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Flüchtende Frauen

Miese Lage - vor, während und nach der Flucht

Dilara Lorin, Revolution, Neue Internationale 217, März 17

Sie fliehen vor patriarchalen Verhältnissen, erleiden sexuelle Gewalt, werden in jeder Hinsicht benachteiligt: schaffen sie es nach Europa, wird es hier nicht besser!

Teufelskreis

Die kriegerischen Auseinandersetzungen der imperialistischen Staaten fordern seit mehreren Jahren abertausende Opfer. Vor allem Frauen und Mädchen leiden darunter. Darüber hinaus ist ihre Lebenssituation in Teilen der Erde, die von imperialistischen Ländern ausgebeutet werden, äußerst schlecht. Sie haben wenig bis keine Rechte, über sich und ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Oftmals ist auch die Bindung an die Familie stärker als in Europa oder Nordamerika und mit ihr die patriarchale Unterdrückung. So bleiben ihnen politische Selbstbestimmung, Organisierung oder Mitspracherechte verwehrt. Mit dem zunehmenden Kräftemessen unterschiedlicher imperialistischer und Regionalmächte suchen viele Frauen und Mädchen einen Weg, um aus dem patriarchalen Teufelskreis, aus der Perspektivlosigkeit und vor Tod, Elend, Vergewaltigung und Krieg zu fliehen.

Durch die Einschränkung des Familiennachzugs letztes Jahr sind auch mehr Frauen, Jugendliche und Kinder gezwungen worden, über unsichere bzw. blockierte Fluchtrouten zu fliehen. Bereits im Jahr 2015 stieg die Zahl von erwachsenen Frauen, die in Griechenland ankamen, von 11 Prozent (Juni 2015) auf 17 Prozent an. Sie erhoffen sich in Europa ein eigenständiges Leben ohne die Abhängigkeit von ihren Familien. Viele sehnen sich danach, ihre schulische Ausbildung zu beenden und finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Doch die Realität sieht anders aus. Mit der Errichtung der Festung Europa, also den Stacheldrahtzäunen, Grenzkontrollen und den zahlreichen Deals mit anderen Staaten, schaffen es immer weniger Frauen und Mädchen nach Deutschland.

Vor allem alleinstehende Frauen, deren Männer tot sind, zu den Rebellen gingen oder von der Armee eingezogen wurden, haben eine doppelte Last. Sie fliehen meistens mit ihren Kindern und/oder mit den älteren Familienangehörigen vor Unterdrückung und Verfolgung aus politischen oder religiösen Motiven. Ihr ständiger Begleiter ist die Angst, vor allem vor sexueller Gewalt. Aufgrund des Mangels an sicheren, offenen Fluchtwegen müssen viele auf der Balkanroute Gewalt erleben. Auch besteht ein Risiko, von Menschenhändlern versklavt und zur Prostitution gezwungen zu werden oder keine andere Möglichkeit zu haben, als sich zu prostituieren.

Familie

Je nach dem, aus welchem sozialen Milieu die Frauen stammen, ist die Angst, von ihrer Familie verstoßen zu werden, eine zusätzliche Belastung. In den Flüchtlingscamps entlang ihrer Route sieht es keineswegs besser aus. Sie werden oftmals nicht einmal als „eigenständiger Haushalt“ angesehen. Ohne Mann bekommen sie somit weniger bis kaum Nahrungsmittel. Hinzu kommt der Mangel an medizinischer sowie psychischer Versorgung, der dazu führt, dass selten die Möglichkeit besteht, Krankheiten, Traumata und andere mentale Belastungen zu behandeln. In den Flüchtlingscamps stehen den Kindern kaum Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung, um ihnen eine Perspektive für ihre Zukunft zu bieten. Denn mit dem Kriegsausbruch bricht auch die gesellschaftliche Moral derart auseinander, dass viele unter dem Patriarchat aufgewachsene und erzogene Männer derart verrohen, dass sie Vergewaltigungen als normal und „ihnen zustehend“ empfinden. Und wenn Frauen oder Mädchen vergewaltigt werden, werden sie oftmals von ihrer Familie verstoßen und als unehrenhaft angesehen. Dies bedrückt Frauen und Mädchen auf der Flucht mit einer zusätzlichen Last (siehe oben).

Und in Deutschland?

Für die wenigen, die es nach Deutschland schaffen, birgt die Ankunft hier oft eine weitere Enttäuschung. Geflohen vor Folter, Vergewaltigung, Perspektivlosigkeit, Krieg und vorm patriarchalen System müssen sie feststellen, dass es keine guten Perspektiven gibt. Allein in Berlin lebten Ende 2016 immer noch 1.600 Menschen in Turnhallen und insgesamt 17.500 in Notunterkünften.

Da es keine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten gibt, sondern provisorische Räume, die als Wohnraum genutzt werden, gibt es neben der allgemein schlechten Ausstattung kaum einen Rückzugsort für Frauen. Solche Unterkünfte, ebenso wie gleichartige für LGBTIAs sind nur in kleiner Zahl zu finden. Praktisch heißt das, dass sie keinen Raum/Ort aufsuchen können, wo sie ungestört von den Blicken der Männer (Personal oder ebenfalls Geflüchteten) ihr Kopftuch ablegen, z. B. ihr Kind stillen oder einfach mal kurz für sich allein sein können. Hinzu kommt die Gefahr von sexueller Belästigung oder Gewalt. Wenige von ihnen erstatten eine Anzeige, denn sie haben zu viel Angst, es könnte negative Auswirkungen auf ihren Asylantrag haben. Positiv zu nennen sind hier die Organisationen „Women in Exile“ und „International Women's Space“. Als selbstverwaltete Geflüchtetenorganisationen versuchen sie, Frauen bei ihrer Ankunft hier zu unterstützen, und machen auf deren spezifischen Probleme aufmerksam.

Aber nicht nur in den Unterkünften gibt es oftmals Schwierigkeiten, auch auf den Ämtern erleiden sie zahlreiche Schikanen. So ist beispielsweise die alleinige Flucht vor Gewalt aufgrund ihres Geschlechtes oder ihrer Sexualität kein anerkannter Bleibegrund, solange keine massenhafte Verfolgung im Heimatland stattfindet. Zwar gibt es eine EU-Richtlinie, die besagt, Schutzmaßnahmen für besonders Schutzbedürftige durchzusetzen, diese wird in Deutschland allerdings nicht eingehalten. Daran kann man sehr gut erkennen, dass die MachthaberInnen (Bourgeoisie) nicht an der Emanzipation der Frau interessiert sind oder sich um die Sicherheit der geflüchteten Frau sorgen. Um tatsächlich effektiv für die Rechte von geflüchteten Frauen zu kämpfen stehen wir dafür ein, dass mit dem kapitalistischen System gebrochen wird, in dem die Unterdrückung der Frau zum Alltag dazugehört!

Kapitalismus und Rassismus

Mit der immer stärker werdenden muslimfeindlichen Politik ist es für Frauen mit einem Kopftuch noch schwerer, in den Arbeitsmarkt einzutreten als für ihre männlichen Leidensgenossen, die sowieso schon als Arbeitsmigranten und/oder Refugees nur erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt finden, weil Arbeits- und Aufenthaltsrecht sie gegenüber deutschen Lohnabhängigen rassistisch diskriminieren. Des Weiteren sind Frauen dann gezwungen, zu Hause zu bleiben und auf die Kinder aufzupassen, weil sie nicht das nötige Geld besitzen, diese ganztags in eine Kindertagesstätte oder einen Hort zu schicken.

Frauen werden im kapitalistischen System immer unterdrückt werden, vor allem jene, welche „außerhalb“ der Gesellschaft stehen, weil sie vor Krieg oder Verfolgung flüchten müssen.

Wir stehen deswegen dafür ein, dass mit der systematischen Frauenunterdrückung gebrochen wird! Schluss mit der Bevormundung von Frauen und Mädchen, mit ihrer Abhängigkeit von den Familienoberhäuptern. Frauen müssen die Möglichkeit besitzen, in den Arbeitsmarkt mit gleichen Chancen einzusteigen wie Männer! Es muss gewährleistet werden, dass es eine kostenlose Kinderbetreuung rund um die Uhr gibt. Wir sind gegen ein staatliches Kopftuchverbot, welches viele muslimische Frauen/ Geflüchtete vom Arbeitsmarkt fernhält und in die Haushalte drängt, genauso wie gegen Kopftuchzwang seitens Mann und Familienvorständen gegen den Willen von Frauen und Mädchen.

Wir fordern:

Festung Europa einreißen! Für sichere Fluchtwege, offene Grenzen und volle StaatsbürgerInnenrechte für alle ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion!

Dezentrale Unterbringung von Geflüchteten! Freie Wahl des Wohnortes! Für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und die Enteignung und Nutzung von leerstehenden Spekulationsobjekten sowie Wohnungen!

Für Schutzräume für junge Mädchen und Frauen in Form von Frauenhäusern, für das Recht aller sozial Unterdrückten auf gesonderte, separate Treffen und Versammlungen unter Ausschluss anderer (Caucusse) in Lagern, Gewerkschaften, politischen Parteien usw.!

Für die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften und gleiche Bezahlung für gleiche Tätigkeitsmerkmale! Schluss mit der Spaltung durch Gender Pay Gap (geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede)! Weg mit Schlechterstellungen wie 80-Cent-Stundenlohn für Geflüchtete!

Für die kollektive Organisierung der Hausarbeit (Essenszubereitung, Kinderbetreuung) und ihre Bereitstellung durch den Staat! Solche Dinge sollen nicht nur auf Frauen abgewälzt, sondern müssen gesamtgesellschaftlich organisiert werden!

Schluss mit rassistischer Hetze! Gegen das Kopftuch- und Burkaverbot, welches viele muslimische Frauen/ Geflüchtete vom Arbeitsmarkt fernhält und in die Haushalte drängt!

Für die Selbstbestimmung, für die Befreiung der Frau in einer klassenlosen Gesellschaft! Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus und umgekehrt!

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Nr. 217, März 17

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