er bewiesen hat, dass seine Versprechungen nur hohle Phrasen waren.

In der Tat ist die Situation ungewiss, denn die Erfahrung der Revolution und weite Politisierung der Gesellschaft stehen der Demoralisierung der Massen und Repression des Regimes gegenüber. Al-Sisis größter Feind ist die gesellschaftliche Ordnung, die er verteidigt. Eine wirtschaftliche Belebung und Stabilisierung des ägyptischen Kapitalismus ist auch mit mehr Auslandinvestitionen und einigen Großprojekten unwahrscheinlich. Diese inneren Widersprüche der gesellschaftlichen Ordnung werden sicher wieder hervortreten - auf sie gilt es sich vorzubereiten und dabei aus den Fehlern der Linken beim und seit dem Sturz Mubaraks zu lernen.

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Nr. 193, Oktober 2014
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