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Haiti

Der Teufel als Helfer

Hannes Hohn / Bruno Tesch, Neue Internationale 146, Februar 2010

Haiti, eines der ärmsten Länder der Welt wurde von einem schweren Erdbeben getroffen. Große Teile des Landes sind verwüstet, über 120.000 Menschen sind umgekommen, Millionen sind traumatisiert, verletzt, obdachlos.

Wie immer wird nun das Mitleid mit den Menschen in Haiti und die millionenfache Hilfsbereitschaft von Politikern und Medien dafür mißbraucht, von den tieferliegenden Problemen Haitis abzulenken und den Imperialismus als humanitär darzustellen. Doch bei all den Millionenhilfen westlicher Regierungen sollten wir nicht vergessen, dass dieselben Regierungen noch vor kurzem ein Vielfaches dieser Beträge maroden Banken in den Rachen geworfen haben. Auch ihren „Krieg gegen den Terror“ lassen sich die imperialistischen Staaten ein Mehrfaches dessen kosten, was sie für den Kampf gegen Naturkatastrophen oder den Hunger übrig haben.

Ein Erdbeben ist für jedes Land der Welt ein Problem, doch dass es in Haiti so viele Schäden und Opfer gibt, hat vor allem damit zu tun, dass Haiti ein besonders armes, verelendetes kapitalistisches Land ist. Viele Häuser sind baufällig, v.a. in den Slums. Schon immer trieb selbst der geringste Erdstoss die BewohnerInnen aus ihren Häusern, weil sie deren Einsturz befürchten. Bauunternehmer, Spekulanten und Miethaie haben aus purer Gier oft wacklige Gebäude einfach aufgestockt, um doppelt kassieren zu können. Als armes Land kann es sich Haiti auch nicht leisten, erbebensicher zu bauen. Das Fehlen notwendiger Infrastruktur erschwert jede Hilfeleistung. So gibt es in Haiti ganze zwei Feuerwehrstationen.

Ursachen

Viele Opfer hätten auch vermieden werden können, wenn es ein ordentliches Gesundheitssystem geben würde. Doch in Haiti mangelt es an Krankenhäusern, Ärzten und Krankenwagen. Selbst wo diese vorhanden sind, können sich die meisten HaitianerInnen medizinische Versorgung nicht leisten. Dazu kommt, dass Menschen, die nicht ausreichend ernährt sind, von Epidemien, besonders bedroht sind.

Die Unterentwicklung des Landes wurde durch die Sparprogramme des IWF noch verfestigt und vertieft. Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2007 bei ca. 600 US-Dollar jährlich. 80% der HaitianerInnen müssen von weniger als zwei Dollar am Tag leben. Auch das Problem des Hungers - in einem Land, wo mehrere Ernten im Jahr möglich sind - ist typisch für ein halbkoloniales Land. Die Landwirtschaft produziert in hohem Maße für den Export anstatt zuerst für den eigenen Bedarf.

Selbst der beträchtliche Tourismus bringt den EinwohnerInnen wenig. Die Touristik-Einnahmen des Landes stammen überwiegend aus der Verpachtung des Hafens Labadee und der dortigen Strände an die Kreuzfahrtreederei Royal Caribbean Cruises. Die Reederei zahlt Haiti jedoch nur sechs Dollar pro Tourist. Das Gelände ist gegenüber dem Rest des Landes hermetisch abgeriegelt.

Schon 2008 hatte Haiti für Schlagzeilen gesorgt. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise waren damals die Lebensmittelpreise in der „Dritten Welt“ explosionsartig gestiegen. Grund dafür waren Börsen-Spekulationsgeschäfte und Währungsturbulenzen. Im April 2008 gab es daher in Haiti eine Hungerrevolte, die zu schweren Kämpfen zwischen dem Staat und den empörten und verzweifelten Massen führten und 5 Tote und hunderte Verletzte forderten. Haitis derzeitiger Präsident Rene Preval konnte sich damals nur mit Mühe an der Macht halten.

Historischer Hintergrund

Haitis Geschichte ist ein Paradebeispiel für den Leidensweg imperialisierter Länder. Zwar hatte Haiti nach mehreren Sklaven-Aufständen und Abwehrkämpfen gegen franzöische Interventionen schon 1825 nominell seine Souveränität erlangt. Doch um seine Unabhängigkeit von Frankreich zu erreichen, musste Haiti sich durch enorme Zahlungen, die von 1825 bis 1947 dauerten und das Land ruinierten, „freikaufen“.

Seit dem frühen 20. Jahrhundert griffen dann die USA in Haiti ein. Nicht genehme Regierungen, wie das des populistischen Aristide, der Front gegen die schmarotzende Eliteschicht machte und sich gegen den IWF stellte, wurden gestürzt (1991 und 2004). Andererseits wurden Korruption und brutale Diktaturen unterstützt, besonders die berüchtigte Duvalier-Dynastie von „Papa Doc“ und „Baby Doc“ von 1957-85. Diese Regime sicherten den US-Firmen ein angenehmes Ausbeutungsklima und schützten zudem vor einer Infektion mit dem „Kuba-Virus“. „Papa Doc“ und sein Sohn leiteten 80% der Entwicklungshilfe in ihre eigenen Taschen. Ihre Todesschwadronen ermordeten etwa 60.000 Regime-Gegner.

Die militärische Präsenz der USA ist auf Haiti alltäglich, aber die überfallartige Besetzung des Flughafens von Port-au-Prince zeigt klar, dass sich die US-Außenpolitik auch unter Obama nicht gewandelt hat. Noch offensichtlicher wurde dieses Sheriff-Gebaren, als die US-Marines um den Flugplatz eine Sicherheitszone errichteten. Der Einlass wird streng kontrolliert. Westliche Staatsangehörige wurden ausgeflogen. Einheimischen wird der Zugang verwehrt. Anfangs durften sogar nur amerikanische Flugzeuge landen, wodurch Hilfslieferungen beim Wettlauf gegen die Zeit nicht nur gestört, sondern sabotiert worden sind.

Neben ihren 3.500 Elitesoldaten wollen die USA auch noch ihre Polizeitruppen in Haiti verstärken. Auch die EU hat Bereitschaft angemeldet, Polizisten zu entsenden. Schließlich will die EU - und v.a. Frankreich - auch bei einer Rekolonialisierung Haitis mitbestimmen. Dieser Anspruch kann am ehesten mit einer eigenen bewaffneten Präsenz untermauert werden. Auch die UN-Blauhelme entpuppen sich dabei wieder einmal als Hilfstruppe der imperialistischen Mächte.

Die Hilfe durch die imperialistischen Staaten ist nicht so selbstlos wie die Spenden von Millionen hilfsbereiter Menschen. Auf der Woge der Hilfsbereitschaft senden sie Soldaten, um ihre Macht in Haiti zu sichern. Obama und Co. handeln auch in Haiti als Heuchler, Verbrecher und Unterdrücker.

Schon der Begriff „Sofort-Hilfe“ ist eine Lüge! Die USA sind von Haiti nur eine Flugstunde entfernt, ein US-Stützpunkt in Puerto Rico liegt sogar noch näher an Haiti.

Die Federal Emergency Management Agency (FEMA), die nach dem Hurrican Katrina in den USA gebildet wurde, verfügt über alle Mittel zum Katastropeneinsatz: transportbereites Trinkwasser, Generatoren, mobile Krankenhäuser usw. Diese Kräfte hätten schon Stunden nach dem Erdbeben eintreffen können - hätten ...

Dafür war schon nach drei Tagen der US-Flugzeugträger Carl Vinson dort - ohne jede Notfallausrüstung, dafür aber mit Raketen.

Als US-Außenministerin Clinton nach Haiti flog, versprach sie auf einer Pressekonferenz 100 Millionen Dollar Hilfe. Im nächsten Atemzug ließ sie aber auch keinen Zweifel am imperialistischen Mandat der USA: „Wir werden heute hier sein, morgen und darüber hinaus.“

Rassismus

Die Medien malen ein Bild, dass Haiti ohne US-Truppen im Chaos versinken würde. Sie behaupten, dass es in Haiti eine „wirklich humanitäre“ Intervention gebe, dass imperialistische Truppen und zivile Hilfsdienste Hand in Hand für die Bevölkerung arbeiten würden. Dabei wird nicht nur verschwiegen, dass Länder wie Kuba beweisen, dass humanitäre Hilfe z.B. durch Ärzteteams und medizinische Versorgung keiner militärischen Absicherung bedarf. Der Bevölkerung wird auch in rassistischer Manier unterschoben, dass sie zur eigenen Kontrolle über die Verteilung von Gütern nicht fähig wäre, ja dass sie gar HelferInnen angriffen, würden nicht vor jeder Hilfeleistung „Ruhe und Ordnung“ hergestellt.

Hier zeigen sich Parallelen zum Vorgehen nach dem Wirbelsturm Katrina, der 2005 New Orleans im Süden der USA verheert hatte. Als ersten Befehl gab damals die Regierung nicht die Anweisung zur Versorgung und Evakuierung der Bevölkerung aus, sondern zum Einsatz der Nationalgarde gegen angebliche Plünderer. Jeder Ansatz von Selbstverwaltung besonders unter der Armut, z.B. durch Komitees zur Lebensmittel-Verteilung oder durch Bewaffnung, sollen hier wie dort im Keim erstickt werden.

Wir fordern:

Keine imperialistische Militär- und Polizeipräsenz! Sofortiger Abzug der US-Truppen und ihrer Verbündeten!

Für Hilfslieferungen und Aufbauprogramme, bezahlt von den Konzernen und der haitianischen Oberschicht unter Kontrolle von gewählten Ausschüssen auf Wohngebiets- und Betriebsebene!

Enteignung aller imperialistischen Besitzungen und der großen Ländereien unter Arbeiterkontrolle! Sofortige und bedingungslose Streichung der Auslandsschulden!

Internationale Arbeiterkontrolle über Sach- und Geldspenden und über den Fortgang der Maßnahmen in Haiti!

Aufbau von Arbeiter-Solidarität in imperialistischen Ländern, z.B. durch Gewerkschaften, Einladung von haitianischen Delegationen usw.!

Die dramatische Situation in Haiti ist nicht nur Ergebnis des Erdbebens, sie ist v.a. auch Resultat der jahrzehntelangen imperialistischen Beherrschung und Ausplünderung des Landes mit Hilfe korrupter terroristischer Regime.

Der Kampf gegen die erneuten Versuche des Imperialismus, unter „humanitärer“ Flagge Haiti noch direkter zu kontrollieren, muss damit verbunden werden, Selbstorganisation und Kontrollorgane der Bevölkerung, besonders der ArbeiterInnen, der städtischen und ländlichen Armut, zu fördern. Diese Organe können zu Keimen eigener Kampf- und Machtorgane werden. Auf ihnen basierend könnte ein Rätesystem, könnte eine Arbeiter- und Bauernregierung errichtet werden, die das Land dem Würgegriff des Imperialismus entreißt und die einheimische Oligarchie stürzt.

Perspektive

Doch das erfordert auch, dass die großen Unternehmen und die Vermögen im Land den imperialistischen Investoren, Großgrundbesitzern und der einheimischen Elite entrissen werden. Es bedeutet, dass die imperialistischen Grundbesitzer eineignet werden und ihr Land unter Betrieben, die von LandarbeiterInnen kontrolliert werden, unter Genossenschaften und landlosen Bauern aufgeteilt wird. Nur so kann die Landwirtschaft gemäß den Bedürfnissen der Bevölkerung umgestellt werden.

Diese Perspektive mag gegenwärtig, angesichts der Zerstörungen, der Not und des Sterbens in Haiti utopisch erscheinen. Doch wenn Haiti eine Zukunft haben soll, dann bleibt ihm nur dieser Ausweg - ansonsten werden die Nachrichtenticker über Haiti auch künftig nur von Hunger, Armut, Katastrophen und imperialistische Intervention berichten.

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