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Wirtschaftskrise

Talsohle erreicht - Krise vorbei?

Martin Mittner, Neue Internationale 142, September 2009

Im 2. Quartal 2009 ist die deutsche Wirtschaft nicht mehr geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg um ganze 0,3 Prozent. Nun sei die Rezession zu Ende, verkünden die Wirtschaftsblätter. Wir sind in der Talsohle angelangt, freut sich Kanzlerin Merkel. Auch in den USA gebe es „positive Signale“, in China sowieso.

Klar, einen „Aufschwung“, rasche Besserung will selbst im Wahlkampf niemand versprechen. Auch werde es „nicht einfach“ werden. Aber mit den Prognosen soll nicht nur eine Wirtschaftsentwicklung dargestellt werden. Der Bevölkerung soll suggeriert werden, dass es „mittelfristig“ besser wird, dass es vielleicht nach ein paar Monaten, maximal aber in ein bis zwei Jahren wieder bergauf gehe.

Klar, so die bürgerliche Propaganda weiter, müssten „wir“ dafür alle zusammenhalten, auf etwas verzichten, z.B. auf die nächste Lohnerhöhung, auf bezahlte Überstunden oder auf Sozialleistungen.

Rezession vorbei?

Nimmt man die gängige Definition der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft für eine Rezession - Schrumpfen der Wirtschaftsleistung eines Landes gemessen als Bruttoinlandsprodukt in zwei aufeinander folgenden Quartalen - so ist die Rezession rein rechnerisch vorbei.

Selbst die bürgerlichen Experten und deren Prognosen gehen jedoch von einem überaus bescheidenen Wachstum aus. Selbst sie rechnen z.B. mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesem und im kommenden Jahr.

Dabei hat die Krise schon jetzt weltweit zu einer massiven Zunahme von Armut, Elend und Arbeitslosigkeit geführt. So hat sich allein 2008 lt. ILO-Schätzung die Zahl der „absolut Armen“ (also aller Menschen, die von weniger als einem Dollar/Tag leben müssen) auf 150 Millionen erhöht. Kein Wunder, dass schon ein Sechstel der Menschheit - also rund eine Milliarde - als unterernährt gilt.

Die Zahl der offiziell arbeitslos Gezählten soll sich 2009 weltweit um 50 Millionen erhöhen. Für die BRD wird geschätzt, dass die Zahl der Arbeitslosen 2009/10 bei einem Rückung des BIP um 5 Prozent um 2 Millionen steigen wird. Bislang konnte ein solcher Anstieg auch nur durch die massenhafte Kurzarbeit - 1,4 Millionen allein von Oktober 2008 bis März 2009 - verschleiert werden.

Doch schon die Vorstellung, dass wir bis Ende 2010 eine Phase geringen Wachstums haben, das danach wieder „anziehe“, ist eine „optimistische Prognose“. Das Ende des Niedergangs der Wirtschaft und leichte Zuwächse sind nicht zuletzt auf massive staatliche Programme zur Ankurbelung der Konjunktur, also zur Sicherung der Nachfrage durch Erhöhung der Staatsverschuldung, sowie eine Refinanzierung der Banken und Spekulanten durch Staatsgarantien - also weitere Verschuldung - und eine damit erzeugte neue spekulative Blase zurückzuführen. Deren Platzen in den nächsten Monaten ist keinesfalls auszuschließen, was erneut zu einer Rezession führen kann. Das nennen bürgerliche Ökonomen, dann „double dip“ (doppeltes Eintauchen) - die wahrscheinliche Variante der konjunkturellen Entwicklung.

Die Rechnung muss noch bezahlt werden

Für die Lohnabhängigen, aber selbst für große Teile des Kleinbrügertums und der Mittelschichten heißt das „double shit“ (doppelte Scheiße).

Doch wie auch immer die konjunkturelle Entwicklung geht - ob ein „double dip“ oder eine längere Stagnations- und Niedergangsentwicklung -, in den nächsten Jahren ist die Rechnung für die „Rettungs“programme für die Banken, für Investoren, große Konzerne fällig.

Nach den Wahlen soll es daher zur Sache gehen. Die informell geschlossenen „Abkommen“ von Regierung und Unternehmerverbänden, also von den großen Monopolen, welche die Krise durch Kurzarbeit abfedern, werden auslaufen. Ein Viertel bis ein Drittel der Industriearbeitsplätze steht zur Disposition.

Da ist ein Mindestlohn selbst in den bescheidenen DGB-Größen von 7,50 Euro ohne Kampf nicht zu haben. Vielmehr soll der Niedriglohnsektor erst richt angeschoben werden. Der Kündigungsschutz - ohnedies schon ausgehöhlt - muss geschliffen werden.

Die Schulden werden in den öffentlichen Haushalten, v.a. bei den Kommunen zu drastischen Sparprogrammen führen, die einen weiteren Kahlschlag von Jugend- und Kinderbetreuung zur Folge haben werden, weiteren Niedergang im Bildungsbereich, Kürzungen bei allen möglichen Formen der Öffentlichen Versorgung und früher oder später eine weitere Privatisierungswelle erzeugen. Gleichzeitig werden die Kreditgeber, also die Banken, weiter bedient und den Reichen weitere Steuergeschenke in den Arsch geblasen.

Krisenursachen bleiben

Vor allem aber: die Krisenursachen bleiben. Die Weltwirtschaftskrise, schon jetzt die schwerste seit 1929, war und ist ja keineswegs bloß eine „Finanzkrise“. Ihre eigentliche Ursache liegt in der Überakkumulation von Kapital im industriellen Bereich, darin, dass immer größere Massen von Kapital verwendet werden müssen, um eine gleich große Masse von Profit zu „erwirtschaften“, also von immer härter arbeitenden ArbeiterInnen immer mehr Waren produzieren zu lassen.

Doch - und das ist ein grundlegendes Problem des Kapitalismus - die Rate des Profits, also der Gewinn im Verhältnis zum vorgeschossenen (investierten) Geld, sinkt bei immer fortgeschrittener und umfangreicherer Produktion auf immer besserer technischer Grundlage.

Was in einer vernünftig, gemäß den Interessen der Bevölkerung produzierenden Wirtschaft für alle positiv wäre, nämlich, dass immer mehr Produkte in kürzerer Zeit produziert werden können, macht sich im Kapitalismus als allgemeine Unvernunft, als Wahnwitz breit. Immer mehr wird produziert. Aber weil der Zweck der Produktion nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Schaffung von Profit für den Kapitalisten ist, erscheint die Krise als ein „zu viel“ von allem. Es gibt zu viele Waren, zu viele Produkte, zu viele Fabriken, Büros, Kaufhäuser, zu viele Arbeitskräfte, zu viel Kapital.

Nur durch die Vernichtung ebendieser kann die Krise im Kapitalismus gelöst werden. Nur so kann die ganze Scheiße von neuem beginnen.

Doch die Vernichtung von Kapital ist kein friedlicher, sondern ein gewaltsame brutaler Prozess. ArbeiterInnen müssen entlassen, Existenzen vernichtet werden.

Auch zwischen Kapitalisten und zwischen Staaten verschärft sich der Kampf. Schließlich will keiner freiwillig abtreten. VW, GM und alle anderen Konzerne kämpfen darum, dass sie aus der Krise „siegreich“ hervorgehen. Alle großen Mächte wollen, dass „ihr“ Kapital nach der Krise stärker ist als vorher - das geht nur auf Kosten anderer.

Daher werden „natürlich“ auch verstärkt protektionistische, nationalistische und rassistische Maßnahmen gesetzt, um den „eigenen“ Markt, die „eigene“ Wirtschaft zu sichern. Gleichzeitig wird die Öffnung anderer Märkte gefordert.

Daher werden Kriege um Rohstoffe und geostrategische Positionen in der sich weiter verschärfenden Weltmarktkonkurrenz geführt.

Die Krise hat nicht nur die krisenhafte Natur des Kapitalismus, des Gesamtsystems offenbart. Sie hat auch die Quellen für die spekulative Expansion des „neoliberalen“ Wachstums, der „Globalisierung“ unterminiert, wenn nicht zerstört. Der spekulative Boom der USA und die Expansion des Weltmarktes in den letzten fast 20 Jahren gingen mit einer fast unumstrittenen Vorherrschaft des US-Imperialismus und des Dollars als Weltgeld einher.

Die Krise hat diese Faktoren nachhaltig erschüttert. Das heißt aber auch, dass der Weltmarkt nicht nur härter umkämpft sein wird, sondern dass der Weltmarktzusammenhang insgesamt fragiler wird und die Tendenzen zum Protektionismus und zur imperialistischen Blockbildung, zum Wirtschaftskrieg und auch zu Aufrüstung und Militarisierung zunehmen.

Kurzum, wir sind in eine Periode eingetreten, die von einer weiteren Verschärfung der Krisenhaftigkeit des Gesamtsystems geprägt sein wird (auch wenn es weitere, wenn auch eher „falsche“ konjunkturelle Zwischenhochs geben wird).

Von einem „Ende der Krise“ kann also in diesem Sinne überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil: Wir stehen am Beginn einer historischen Krise des Kapitalismus selbst - einer Krise, die letztlich nur auf zwei Arten bewältigt werden kann. Durch massive Vernichtung von Kapital, Verschärfte Ausbeutung, Reaktion, Niedergang und imperialistischen Krieg oder aber durch Überwindung der Ursache der Krise, den Sturz des Kapitalismus: die sozialistische Weltrevolution.

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Nr. 142, September 2009
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