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Taktik zum Parteiaufbau

Entrismus in SYRIZA

Georg Sax, Neue Internationale 174, November 2012

Seit nunmehr vier Jahren steht Griechenland im Epizentrum der Krise in Europa. Soziale Angriffe von lange nicht gekanntem Maß werden gegen die griechische Arbeiterklasse und Jugend durchgeführt. Das bedeutet einerseits Widerstand innerhalb Griechenlands, eine Zuspitzung des Klassenkampfes, der mit der uneingeschränkten Solidarität der europäischen Linken unterstützt werden muss.

Es bedeutet aber gerade aufgrund des historischen Charakters der aktuellen Krise, dass nicht nur die Frage gestellt ist, welche Angriffe des Kapitals erfolgreich durchgesetzt werden, welche eventuell abgewehrt werden können. Es geht um die Machtfrage, das heißt welche Klasse den weiteren Gang der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmt und auf welcher Grundlage. Die mittlerweile 23 Generalstreiks, die Besetzungswellen und Platzbesetzungen in 2011, selbst die Wahlen 2012 waren ein Ausdruck davon, doch sie konnten sie bisher nicht lösen.

Der Grund dafür ist simpel. Die Schärfe der Krise und die Unverschämtheit, mit der die griechische Regierung unter der Regie von Troika und deutschem Kapital die Verarmung der Massen organisieren, ist enorm.

Doch bisher fehlt ein klares Konzept, wie die Massen ihrerseits einen Widerstand aufbauen können, der die momentanen Angriffe stoppt. Ein Programm, dass dazu in der Lage ist die griechische Gesellschaft, den europäischen Kontinent nach den Interessen der Arbeiterklasse und der Jugend zu organisieren - ein revolutionäres Programm.

SYRIZA - Phönix aus der Asche?

Ab Ende 2011 begann eine Organisation ihren Aufstieg, der viele Linke nachsagen diese Machtfrage lösen zu können, SYRIZA. Die „Koalition der radikalen Linken“, die aus verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung von Eurokommunismus bis Trotzkismus besteht, existierte allerdings bereits seit 2004 als kleines Wahlbündnis.

Der Aufstieg SYRIZAs hat nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa eine heftige Debatte über die Strategien und Taktiken für die Lösung der griechischen Krise aufgebracht. Die Kapitalisten und Medien Europas organisierten eine riesige Hetzkampagne während der Wahlen im Mai und Juni gegen SYRIZA, welche trotz alledem 27 Prozent erhielt. Innerhalb der Arbeiterbewegung beziehen sich sowohl Reformisten als auch viele Linksradikale positiv auf die neue Kraft im griechischen Klassenkampf. Doch wie erklärt sich der rapide Aufstieg SYRIZAs?

Die ehemals allein regierende PASOK verlor aufgrund ihrer Mitverwaltung der kapitalistischen Krise sowohl die Kontrolle über weite Teile ihrer ehemaligen gewerkschaftlichen Basis als auch die Unterstützung breiterer Bevölkerungsschichten. Nichts desto trotz war die stalinistische „Kommunistische Partei“ (KKE), die in den vergangenen Protesten vor allem als spaltende Kraft wahrgenommen wurde, nicht dazu in der Lage, die radikalisierten Teile der Jugend und Arbeiterklasse für sich zu gewinnen. Kein Wunder, so bezeichnete sie zum Beispiel die Jugendaufstände 2008 nach der Ermordung Alexis Grigoroupolis durch die Polizei als reaktionäre kleinbürgerliche Ausschreitungen - und tut das bis heute! Bei den Generalstreiks zeichnete sie sich vor allem dadurch aus, separate Demonstrationen zu organisieren.

SYRIZA hingegen erscheint jedoch „unbefleckt“, im Gegensatz zu KKE und PASOK, die beide bereits an bürgerlichen Regierungen beteiligt waren. Und während PASOK freilich erst gar nicht an den Protesten der vergangenen vier Jahre beteiligt war und die KKE fernab der gemeinsamen Aktion auftrat, war SYRIZA die größte organisierte Kraft innerhalb der Generalstreiks, als auch der medialen Aufmerksamkeit.

Doch dies sollte nicht über drei Entscheidende politische Forderungen hinwegtäuschen, die SYRIZA in ihrem Wahlkampfprogramm aufwarf und die entscheidend für ihre Popularität sind:

1. Einstellung der Schuldenzahlungen, eine Schuldenüberprüfung und den Stopp, sowie die Rücknahme aller Kürzungen bei Gehältern und Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, Rücknahme der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze, die Tarifverhandlungen betreffend

2. Kein Austritt aus dem Euro

3. Schaffung einer „linken Regierung der Arbeiter und einfachen Menschen“

SYRIZA war die einzige Partei, die nach vier Jahren des Kampfes die Forderungen der Bewegung mit einer greifbaren Regierungsalternative verknüpfte. Auch die nationalistische Forderung nach einer Rückkehr zur Drachme lehnte sie ab und das kleinere Bündnis Antarsya konnte der, wenn auch beschränkten, europäischen Perspektive SYRIZAs nichts entgegenhalten.

Innerhalb des Wahlkampfes war es SYRIZA daher möglich, Hunderttausende an sich zu binden. Die bei griechischen Wahlen typischen „Volksversammlungen“, die von allen Parteien organisiert werden, wurden bei SYRIZA massenhafte Stadtteilversammlungen. Eines sollte jedoch klar sein. Das Programm SYRIZAs ist keineswegs ein revolutionäres. Der Aufstieg SYRIZAs erklärt sich vor allem durch die Abwesenheit einer revolutionären Kraft, die sich hätte seit Beginn der Krise aufbauen müssen.

So verzeichnet das Wahlbündnis, das sich mittlerweile zu einer Partei formiert, seit Beginn des Jahres nicht nur in den Wahlumfragen ein massives Wachstum, wobei die Umfragewerte selbst seit der letzten Wahl weiter steigen und mittlerweile bei 31 Prozent liegen.

Zwar liegen kaum offizielle Zahlen vor. Doch die Tatsache, dass auch kleine Organisationen in SYRIZA in nur wenigen Monaten ihre Mitgliederzahlen verdoppeln oder verdreifachen konnten spricht für sich. Auch der gewerkschaftliche Einfluss SYRIZAs hat zugenommen. Allerdings sollte dies mit Vorsicht betrachtet werden, denn es waren nicht nur kämpferische Basisaktivisten, die der Partei beigetreten sind, sondern auch etliche ehemalige PASOK-Gewerkschaftsfunktionäre, die alte Politik nun unter einem neuen Label betreiben wollen. Von Alexis Tsipras und den Führern von Synaspismos, der Mehrheitskraft in SYRIZA, wurden auch sie herzlich willkommen geheißen.

Worte und Taten

Welchen politischen Charakter SYRIZA hat, begreift man schnell, wenn man die Versprechungen der Partei Anfang Mai mit ihrer Praxis in den kommenden Monaten vergleicht. Nach den ersten Wahlen im Mai konnte SYRIZA bereits einen riesigen Zuwachs von 4 auf 17 Prozent verbuchen. Dieser war jedoch vor allem ihrer Mobilisierungen während den Wahlen geschuldet, die jedoch zu Beginn der zweiten Wahlkampfkampagne im Juni bereits zurückgefahren wurden. Vermutlich, weil die Führungsriege und die Bürokratie der Partei fürchtete, die Massen, die sich auf den Plätzen versammelten, könnten die Forderungen nach einer „Regierung der Arbeiter“ zu ernst nehmen und sich revolutionärer Traditionen erinnern.

Besonders bezeichnend waren jedoch vor allem zwei Aussagen von Tsipras. Eine traf er direkt nach der Wahl, die andere nachdem die Troika ein Scheitern der Auflagen in Sicht gestellt hatte. Nach der Wahl, die immerhin numerisch ein massiver Erfolg für die linken Parteien darstellte, aber gleichzeitig eine Niederlage im Bezug auf die Regierungsbildung, verkündete Tsipras, dass nun die Zeit des Abwarten gekommen sei. „Man müsse nun sehen, ob die Regierung aus ND, PASOK und DIMAR umsetzen würde, was sie versprochen hätte.“ Anstatt also auszusprechen, dass einer weiteren Regierung des Kapitals kein politisches Vertrauen zu schenken sei, sondern durch Widerstand gestürzt werden müsse - demobilisierte SYRIZA ihre Basis.

Sie ging sogar noch einen Schritt weiter. Nach der genannten Verlautbarung der Troika, mit dem Ziel weiteren Druck auf die griechische Regierung auszuüben, erklärte Tsipras, dass SYRIZA von nun an eine „verantwortungsbewusste Opposition“ sein wolle. Praktisch bedeutet das, einen einseitigen Waffenstillstand von unten, während weiter Angriffe von oben durchgeführt werden können. Die Führung SYRIZAs und ihr Programm sind also eindeutig ein Hindernis für den griechischen Klassenkampf und die revolutionäre Arbeiterbewegung.

SYRIZAs Doppelcharakter

Trotz alledem spielt SYRIZA eine entscheidende Rolle innerhalb der Arbeiterbewegung und Jugend. Ein großer Teil der bisher unorganisierten Jugendlichen und ArbeiterInnen, die durch die Kämpfe der letzten Jahre radikalisiert wurden, sucht sich seinen Weg zu SYRIZA. Auch die Unterstützung durch Teile der Gewerkschaften konnte SYRIZA, wenn auch mit prinzipienloser Politik gewinnen. Selbst die KKE oder Antarsya mussten mit ansehen, wie ein Großteil ihrer Mitglieder anstatt für sie für SYRIZA stimmten, z.T. sogar ihr Parteibuch wechselten. Organisationen, die behaupten SYRIZA sei im Wesentlichen ein Wahlverein ohne starke organische Bindungen zur ArbeiterInnenklasse in Griechenland, täuschen sich nicht nur. Sie begehen einen gefährlichen politischen Fehler.

Die Tatsache, dass SYRIZA keine revolutionäre, sondern eine links-reformistische Partei ist, die aber große Teile der linken und radikalisierten Arbeiterbewegung an sich bindet, während der Klassenkampf in Griechenland auf eine Entscheidung - Revolution oder Konterrevolution - drängt, ist eben keine Chance an sich. Aber sie stellt die Frage, wie die Masse, wie große Teile der Avantgarde vom Reformismus, von der Führung von SYRIZA gebrochen werden können. Nur so wird der Aufbau einer revolutionären Partei und Führer der Arbeiterklasse möglich sein.

Die „subjektiv revolutionären Organisationen“ Antarsyas befinden sich in einer kleinen Minderheit. Wie also können Revolutionäre den Kampf mit der aktuellen Führung der Bewegung aufnehmen aus einer Position, in der sie kaum gesehen werden, die linken Teile der Bewegung sich selbst innerhalb SYRIZAs befinden oder jedenfalls unter deren politischen Einfluss stehen?

Die Debatte der Entrismustaktik

Bereits in den 30er Jahren entwickelte die damalige „Internationale Kommunistische Liga“ unter Trotzki die so genannte Entrismustaktik. Ihr Ziel war es, dort wo noch keine revolutionäre Parteien existierten, als revolutionäre Propagandagruppen mit einem eigenständigen Programm in die reformistische oder zentristische Parteien einzutreten, um von innen einen Kampf für eine unabhängige revolutionäre Partei zu führen - vorausgesetzt diese Parteien spielten selbst eine bedeutende Rolle in den stattfindenden Kämpfen. Diese Voraussetzung ist auch heute in Griechenland gegeben sind, wo die Entrismustaktik zum jetzigen Zeitpunkt in SYRIZA eine Notwendigkeit darstellt.

Daran ändert auch die verfehlte Politik von Linken in SYRIZA nichts wie der maoistischen KOE (Kommunistische Organisation Griechenlands) oder der „Werktätigen Linken“ (DEA), die aus einer Abspaltung von Marx 21 stammt. Letztere hegt die Illusion durch beständige und geduldige Diskussion innerhalb der Partei Programm und Praxis immer weiter nach links verschieben zu können - allerdings ohne einen offen politischen Fraktionskampf gegen die reformistische Führung und ihren Parteiapparat.

Das ändert aber nichts daran, dass sich die fortschrittlichsten, kämpferischsten Teile der ArbeiterInnenklasse und der Jugend zu einem wesentlichen Teil in und um SYRIZA befinden. Wer eine revolutionäre Organisation schaffen will und heute nur als Propagandagruppe existiert - wie es letztlich für die Organisationen der „radikalen Linken“ in Griechenland der Fall ist - muss gerade in der gegenwärtigen Krise versuchen möglichst nahe an die Klasse zu kommen.

Ein Eintritt in eine solche Partei hat nichts mit einer Aufgabe der eigenen Politik zu tun - sie ist vielmehr ein Mittel, die relative Isolation der eigenen Kleingruppe von der Avantgarde zu überwinden.

„Für formalistische Köpfe schien es in absolutem Widerspruch zu stehen für eine neue Internationale und neue nationale revolutionäre Parteien aufzurufen und in Verletzung des Prinzips, dass eine revolutionäre Partei ihre Unabhängigkeit aufrecht erhalten müsse; manche betrachteten es als ein Verrat an den Prinzipien, andere argumentierten taktisch dagegen. […] Unabhängigkeit war ein Prinzip für revolutionäre Parteien, aber dieses Prinzip konnte nicht für kleine Gruppen gelten. […] Es bedurfte taktischer Flexibilität, um Gebrauch von den hervorragenden Bedingungen zu machen und aus der Isolation herauszubrechen.“ (Vorwort aus Leo Trotzkis „Die Krise der französischen Sektion“, New York 1977, S. 20)

Kampf für eine revolutionäre Partei

Der Kampf für eine revolutionäre Partei ist also das zentrale Ziel, die Strategie. Der Entrismus in SYRIZA ist ein Mittel, eine Taktik. Mit welchen Slogans sollten Revolutionäre also innerhalb SYRIZA´s auftreten, welche Aktionen sollten sie in Angriff nehmen?

Wie bereits gesagt wäre das offene Auftreten als eigene Plattform, als revolutionäre Strömung innerhalb der Partei unabdingbar. Denn kleine Propagandagruppen können zwar ihre organisatorische Unabhängigkeit in der Entrismustaktik zeitweise einschränken - ihre politische Unabhängigkeit jedoch nie! Das bedeutet aber auch, dass es eines Programms bedarf für das innerhalb SYRIZA eingetreten werden muss. Wir haben ein solches Aktionsprogramm für Griechenland erarbeitet (http://arbeitermacht.de/infomail/632/griechenland.htm).

Das bedeutet also, dass Revolutionäre während des Entrismus den Kampf um eine revolutionäre Mehrheit in SYRIZA aufnehmen würden - wohl wissend, dass dieser nur mit einem Bruch enden kann zwischen ReformistInnen und RevolutionärInnen.

Das Aufgabe diese Taktik besteht aber - wie die anderer Taktiken gegenüber reformistischen und zentristischen Gruppierungen, z.B. der Einheitsfront gerade darin - die ArbeiterInnen, die noch Illusionen in die reformistischen FührerInnen haben, von der Notwendigkeit eines Bruch zu überzeugen.

Es ist keine Frage, dass die SYRIZA-Führung und die von ihr kontrollierte Parteibürokratie nicht zu einer revolutionären Kraft „reformiert“ werden können. Zwischen dem Bestreben der reformistischen Parteibürokratie, die SYRIZA im Endeffekt kontrolliert und dem Bestreben der kämpferischen Jugendlichen und ArbeiterInnen, die von „ihrer“ Führung eine Lösung die großen gesellschaftlichen Probleme erwarten, besteht natürlich ein Widerspruch.

Doch dieser entwickelt sich nicht einfach automatisch und in vorgezeichneten Bahnen. Er muss selbst aktiv vorangetrieben werden - und zwar dort, wo sich die Masse der AktivistInnen, die Masse der kämpferischen ArbeiterInnen befindet. Wer davor zurückschreckt, weicht letztlich dem Kampf um die Revolutionierung der griechischen Arbeiterklasse selbst aus.

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Nr. 174, November 2012
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