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Rentengipfel

Kürzungen fortgeschrieben

Helga Müller, Neue Internationale 215, Dez. 16/Jan. 17

Ende November stellte SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles das neue Rentenkonzept der Großen Koalition vor. Angepriesen wurde es mit der Stabilisierung der Renten, der längst überfälligen Angleichung des Ost- an das Westniveau und der Verhinderung der zunehmenden Altersarmut - aber genau das Gegenteil ist der Fall:

l Die Rentenangleichung im Osten wird erst 2025 verwirklicht werden, statt wie ursprünglich geplant bis 2018. Im Gegenzug wird die bisher praktizierte Höherbewertung der Löhne und Gehälter in den neuen Bundesländern abgeschafft. Damit wird die jüngere Generation bei Renteneintritt schlechter gestellt als die bisher in Rente gehenden Lohnabhängigen.

l Die Erwerbsminderungsrente (im Falle des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsleben vor Erreichen der Altersgrenze) wurde minimal verbessert, aber nur für die Lohnabhängigen, die zukünftig darunter fallen. Sie erhalten dann die Rente, die sie ab dem 65. Lebensjahr erreichen würden, statt wie bisher ab dem 62. Lebensjahr. Das würde ca. 50 Euro mehr pro Monat bringen. Eine wirksame Bekämpfung der Altersarmut, die vor allem BezieherInnen der Erwerbsminderungsrente trifft, ist das nicht. Die heute schon Betroffenen gehen ganz leer aus, da an den bisher geltenden Abschlägen von bis zu 10,8 % nichts geändert wird.

l Die zweite Säule des Rentensystems - die betriebliche Altersvorsorge - soll gefestigt werden. Das Grundprinzip besteht darin, für die Unternehmen, die bisher keine Betriebsrente anbieten, einen „Anreiz“ zu schaffen: So sollen Unternehmen einen Steuerzuschuss von 30 Prozent erhalten, wenn sie Beschäftigten mit geringem Einkommen (bis 2000 Euro brutto) 240 bis 480 Euro monatlich zahlen, um diesen eine Betriebsrente zu ermöglichen.

Mit der von ihr vorgeschlagenen Solidarrente und der Einbeziehung von Selbstständigen, die nicht über ein berufsständisches Versorgungswerk abgesichert sind, konnte sich Nahles beim Koalitionspartner nicht durchsetzen. Auch ihr Vorhaben, das sinkende Rentenniveau bis 2045 auf mindestens 46 Prozent festzuschreiben, scheiterte. Dabei wäre schon das angesichts des aktuellen Niveaus von 48,1 % eine Absenkung. Wie sehr sich dieses in den letzten Jahrzehnten verschlechtert hat, zeigt ein Blick auf das Jahr 1959, als bei Einführung der gesetzlichen Rente das Niveau noch 70 Prozent betrug. Schließlich scheiterte die Ministerin auch mit dem Vorhaben, den Rentenbeitragssatz, der derzeit bei 18,7 % liegt, bis 2045 auf 25 Prozent zu begrenzen (bisher gilt diese Regelung bis 2030). Finanzieren wollte sie diesen Mehraufwand durch Steuermittel und durch die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, was die CDU jedoch strikt ablehnt.

Altersarmut bleibt

Wie man unschwer aus diesen Erläuterungen sehen kann, ist die Große Koalition mit diesem Reförmchen der eigentlichen Aufgabe - nämlich der Verhinderung der Altersarmut - erfolgreich und bewusst aus dem Weg gegangen. Kein Wunder, dass die Oppositionsparteien, die Gewerkschaften und diverse Sozialverbände die Große Koalition mehr oder weniger scharf kritisieren.

Die einzigen, die zufrieden sind, sind die Unternehmerverbände. Oliver Zander, Chef des Unternehmerverbandes Gesamtmetall, zeigte sich grundsätzlich zufrieden mit den Beschlüssen. Kein Wunder, schont die Große Koalition doch weiterhin die Kapitalseite, indem sie ihren Beitrag möglichst gering hält und auf der anderen Seite für Versicherungskonzerne bessere Bedingungen schafft, um private Zusatzversicherungen anzubieten: einen Weg, den bereits die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer ersten Teilprivatisierung der Rente über die Einführung der Riester-Rente Anfang 2000 bereitet hat. Schon damals ging es nicht darum, die Renten für die Zukunft stabil zu machen, sondern die bis dahin hauptsächlich über den Lohn und den sog. „Arbeitgeber“anteil paritätisch finanzierte Rente - letzterer im Grunde genommen Vorenthaltung eines indirekten Lohnanteils der Beschäftigten - für die Versicherungskonzerne zu öffnen und die UnternehmerInnen nach und nach von ihrem „Beitrag“ zu befreien.

Damit wurde das Risiko der Altersvorsorge auf die Lohnabhängigen abgewälzt, die, wenn sie sich das überhaupt leisten können, ihre Zukunftssicherung von den Renditeerwartungen der Rentenfonds u. ä. abhängig machen müssen. Der Rest hat entweder das Glück, dass er noch genügend einzahlen kann, oder muss mit einer Rente leben, die zum Sterben zu viel ist und zum Leben zu wenig. 2015 betrug die durchschnittliche Neurente nur noch 730 Euro und sie wird noch weiter sinken.

Auch mit dieser Reform ist klar, was die UnternehmerInnen und die Regierung wollen. Die Lohnabhängigen sollen für die Absicherung ihrer Rente weitgehend allein aufkommen, die Unternehmen weiter entlastet werden - dazu gehört auch die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 oder noch höher - und Versicherungskonzerne weiter ein lukratives Geschäft machen können. Der Staat soll nur noch eine möglichst niedrige Grundsicherung garantieren.

IG Metall und Gewerkschaften insgesamt setzen auf die Reduzierung der prekären Beschäftigung, die zu wenig Beiträge in die Rentenkassen spült, eine erneute Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung statt Ausbau der privaten Zusatzversicherung, auf einen flexiblen Ausstieg aus dem Arbeitsleben ohne Abzüge statt einer Rente mit 67 und auf den Ausbau der betrieblichen Altersversorgung.

Doch was ist dagegen zu tun?

Sicherlich sind das teilweise richtige Ansätze, zum einen wird aber nicht aufgezeigt, wie die Forderungen umgesetzt werden sollen sowohl gegen den Widerstand der Regierung als auch von Kapitalseite. Zum anderen wird auch nicht der zentrale Angriff auf das Rentensystem in Frage gestellt, nämlich die Anfang 2000 durchgesetzte Teilprivatisierung der Altersversorgung.

Die DGB-Spitze setzt auf eine lange Diskussion mit langjährigen Bündnispartnern, um einen Kurswechsel zur Stärkung der gesetzlichen Rente durchzusetzen, so DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach (DGB-Pressemitteilung 127 vom 1.12.2016).

Die Linke fordert immerhin eine Mindestrente von 1050 Euro netto, die zum Teil aus Steuermitteln finanziert werden soll. Aber auch hier wird nicht wirklich aufgezeigt, wie dies umgesetzt werden soll.

Auch den Gewerkschaften und der Linkspartei sollte klar sein, dass eine Rente, die vor Altersarmut schützt und das Risiko der Altersvorsorge nicht auf die Lohnabhängigen abwälzt, nur gegen den Widerstand von Regierung und Kapital durchgesetzt werden kann. Dafür wäre eine Mobilisierung der Belegschaften und der gesamten Bevölkerung nötig, nicht nur auf gewerkschaftlicher Ebene - wie es z. B. die IG Metall bzgl. des vorzeitigen Ausstiegs aus der Erwerbsarbeit vorhat -, sondern auch auf politischer Ebene. Aber hiervon ist weder bei der IG Metall noch bei DGB und Linkspartei die Rede.

 Darüber hinaus wäre es auch notwendig, zum einen die Rücknahme aller Formen der Privatisierung der Rente - inkl. der Riesterreform - zu fordern und darüber die Diskussion zu führen, wie ein Rentensystem aussehen kann, das tatsächlich die Altersversorgung aller Lohnabhängigen garantiert: ein staatliches Rentensystem, das gleichermaßen für alle Lohnabhängigen gilt und von den Versicherten selber und den Gewerkschaften verwaltet wird. Finanziert werden sollte dies durch eine Erhöhung der Kapitalsteuern wie auch die Einbeziehung von BeamtInnen, FreiberuflerInnen und Selbstständigen.

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Nr. 215, Dez. 16/Jan. 17

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