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Nein zur Schlichtung - unbefristeter Streik!

Tobi Hansen, Neue Internationale 202, September 2015

Der Streik der ErzieherInnen, v.a. der unbefristete Streik im Frühsommer waren ein deutliches Zeichen der Beschäftigten. In vielen Städten gingen Zehntausende auf die Straße, um die oft prekären Bedingungen und die schlechte Bezahlung der Sozialberufe anzuprangern.

In den letzten Jahren haben sich viele ErzieherInnen gewerkschaftlich organisiert, schon beim Streik 2009 bewiesen sie eine Kampfkraft und Streikfähigkeit, die zuvor dort nicht bekannt war. Es sind v.a. die immer prekäreren Zustände im Sozialbereich, welche die Möglichkeiten der Gewerkschaften, speziell von ver.di, aber auch der GEW, erhöht haben.

Gleichzeitig ist auch die hohe Mobilisierungskraft der Streikenden eine Versicherung gegen allzu schnelle Ergebnisse und Ausverkäufe durch die Gewerkschaftsspitze. Auch dieser Beweis wurde 2009 angetreten, als die Weiterführung des Streiks gegen den Willen der Bundestarifkommission durchgesetzt wurde.

Dieses Jahr wurden in vielen Versammlungen die Forderungen der Beschäftigten artikuliert, was dazu führte, dass die Gewerkschaften eine höhere Eingruppierung für die Beschäftigten forderten, was im Durchschnitt eine Lohnerhöhung von 10% bedeutete. Dies hätte nicht nur den 240.000 Beschäftigten im kommunalen Dienst mehr Lohn, sondern auch für die ca. 500.000 Beschäftigten bei kirchlichen und privaten Trägern erhebliche Verbesserungen gebracht.

Die Schlichtung versuchte, die ErzieherInnen mit den üblichen Tarifergebnissen zu vertrösten, Einmalzahlung und eine Erhöhung über zwei Jahre, in dem für ver.di üblichen Bereich von 2-4,5%, je nach Lohnstufe.

Die Ablehnung des Schlichtungsergebnisses für die ErzieherInnen und Sozialberufe durch die Basis war ein kräftiges Zeichen der Basis. Trotz der klaren Verzögerungstaktik durch den ver.di-Vorstand und die Tarifkommission, welche die Abstimmung bis Anfang August ansetzten, stimmten 70% der Mitglieder gegen das Schlichtungsergebnis. Dies ist ein starkes Zeichen der Kampfbereitschaft in diesem Sektor. Schon bei einer ersten Versammlung von 300 Delegierten Ende Juni fiel das Ergebnis durch, dort hatte ver.di noch versucht, für das Ergebnis zu argumentieren.

Die Situation der Sozialberufe und der Kommunen

Zum Beschäftigtensektor zählen die ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen, SozialpädagogInnen, Fachkräfte für Arbeits- und Berufsförderung, KinderpflegerInnen sowie HeilpädagogInnen. Sie leisten hier sehr Wichtiges für die Reproduktionsarbeit im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, dies ist aber oft noch nicht einmal eine Vollzeitstelle wert. In vielen dieser Arbeitsstellen blühen Teilzeitarbeit, Niedriglohn und befristete und unsichere Beschäftigung. Oft wird die Arbeit durch die billigen studentischen PraktikantInnen erledigt.

Wie auch die Reproduktionsarbeit insgesamt, ist auch in diesem Sektor die Klasse überwiegend weiblich geprägt, 65-75% der Beschäftigten sind Frauen. Ähnlich der Altenpflege blühen auch im Kita-Bereich verschiedenste Formen der Teilzeit von 50- und 75%-Stellen, welche speziell für „WiedereinsteigerInnen“ gedacht sind. Diese haben kaum eine Aussicht auf einen Vollzeitjob.

Während also der Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung laut mancher Sonntagsreden von Kapital und Staat, den „Rohstoff in unseren Köpfen“ fördern soll, sind gleichzeitig die  öffentlichen Kassen zum Sparen verdammt. So versprach die ehemalige Familienministerin Köhler den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, aber natürlich „vergaß“ sie zu erwähnen, wer für die Kosten aufkommen soll.

Diese wurden größtenteils den Kommunen auferlegt, also dem Teil der öffentlichen Hand, welcher am meisten unter der Schuldenbremse bis 2019 zu leiden hat. In vielen Kommunen herrschen „Troika“-artige Verhältnisse, das Land regiert per Sparkommissar und/oder Zwangsverwaltung und privatisiert und kürzt, wo es irgend möglich ist. Beraten und angeleitet werden die Kommunen bei der Schuldenbremse von so illusteren Firmen wie Ernst&Young oder Arvato, der 100%-Tochter des Bertelsmann Konzerns, spezialisiert auf die Übernahme ganzer städtischer Verwaltungen, wie aktuell in Würzburg zu beobachten. Zuerst werden jene Bereiche privatisiert, die Einnahmen versprechen, also Grundstücke, Energieversorger/Netze, Nahverkehr und Beteiligungen an kommunalen Betrieben wie Krankenhäusern etc. Im zweiten Schritt werden die Gebühren erhöht, grade auch im Kita-Bereich, so dass es keine einheitlichen „Tarife“ gibt, sondern stattdessen der Geldbeutel der Eltern darüber entscheidet, welche Kita man sich leisten kann.

Diese sozialen Bereiche bekommen auch keine zusätzliche Förderung, weil sie schwerlich Profit erwirtschaften können, daher sind diese Bereiche ganz entscheidend durch die Schuldenbremse unter Druck.

Daher muss in einem solchen Tarifkampf, wie auch in anderen Kämpfen im Öffentlichen Dienst und noch (teil)staatlichen Unternehmen (wie der Post), auch immer die Frage der Umverteilung gestellt, das Ende der Schuldenbremse und eine Finanzierung der Kommunen zu Lasten des Großkapitals gefordert werden.

Für einen neuen unbefristeten Streik der ErzieherInnen!

Gerade aus den Erfahrungen von 5 Verhandlungsrunden mit dem VKA (Verband Kommunaler Arbeitergeber) und der desaströsen Schlichtung, aber auch aus der Erfahrung, dass ver.di keine Versuche gemacht hat, diesen Streik mit anderen Kämpfen und Streiks zu verbinden, müssen die Streikenden eine breite Basisbewegung für die Fortführung des Streiks aufbauen. Damit hätten sie die Möglichkeit, selber die ver.di-Tarifkommission zu kontrollieren, sie zur Rechenschaftspflicht zu zwingen und den Streik für die Ziele der Beschäftigten zu gewinnen.

Daher treten wir folgende Forderungen in diesem Tarifkampf ein:

Finanzierung durch eine progressive Kapitalbesteuerung;

Keine Schuldenbremse für öffentliche Haushalte;

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, damit mehr Kolleginnen eingestellt werden können und die Unterbesetzung ausgeglichen werden kann; dabei muss angefangen werden bei der Aufstockung der Teilzeitstellen auf Vollzeit - damit die ErzieherInnen von ihrem Job leben können. Nur die KollegInnen, die das wollen, sollen die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit haben.

ErzieherInnen werden dringend gebraucht, um den Rechtsanspruch jedes Kindes auf einen Kitaplatz zu verwirklichen. Deswegen: müssen die Kitas ausgebaut werden - unter Kontrolle der Beschäftigten und der Eltern; sie kennen am besten den wirklichen Bedarf. Es muss die Möglichkeit bestehen, die Betreuung rund um die Uhr zu organisieren und am besten nahe am jeweiligen Arbeitsplatz oder Wohnort als eine Grundbedingung dafür, dass Frauen aus dem engen Rahmen der Familie und der Kinderbetreuung befreit werden können, die eine der Wurzeln ihrer Unterdrückung darstellen. Kinderbetreuung muss zu einer gesellschaftlichen Aufgabe werden!

Kinderbetreuung muss kostenlos sein, damit sie sich alle leisten können, unabhängig vom Verdienst. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass der Streik nicht zu Lasten der Eltern geht, die sich dann privat um die Kinderbetreuung kümmern müssen. Dies kann möglicherweise zu Schwierigkeiten mit ihren Vorgesetzten führen und sich dann gegen den Streik wenden. Dafür müssen gemeinsame Solidaritätskomitees aufgebaut werden, die die Betreuung der Kinder organisieren und über solidarische Aktivitäten der Eltern und der Bevölkerung diskutieren.

Aus dem ersten großen ErzieherInnenstreik von 2009 müssen die Konsequenzen gezogen werden. Damals waren es die Streikversammlungen im Stuttgarter DGB-Haus, welche die Fortführung des Streiks gegen den Willen der Bundestarifkommission durchgesetzt hatten. Der Streik muss unter die Kontrolle der Streikenden gebracht werden.

Dafür ist der Aufbau von Streikkomitees in jedem Betrieb nötig. Sie müssen den Streikenden direkt rechenschaftspflichtig sein und über die Fortführung des Streiks diskutieren und beschließen. Und sie müssen natürlich regional und national koordiniert werden.

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Nr. 202, September 2015
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