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Aktionskonferenz gegen S 21

Eine verpasste Chance!

Kuno Benz/Jürgen Roth, Neue Internationale 155, Dezember 2010/Januar 2011

Mehrere Hundert AktivistInnen versammelten sich am 2. Dezember zur 3. Stuttgarter Aktionskonferenz zu Stuttgart 21. Hannes Rockenbauch (SÖS, Schlichtungsteilnehmer), Matthias von Hermann (Sprecher der Parkschützer) und Patrick (BUND) erklärten sich sehr „enttäuscht“ vom Schlichtungsergebnis und „lehnen den Schlichterspruch ab“. Viele AktivistInnen fragten in ihren Redebeiträgen jedoch: Wie kann jemand vom „Schlichterspruch enttäuscht“ sein? Was muss der für Illusionen in das Schlichtungsspektakel gehabt haben?

Dabei ist es erst wenige Tage her, dass viele, v.a. der selbsternannten Führer in ihrer Schlichtungsbesoffenheit die Demonstration am 27. November nicht nur ignorierten, sondern sogar massiv boykottierten und bekämpften! So halfen sie mit, den Hype um Geißler zu pflegen, Illusionen in dessen „neuartige Demokratie“ zu wecken und letztendlich der pro-kapitalistischen S21-Mafia zu ihrem Erfolg zu verhelfen.

AktivistInnen lehnen Schlichterspruch ab

Dabei musste Geißlers Rolle eigentlich klar sein. Sein dringendstes Anliegen war, zunächst „die Situation zu befrieden“, um dann, ganz in der Manier des ehemaligen CDU-Generalsekretärs und ganz im Sinne seiner Parteifreunde, seinen Pro-S 21-„Schlichterspruch“ zu verkünden.

Viele AktivistInnen kritisieren, dass die Schlichtungsteilnehmer unter den S 21-Gegnern überhaupt den Schlichterspruch zuließen und fragen, warum sie die Schlichtung nicht spätestens dann verließen, als klar wurde, dass die Bahn etliche entscheidende Unterlagen nach wie vor verheimlicht - konträr zur Ankündigung „alles wird offengelegt“.

Noch mehr wurde kritisiert, dass der Schlichterspruch überhaupt akzeptiert wurde. Was nutzt es da noch, hinterher trotzig zu bekräftigen, dass in der Schlichtung das Alternativprojekt K 21 als das bessere und billigere Konzept offenkundig wurde? Wer ist schon - allein zeitlich - in der Lage, zumindest große Teile des 60stündigen Schlichtungsspektakels im Fernsehen zu verfolgen?

Einig waren sich sämtliche RednerInnen auf der Aktionskonferenz jedoch darin, mit dem Widerstand und den Aktionen weiter zu machen - mit den Montagsdemos und auch Samstags, zunächst am 4. und dann am 11. Dezember. Ob man danach in die Winterpause geht, darin unterschieden sich die Meinungen.

Der S 21-Widerstand wird wohl, Dank der Schlichtung, zumindest in nächster Zeit nicht mehr die Kraft entfalten, die er noch Anfang Oktober hatte, als die CDU-Regierung nach den Ereignissen im Schlossgarten und den Demonstrationen von Hunderttausenden zitterte und wankte. Bleibt zu hoffen, dass der Widerstand gegen S 21 - möglichst mit einer Verbindung zu anderen Themen, z. B. Bildung oder Soziales - wieder deutlich an Fahrt gewinnt.

Stadtrat Rockenbach von der SÖS hatte auf die Frage, wie es mit der Bewegung weitergehen solle, nur eine Antwort parat: weiter demonstrieren, aber „kräfteschonend“ einen Gang zurück schalten und auf „Medienpräsenz“ achten!

Unsere Position

Unser Redebeitrag konzentrierte sich auf 6 Punkte:

1. Über den Schlichterspruch enttäuscht zu sein, zeigt, dass es Illusionen gab. Angesichts der Profitinteressen der Konzerne und der DB AG kommt das einer Verharmlosung ihrer Absichten gleich. Die Bau- und Ausrüstungskonzerne interessiert eine Infrastruktur im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung einen Dreck.

2. Mediengeilheit kann und darf nicht zum Ziel der Bewegung werden. Denn: Wem gehört die Presse? Um sich bei der bürgerli­chen Presse einzuschleimen, muss man die Bewegung in für S 21 harmlose Gleise zu lenken.

3. Es ist richtig, weiter zu demonstrieren. Schließlich waren die Demos bisher das einzige Mittel, das die Herrschenden überhaupt zu einer Reaktion gezwungen hat! Welchen Bärendienst haben aber die Verantwortlichen für die Sabotage der Demo am 27.11. der Bewegung erwiesen! Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten sollt ihr sie erkennen! Wir forderten noch einmal eindringlich, auf diese Fragen im Flyer einzugehen.

Außerdem stellten wir fest, dass Demos allein S 21 nicht kippen können, sondern dass dazu Massenaktionen wie Bahnhofsbesetzungen und politische Solidaritätsstreiks not­wendig sind. Allein dafür braucht es aber die Mitwirkung der Arbeiterschaft und ihrer Or­ganisationen. Es muss also schon deshalb Hauptziel der Bewegung sein, diese für den Kampf gegen S 21 zu gewinnen.

4. Wir warnten vor dem Versuch, die Aktionen zurückzufahren, wie von einigen Rednern suggeriert. Dahinter steckt der Versuch, die Bewegung auf die nächsten Landtagswahlen, auf Volksbefragung und womöglich Volksentscheid zu orien­tieren. Nicht nur dass letzterer eine Änderung der Verfassung zur Voraussetzung hat, sondern auch die Erfahrungen mit bisher durchgeführten Volksbefragungen bzw. -entscheiden seien durchweg negativ. Kein Wunder, wenn die Durchführung der Abstim­mungsergebnisse in den Händen des ungewählten Staatsapparates verbleibt und nicht der Kontrolle der WählerInnen unterliegt!

Einmal an der Regierung, haben auch die GRÜNEN ihrem Ruf als Öko-FDP alle Ehre ge­macht. Trittins Dosenpfand für die massenhaften Wegwerfverpackungen und die regulierte Verlängerung der AKW-Laufzeiten (als Einstieg in den Ausstieg getarnt) lassen uns mehr als befürchten, dass auch das „ökologische Vermächtnis“ einer grünen Landesregierung in Baden-Württemberg in einem kosmetisch gelifteten S 21-Bauprojekt endet.

5. Niemand stellte zudem die überaus wichtige Frage: wer S 21, aber auch „Al­ternativen“ dazu bezahlen soll? Große Teile der Bewegung propagieren ein scheinbar nar­rensicheres Argument: wenn wir die Kosten über die von der DB AG selbstgelegte Hürde von 4,5 Milliarden €  treiben, wird das Projekt aufgegeben. Abgesehen davon, dass es in den Händen der Bahn liegt, welche Zahlen sie vorlegt: entschei­dend ist nicht die Höhe der Kosten, die das System produziert, so lange es die Lohnarbeiterklasse duldet, die Krisenfolgen auf sich abwälzen zu lassen. Warum soll bei S 21 nicht funktionieren, was bei dem ungleich teureren Rettungsschirm für das Fi­nanzkapital nahezu widerstandslos durchgeboxt werden konnte - dank Beihilfe durch die traditionellen, reformistischen Arbeiterorganisationen? Die Bewegung muss eine Antwort auf diese Frage geben!

Die richtige Antwort ist auch der Schlüssel, um größere Resonanz in der Arbeiterschaft zu erzielen. Dazu muss auf­gezeigt werden, dass der Kampf gegen S 21 der gleiche wie gegen die Folgen der großen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ist, dass das Bauprojekt S 21 im Kleinen die gleichen Triebfedern hat wie das Jonglieren der Banken und Konzerne mit den Pyramiden fiktiven Kapitals.

6. Nicht zuletzt muss dringlich über Aktionen, Ausrichtung und Struktur der Bewegung geredet und entschieden werden! Worin genau besteht das Konzept „Basisdemokratie“? Welche Einheit müssen wir herstellen, wenn nicht die der Aktion bei gleichzeitig völliger Freiheit der Kritik seitens aller beteiligten Kräfte - auch und gerade aneinander!

Die weitere Regie der Aktionskonferenz gab darauf eine „eindrucksvolle“ Antwort. Basis­demokratie heißt hier: eine Vielzahl von AGs durfte sich vorstellen. Man gewann den Ein­druck: alles ist erlaubt und gleich „wichtig“. Schließlich ist das Prinzip der Bezugsgruppen das des Konsenses, nicht der Mehrheitsentscheidungen.

Die Selbstzufriedenheit über diesen Konsens wäre fast ungetrübt gewesen, wenn nicht die Rednerin bei der Vorstel­lung der Demo AG einklagte, dass die Konferenz Aktionen beschließen können und gefäl­ligst Stellung zu den Vorfällen um den 27. November nehmen müsse. Die Demo AG werde dafür sorgen, dass sich die Bewegung nicht durch eine Orientierung auf parlamentarische und „direkte“ bürgerliche (!) Demokratie totläuft.

Wie weiter?

Entschieden hat diese Konferenz nichts, schon gar keine Aktionen. Die beiden Demos am 4. und 11. Dezember 2010 waren bereits vorher ausgemacht. Die Führung der Parkschützer „bei-abriss-aufstand“ will diese Aktionskonferenzen zu folgenlosen Schwatzbuden verkommen lassen. Von ihnen eingeladene „aktive Gruppen“ - keine Einzelpersonen und keine nicht eingeladene Gruppen - sollen den „Widerstandsrat“ bilden, der neben anderen Koordinationen, wie das K21 Bündnis aus Prominenten, den weiteren Kurs der Bewegung und ihrer Aktionen - bestimmen! Außer den Mitgliedern der Demo AG wiesen auch andere SprecherInnen darauf hin, dass der Widerstandsrat gewählt, verantwortlich, transparent und jederzeit in seiner Zusammensetzung veränderbar sein muss - durch und gegenüber der Aktionskonferenz.

Natürlich braucht eine ernsthafte und schlagkräftige Bewegung eine Koordination wie den „Widerstandsrat“. Aber aus wie vielen und welchen Mitgliedern sie besteht, kann nicht der bestehende „Kern“ dieses Gremiums bestimmen. Vielmehr muss das von der Aktionskonferenz und den Gruppen bestimmt werden, die Delegierte schicken. Diese muss auch die Rahme­norientierung beschließen, die der Widerstandsrat in einzelne Schritte umzusetzen hat.

Die Gruppe Arbeitermacht hat dazu von Beginn an Vorschläge für die Bewegung gemacht, die noch heute - wenn auch bei einer geschwächten Bewegung - ihre Gültigkeit haben.

Die Bewegung muss weiter politische Massendemonstrationen organisieren und durchführen. Doch das wird nicht ausreichen.

Unsere politische Arbeit müssen wir vor Ort zusammenfassen, aus DemonstrantInnen und SympathisantInnen organisierte AktivistInnen machen. Dazu ist die Organisierung von Unterstützergruppen in den Stadtteilen, in Betrieben, an Schulen und Unis notwendig.

Der SchülerInnenstreik war ein hervorragendes Mittel dazu. Ohne diesen wäre die komplette Räumung des Parks im Oktober wahrscheinlich nur schwer verhindert worden.

Wenn das an Schulen geht, warum nicht auch im Betrieb?! Gerade dort sollten GewerkschafterInnen, Vertrauensleute, Betriebsräte Belegschaftsversammlungen einberufen, um UnterstützerInnen zu gewinnen und Solidaritätsstreiks zu organisieren.

S 21 hängt eng mit der kapitalistischen Umstrukturierung der Bahn, dem Börsengang und ihrer Profitorientierung zusammen. Die Interessen der Beschäftigten und der Fahrgäste zählen nicht. Deshalb schlagen wir vor, den Kampf gegen S 21 mit folgenden Forderungen zu verbinden:

Milliarden für den Ausbau des öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs im Interesse der lohnabhängigen NutzerInnen! Kostenloser Nahverkehr für alle!

Keine Privatisierung, kein Börsengang der Bahn! Rückverstaatlichung der Bahn u.a. Verkehrsunternehmen! Kontrolle nicht durch Beamte oder Manager, sondern durch Komitees der Beschäftigten und der BenutzerInnen!

Kein Lohnverzicht bei der Bahn u.a. Transportunternehmen! Gegen Arbeitshetze und immer schlechtere Arbeitsbedingungen! Unterstützen wir den Kampf der Gewerkschaften für die Erhöhung der Einkommen der Beschäftigten, v.a. der unteren Lohngruppen und den Kampf für Arbeitszeitverkürzung!

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Nr. 155, Dez. 2010/Jan. 2011
*  Klassenkampf: Die Weltlage und die Euro-Krise
*  Heile Welt
*  "Anti-Terror"-Kampf: Vorsicht Demagogen!
*  Aktionskonferenz gegen Stuttgart 21: Eine verpasste Chance
*  4000 demonrieren gegen Sparpaket: Welche politischen Konsequenzen ziehen wir?
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