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Arbeitszeitverlängerung bei Siemens

Vermeidbare Niederlage

Markus Lehner, Neue Internationale 92, Juli/August 2004

Am 18. Juni bliesen Gewerkschaft, Betriebsräte und Vertrauensleute zum bundesweiten Aktionstag. Nur wenige Tage später wurde zwischen IG Metall-Vorstand und Siemens eine Vereinbarung abgeschlossen, die das Tor Richtung 40-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie weit aufgestoßen hat.

Diese Vereinbarung ist ein Schlag ins Gesicht jener KollegInnen, die am 18.Juni in Verteidigung der 35-Stunden-Woche und gegen die Erpressungspolitik von Siemens & Co auf der Straße waren. Sie fühlen sich verarscht und überlegen, was sie noch in einer solchen Gewerkschaft sollen.

Ergänzungstarifvertrag

Zunächst betrifft die Vereinbarung nur den Ergänzungstarifvertrag für die Handy-Fertigung an den Standorten Kamp-Lintfort und Bocholt. Damit wird für etwa 4.000 Beschäftigte die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich bei zusätzlicher Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld wieder eingeführt. Vorher wurden bestehende 40-Stunden-Regelungen gekündigt, so dass für einige hundert Beschäftigte dabei nun sogar eine 40-Stunden-Woche zur Bezahlung von 35-Stunden herauskommt - eine Lohnkürzung um ganze 30%!

Da außerdem keine Absatzerhöhung in Sicht ist, wird die "Überkapazität" durch den Abbau der erst vor zwei Jahren massiv ausgedehnten Leiharbeit am Standort gekappt. Die PSA hat für Siemens ihre Schuldigkeit getan. Anders, als von den regionalen Gewerkschafts- und SPD-Bonzen verkündet, führt die "vernünftige" Arbeitszeitverlängerung also unmittelbar zu Arbeitsplatzverlusten.

War dieser Abschluss angesichts des starken Druckes unvermeidlich? Von den verantwortlichen Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionären wird der "massive Druck" seitens der betroffenen Beschäftigten und der regionalen Bevölkerung angeführt, der Erpressung nachzugeben - "zum Erhalt der Arbeitsplätze". Anstatt Widerstand aufzubauen, ging die Strategie der IGM-BürokratInnen aber dahin, schon vorher (!) einen schäbigen Kompromiss auszuhandeln. Anstatt die kämpfenden KollegInnen zu unterstützen, fielen sie ihnen in den Rücken!

Ähnliche Fälle (kürzlich erst OTIS Statthagen) zeigen, wie wenig solche "Standortsicherungsvereinbarungen" letztlich wert sind - zudem ist eine Sicherung für nur zwei Jahre selbst schon ein beschämend schlechtes Ergebnis. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel des Trafowerks Nürnberg, wo auch nach dem NRW-Umfaller die KollegInnen in ähnlicher Lage zu dem besagten Angebot sagten: Lieber jetzt aufrecht kämpfen, als in zwei Jahren auf Knien zum Arbeitsamt.

Darüber hinaus ist klar, dass so eine Erpressung auf der einzelbetrieblichen Ebene allein gar nicht beantwortet werden kann. Es war doch von Anfang an offensichtlich, dass sich ein Angriff von derartiger Massivität nicht in Kamp-Lintfort/Bocholt zurück schlagen lässt, sondern nur durch Solidaritätsaktionen auf der Gesamt-Siemens-Ebene.

In diese Richtung zielte ja auch der Beschluss der Betriebsräte-Konferenz in Nürnberg vom Mai, mit der Vorbereitung einer bundesweiten Kampagne und dem Höhepunkt in dem Aktionstag am 18. Juni. Die starke Beteiligung von 25.000 KollegInnen zeigte, dass die Bereitschaft der Basis zum Handeln gegeben war. Wie es in einer Erklärung von Siemens-Betriebsräten aus Frankfurt/M. richtig heißt, zeigt dies, "dass von Anfang an eine sehr viel entschiedenere und spürbarere Antwort auf den Generalangriff des Vorstandes nötig und möglich gewesen wäre!".

Dilemma der Sozialpartnerschaft

Dies haben wir auch in unserem Flugblatt zum Aktionstag vertreten, dass von GenossInnen der ARBEITERMACHT am 18. Juni verteilt wurde (she. Homepage www.arbeitermacht.de). Nicht erst im Ost-Metall-Tarifstreik und in der letzten Tarifrunde zeigt sich nur allzu deutlich, dass die defensive, letztlich immer wieder auf die sozial-partnerschaftliche "Vernunft" der Gegenseite bauende Strategie der Gewerkschaftsbürokratie nicht mehr funktioniert und zu einer Autobahn in die Niederlage geworden ist. Zu entschlossenem Klassenkampf ist diese Führung nicht in der Lage!

Umso wichtiger ist deshalb der Aufbau einer klassenkämpferischen Opposition in Betrieb und Gewerkschaft, die sich systematisch von Betrieb zu Betrieb und überregional vernetzt.

In solchen Auseinandersetzungen wie jetzt bei Siemens müssen wir klar machen, welche Kampfstrategien heute erforderlich sind und warum die gegenwärtige Führung immer mehr zum Hindernis wird. Es kommt darauf an, dass die kritischen und nach einer Alternative suchenden KollegInnen nicht resignieren oder der Gewerkschaft den Rücken kehren, sondern sich einer klar positionierten Opposition anschließen, die für eine Gewerkschaft eintritt, die wirklich kämpft.

Basisbewegung!

Für Siemens heißt dies jetzt, dass wir für die Rücknahme der in der "Rahmenvereinbarung" festgesetzten Strategie der "einzelbetrieblichen Regelungen" kämpfen - es darf kein weiteres Kamp-Lintfort/Bocholt geben!

Dazu müssen wir entschlossene Solidarität mit den Standorten organisieren, die als nächste "dran" sind: Bruchsal, Kirchheim, Nürnberg! Gegen die Ausweitung des Ergänzungstarifvertrags auf diese Standorte müssen wir den für September geplanten Aktionstag in eine wirkliche Streikaktion (ohne Befristung auf einen Tag) umwandeln.

Insbesondere ist auch die Ausweitung des "Service-Tarifvertrags" (38,5-Stundenwoche ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld) auf weitere 19.000 Beschäftigte eine Drohung, die nur mit Streik beantwortet werden kann! Wir müssen den Kampf bei Siemens mit jenen anderer Betriebe verbinden, die jetzt im Fahrwasser der Siemens-Vereinbarung am Dammbruch teilhaben wollen (Daimler-Chrysler, Bosch, MAN, etc.).

Schließlich hat die Erpressung mit der globalen Verlagerungs-Drohung einmal mehr gezeigt, wie wenig die heilige Kuh der Gewerkschaftsbürokratie - das nationalbornierte Konzept der "Standortsicherung" - für die betroffenen Beschäftigten auch hier "am Standort" bringt.

Notwendiger denn je ist die internationale Vernetzung und die Organisierung von internationalen Widerstandsaktionen gegen das vom Kapital betriebene internationale Lohn- und Arbeitszeitdumping.

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neue internationale
Nr. 92, Juli/August 2004

*  Arbeitszeitverlängerung: Keine Sekunde länger!
*  Arbeitszeitverlängerung bei Siemens: Vermeidbare Niederlage
*  Ausbildungsplatzumlage: Ausbildung für alle!
*  Heile Welt
*  Arbeitskampf bei FIAT Melfi: Basis erzwingt Schritt vorwärts
*  Vor 20 Jahren in Britannien: Bergarbeiterstreik
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*  (Anti)Deutsche Demo: Rassisten marschieren
*  Wirtschaftstheorie: Alternative Keynes?
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