Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Mietpreisbremse

Bremse ohne Halt

Hannes Hohn, Neue Internationale 198, April 2015

Nachdem die Mieten in vielen Großstädten seit Jahren stark gestiegen sind und es deshalb diverse Aktionen, Proteste und Volksbegehren gab, war die Politik in Zugzwang geraten. Anlass gab es dafür wahrhaftig. So stiegen die Quadratmeterpreise bei Neuvermietungen von 2008-14 etwa in München um bis zu 20%, in Berlin gar um bis zu 40%. Die Folge dessen ist, dass MieterInnen mit geringerem Einkommen immer schwerer die Miete bezahlen oder überhaupt eine billige Wohnung finden können. Sie werden an den Rand der Städte gedrängt. Der Begriff „Gentrifizierung“, der genau das ausdrückt, fand so nicht zufällig Eingang in die Umgangssprache.

Nun soll mit der Mietpreisbremse der Kostenanstieg begrenzt werden. Bisher durfte die Miete bei der Neuvermietung beliebig erhöht werden. Künftig darf sie dann höchstens um 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Doch bereits im Entwurf von Justizminister Maas (SPD) gibt es diverse Einschränkungen. So soll die Gesetzesänderung nur für Gebiete mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ gelten, also nicht bundesweit. Zudem gilt die Regelung nur für fünf Jahre, danach wird neu verhandelt. Ausgenommen von der Mietpreisbremse ist auch der Erstbezug von Neubauten. Eine weitere Ausnahme gilt bei umfassenden Modernisierungen. Mit einem weiteren Gesetzespaket will Maas daher die Kosten von Modernisierungen für MieterInnen dämpfen.

Das Gesetz könnte im ersten Halbjahr 2015 in Kraft treten. Die Regierungskoalition einigte sich darauf, Maas´ Entwurf weitgehend umzusetzen. Die meisten Forderungen von Seiten der Union und einiger Bundesländer nach noch weiter reichenden Ausnahmen wurden abgewiesen. Bevor die Mietpreisbremse in Kraft tritt, muss das Gesetz aber noch durch Bundestag und Bundesrat. Die Regelungen können aber auch dann erst wirksam werden, wenn die Länder Verordnungen zur „Ausweisung von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt“ erlassen haben. Das wird wahrscheinlich zu einem langen Tauziehen zwischen Politik und verschiedenen Lobbygruppen führen.

Grundlage aller Mietpreisberechnungen ist der Mietspiegel. Geplant ist, dass dieser alle zwei Jahre nach „wissenschaftlichen Kriterien“ neu erstellt wird. Aber gerade darum gibt es immer wieder Streit - einerseits wegen der unterschiedlichen Interessen von MieterInnen und Vermietern, andererseits weil nicht klar geregelt ist, nach welchen Kriterien der Mietspiegel erstellt wird.

Der Mietspiegel-Trick

Der Mietspiegel wurde 1974 als Begründungsmittel im Mieterhöhungsverfahren eingeführt, nachdem es zu Kritik am 1. Wohnraumkündigungsschutzgesetz gekommen war. Er ist eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete im frei finanzierten Wohnungsbau. Er dient als Begründung für Mieterhöhungen und wird in Zusammenarbeit mit Mieter- und Vermieterverbänden aufgestellt.

Auf dem Verwaltungsrechtsweg können Mieter oder Vermieter nicht gegen die Festsetzungen eines so genannten einfachen Mietspiegels vorgehen oder gegen dessen Aufstellung und konkrete Inhalte klagen.

Der Mietspiegel richtet sich nach dem Stadtbezirk, nach Lage und Baujahr des Hauses, der Ausstattungsqualität und dem Energieverbrauch. Für den Mietspiegel dürfen jedoch nur Wohnungen berücksichtigt werden, deren Miete in den letzten vier Jahren neu vereinbart oder geändert wurde. So wird also nicht das Durchschnittsmietniveau ermittelt, sondern der Durchschnitt der Wohnungen mit höherer Miete. Wo es keinen Mietspiegel gibt, hat der Mieter einen Auskunftsanspruch, um die Zulässigkeit der vereinbarten Miete überprüfen zu können.

Unterm Strich bedeuten diese Mietspiegel-Regelungen, dass die Mieten quasi automatisch steigen  und teilweise von den realen Kosten einer Wohnung entkoppelt werden. So würde eine Wohnung z.B. teurer, wenn im Kiez irgendwelche Nobelbauten entstehen oder sich die Infrastruktur verbessert - obwohl diese Leistungen weder mit dem Vermieter noch mit der konkreten Wohnung etwas zu tun haben. Obzwar der Mietspiegel eine gewisse Preisbegrenzung bewirken kann, ist er zugleich auch ein Freibrief für Vermieter und Investoren, die Preise kontinuierlich erhöhen und zudem noch eine „objektive“ Begründung dafür anführen zu können. Justizminister Maas hat allerdings auch dafür ein neues Gesetz zur „Überarbeitung der Kriterien zur Erstellung von Mietspiegeln“ angekündigt. Beim Maklerrecht soll künftig gelten „Wer bestellt, bezahlt", d.h. Provisionen bezahlt, wer den Makler beauftragt, praktisch meist der Vermieter.

Kritik

„Die Mietpreisbremse ist zwar kein zahnloser Tiger, aber auch kein sehr wilder", sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. Das Hauptproblem, so Ropertz, besteht tatsächlich darin, dass die Mietpreisbremse nicht für bestehende Mietverhältnisse gilt, sondern nur für neue. Bei   Neuvermietung wird eine überteuerte Wohnung künftig also nicht billiger. Es kommt nicht zu Mietsenkungen, sondern nur zu einer Dämpfung der Mietsteigerungen. „Überteuerte Mieten“, meint Ropertz treffend, „werden so quasi legalisiert".

Gero Happ vom Eigentümerverband „Haus und Grund“ meint hingegen, die Mietpreisbremse werde nicht die gewünschte Wirkung haben, weil die Mietpreisbremse Neubauten verhindere und Investoren abschrecke. So werde der Wohnungsmangel nicht behoben und die Mieten würden weiter steigen. Obwohl der Deutsche Mieterbund diesen Einwand für unberechtigt hält, ist natürlich klar, dass niedrigere Gewinne (aus Vermietung) tendenziell auch die Bauinvestitionen bremsen. Auch künftig, meint Happ, würden Vermieter sich immer die Mieter mit der größten Bonität aussuchen. Wo er recht hat, hat er recht.

Das Hauptproblem der Mietpreisbremse besteht jedoch darin, dass sie lediglich eine kosmetische Korrektur ist und die Eigentumsrechte und die wirtschaftlichen Interessen und Mechanismen nicht antastet. Mieter und Mieterverbände sind dadurch wie im Hase-und-Igel-Spiel immer nur zweiter Sieger und können an den von den Privateigentümern (Vermieter, Investoren, Bauwirtschaft) geschaffenen Fakten nur noch einige Korrekturen vornehmen.

Ursachen

Neben der Regelung der Mietfestlegungen gibt es natürlich eine ganze Reihe anderer, von Mietspiegel oder Mietpreisbremse überhaupt nicht tangierter Marktfaktoren, die von großer Bedeutung für die Wohnkosten und das Angebot an Wohnraum sind. So resultieren die Mitpreissteigerungen der letzten Jahre v.a. aus Umständen, die von den Vermietern unabhängig sind. Dazu zählen u.a.:

verstärkter Zuzug und Tourismus in Boom-Metropolen;

mehr Single-Haushalte;

starker Rückgang des „sozialen“ Wohnungsbaus durch die Finanzprobleme vieler Kommunen (abgesehen davon, dass diese Förderung v.a. eine Subventionierung der Bauwirtschaft ist);

sinkende Einkommen der Lohnabhängigen, vor allem von deren unteren Schichten.

Diese Umstände haben den Mangel an billigem Wohnraum vergrößert und durch die Verknappung die Preise in die Höhe getrieben. Auch der Verkauf von ca. einer Million kommunaler Wohnungen an private Gesellschaften wie z.B. die Deutsche Annington in den letzten 15 - 20 Jahren führte zur Verteuerung und zur Verdrängung von MieterInnen. An diesen zweifelhaften Versuchen, die leeren Stadtkassen auf Kosten der Mieter aufzufüllen, war auch die Linkspartei aktiv beteiligt, z.B. in Berlin und Dresden.

Diese Probleme können auch mit der besten Mietpreisbremse nicht behoben werden. Dazu wäre ein gesellschaftlicher Gesamtplan nötig, der entsprechend dem realen Bedarf die Nutzung, Verteilung und den Bau von Wohnungen und Gebäuden regelt. Das wiederum wäre aber nur möglich, wenn es eine direkte demokratische Kontrolle durch Mieterkomitees und Gewerkschaften gäbe. Davon ist natürlich weder bei Maas und Co. noch bei den Mieterverbänden die Rede. Wenn sie aber Privateigentum und Marktmechanismen akzeptieren, werden sie auch künftig mit Wohnraummangel, teuren Mieten und Gentrifizierung leben müssen.

Ein wichtiger Punkt bei den Wohnkosten sind die „Nebenkosten“ und die Zusatzkosten für Sanierungen - bei letzteren fragt man sich, warum die überhaupt zu Mieterhöhungen führen können bzw. was mit der „normalen“ Miete überhaupt bezahlt wird?! V.a. die Verteuerung der Stromkosten  um über 100% seit 2000 infolge der Energiewende ist für viele Mieter ein Problem. Eine erhebliche Verteuerung der Wohnkosten erfolgt auch durch die „energetische Sanierung“ (Fassadendämmung). Die Vermieter haben dafür von der Regierung faktisch einen Freibrief erhalten. Obwohl der allgegenwärtige Dämmwahn die versprochenen Energiespareffekte (und damit mehr „Klimaschutz“) in der Praxis fast nie erreicht, dagegen aber etliche bauphysikalische und ökologische Probleme schafft und zudem die versprochene Refinanzierung sehr oft überhaupt nicht eintritt, wird an diesem monströsen Unsinn festgehalten - zur Freude der Bauwirtschaft und der Dämmstoffhersteller.

Die Mietpreisbremse wird also den Anstieg der Wohnkosten kaum bremsen, geschweige denn  stoppen.

Proteste

Obwohl es in vielen Städten Aktionen und Demonstrationen gab, haben sie - von einigen Achtungserfolgen abgesehen - nicht verhindern können, dass die Mieten vielerorts weiter steigen. Das liegt u.a. daran, dass die Mieterbewegung sich bisher v.a. auf Proteste oder Bürgerbegehren konzentriert hat. Radikalere Aktionsformen wie Blockaden und Versuche, Räumungen zu verhindern, zeigen zwar, dass es auch eine Radikalisierung in der Bewegung gibt - aber diese sind in der Regel vereinzelte Aktionen.

Die MieterInnenbewegung, sofern wir überhaupt von einer solchen sprechen können, ist selbst eine heterogene, klassenübergreifende und wird meist durch Angehörige der Mittelschichten vertreten. Darüber hinaus agieren linke ReformistInnen mit, v.a. aus der Linkspartei, und in einigen Städten auch „Linksradikale“, v.a. aus dem autonom-libertären Milieu. Ihre Konzepte schwanken zwischen der Ausnutzung demokratischer Spielräume und radikalen Aktionen.

Gleichzeitig befinden sich die großen Mieterverbände nach wie vor fest in sozialdemokratischer Hand. Oft genug beschränkt sich ihre Aktivität auf eine Mischung aus Lobbyismus und Beratungstätigkeit ohne jeden Anspruch, die eigenen Mitglieder zu mobilisieren. Allesamt haben sie kein langfristiges Konzept und keine Perspektive zu bieten. Zudem ist die Mieterbewegung über lokale Strukturen nicht hinausgekommen, eine bundesweite Bewegung oder Strukturen gibt es nicht.

Eine solche politische Kampagne, die die lokalen Bündnisse und Initiativen bündelt und die reformistisch geführten Massenorganisationen (Gewerkschaften, SPD, LINKE) in die Pflicht zu nehmen versucht, wäre aber dringend nötig. Dazu braucht es zentrale Forderungen:

Offenlegung der Geschäftsunterlagen aller Vermieter, Bauinvestoren und -firmen für Kontrollkomitees der MieterInnen und der Gewerkschaften! Darauf fußend: Festlegung von Mietobergrenzen, kontrolliert durch Mieterkomitees!

Entschädigungslose Enteignung aller VermieterInnen, die bewusst Häuser zu Spekulationszwecken „entmieten“ oder Wuchermieten kassieren!

Rekommunalisierung aller in den letzten Jahren privatisierten Wohnungen und Wohnbaugesellschaften unter Kontrolle der MieterInnen und Gewerkschaften!

Ausbau des kommunalen sozialen Wohnungsbaus - finanziert aus der progressiven Besteuerung von Reichtum und Kapital, darunter v.a. der Großimmobilieneigner!

Solche Maßnahmen können - verbunden mit dem Kampf gegen Billiglohn, Arbeitslosigkeit und für ausreichenden Mindestlohn- eine echte Verbesserung für die MieterInnen bringen.

Wir sind uns aber auch bewusst, dass eine Lösung des Wohnungsproblems, dass ein sinnvoller und effektiver Umgang mit Wohnraum nur dann möglich ist, wenn das Privateigentum an Immobilien,  an Baufirmen usw. überwunden ist und die Gesellschaft bewusst und planmäßig die Wohnbedürfnisse befriedigt.

Dazu aber bedarf es einer anderen Gesellschaftsordnung: des Sozialismus. Der Kampf gegen die Wohnungsmisere und die dazu entstehenden Strukturen sind Keimzellen einer solchen Entwicklung, weil sie das Bewusstsein dafür entwickeln helfen, dass wir uns um uns selber kümmern müssen - ohne Eigentümer, Makler, Banker und Bürokraten.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 198, April 2015
*  Imperialistische Erpressung Griechenlands: Solidarität mit der ArbeiterInnenklasse!
*  Die Linke in Syriza: Schlüsselfaktor für weitere Entwicklung
*  Blockupy: Mobilisierungserfolg und Hetze
*  Sog. Tarifeinheit: Hände weg vom Streikrecht!
*  Neue Asylgesetzgebung: Zuckerbrotkrümel und Peitsche
*  Linkspartei: Die nächste Kapitulation
*  Mietpreisbremse: Bremse ohne Halt
*  Mahle: Widerstand und Weltmarkt
*  Frigga Haug: Die Quadratur des Marxismus-Feminismus
*  Pakistan: Im Fadenkreuz der Welt(un)ordnung
*  Wahlen in Israel: Netanjahu siegt
*  Öffentlicher Dienst: Vom Warnstreik zum Streik!